Aktion:
Brief an besorgte Christen
Vorwort der Redaktion:
In Heft XXVIII/6 vom Februar 1999, S. 159 ff., hatte ich Ihnen,
verehrte Leser, das Konzept eines "Briefes an besorgte Christen"
vorgelegt mit der Bitte, dazu Stellung zu nehmen. Sie haben uns gesagt
und geschrieben, "was Ihnen nicht gefällt, was zu unklar oder zu wenig
deutlich dargestellt ist". Für die eingegangenen Vorschläge möchte ich
mich bei allen Einsendern herzlich bedanken. Wir haben ergänzt,
umformuliert und stellenweise gekürzt, sicherlich noch zu wenig. Aber
eine möglichst präzise und übersichtliche Darstellung unseres Anliegens
bedarf auch einer gewissen Ausführlichkeit. Heute stellen wir diesen
"Brief" erneut auf den Prüfstand und erwarten nochmals Ihr Urteil; im
voraus herzlichen Dank dafür.
E. Heller
***
Vor knapp zwei Jahr sorgte eine Bemerkung des Vorsitzenden der
Deutschen Bischofskonferenz, Prof. Karl Lehmann, unter den Katholiken
hierzulande für einige Aufregung. In einem Vortrag vor der
Luther-Gesellschaft in der Berliner Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche am
6.11.97 hatte er Luther mehrfach und ohne Einschränkung als
"gemeinsamen Lehrer" bezeichnet, obwohl dieser doch von der Kirche im
Jahr 1521 als Ketzer verurteilt worden war.
Hatte Lehmann damit seine Kompetenzen überschritten? Kann ein Bischof
die Entscheidung der höchsten Autorität einfach ignorieren? Handelt es
sich bei Lehmanns Urteil um eine nötige Revision des Luther-Bildes
durch den Repräsentanten des deutschen Episkopats, weil Luthers
Zensurierung im Lichte neuerer historischer Forschung als überholt, als
ungerechtfertigt anzusehen ist? Hatte sich das Lehramt also geirrt?
Stellte diese Beurteilung lediglich eine häretische Entgleisung des
Mainzer Bischofs dar, wie der renommierte, inzwischen verstorbene Prof.
Bäumer diese Bemerkung bewertet hatte? Oder handelte es sich vielleicht
um einen 'Versuchsballon', mit dem Lehmann testen wollte, wie die
angeblich katholische Öffentlichkeit auf seine Beurteilung eines
Häretikers als Kirchenlehrer reagieren würde, also um eine bewußte
Provokation?
Diese Zeilen richten sich an katholische Christen, die die kirchlichen
Entwicklungen der letzten dreißig Jahre mit großer Sorge beobachten und
die die vielen Neuerungen nach dem II. Vatikanum kei-neswegs als wahre
Reformen begrüßen, sondern in ihnen eher eine schleichende Gefahr für
den christlichen Glauben sehen. Sie gelten auch jenen, die durch
offizielle Verlautbarungen der Amtskirche in ihrer Glaubensüberzeugung
oder ihrem religiösen Empfinden verunsichert sind und die eine
verläßliche Antwort aus dem katholischen Glauben heraus suchen. Darüber
hinaus sollen aber auch all jene angesprochen werden, die zwischen dem
allgemeinen Glaubens- und Werteverfall in unserer Gesellschaft und dem
schrittweisen Vordringen a-christlicher, ja direkt a-theistischer
Positionen einen Zusammenhang vermuten. Unlängst propagierte der
Schriftsteller Martin Walser bei der Verleihung des Friedenspreises des
Deutschen Buchhandles in der Frankfurter Paulskirche unter der
Anwesenheit der gesamten deutschen Polit-Prominenz sogar eine vom
Christentum befreite, post-christliche Ära.
Wir wenden uns an Sie, um Ihnen Kriterien und theologisch fundierte
Argumente zu liefern, die Ihnen helfen sollen, die angebotenen Konzepte
und kirchlichen Aktivitäten zu durchschauen. Unter Berufung auf
kirchliche Lehrentscheidungen wollen wir zeigen, was gilt und was nicht
gilt, was katholische Glaubenswahrheit und was Häresie ist. Diese
theologisch-geistige Selbständigkeit soll Sie - allen modernen Trends
zum Trotz - in die Lage versetzen, die drängenden Lebensfragen zu
beantworten und Ihr Leben als katholischer Christ klarer und
eindeutiger zu gestalten. Die angebotenen Argumentationshilfen basieren
auf der Lehr-Tradition der Kirche. Tradition bedeutet, das weitergeben
und weiterleben, was wir von Christus unverändert über die Apostel
durch die Kirche empfangen haben, um danach uns und diese Welt, in der
wir leben, zu gestalten. Sie ist Quelle der göttlichen Offenbarung.
Es ist klar, daß die Kirche nur dann ihrem Auftrag treu ist, wenn sie
die empfangenen Lehren unverfälscht weitergibt. Es kann nicht sein, daß
sie unter Beanspruchung ihrer Lehrautorität heute das Gegenteil von dem
lehrt, was sie gestern als verbindlich definiert hat. Eine solche
Methode würde nicht nur in einer absoluten Relativität der Lehre
münden, sondern auch die Lehrautorität als solche aufheben. Und hier
haben Sie gleich die Kriterien für die Beurteilung für das eingangs
wiedergegebene Lehmann-Zitat: indem er die Lehrautorität früherer
Entscheidungen aufhebt, untergräbt er zugleich seine eigene. Wenn Sie
genauer aufmerken, stellen Sie fest, daß sich solche Aussagen, die vom
definierten Glauben abweichen, von sog. Amtsinhabern häufen. Wir werden
heute Zeugen einer Revolution von oben. Diejenigen, die vorgeben, Hüter
des Glaubens zu sein, verraten ihn.
Dieser Prozeß setzte - sichtbar für die allgemeine Öffentlichkeit - auf
dem II. Vatikanum ein, das für die nachfolgenden sog. Reformen die
Weichen stellte. Es pries diese im Sinne des von Johannes XXIII.
geforderten "aggiornamentos" (aufgrund dessen 'Inspiration' eines
"neuen Pfingstens") als notwendige Anpassungen an die moderne Zeit. In
Wirklichkeit aber tangierten die Konzilsentscheidungen bereits frühere
Lehrentscheidungen und liefen auf eine geschickte Zerstörung der kath.
Kirche hinauslief. So heißt es z.B. in "Lumen gentium", 16. Kap.: "Der
Heilswille umfaßt aber auch die, die den Schöpfer anerkennen, unter
ihnen besonders die Muslime, die sich zum Glauben Abrahams bekennen und
mit uns den einen Gott anbeten, den barrmherzigen, der die Menschen am
Jüngsten Tag richten wird". Nicht nur, daß der Islam die Gottheit
Christi, die Dreifaltigkeit, die Erlösung des Menschen am Kreuz und die
Sendung des Hl. Geistes leugnet, sondern Christus sagt ausdrücklich:
"Niemand kommt zum Vater außer durch mich!" (Jo 14,6). Über die
Offenbarung Gottes heißt es in den Bestimmungen des I. Vatikanums, 2.
Kap.: "Doch hat es seiner Weisheit und Güte gefallen, auf einem
anderen, und zwar übernatürlichen Weg sich selbst und die ewigen
Beschlüsse seines Willens dem Menschengeschlecht zu offenbaren.(...)
'Zuletzt hat er in diesen Tagen zu uns in seinem Sohn gesprochen' (Hbr.
1,1)".
Welchen Wirbel machte man nicht um die Liturgiereform! Mit ihr sollte
die unmittelbare Anteilnahme der Gläubigen geweckt werden... sagte man.
In Wirklichkeit hat sie die Liturgie zu einem Happening degradiert und
die Kirchen geleert. Erhellend ist in diesem Zusammenhang, was Kard.
Ratzinger, selbst ein dezidierter Vertreter der Konzils-Kirche, über
diese Liturgiereform geschrieben hat. Nach ihm war das Resultat der
Reform Pauls VI. "in seiner konkreten Verwirklichung keine Neubelebung,
sondern eine Verwüstung" (Vorwort zu Gamber "Die Liturgiereform" Le
Barroux 1992, S. 6). In seiner neuesten Publikation ("Mein Leben,
Erinnerungen 1927-1997" Rom 1997) äußert sich Ratzinger noch
deutlicher: "Ich bin überzeugt, daß die kirchliche Krise, in der wir
uns heute befinden, zum großen Teil vom Zusammenbruch der Liturgie
herrührt. Ich war bestürzt über die Ächtung des alten Missale, zumal es
eine solche Entwicklung noch nie in der Liturgiegeschichte gegeben
hatte." Es ist bezeichnend, daß diese vernichtenden Zeilen mit großem
Schweigen von den Modernisten übergangen werden.
Wir sind bei dieser allgemeinen negativen Charakterisierung nicht
stehen geblieben. Die im N.O.M. enthaltenen Verfälschungen wurden früh
entdeckt, gegen seine Einführung hat sich weltweit schon früh ein zwar
kleiner, aber konsequenter Widerstand gebildet. Ich weise hier nur auf
die "Kurze kritische Untersuchung" über den Novus Ordo Missae der
beiden Kardinäle Ottaviani und Bacci hin, die ihm massive theologische
Irrtümer bescheinigen. Unsere theologische Analyse deckte sich
weitgehend mit denen der beiden Kardinäle, geht aber über diese noch
hinaus. Das Resultat: wegen gravierender dogmatischer Irrtümer und
textlicher Verfälschungen (u.a. Verfälschungen der Wandlungsworte,
Veränderung der Meßintention - früher hieß es z.B. im Liedkopf der
Meßgesänge: "nach der Wandlung", heute: "nach dem Einsetzungsbericht",
d.h. eine Konsekration ist gar nicht mehr intendiert) kann mit dieser
Liturgie kein gültiges Meßopfer gefeiert werden. (Deswegen wird in
unseren Zentren nach wie vor nur der von Pius V. kodifizierte Meßritus
benutzt.) Und da dieser neue Ordo, der von Paul VI. promulgiert und von
seinen Nachfolgern übernommen wurde, als verbindlich für die Weltkirche
vorgeschrieben wurde, muß man davon ausgehen, daß das Feiern der hl.
Messe fast erloschen ist. Man stelle sich die geistigen Folgen vor: die
Ader, durch die bisher Gottes Gnadenströme die Menschen heiligte, ihnen
religiösen und geistigen Halt gab, ist durchtrennt, die täglichen
Opfer, mit denen bisher die Welt entsühnt wurde, finden nicht mehr
statt. Und das Fehlen von Gottes Gegenwart und Seiner Gnadenströme in
unserer Welt wird täglich spürbarer.
Häresien haben Konsequenzen für die Amtsinhaber. Es ist z.B. völlig
undenkbar, daß ein Papst als Stellvertreter Christi auf Erden leugnen
dürfte, daß dieser Gottes Sohn ist. Er würde dadurch vom Glauben
abfallen und ipso facto auch sein Amt verlieren. Wie soll man aber die
Aussagen Johannes Pauls II. verstehen, wenn er mit dem II. Vatikanum
davon redet, Christen, Juden und Muslime beten den gleichen Gott an.
Diese Gleichsetzung bedeutet nicht nur die Leugnung der Einzigartigkeit
der Offenbarung Gottes "in seinem Sohn" (Hbr. 1,1), sondern implizit
auch die der Trinität.
Das von Johannes XXIII. angekündigte "Aggiornamento", der von Paul VI.
und Johannes Paul II. gepredigte Ökumenismus, der inzwischen selbst von
Teilen der Orthodoxie als Häresie verurteilt wird, haben zu einer
Glaubensnivellierung bzw. in ihrem Gefolge auch Kulturnivellierung
geführt, durch die bekenntnis-spezifische Glaubenspositionen bei vielen
auf ein allgemeines religiöses Gefühl oder eine unbestimmte Gottesidee
reduziert wurden.
Dem Abweichen vom wahren Glauben entsprechen Fehlpositionen im
gesellschaftspolitischen Bereich. Dies aufzuzeigen, war ein Verdienst
Donoso Cortés. In seiner Denkschrift an Kard. Fornari schrieb er schon
1852: "Sein Stolz hat dem Menschan von heute zwei Sätze zugeflüstert
und beide hat er geglaubt, nämlich, daß er keinen Makel habe und daß er
Gott nicht benötige; daß er stark sei und daß er schön sei. Deswegen
sehen wir ihn auf seine Macht so eingebildet und in seine Schönheit so
verliebt." Diejenigen, die zunächst den Ökumenismus und jetzt den
Synkretismus forcieren, favorisieren als Teil ihres politischen
Programms auch die multikulturelle Gesellschaft um jeden Preis.
Man kann einwenden, eine solche Position sei 'fundamentalistisch',
rigoros, ja intolerant. Sie ist es! Die lebendige Wahrheit duldet keine
Zweideutigkeit, sie ist eindeutig. Keiner würde als Rigorist
verketzert, wenn er behauptet, daß drei und drei 6 ist und jede andere
Lösung ausscheidet. Nur im Bereich der göttlichen Offenbarung soll es
anders sein, soll bei den einzelnen Glaubenssätzen Wahlfreiheit
bestehen: Die Menschwerdung des Gottes Sohnes wird angenommen, aber
seine Allmacht abgelehnt, sein Leidensweg akzeptiert, aber seine
Auferstehung dem Bereich der Fabel zugeordnet. Es wird immer wieder
betont, daß sich die Menschen nach religiösen Inhalten sehnen - ein
Sehnen meistens nach unverbindlichen Ideen, die nichts kosten dürfen,
besonders keine Anstrengungen, Entscheidungen oder Opfer. Entweder man
nimmt die Offenbarung Gottes ganz an, mit all ihren Lehren und Geboten,
oder nicht! Denn wenn man auch nur einen Baustein aus dem gesamten
Lehrsystem entfernt, stürzt das gesamte Gebäude ein.
Wenn Sie über diese Sachverhalte, die jeder von uns in der einen oder
anderen Form sicherlich schon einmal erfahren mußte, gründlich
nachdenken, verstehen Sie auch, warum es zu der allgemein beklagten
Auflösung des geistigen Lebens und der äußeren Ordnung kommen konnte.
Festzuhalten sind
- ein anhaltender Glaubensschwund - nur noch etwa 17% der Christen in
Deutschland glauben an einen persönlichen Gott, 16% der Katholiken
leugnen seine Existenz,
- ein massiver Werteverfall - nichts gilt mehr,
- ein rasanter Anstieg der Kriminalität, besonders bei Jugendlichen,
- eine große geistige Leere bei der heutigen Jugend, aber auch
bei vielen Erwachsenen, die sich zu Recht verlassen und verraten
fühlen, die Ersatz in Drogen oder in Sekten suchen,
- das immer häufigere Zerbrechen von Ehen - Kinder, die aus diesen Ehen hervorgehen, sind häufig sozial geschädigt,
- die Zunahme von Gleichgültigkeit, Egoismus, Streit und Kriegen weltweit.
Um das Desaster, das sich bei uns ganz offensichtlich abzeichnet,
schlaglichtartig zu beleuchten, wähle ich einen Punkt, der
moral-theologisch für jedermann eindeutig durchschaut werden kann: Frau
Rita Süßmuth, ehemalige Bundestagspräsidentin und sog.
Vorzeige-Katholikin hat sich für die Abtreibung eingesetzt und der
angeblich katholische Alt-Bundeskanzler Kohl stimmte bei der
Neu-fassung des § 218 StGB im Bundestag für sie - beide wären vor dem
Konzil dafür exkommuniziert worden. Die offizielle katholische Kirche
bleibt auch weiterhin durch die Ausstellung des Beratungsscheines - mit
und ohne Zusatz - in die staatliche Abtreibungsmaschinerie involviert.
Die Reformer hatten die Mitmenschlichkeit gepredigt, um die Gottesliebe
zu unterdrücken. Inzwischen ist konsequenterweise auch die
Nächstenliebe erkaltet. Der Durst, die Sehnsucht nach dem Absoluten,
nach der Verankerung in Gottes Liebe und Barmherzigkeit ist erloschen,
das Streben nach einem gottgewollten Leben, nach Heiligkeit in
Vergessenheit geraten.
Neben ähnlichen Gruppierungen auf der ganzen Welt hat sich der
Freundeskreis der Una Voce als Selbsthilfegruppe von Klerikern und
Laien gebildet, nachdem auf dem II. Vatikanum und in seinem Gefolge
immer klarer wurde, daß die Konzilstexte und die als Reformen
ausgegebenen Veränderungen Sätze enthielten, die mit der bisherigen
Lehre der Kirche unvereinbar waren. Wir haben in den 60iger und zu
Beginn der 70iger Jahre begonnen, die Reformen des II. Vatikanums auf
den Prüfstand zu stellen, im Licht des unverkürzten Glaubens, um
zunächst selbst zu einem einsichtigen und eigenständigen Urteil zu
gelangen. Seit den 70iger Jahren erscheint unsere Zeitschrift EINSICHT,
in der wir die Ergebnisse unserer Untersuchungen veröffentlichen,
welche wir Ihnen gerne zukommen lassen. Wenn Sie unsere Sorgen teilen
und darüber hinaus Auskünfte über kirchliche bzw. theologische Probleme
benötigen, wenden Sie sich bitte an uns.
Wir sind weder Traditionalisten noch Progressisten oder Modernisten,
sondern wir wollen schlicht integrale, katholische Christen sein. Wir
wollen einen Wiederaufbau der Kirche als Heilsinstitution und eine
geistige Erneuerung in und aus dem wahren christlichen Glauben. |