Vom katholischen Priestertum heute
von
H.H. Pfr. Paul Schoonbroodt
In der heutigen Glaubenskrise werden die Ursachen hauptsächlich bei den
"Konzilspäpsten und den Konzilsbischöfen" gesucht. Das ist richtig.
Dabei sollte man auch einmal untersuchen, was bei den Priestern gefehlt
hat. Hätten sie sich nämlich mit vereinten Kräften widersetzt, wäre der
Abbruch unserer heiligen Religion nicht so weit gekommen. Die
Glaubenskrise ist auch eine Krise der katholischen Geistlichkeit. Sie
ist es, die für den Niedergang des Katholizismus in der 2. Hälfte
dieses Jahrhunderts viel Verantwortung trägt.
Die Gesinnung der Geistlichen in hohen und niedrigen Ämtern war liberal
und modernistisch. Man war den überlieferten Formen und Inhalten
abgeneigt. Es wurde viel Kritik gegen die römische Kurie vorgebracht
wie z.B., sie hätte den Kontakt mit der Welt von heute verloren. Die
römischen Prälaten müßten durch Leute aus der Weltkirche ersetzt
werden. Genau das wurde zu Beginn des Konzils von den fortschrittlichen
Kardinälen gefordert und durchgesetzt, zunächst bei der Besetzung der
Komissionen und später bei der Kurienreform durch Paul VI.
Noch vor dem Tode Pius XII. konnte man bei der Mehrheit der Kapläne und
der Seminaristen eine Unruhe und Ungeduld feststellen. Reformen konnten
nicht schnell genug eingeführt werden. Man hoffte auf eine baldige
Meßreform durch eine Neuordnung der Lesungen und durch eine allgemeine
Einführung der Volkssprache in die Liturgie. Man hoffte auf eine
baldige Abschaffung des Zölibats. Indessen ließ Johannes XXIII. es
nicht so weit kommen. Dann gab es ab 1963 unter Paul VI. zigtausende
Priesteraustritte zwecks Heirat mit oder ohne Dispens.
Wer würde nicht erkennen, daß bei dieser Geisteslage nur das Gegenteil
einer Reform "an Haupt und Gliedern" eintreten mußte? Was bestimmt
nämlich den geistigen Fortschritt von Priestern und Volk? Doch nur die
Tugendhaftigkeit und Heiligkeit der Hirten! Nach diesem Maßstab suchte
man früher die Patres aus, um Pfarrmissionen zu halten. Sie lehrten die
Wahrheiten über Gott, die Sünde, die Erlösung durch Jesus Christus, die
Notwendigkeit der Bekehrung, den Empfang der Sakramente, um aus der
Gnade Gottes zu leben. Manche haben dadurch ihr Leben vor Gott wieder
in Ordnung gebracht. Das Motto war: "Rette deine Seele". Dieses Motto
gilt auch heute.
Fehlende Heiligkeit, Mittelmäßigkeit, ein verweltlichtes Leben, bloßes
Beamtenbewußtsein, man-gelnde Spiritualität bei den Hirten führt zur
Armut des Glaubenslebens bei den Christen. Sittliches Versagen richtet
großes Unheil im katholischen Volk an. Der alte Spruch "omne malum a
clero" ("alles Übel kommt vom Klerus") trifft wieder zu.
Die Verbreitung der Irrlehren des Protestantismus führten dazu, daß
ganze Länder von der katholischen Kirche abfielen. In der Mutterkirche
in Rom blieb die wahre Lehre erhalten durch die Päpste. Sie
verurteilten die Irrlehren der Reformatoren und verteidigten die
katholische Wahrheit. Im Konzil von Trient (1545-1563) legten sie die
katholische Lehre über die Rechtfertigung, das heilige Meßopfer, die
Sakramente und das katholische Priestertum dar. In den Canones fügten
sie Bannsprüche an gegen alle, die diese Lehren verneinen sollten.
In der heutigen Zeit hätte der Modernismus in der Lehre erneut aufs
schärfste verurteilt werden müssen; dasselbe gilt von der
Situationsethik. Stattdessen redet man von einer lebendigen Tradition,
von Dogmen, die zur Zeit ihrer Formulierung gültig waren, inzwischen
aber überholt sind. Anstatt der Glaubenswahrheiten, die wegen der
Autorität Gottes anzunehmen sind, verlagert man das Glaubensleben
ins religiöse Gefühl, ja man vertritt den Agnostizismus (= der Irrtum,
der besagt, daß man von Gott nichts wissen kann) usw. Was die
Situationsethik betrifft, erlaubt man sich, die objektive Regel, die
durch die Gebote Gottes auferlegt wird, durch subjektive Anpassungen zu
beugen. Daraus entsteht das Chaos im Glauben und Handeln, wovon wir
heute Zeugen sind.
Wen wundert's, daß der katholische Priester, der wesentlich in der
übernatürlichen Welt daheim sein muß, auf Grund der vorgenannten
Geisteslage sich vielfach nicht halten konnte.
Fragen wir darum, welche Ursachen den Abfall vom Priestertum
herbeiführten. Von den folgenden Punkten haben bestimmt einige eine
Rolle gespielt:
• Vernachlässigung der Gebetspflichten wie Brevier, Betrachtung, Rosenkranz;
• fehlende eucharistische Frömmigkeit, weil die wahre Messe offiziell abgeschafft wurde;
• Amtsmüdigkeit, Verdruß, Enttäuschungen
• kein Empfang des Bußsakramentes mehr und somit keine seelische Hilfe eines Beichtvaters und Mitbruders
• Identitätskrise: der Priester weiß nicht mehr, wozu er da ist.
Katecheten geben Religionsunterricht; ihm selber ist die Möglichkeit
genommen, Kinderherzen zu bilden und zu Gott hinzuführen. Im
Gottesdienst ist er gemäß der Einführung des neuen Meßbuchs nur noch
Vorsteher der Gemeinde.
Der Gruppenzwang war schon zur Seminarzeit so stark, daß der Geistliche
auf die römische Priesterkleidung verzichtete und in Straßenkleidung
öffentlich erschien , sogar im Gotteshaus. Nun aber erinnert die
Priesterkleidung an die Priesterwürde und die Absonderung vom Volk. Sie
ist auch ein Schutz: so soll Kardinal Feltin in Paris Anfang der
sechziger Jahre zu seinen Priestern gesagt haben, als das Tragen der
Soutane in Frankreich nicht mehr Pflicht war: "Gardez votre soutane et
votre soutane vous gardera." D.h. tragt weiterhin eure Soutane und eure
Soutane wird euch schützen. (Das Wortspiel auf französisch läßt sich
bei der Übersetzung nicht wiedergeben.)
Der voraufgehenden Aufzählung kann man das Gegenteil gegenüberstellen,
und man bekommt heraus, was den Priester nach dem Herzen Gottes und den
Richtlinien der katholischen Kirche ausmacht:
- das tägliche Beten des vollständigen Breviers, des Rosenkranzes, das betrachtende Gebet;
- die eucharistische Frömmigkeit war mit der alten Messe nicht
automatisch gegeben, denn sie bedurfte seitens des Priesters auch der
Übung und Vertiefung;
- Stille oder öffentliche Anbetung sind vonnöten. (Die Reformen seit
dem sogenannten II. Vatikanischen Konzil verbauen der eucharistischen
Frömmigkeit den Weg, weil in den neuen Riten keine Realpräsens zustande
kommt.)
- Eifer im Amt, das Aufopfern von Enttäuschungen und
Widerwärtigkeiten werden segensreich für das
Apostolat und die Selbstheiligung;
- der regelmäßige Empfang des Bußsakramentes bei einem rechtgläubigen
Mitbruder gewährt die nötigen Gnaden, um Sünden zu meiden, den Eifer
für den Fortschritt in den Tugenden wachzuhalten und
mit Christus in lebendiger Verbindung zu bleiben;
- das Bewußtsein, Priester Gottes zu sein und die Menschen an Gott und
die Ewigkeit zu erinnern, gibt innere Freude. (Wenn gelegentlich junge
Menschen den Priester verspotten oder ihm etwas Böses nachrufen, trifft
die Seligpreisung Christi zu: Selig seid ihr, wenn euch die Menschen
schmähen und verspotten um meines Namens willen; groß ist euer Lohn im
Himmel.);
- durch die Christenlehre vermag er bei den Kindern die Liebe zu
Christus zu wecken und zu fördern und sie für einen würdigen Empfang
der Sakramente vorzubereiten. (Der Idealzustand ist allerdings die
Grundlage, die vom Elternhaus gelegt wurde. Die geborenen religiösen
Erzieher der Kinder sind die Eltern.)
- der Gruppenzwang besteht bei den treugebliebenen Priestern eigentlich
nicht mehr, weil sie ja in der Regel bei den Priestertreffen
unerwünscht sind und weil sie für die Seelsorge nicht mehr gefragt
werden, falls sie vom Ortsbischof noch geduldet werden. Anderseits
dürfte das Phänomen 'Gruppenzwang' bei Priestern grundsätzlich nicht
bestehen, da sie mutige Zeugen des Glaubens sein sollen.
Leider können wir die gegenwärtige Krise nicht auf die Verfehlungen des
Klerus beschränken. Es kam das sogenannte II. Vatikanische Konzil
hinzu, das die Revolution von oben organisierte und zwar nach der
folgenden treffenden Aussage: "ein totaler Sieg des Protestantismus,
zweitens eine Rechtfertigung des Modernismus und drittens eine
gänzliche Niederlage des Katholizismus".
(Zitat von Pater Beat Ambrod S.J. (+1969), Direktor der deutschsprachigen Sendungen von Radio Vatikan).
Es ist erstaunlich, wie schnell in den Jahren des Konzils die
wichtigsten Stellen und die Bischofssitze mit progressistischen
Persönlichkeiten besetzt wurden. In der Liturgie wurde mit Ungeduld und
in vorauseilendem Gehorsam eine Reform nach der anderen eingeführt, hin
bis zum NOM 1969 (= novus ordo missae, das neue Missale Pauls VI.); das
Prinzip der Kreativität in der Liturgie wurde verkündet und hatte die
Zerstörung des katholischen Gottesdienstes zur Folge. Die fehlende
liturgische Ordnung mit dem ganzen Zeremoniell, die Stille im
Gotteshaus, die Anbetung und das uneigennützige Lob Gottes wie in der
lateinischen Vesper oder Komplet, all das kennen die Jugendlichen nicht
mehr; es würde ihnen auch nichts sagen, weil die Einübung in die
katholischen Gebetsgewohnheiten seit der Kindheit gefehlt hat. In der
Schule gab es keine biblische Geschichte mehr und keine systematische
Katechismuslehre. Es gibt manche größere Schüler, die nicht einmal die
christlichen Gebete kennen, wie sie im Rosenkranzgebet vorkommen.
Der Boden für das Entstehen geistlicher Berufe kann nicht schlechter
sein. Sollten dennoch welche sich berufen fühlen, so wäre das Ziel ohne
Bekehrung und Einführung in das Glaubens- und Gebetsleben unerreichbar;
Darum können geistliche Berufe im Normalfall nur aus Familien der
treu gebliebenen Katholiken kommen.
Diese Lage bereitet uns Priestern im Amt große Sorgen für die Zukunft
des katholischen Volkes. Wie das alte Jerusalem zur Zeit des Propheten
Jeremias, hat auch das neue Jerusalem die "Feiertage des Sabbats"
vergessen. 'Laßt eine Pfarrei zwanzig Jahre ohne Priester, sagte der
hl. Pfarrer von Ars, und sie werden die Tiere anbeten!'
Sollte ein junger Mann bis zur gültigen Priesterweihe gekommen sein -
also vorläufig nur bei einem der Bischöfe der Tradition -, dann können
meistens keine Kaplansjahre eingeplant werden, wo der Jungpriester bei
einem erfahrenen Priester väterliche Führung bekommen könnte. Tritt er
seinen Dienst als 'Selbständiger' in einem Meßzentrum an, so wird er
von Laien abhängig, weil er neu angekommen ist. Es soll allerdings
nicht vergessen werden, daß die Verantwortlichen mit viel Mühe und Geld
das Zentrum aufgebaut haben; Die Anerkenung dieser Tatsachen trägt bei
zu einer guten Zusammenarbeit. Die Verwaltung und das Technische
gehören mehr in den Bereich der Laien, während der Priester für die
Seelsorge zuständig ist. Anschaffungen für den Gottesdienst oder
irgendwelche Vorhaben sollten immer in gemeinsamer Absprache
beschlossen werden. Der Priester soll sich auch über bestehende
Gewohnheiten erkundigen und sie einhalten, insofern sie den
übergeordneten kirchlichen Regeln entsprechen. Die Beziehungen zum
Priester sollen ehrfurchtsvoll und brüderlich sein, wobei eine gewisse
Distanz immer gewahrt werden soll. Wegen der Gefahr der Vereinsamung in
der heutigen Situation sollte der Priester nach Möglichkeit Kontakte zu
anderen rechtgläubige Priestern pflegen. Sie sollten sich gegenseitig
einladen. "O quam bonum et iucundum, habitare fratres in unum." - "Wie
gut und angenehm ist es, wenn Brüder zusammen sind!" (Ps. 132,1)
Jeder Berufene wird einmal in seinen jungen Jahren Leute antreffen, die
ihn vor dem Schritt zum Priestertum warnen, aber aus falschen
Überlegungen: "Sei vorsichtig, bevor du diesen Schritt tust, du mußt
zuerst die Welt kennenlernen. Du solltest vorerst das Leben
kennenlernen, eine Bekanntschaft haben...' Mit den Gaben des Heiligen
Geistes, wie Klugheit und Weisheit, wird der Berufene diese gut
gemeinten Ratschläge als 'Klugheit des Fleisches' übergehen. Wenn man
bedenkt, welche Sorgfalt königliche und adelige Familien auf die
Erziehung ihrer Kinder verwenden, so dürfte es klar sein, daß dies in
viel höherem Maße für die zukünftigen Priester gilt. Auch hier ist die
Absonderung von der Welt ein Gebot, schreibt doch der heilige
Paulus: Wie "der Priester aus Menschen genommen, für Menschen bestellt
für ihre Beziehung zu Gott, damit er darbringe Gaben und Opfer für die
Sünden...Niemand nimmt sich die Ehre, sondern wer berufen wird von
Gott, so wie Aaron". Und der heilige Petrus mahnt, daß er ein Vorbild
für seine Herde sein soll. "Weidet die Herde, nicht des schnöden
Gewinnes wegen, sondern aus innerem Herzensdrang."
Den Forderungen Christi und der Apostel kommt der Priester nach, indem
er die priesterliche Lebensform der gottgeweihten Ehelosigkeit einhält.
Er hat diese Verpfichtung bei der ersten höheren Weihe, beim Empfang
der Subdiakonatsweihe, auf sich genommen. Wie die allzeit reine
Jungfrau Maria als Gottesgebärerin der Welt Christus den Erlöser
geschenkt hat, so wird auch der Priester, in Ähnlichkeit mit ihr, der
Welt Christus geben.
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"Ich bin der gute Hirt"
In jener Zeit sprach Jesus zu den Pharisäern: "Ich bin der gute Hirt.
Der gute Hirt gibt sein Leben für seine Schafe. Der Mietling aber, der
nicht Hirte ist und dem die Schafe nicht gehören, sieht den Wolf
kommen, verläßt die Schafe und flieht; und der Wolf raubt und zerstreut
die Schafe. Der Mietling flieht, weil er Mietling ist, und weil ihm an
den Schafen nichts liegt. Ich bin der gute Hirt und kenne die Meinen,
und die Meinen kennen Mich, wie Mich der Vater kennt und ich den Vater
kenne; und Ich gebe Mein Leben für Meine Schafe. Ich habe noch andere
Schafe, die nicht aus diesem Schafstall sind. Auch diese muß Ich herbei
führen, und si werden Meine Stimme hören: und es wird ein Schafstall
und ein Hirte werden."
(Joh. 10, 11-16; Evangelium vom 2. Sonntag nach Ostern) |