Christus erscheint den Jüngern nach seiner Auferstehung
von
Petrus Chrysologus
Über
die Stelle: "Am Abend jenes ersten Wochentages waren die Jünger
versammelt und hatten die Türen aus Furcht vor den Juden
verschlossen..." bis: "Thomas antwortete und sprach zu ihm: 'Mein Herr
und mein Gott!"' Joh. 20, 19-28.
Während der vierzig Tage, an denen der Herr nach seiner Auferstehung,
wie uns berichtet wird und wir glauben, seinen Jüngern zu verschiedenen
Malen erschienen ist, handelt auch unsere Predigt ganz mit Recht über
diese Lesungen und erörtert ihren geheimnisvollen Inhalt, damit eure
Trauer über das Leiden des Herrn durch den wiederholten Nachweis der
Auferstehung euch werde verwandelt in vollkommene Liebesfreude, damit
der, welcher vorher aus eigener Kraft auferstand in unserem Fleische,
nun auch Auferstehung feiere durch unseren Glauben in unseren Herzen!
"Am Abend jenes ersten Wochentages waren die Jünger versammelt und
hatten die Türen verschlossen aus Furcht vor den Juden. Da kam Jesus
und trat mitten unter sie." (Joh. 20, 19)
"Am Abend." Abend war es mehr infolge ihrer Trauer als der Zeit nach.
Abend ist es, wenn der Schleier der Klage und der Trauer sich legt über
den düster (sinnenden) Geist! "Am Abend." Denn wenn auch die Kunde von
der Auferstehung (Jesu) ihnen einige dunkle Zweifel genommen hatte, so
war ihnen doch noch nicht der Herr erschienen leuchtend in dem vollen
Glanze seines Lichtes. Aus Furcht vor den Juden hatten sie die Türen
verschlossen, wo sie versammelt waren." Die Größe des Schreckens und
der Freveltat (der Juden) hatte mit solchem Sturmwind das Haus der
Jünger und ihre Herzen eingeschlossen und jeglichem Lichte den Zugang
versagt, daß sich mehr und mehr, zumal da schon ihr Geist von Trauer
ganz verdunkelt war, über sie lagerte die tiefschwarze Nacht der
Verzweiflung. Keine Dunkelheit einer Nacht kann verglichen werden mit
der Finsternis der Trauer und der Furcht, weil diese durch kein Licht
des Trostes und des Rates gemildert werden kann. Vernimm, was der
Prophet sagt: "Furcht und Schrecken kam über mich, und Finsternis
bedeckte mich" (Ps. 54, 6).
"Aus Furcht vor den Juden hatten sie die Türen, wo sie versammelt
waren, verschlossen. Da kam Jesus und trat mitten unter sie." (Joh. 20,
l9) Warum zweifelt man, so frage ich, daß die absolut einfache Gottheit
hätte eindringen können in das geheimnisvolle Innere des verschlossenen
Leibes und in das jungfräuliche Gemach, das verriegelt war durch
vollkommene Unversehrtheit, dieselbe Gottheit, die nach der
Auferstehung, obwohl sie mit unserem Leibe in geheimnisvoller Weise
verbunden war, bei verschlossenen Türen ein- und ausgeht, obwohl sie
doch durch diesen Beweis sich als den Herrn der gesamten Schöpfung
erweist, dem nichts widersteht, dem in allem die Schöpfung dienen muß?
Wenn aber die Jungfräulichkeit für den Schöpfer kein Hindernis bildet
bei seiner Empfängnis und seiner Geburt, wenn die verschlossene Tür
(vgl. Hohesl. 4, 12.) ihrem Schöpfer den Ein- und Ausgang nicht
verweigern konnte, wie hätte dann der Stein auf dem Grabe, auch wenn er
groß war, auch wenn jüdische Bosheit ihn versiegelt hatte, sich
widersetzen können dem auferstehenden Erlöser? Aber wie die
Jungfrauschaft und die verschlossene Tür den Beweis liefern, daß er
Gott war, so bekräftigt auch der weggewälzte Stein den Glauben an seine
Auferstehung; denn der weggewälzte Stein hat wahrhaftig nicht dem Herrn
das Hervorgehen (aus dem Grabe) ermöglicht, sondern er brachte und
ermöglichte in der Nacht (vgl. Joh. 20,19 ) dem Glauben den Zutritt (zu
dem Auferstandenen).
"Da kam Jesus und trat in ihre Mitte und sprach zu ihnen: 'Friede sei
mit euch'." (Joh. 20,19 ) Der Jünger Herz kämpfte (lange) den steten
Kampf zwischen Glauben und Zweifel, Verzweiflung und Hoffnung,
Verzagtheit und Seelenmut; doch sie hielten duldend den Kampf aus. Da
aber (Jesus) die Kämpfe solcher Gedanken in seiner Allwissenheit
voraussah, gab er ihnen den Herzensfrieden wieder sogleich, als sie ihn
erblickten, damit er, der ihnen durch sein so plötzliches Scheiden die
Ursache für ihre Seelenkämpfe war, auch ihnen jetzt, wo er ihren Augen
wiedergegeben war, wegnehme die Ursache jeglichen
Seelenkampfes.
"Die Jünger freuten sich, den Herrn zu sehen" (Joh. 20,20 ), heißt es.
"Sie freuten sich." Wie nach der Finsternis um so angenehmer das Licht
ist, wie nach stürmischer Nacht um so heiterer der Himmel lacht, so ist
auch nach der Trauer die Freude um so willkommener.
"Abermals sprach er zu ihnen: 'Friede sei mit euch!'" (Joh. 20,21 ) Was
anders will er durch die Wiederholung dieser angenehmen
Friedensbotschaft bekunden, als dies: Die Ruhe, die er dem Geiste eines
jeden einzelnen verliehen hatte, sollte nach seinem Willen auch in
ihnen bewahrt bleiben, weil er ihnen wiederholt und reichlich den
Frieden verliehen hatte. Er wußte ja, daß unter ihnen bald kein
geringer Streit ausbrechen würde wegen ihres Zweifels, indem der eine
sich rühmen würde, im Glauben standgehalten zu haben, der andere
trauern würde, dem Zweifel sich hingegeben zu haben. Um also sowohl dem
Prahler jeden Anlaß zum Hochmut und zur Selbstgefälligkeit zu nehmen,
als auch anderseits dem, der schwach gewesen sei, Rettung zu verleihen,
um so alle Leidenschaften zu bannen, schreibt er in gütiger Fürsorge
alles, was geschehen sei, ihrer Lage, nicht aber den Jüngern zu, und
dämpft so schon im Anfang jeden Streit nieder durch die Macht seines
Friedens. Es sollte nicht der eine dem andern vorwerfen, was er
(Christus), dem die ganze Schuld gehörte, schon für alle Zukunft
vergeben hatte. Petrus verleugnete ihn, Johannes floh, Thomas
zweifelte, alle verlassen ihn, hätte ihnen Christus nicht seinen
Frieden gegeben, so hätte Petrus, der der erste von allen war, als der
geringste von allen gelten müssen, und der zweite hätte sich vielleicht
in unverantwortlicher Weise gegen den ersten erhoben.
"Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich auch euch." (Joh. 20,21)
Durch das Wort "gesandt" wird der Sohn nicht als geringer (als der
Vater) bezeichnet, sondern nur in dieser seiner Eigenschaft (als vom
Vater gesandt) bekundet. Denn er will darunter nicht verstanden wissen
die Macht des Sendenden, sondern nur die Liebe (des Sendenden) zu dem
Gesandten; denn er sagt: "Wie mich der Vater gesandt hat." Er sagt ja
nicht: "der Herr", sondern: "der Vater". - "So sende ich auch euch."
Nicht mit der Gewalt eines Befehlenden, sondern mit der ganzen Liebe
eines Liebenden sende ich euch aus, den Hunger zu ertragen, die Bande
zu erdulden, das schmutzige Gefängnis nicht zu scheuen, alle Arten von
Leiden zu ertragen, das Joch des Todes, das allen so verwünscht ist,
selbst auf euch zu nehmen: Opfer, die alle die Liebe dem Menschenherzen
auferlegt, nicht aber eine Macht von ihnen verlangen
kann.
"Welchen ihr die Sünden nachlassen werdet, denen sind sie nachgelassen.
Welchen ihr sie behalten werdet, denen sind sie behalten." (Joh. 20,23)
Er gab ihnen die Gewalt, Sünden nachzulassen, da er durch seine
Anhauchung ihnen verlieh und eingoß sich, den Sündenvergeber selbst.
"Nach diesen Worten hauchte er sie an und sprach: 'Empfanget den Hl.
Geist. Welchen ihr die Sünden nachlassen werdet, denen sind sie
nachgelassen'." (Joh. 20,22 f.) Wo sind nun die, die da behaupten, daß
durch Menschen den Menschen die Sünden nicht vergeben werden könnten,
sie, die diejenigen, die infolge der Überwindung des Teufels auch nur
einmal gefallen sind, so niederhalten, daß sie sich nicht mehr
erheben sollen, die den Kranken die Arznei, den Wunden das Heilmittel
in ihrem grausamen Sinne entziehen und verweigern, die den Sündern in
ihrer Gottlosigkeit die Hoffnung auf eine Rückkehr zur Kirche gänzlich
vernichten? Petrus läßt die Sünden nach und nimmt mit voller
Freude die Büßenden auf und vereinigt in seiner Person die Fülle dieser
Gewalt, die allen Priestern von Gott eingeräumt ist. Denn wenn er nach
seiner Verleugnung keine Buße geleistet hätte, hätte er den Ruhm seines
Apostelamtes und so zugleich das Leben (der Seele) selbst verloren! Und
wenn Petrus durch seine Buße wieder zurückkam, wer könnte dann wohl
ohne Buße bestehen?
"Thomas aber, als er von seinen Mitjüngern hörte, daß sie den Herrn
gesehen hätten, erwiderte ihnen: 'Wenn ich nicht an seinen Händen das
Mal der Nägel sehe und meine Hand in seine Seite legen kann, so glaube
ich es nicht'." (Joh. 20,25) Warum fordert denn Thomas so energisch die
Spuren des Glaubens? Warum erforscht er denn so grausam noch den
Auferstandenen, der doch so geduldig gelitten hat? Warum reißt er die
Wunden, die eine frevlerische Hand ihm beigebracht hat, wieder mit
seiner frommen Rechten auf? Warum sucht die Hand des Jüngers die Seite,
die die Lanze eines gott-losen Kriegers geöffnet hat, noch einmal
aufzuwühlen? Warum will denn die Neugier eines lieblosen Jüngers jene
Schmerzen wieder erneuern, die die Wut der Feinde ihm zugefügt hat?
Warum will denn der Schüler nur aus den Qualen den Herrn, aus den
Peinen den Gott, aus den Wunden den himmlischen Arzt erkennen? -
Vernichtet ist die Macht des Teufels, offen steht der Kerker der
Unterwelt, gesprengt sind die Bande der Toten, umgestürzt die Gräber
durch den Tod des Herrn und das ganze Werk des Todes umgewandelt durch
die Auferstehung des Herrn. Von dem hochheiligen Grabe des Herrn ist
weggewälzt der Stein, die Leintücher sind gelöst, der Tod ist geflohen
vor der Herrlichkeit des Auferstehenden, zurückgekehrt ist das Leben,
auferstanden der Leib, der keinen Verfall mehr kennt. Und du, Thomas!
Warum forderst du, als ein allzu schlauer Untersucher, für dich allein,
daß dir die Wunden des Herrn gezeigt werden, um dich zum Glauben zu
bewegen? Was hättest du nun, wenn auch diese mit allem andern
vernichtet worden wären? Welche Gefahr hätte dann diese deine Neugier
deinem Glauben gebracht? Meinst du, du hättest kein anderes Kennzeichen
der Liebe, keinen anderen Beweis der Auferstehung des Herrn finden
können, wenn du nicht die Brust des Herrn, die die Grausamkeit der
Juden so tief aufgewühlt hat, wieder mit deinen Händen durchfurcht
hättest?
Dieses Verlangen, Brüder, stellte die Liebe, so forderte es die
Ergebenheit, damit auch in Zukunft der Unglaube nicht mehr zweifeln
könne an der Auferstehung des Herrn. Und so heilte Thomas dadurch nicht
nur den Zweifel seines eigenen Herzens, sondern auch die Unwissenheit
aller Menschen. Im Begriffe, hinzugehen und es unter den Heiden zu
verkünden, erforschte er, genau untersuchend, wie er dieses große
Glaubensgeheimnis begründen könne. In der Tat: mehr ein prophetisches
Schauen als ein Zweifel! Denn wie hätte er eine solche Forderung nur
stellen können, wenn er nicht in prophetischem Geiste erkannt hätte,
daß von dem Herrn einzig zum Erweise seiner Auferstehung diese
Wundnarben bewahrt worden seien? - Schließlich gewährt auch der Herr
aus freien Stücken den übrigen, was jener allzu zaudernd
verlangte.
"Es kam Jesus", heißt es, "trat in ihre Mitte und zeigte ihnen seine
Hände und seine Seite." (Joh. 20,19 f.) Denn da er eingetreten war bei
verschlossenen Türen und auch von den Jüngern für einen Geist mit Recht
gehalten wurde, konnte er sich selbst nicht anders als durch die Leiden
seines Leibes, durch die Male seiner Wunden den Zweifelnden als
wirklich erweisen.
"Dann kommt er zu Thomas und spricht: 'Lege deinen Finger hierher und
sieh meine Hände! Reiche deine Hand her und lege sie in meine Seite;
und sei nicht ungläubig, sondern gläubig!'" (Joh. 20,27) Über den
ganzen Erdkreis sollen diese meine Wunden, die du selbst wieder
öffnetest, den Glauben ausgießen, wie sie schon das Wasser zum Bade der
Wiedergeburt, das Blut als Erlösungspreis für alle (vgl. Lk. 22,20)
ausgegossen haben!
"Da rief Thomas aus und sprach: 'Mein Herr und mein Gott!'" (Joh.
20,28) So mögen denn kommen und hören die Irrlehrer (gemeint: die
Arianer, Anm.d.Übers.) und, wie der Herr gesagt hat, "sie sollen sein
nicht ungläubig, sondern gläubig!" Seht da, dies Wort des Thomas
bekundet nicht nur den menschlichen Leib, sondern durch die Leiden des
leidensfähigen Leibes, daß Christus Herr und Gott ist zugleich. Und in
Wahrheit ist er Gott, der lebt aus dem Tode, der auferstanden ist aus
seinen Wunden. Und weil er dies alles und so furchtbare Leiden erduldet
hat (vgl. Lk. 24,26) lebt und herrscht er (nun auch) als Gott durch
alle Ewigkeit. Amen.
(Petrus Chrysologus, Sermo LXXXIV - 24. Vortrag über das
Johannes-Evangelium - in: "Bibliothek der Kirchenväter" Bd.43, München
1923, S. 241 ff.)
|