LEHRE VOM BROT DES LEBENS
- NACH DEN VISIONEN DER GOTTSELIGEN
ANNA KATHARINA EMMERICH -
Die Nacht hatte Jesus auf dem Schiff zugebracht, das zwischen Matthäi
Zollstätte und Bethsaida-Julias gelandet war. Am Morgen lehrte er vor
etwa hundert Menschen vom Vaterunser, und gegen Mittag fuhr er mit den
Jüngern nach der Gegend von Kapharnaum, wo sie unbemerkt landeten und
in das Haus Petri sich begaben. Hier kam Jesus mit Lazarus zusammen,
der mit dem Sohn der Veronika und einigen Leuten aus Hebron hierher
gereist war.
Als Jesus danach auf die Höhe hinter Petri Haus ging, wo der kürzeste
Weg von Kapharnaum nach Bethsaida führte, folgte das dort umher
gelagerte Volk ihm nach, und mehrere, die bei der Brotvermehrung
gewesen und ihn gestern und heute gesucht hatten, fragten: "Meister,
wann bist du herübergekommen? Wir haben dich gesucht, drüben und hier!"
Jesus aber antwortete, seine Lehre beginnend: "Wahrlich, wahrlich, ihr
sucht mich nicht, weil ihr Wunder gesehen, sondern weil ihr von dem
Brot gegessen habt und satt geworden seid. Bemüht euch nicht um
vergängliche Speise, sondern um Speise, die bis zum ewigen Leben währt,
die euch der Menschensohn geben wird; denn ihn hat Gott der Vater
beglaubigt." Er sagte dieses viel weitläufiger, als es im Evangelium
steht, wo nur die Hauptsätze stehen. Die Leute flüsterten zusammen:
"Was will er nur mit dem Menschensohn? Wir sind ja auch
Menschenkinder!" Und da sie auf seine Mahnung, daß sie Gottes Werke tun
sollten, fragten, was sie tun sollten, um Gottes Werke zu tun,
erwiderte er: "An den glauben, den Er gesandt hat!" und lehrte über den
Glauben. Sie fragten aber wieder: was er für ein Wunder tun wolle, auf
daß sie glaubten? Ihren Vätern habe Moses Brot vom Himmel gegeben, daß
sie an ihn glaubten, das Manna. Was er ihnen geben wolle? Da antwortete
Jesus: "Ich sage euch, nicht Moses hat euch Brot vom Himmel gegeben,
sondern mein Vater gibt euch das wahre Brot vom Himmel; denn das Brot
Gottes ist dieses, das vom Himmel herabkommt und der Welt das Leben
gibt."
Hierüber lehrte er ganz ausführlich, und einige sagten: "Herr, gib uns
doch immer solches Brot!" Andere aber sprachen: "Sein Vater gibt uns
Brot vom Himmel! Was soll das sein? Sein Vater Joseph ist ja tot!"
Jesus lehrte hierüber lange und mannigfaltig und erklärte es sehr
deutlich; aber nur wenige verstanden ihn, weil sie sich klug dünkten
und allerlei zu wissen glaubten. Er lenkte aber ein und lehrte noch vom
Vaterunser und aus der Bergpredigt lmd sagte noch nicht, daß er das
Brot des Lebens sei. Die Apostel und älteren Jünger aber fragten nicht,
sie dachten nach, verstanden es oder ließen es sich nachher
erklären.
Am folgenden Tag setzte Jesus auf der Anhöhe hinter Petri Haus die
gestrige Lehre fort. Es waren wohl ein paar tausend Menschen
gegenwärtig, die abwechselnd vor- und zurücktraten, um besser zu hören.
Jesus ging auch manchmal von einer Stelle zur andern und wiederholte
seine Lehre mit großer Liebe und Geduld und widerlegte oft dieselben
Einwürfe. Es waren auch viele Frauen verschleiert an abgesondertem Orte
da. Die Pharisäer gingen ab und zu, fragten und zischelten ihre Zweifel
wieder unter dem Volk aus.
Heute sprach Jesus aus: "Ich bin das Brot des Lebens, wer zu mir kommt,
den wird nicht hungern, und wer an mich glaubt, den wird nicht dürsten!
Wen der Vater ihm gebe, der komme zu ihm, und er werde ihn nicht
verstoßen. Er sei vom Himmel gekommen, nicht seinen, sondern des Vaters
Willen zu tun. Es sei aber des Vaters Wille, daß er nichts verliere,
was Er ihm gegeben, sondern am Jüngsten Tage erwecke. Es sei der Wille
seines Vaters, wer den Sohn sehe und an ihn glaube, solle das ewige
Leben haben, und er werde ihn am Jüngsten Tage erwecken."
Es waren aber viele, welche ihn nicht verstanden und sagten: "Wie kann
er sagen, er sei vom Himmel herabgekommen? Er ist ja der Sohn des
Zimmermanns Joseph, seineMutter und seine Verwandten sind unter uns,
und die Eltern seines Vaters Joseph kennen wir! Er spricht heute: Gott
sei sein Vater und dann sagt er wieder, er sei des Menschen Sohn", und
murrten. Jesus aber sagte, sie sollten nicht untereinander murren.
Durch sich selbst könnten sie nicht zu ihm kommen; der Vater, der ihn
gesandt habe, müsse sie zu ihm ziehen. Das konnten sie wieder nicht
begreifen und fragten, was das heißen solle, der Vater solle sie
ziehen? Sie nahmen das ganz roh. Er sagte aber: "Es steht in den
Propheten: es werden alle von Gott gelehrt werden. Wer es also vom
Vater hört und lernt, kommt zu mir!"
Da sagten wieder viele: "Sind wir nicht bei ihm? Und doch haben wir es
nicht vom Vater gehört noch gelernt?" Da erklärte Jesus wieder: "Keiner
hat den Vater gesehen, als der von Gott ist. Wer an mich glaubt, der
hat das ewige Leben. Ich bin das Brot, das vom Himmel herabkam, das
Brot des Lebens." Da sprachen sie wieder, sie kennten kein Brot, das
vom Himmel gekommen, als das Manna. Er erklärte, dieses sei nicht das
Brot des Lebens, denn ihre Väter, die es gegessen, seien gestorben.
Hier aber sei das Brot, das vom Himmel gekommen, damit, wer davon esse,
nicht sterbe. Er sei dieses lebendige Brot, und wer davon esse, werde
ewig leben.
Alle diese Lehren waren weitläufig mit Erklärungen und Erwähnungen aus
dem Gesetz und den Propheten; aber die mei sten wollten es nicht
begreifen, nahmen alles roh nach dem gemeinen fleischlichen Verstand
und sagten wieder: "Was das heißen solle, daß man ihn essen solle und
ewig leben? Wer denn ewig leben und wer von ihm essen könne? Henoch und
Elias seien von der Erde genom-men, und man sage, sie seien nicht
gestorben; auch von Malachias wisse man nicht, wo er hin gekommen, man
wisse seinen Tod nicht; aber sonst würden wohl alle Menschen sterben."
Jesus antwortete ihnen und fragte: ob sie wüßten, wo Henoch und Elias
seien und wo Malachias? Ihm sei es nicht verborgen. Ob sie aber wüßten,
was Henoch geglaubt? - Was Elias und Malachias prophezeit? Und erklärte
mehreres von diesen Prophezeiungen.
Er lehrte aber heute nicht weiter. Es war eine außerordent liche
Spannung und Nachdenken und Disputieren unter dem Volk. Selbst viele
von den neueren Jüngern und besonders die neulich hinzugekommenen
Johannesjünger zweifelten und irrten. Sie waren es, welche die Zahl der
Siebenzig jetzt voll gemacht hatten; denn Jesus hatte erst
sechsunddreißig Jünger. Der Frauen waren jetzt ungefähr vierunddreißig;
aber es war ihre Anzahl im Dienst der Gemeinde mit allen Pflegerinnen,
Mägden und Vorsteherinnen der Herbergen zuletzt auch siebenzig.
Jesus lehrte das Volk abermals auf der Höhe vor der Stadt, sprach aber
nicht von dem Brot des Lebens, sondern aus der Bergpredigt und dem
Vaterunser. Als Jesus am Abend in der Synagoge über die Sabbatlesung
lehrte, unterbrachen sie ihn mit der Frage: "Wie er sich das Brot des
Lebens nennen könne, das vom Himmel herabgekommen, da man doch wisse,
wo er her sei?" Jesus aber wiederholte seine ganze bisherige Lehre
hierüber.
Die Pharisäer brachten nun dieselben Einwände wieder vor, und da sie
auf ihren Vater Abraham und auf Moses sich berufend sprachen, wie er
denn Gott seinen Vater nenne? fragte er sie, wie sie Abraham ihren
Vater nennen könnten und Moses ihren Lehrer, da sie Abrahams und Mosis
Geboten und Wandel nicht folgten?, und stellte ihren verkehrten Wandel
und ihr böses heuchlerisches Leben ihnen öffentlich vor Augen. Sie
waren beschämt und erbittert.
Nun fuhr Jesus in der Lehre vom Brot des Lebens weiter fort und sagte:
"Das Brot, das ich geben werde, ist mein Fleisch, das ich für das Leben
der Welt hingeben werde." Da ward ein Murren und Flüstern: "Wie kann er
uns sein Fleisch zu essen geben?" Jesus lehrte aber fort und viel
weitläufiger, als im Evangelium steht. Wer sein Blut und Fleisch nicht
trinken und essen werde, der werde kein Leben in sich haben. Wer es
aber tue, habe das ewige Leben, und er werde ihn am Jüngsten Tage
auferwecken; "denn mein Fleisch ist wahrhaftig eine Speise und mein
Blut wahrhaftig ein Trank. Wer mein Fleisch ißt und mein Blut trinkt,
der bleibt in mir und ich in ihm. Wie mich der lebendige Vater gesendet
hat und wie ich durch den Vater lebe, so wird, wer mich ißt, durch mich
leben. Hier ist das Brot, das vom Himmel herabgekommen ist, kein Brot
wie das Manna, das eure Väter aßen und doch starben! Wer dieses Brot
ißt,wird leben in Ewigkeit." Er legte alles aus den Propheten aus und
besonders aus Malachias und zeigte die Erfüllung desselben in Johannes
dem Täufer, von dem er weitläufig sprach. Und da sie fragten: wann er
ihnen dann diese Speise geben wolle? sagte er deutlich. "Zu seiner
Zeit", und bestimmte eine Zeit in Wochen mit einem eigenen Ausdruck;
und ich rechnete nach und erhielt: ein Jahr, sechs Wochen und etliche
Tage. Alles war sehr erregt, und die Pharisäer hetzten die Zuhörer
auf.
Jesus lehrte darauf wiederum in der Synagoge und erklärte die sechste
und siebente Bitte des Vaterunsers, und "Selig sind die Armen im
Geiste." Er sagte, die, welche gelehrt seien, sollten es nicht wissen,
so auch die Reichen sollten es nicht wissen, daß sie reich seien. Da
murrten sie wieder und sagten, wenn man es nicht wisse, könne man es
auch nicht brauchen. Er sagte aber: "Selig sind die Armen im Geiste!"
Sie sollten sich arm fühlen und demütig sein vor Gott, von dem alle
Weisheit komme und außer dem alle Weisheit ein Greuel sei. Da sie ihn
aber wieder aus seiner gestrigen Lehre vom Brot des Lebens, vom Essen
seines Fleisches und Trinken seines Blutes fragten, wiederholte Jesus
seine Lehre streng und bestimmt. Es murrten viele seiner Jünger und
sagten: "Das ist ein hartes Wort, wer kann das anhören?" Er erwiderte
ihnen aber, sie sollten sich nicht ärgern, es würden noch ganz andere
Dinge kommen und sagte deutlich voraus, man werde ihn verlassen und
fliehen. Da werde er seinem Feinde in die Arme laufen, und man werde
ihn töten. Er werde aber die Fliehenden nicht verlassen, sein Geist
werde bei ihnen sein. Das "seinem Feind in die Arme laufen" war nicht
ganz so gesagt; es war, wie: "seinen Feind umarmen oder von ihm umarmt
werden", ich weiß es nicht mehr recht. Es deutete auf den Kuß des Judas
und dessen Verrat.
Da sie aber sich noch mehr hieran ärgerten, sprach er: "Wie aber, wenn
ihr den Menschensohn dahin auffahren sehen werdet, wo er zuvor war? Der
Geist ist es, der lebendig macht, das Fleisch nützt nichts. Die Worte,
die ich zu euch geredet habe, sind Geist und Leben. Aber es gibt einige
unter euch, die nicht glauben, daher sagte ich euch: Niemand kann zu
mir kommen, wenn es ihm nicht von meinem Vater gegeben
wird." Nach diesen Worten entstand in der Synagoge Murren
und Höhnen. Etliche dreißig der neueren Anhänger, besonders die
einseitigen Johannesjünger, traten näher zu den Pharisäern, flüsterten
und murrten mit diesen; die Apostel und älteren Jünger aber traten
näher mit Jesus zusammen. Er lehrte noch laut: es sei gut, daß jene
zeigten, wes Geistes Kinder sie seien, ehe sie größeres Unheil
verursachten.
Als Jesus die Synagoge verließ, wollten die Pharisäer und abtrünnigen
Jünger, welche sich miteinander besprochen hatten, ihn zurückhalten, um
zu disputieren und mancherlei Erklärungen von ihm zu begehren. Die
Apostel, seine Jünger und Freunde umgaben ihn, und so entkam er dieser
Zudringlichkeit unter Lärm und Geschrei. Ihre Reden waren so, wie sie
heutzutage auch sein würden: "Da haben wir es ja! Nun brauchen wir
nichts mehr. Er hat für jeden vernünftigen Menschen deutlich gezeigt,
daß er ganz unsinnig ist. Man solle sein Fleisch essen! Sein Blut
trinken! Er sei vom Himmel! Er wolle in den Himmel fahren!"
Jesus ging aber mit den Seinigen, die auf verschiedenen Wegen sich
zerstreuten, bei den Wohnungen Serobales und des Cornelius an der
Nordhöhe der Stadt und des Tales hin, und als sie sich an einer
bestimmten Stelle gefunden, lehrte er. Da Jesus danach die Zwölfe
fragte: ob auch sie ihn verlassen wollten, sprach Petrus für alle:
"Herr! zu wem sollen wir gehen? Du hast Worte des ewigen Lebens! Und
wir haben geglaubt und erkannt, daß du Christus, der Sohn des
lebendigen Gottes bist!" Jesus erwiderte unter anderem: "Ich habe euch
Zwölfe erwählt, und doch ist einer unter euch ein Teufel!"
Maria war mit anderen Frauen auch bei den letzten Lehren Jesu auf dem
Berg und in der Synagoge gegenwärtig gewesen. Von allen Geheimnissen,
welche in diesen Lehren vorgekommen waren, hatte sie von jeher die
innere Erkenntnis gehabt; allein, gleichwie die zweite Person der
Gottheit in ihr Fleisch angenommen, Mensch und ihr Kind geworden war,
so waren auch in ihr diese Erkenntnisse in die demütigste,
ehrfurchtvollste Mutterliebe zu Jesus wie eingehüllt. Da nun Jesus von
diesen Geheimnissen deutlicher als je zum Ärgernis der Verblendeten
gelehrt hatte, sah ich Maria in ihrer Kammer betend und in der inneren
Anschauung des Englischen Grußes, der Geburt und der Kindheit Jesu,
ihrer Mutterschaft und seiner Kindschaft. Sie sah ihr Kind als den Sohn
Gottes und ward dermaßen von Demut und Ehrfurcht überwältigt, daß sie
in Tränen zerfloß. Alle diese Anschauungen hüllten sich abermals in das
Gefühl der mütterlichen Liebe zu dem göttlichen Sohne ein, wie die
Gestalt des Brotes den lebendigen Gott im Sakrament verhüllt.
Bei der Trennung der Jünger von Jesus sah ich in zwei Kreisen das Reich
Christi und das Reich des Satans. Ich sah die Stadt des Satans und die
babylonische Hure, seine Propheten und Prophetinnen, seine Wundertäter
und Apostel, alles in großem Glanze und viel prächtiger und reicher und
voller als das Reich Jesu. Könige und Kaiser und selbst viele Priester
jagten mit Roß und Wagen dahin, und Satan hatte einen prächtigen
Thron. Das Reich Christi auf Erden aber sah ich arm und
unscheinbar, voll Not und Pein und Maria als die Kirche und Christus am
Kreuz auch als Kirche und den Eingang in die Kirche durch seine
Seitenwunde.
(aus: "Das arme Leben unseres Herrn Jesu Christi" nach
den Gesichten der gottseligen Anna Katharina Emmerich, Augustinerin des
Klosters Agnetenberg zu Dülmen, Aschaffenburg (Pattloch) 1971, S. 386
ff.)
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