ES BEGINNT DES DRITTEN BUCHES SIEBENTE SCHAU
"Alsdann sah ich am Westwinkel des geschilderten Gebäudes eine
wunderbare, geheimnisvolle und überaus starke Säule. Schwarzpurpurn war
sie und so in die Mauerecke eingebaut, daß sie sowohl innerhalb als
auch außerhalb des Gebäudes gesehen werden konnte. Sie war von so
überragenden Maßen, daß weder ihre Größe noch ihre Höhe meiner
Erkenntnis zugänglich war. Ich sah nur, daß sie ganz wundersam
ebenmäßig und ohne jede Rauheit war. An ihrer Oberfläche hatte sie drei
Kanten vom Fuße bis zur Spitze, stahlfarbig und schneidend wie ein
scharf geschliffenes Schwert. Eine dieser Kanten richtete sich gegen
Süden. Viel trockenes Stroh lag dort, von ihr hingemäht und zerstreut.
Die andere Kante schaute nach Nordwesten. Viele Federchen, die sie
abgeschnitten hatte, waren dort zu Boden gesunken. Die mittlere Kante
zeigte nach dem Westen. Dort lagen, von ihr abgesägt, viele morsche
Hölzer. Alle diese waren wegen ihrer Verwegenheit von den Kanten der
Säule abgeschnitten worden. Und wiederum sprach der, den ich auf dem
Throne sitzen sah, und der mir alles dieses zeigte: Die Fülle
geheimnisreicher, wunderbarer und unbekannter Gnaden, die dir,
erleuchteter Mensch, hier im wahren Lichte erscheinen, zeige und
übergebe Ich dir, daß du sie kundtuest und darlegest, damit Feuersglut
in den Herzen der Gläubigen entbrenne. Denn diese sind die ganz reinen
Steine zum Aufbau des himmlischen Jerusalem. Die heilige und
unaussprechliche Dreifaltigkeit der Einen höchsten Einheit war denen,
die das Joch des Gesetzes trugen, verborgen. Durch die neue Gnade wurde
sie den von der Knechtschaft Befreiten kund und muß nun mit einfältigem
und demütigem Herzen im Glauben als der Eine und wahre Gott in drei
Personen erkannt werden. Niemand darf sich vermessen, Sie ergründen zu
wollen. Wer, unzufrieden mit der Gabe des Heiligen Geistes, mehr zu
erforschen sucht, als er darf, wird stürzen, und ob der Verwegenheit
seines Hochfluges um so tiefer fallen, je ungeziemender sein Begehren
war. Dies kündet das Gesicht, das du jetzt schaust.
DER SOHN BRACHTE KUNDE
Die Säule, die du im Westwinkel des geschilderten Gebäudes siehst, ist
das Sinnbild der wahren Dreieinigkeit. Der Vater, das Wort und der
Heilige Geist sind der Eine Gott in der Dreifaltigkeit und die
Dreifaltigkeit in der Einheit, die vollkommene Säule alles Guten, die
die Höhen und Tiefen durchdringt und den ganzen Erdkreis beherrscht. Im
Westen steht sie, denn als die Zeiten sich dem Untergange zuneigten,
nahm der Sohn Gottes Fleisch an. Er gab dem Vater die volle Ehre und
verhieß seinen Jüngern den Heiligen Geist. Nach dem Willen des Vaters
unterwarf Er Sich dem Tode und wurde dadurch zum Vorbild für die
Menschen, auf daß auch sie im Gebäude des höchsten Vaters wandeln und
wahre und gerechte Werke im Heiligen Geiste vollbringen. Wunderbar,
geheimnisvoll und überaus stark ist diese Säule. Gott ist so wunderbar
in seinen Geschöpfen, daß sie Ihn nie ausdenken können, so
geheimnisvoll, daß keines Geschöpfes Forschen oder Tasten Ihn tollkühn
untersuchen darf, und so stark, daß all ihre Stärke von Ihm ausgeht und
seiner Kraft nicht verglichen werden kann. Daß aber die Säule
schwarzpurpurn und so in die Mauerecke eingebaut ist, daß sie sowohl
innerhalb als auch außerhalb des Gebäudes erscheint, das bedeutet, daß
der eingeborene Sohn Gottes nach dem Willen des Vaters sein
purpurfarbenes Blut um der Sündenschwärze der Menschen willen vergoß.
Er erlöste die Welt durch sein Leiden und brachte den sich Ihm
Öffnenden den wahren und rechten Glauben.
So ging der Alte Bund zu Ende, und es erhob sich die Heiligung des
Neuen Bundes. Und nun wurde das Geheimnis der heiligen Dreieinigkeit
weithin kund. Es leuchtete auf in der Glaubenserkenntnis, daß der
himmlische Vater seinen Sohn, der vom Heiligen Geist empfangen wurde,
in die Welt gesandt habe, den Sohn, der nur die Ehre des Vaters und
nicht die seine suchte und den tiefen Trost des Heiligen Geistes
fließen machte. Nun blieb das Geheimnis nicht mehr verborgen. Allen
wurde es offenbar, den Gläubigen, die in das Werk - das Gebäude -
Gottes eingegangen sind, und den Ungläubigen, die außerhalb des
Gebäudes bleiben. Überragend sind die Maße dieser Säule. Weder ihre
Größe noch ihre Höhe ist deiner Erkenntnis zugänglich. Denn die
göttliche Dreifaltigkeit ist so unaussprechlich in ihrer Macht und
Herrlichkeit, daß die Weisheit des menschlichen Geistes, wenn sie auch
noch so weite Kreise zieht und noch so sehr über sich hinausschreitet,
keine Grenzen für die Größe dieser Majestät und für die der Gottheit
finden kann. Wunderbar ebenmäßig und ohne jede Rauheit ist sie, denn
höchsten Staunens würdig ist die sanfte Kraft ihrer Gnade und das
beständige gütige Ebenmaß ihrer Milde, womit sie sich allen denen
zuneigt, die der Gerechtigkeit entgegen streben und keine Rauheit
irgendwelcher Ungerechtigkeit wird in ihr erfunden. Aber stahlhart und
schneidend wie ein scharf geschliffenes Schwert sind die Kanten dieser
Säule für die, die sich in Herzenshärte und Geistesblindheit durch
ihren Unglauben dem Geheimnis des in der Menschwerdung geoffenbarten
dreieinen Gottes verschließen. Sie werden abgeschnitten von dem Urquell
des Lebens und fallen in ihr eigenes Nichts zurück. Wie trockenes
Stroh, das dem Feuer überliefert werden soll, so liegen hingemäht am
Fuße der ersten Kante die treulosen Christen, die das keimkräftige
Korn, den in Werken lebendigen Glauben, von sich geworfen haben. Wie
leichte Federchen, die vom Winde in die Höhe geblasen werden, aber in
sich haltlos sind, waren die stolzen Juden, die ihre Gerechtigkeit in
sich selbst und nicht in Gott suchten. Sie vertrauten auf sich und
wollten in eigener Kraft die Höhe der Himmel überfliegen. Aber die
Macht der Gottheit schnitt sie ab und sie sanken in sich zusammen und
wur den in alle Winde zerstreut. Wie morsches Holz sind die Heiden, die
lieber teuflischem Trug als dem Gebote Gottes folgen. Unnütz sind sie,
dem Moder verfallen. Durch die dritte Kante werden sie von der Freude
des Lebens abgesägt. Ihr Los ist ewige Vergessenheit. So schneiden die
scharfen Kanten der Säule alle, die sich vermessen, sie brechen zu
wollen, und die hartnäckig den Glauben verweigern, von sich ab. Die
heilige und wahrhaftige Dreieinigkeit läßt es zu, daß diese Menschen
ins Verderben gehen, weil sie in ihrem Wahnwitz und ihrer Unwissenheit
sich an der Gottheit vergreifen, da sie sich dem Glauben, den der Sohn
Gottes gebracht hat, nicht unterwerfen wollen.
DREI SIND, DIE ZEUGNIS GEBEN
Dieser Glaube wurde durch die Apostel in alle Welt getragen. Der
Heilige Geist, der in feurigen Zungen auf sie herabgekommen war,
übernahm von da an die Ausgestaltung des vom Vater und vom Sohne
begonnenen Werkes. An die Stelle des Alten Bundes trat der Neue, an die
Stelle der Verheißungen die Erfüllung. Wie einst die Beschneidung das
Zeichen der Zugehörigkeit zum auserwählten Volke gewesen war, so wurde
die Taufe nicht nur das äußere Zeichen, sondern das in der Kraft des
Heiligen Geistes wirkende Mittel zur Eingliederung in Christus. Durch
sie wird der Mensch auf Erden zum lebendigen Zeugnis der wahren
Dreieinheit, die durch die Offenbarung ihrer Dreipersönlichkeit von
sich selber Zeugnis gibt im Himmel, wie das Wort der Schrift beweist,
da sie spricht: "Drei sind, die Zeugnis geben auf Erden: der Geist, das
Wasser und das Blut, und diese drei sind eins" (1 Joh 5, 8). Und "Drei
sind, die Zeugnis geben im Himmel: der Vater, das Wort und der Heilige
Geist, und diese drei sind eins" (1 Joh 5, 7). Das will besagen:... Der
Geist des Menschen trägt aus Mir in sich das Zeugnis, daß er das volle
Leben des wieder hergestellten Heiles nicht besitzt, wenn er nicht
durch Mich im Wasser der Wiedergeburt ersteht. Denn er hat aufgehört,
in dem Lichte zu sein, das in Mir leuchtet. Er ist durch die verderbte
Empfängnis der Sünde, die sich im Blute weiterleitet, aus der Seligkeit
verstoßen.
Das Wasser gibt dadurch Zeugnis, daß es allen Schmutz abwäscht und daß
in ihm das mordende Verderben des Todes durch die lauterste Reinigung
zugrunde geht. Hier wird das Wasser vor dem Blute gleich nach dem
Geiste als Zeugnis genannt, weil, wie der Geist geistig ist, so das
Wasser eine geistige Heiligung gewährt. Und es wird zwischen Geist und
Blut angeführt, weil es Seele und Leib durch die geistige Neugeburt mit
Kraft ausrüstet und ins Leben entsendet.
Aber auch das Blut gibt Zeugnis. Wenn es seine vergifteten Pfade durch
das Wasser der Erlösung zum Hause der Heiligung zurückwendet, offenbart
es die heilende Kraft, die in meinem Sohne beginnt und in Ihm zum Leben
wirksam bleibt. Denn im Blute steckt viel strafwürdige Schuld und die
Unruhe der Ungerechtigkeit. Seit dem Genuß (der verbotenen Frucht im
Paradiese), der auf die Einflüsterung des heimtückischen Teufels
geschah, wandelt es auf Irrpfaden in der qualvollen Süßigkeit, die der
brennenden Lust dienstbar ist, und die die Unschuld durch entsetzliche
Laster erstickt.
UND DIESE DREI SIND EINS
Denn der Geist ist kein lebendiger Mensch ohne den vom Blute erfüllten
Körper. Aber auch dieser ist kein lebendiger Mensch ohne die Seele, und
beide können nur durch das Wasser der Wiedergeburt zum Gnadenleben des
neuen Gesetzes erstehen. So sind sie eins in der Erlösung. Ihr Heil ist
nicht vollendet, solange sie von dem segenspendenden Wasser geschieden
sind. Denn die Ehre des Lebens, die den erlösten Menschen zu ständigem,
vollkommenem Lobpreis vor das Angesicht dessen stellt, der ihm die
Vernunft verliehen hat, ist nicht schon mit der Vernunft gegeben. Und
doch hat Gott aus eigenem Wollen den Menschen zu der Ehre erschaffen,
vollendet zu werden im [mystischen] Leibe seines Sohnes zu ewigem
Leben. Erlöst in Gott, erwacht der verlorene Mensch zur Ehre des Lebens
durch die heilbringende Gnade.
Der Geist, der körperlichen Augen unsichtbar lebt, ist ein Sinnbild des
Vaters, der von keinem Geschöpfe abgeschätzt werden kann. Das Wasser,
das vom Schmutze reinigt, bedeutet das Wort, den Sohn, der durch sein
Leiden die Makel der Menschen tilgte, und das Blut, das im Menschen
kreist und ihn erwärmt, stellt den Heiligen Geist dar, der die
herrlichsten Tugenden in den Menschen erweckt und entzündet.
So sind also der Geist, das Wasser und das Blut drei in einem und eins
in dreien. Eins in der Erlösung, die sie gemeinsam wirken, deuten sie
in ihrer Dreizahl auf die Dreifaltigkeit in der Einheit und die Einheit
in der Dreifaltigkeit. Das "Zeugnis im Himmel" gibt die heilige und
himmlische Dreieinigkeit selbst. Dieses Zeugnis wird also nicht von
einem andern erbracht, sondern offenbart sich mit Gewißheit in der
heiligen Dreifaltigkeit. Der Vater bezeugt, daß sein einziges,
fruchttragendes Wort, das Er vor aller Zeit zeugte und durch das Er
alles ins Dasein rief, später in der vorherbestimmten Zeit glorreich in
der Jungfrau erblühte.
Das Wort bezeugt, daß Es vom Vater ausgegangen ist, und Sich zur
menschlichen Natur hinabneigte, indem Es Fleisch annahm aus
jungfräulicher Reinheit. Es ging aus dem Vater hervor in geistigem
Ausgang und kehrte zum Vater zurück in der Fruchtbarkeit des Fleisches.
Es wird als mittlerer Zeuge [nach dem Vater und vor dem Heiligen
Geiste] genannt, weil Es vom Vater vor der Zeit unsichtbar gezeugt und
in der Zeit vom Heiligen Geiste im Schoße der Jungfrau dem Fleische
nach empfangen wurde. Der Heilige Geist bezeugt, daß Er die
Unversehrtheit der Jungfrau zu der Empfingnis des Wortes Gottes
entflammte, und daß Er die Lehre desselben Wortes in Feuerzungen
festigte, da Er die Apostel so durchströmte, daß sie auf der ganzen
Welt die wahre Dreieinigkeit predigten. Wie geschah dieses? Sie
kündeten laut, daß Gott, der Vater, das Werk vollendet habe, das Er in
der Schöpfung dadurch grundgelegt hatte, daß Er den Menschen zur
himmlischen Seligkeit berief. Zwar war der Mensch dieser Seligkeit
verlustig gegangen. Aus Erdenlehm gebildet, hätte er nach oben streben
sollen und hatte sich nach unten, der Erde zu, geneigt. Doch die Gnade
richtete ihn im menschgewordenen Gottessohne wieder auf, und der
Heilige Geist erleuchtete und stärkte ihn, daß er nicht in Verderben
zugrunde gehe, sondern in der Erlösung gerettet und der ewigen
Herrlichkeit zurückgegeben werde.
So bezeugen der Vater, der Sohn und der Heilige Geist, daß sie,
obgleich verschieden in den Personen, nicht geschieden sind in der
Macht. Gemeinsam wirken sie in der Einheit der einfachen und
unveränderlichen Wesenheit. Inwiefern? Der Vater erschafft alles durch
das Wort, seinen Sohn, im Heiligen Geiste; der Sohn, durch den alles
gemacht wird, im Vater und im Heiligen Geiste; und der Heilige Geist,
durch den alles in Lebenskraft grünt, im Vater und im Sohne. Und diese
drei Personen sind so in der Einheit der unteilbaren Wesenheit, daß sie
sich nicht miteinander vermischen. Inwiefern? Der, der zeugt, ist der
Vater; der, der gezeugt wird, ist der Sohn; und der, der von Vater und
Sohn in lebendigster Lebenskraft ausgeht und in Gestalt des
unschuldigen Vogels über den Wassern erschien, um sie zu heiligen, und
die Apostel mit Feuersglut durchgoß, ist der Heilige Geist. Der Vater
zeugte vor den Weltenzeiten den Sohn, und der Sohn war beim Vater, und
dem Vater und dem Sohne gleichewig ist in der Einheit der Gottheit von
Ewigkeit her der Heilige Geist. Es ist daher zu bedenken, daß, wenn von
diesen drei Personen eine oder zwei fehlten, Gott nicht in seiner Fülle
wäre, denn sie sind die Eine Einheit der Gottheit. Und wenn einer von
ihnen nicht vorhanden wäre, so wäre Gott nicht. Denn obgleich diese
Personen sich also deutlich voneinander abheben, so sind sie doch die
Eine, unversehrte und unveranderliche Wesenheit der unausdenkbaren
Schönheit, die ungeteilt in Einheit verharrt.
Macht, Wille und Glut, das sind die drei Gipfel in der einen Bergeshöhe
der Wirksamkeit. In der Macht ist der Wille und im Willen die Glut, und
untrennbar sind sie wie der Atem des Menschen bei seiner Entsendung.
Inwiefern? In der einen unteilbaren Entsendung des menschlichen Atems
sind der kreisende Hauch, die Feuchtigkeit und die Wärme... Höre und
verstehe, o Mensch. So sind drei Personen in der einen unveränderlichen
Wesenheit der Gottheit, im Vater der Sohn, in beiden der Heilige Geist,
und sie sind eins und wirken untrennbar miteinander. Denn weder der
Vater wirkt ohne den Sohn, noch der Sohn ohne den Heiligen Geist, noch
der Heilige Geist ohne die beiden andern, noch Vater und Sohn ohne den
Heiligen Geist, denn sie sind die ungeteilte Einheit. So ist Gott in
drei Personen ohne Anfang, vor aller Zeit, als vor Beginn der Welt die
Aufnahme des Fleisches im Sohne noch nicht geschehen war, bis zu
vorherbestimmten Zeit, da die Zeitenfülle kam, in der Gott seinen Sohn
sandte. Aber auch nachdem der Sohn die menschliche Natur angenommen
hat, ist derselbe Gott in drei Personen und will in ihnen angerufen
werden. Als die jungfräuliche Blume in unversehrter Reinheit erblühte,
wurde der unaussprechlichen Dreieinigkeit dadurch keine Person
hinzugefügt, sondern der Sohn Gottes bekleidete sich nur mit dem
Fleische, das Er unverletzt empfing. So sind also diese drei Personen
ein Gott in der Gottheit. Wer nicht also glaubt, wird abgeschnitten vom
Reiche Gottes, weil er die Unversehrtheit der Gottheit zerreißt.
Wer scharfe Ohren hat, mit innerem Sinn zu hören, der lechze in der
brennenden Liebe zu meinem Lichte nach diesen meinen Worten und
schreibe sie im Wissen seiner Seele nieder."
(aus: "Sci vias" - "Wisse die Wege" (übers. von D. Maura Böckeler, O.S.B., St. Augustinus Verlag Berlin, 1928, S. 296 ff.)
|