Ohne Kommentar
Hans Urs von Balthasar in seiner Rede
"Was ist der Mensch?"
aus Anlaß seiner Auszeichnung mit dem Guardini-Preis durch die
"Katholische" "Akademie" in Bayern am 17. März 1971. (Vergl.
"Entscheidung" 1971, Nr.23, S.2-6):
"Wir erinnern uns, daß der Denkspruch "Gnothi sauton, erkenne dich
selbst", erstmals am Tempeleingang von Delphi eingemeißelt stand. ...
Daneben stand der andere Spruch: "Medén ágan, übertreibe nichts, geh
nicht ins Extreme." Dem äschyleischen Prometheus, diesem surhomme
révolté, rät Okeanos: "Dich selbst erkenne! Wandle Dich! Nimm neue
Sitten an! Du weißt, auch über Göttern thront ein neuer Herr ... bäume
nicht den Leib wider den Stachel." ... Nehmen wir einmal an, der Mensch
bleibe sich selber wesenhaft ein Rätsel, sei es deshalb ein
Widerspruch, wenn er sein eigenes Rätsel löst, weil er ja dann aufhören
müßte, dieser Rätselhafte zu sein ..., es sei aber wiederum sinnlos,
damit aufzutrumpfen, die Rätselhaftigkeit sei eben die Lösung des
Rätsels, anders gesagt: die offene Freiheit, alles, le diable et le bon
Dieu (den Teufel und den lieben Gott), aus sich machen zu können, sei
sich selber Antwort genug: - dann wird doch wohl ...vorläufig der beste
Einstieg sein: das Öl einer letzten Gelassenheit, eines Seinlassens in
die Wunde der eigenen Fraglichkeit zu gießen, so schmerzlich diese auch
brennen mag. ...
Versetzen wir uns einmal in die Lage jenes sagenhaften Adam im
Paradies. Weiß er eigentlich, was er sucht, wenn er sich unter den
Tieren umsieht, sie erkennt und benennt, aber darunter keine geeignete
hilfreiche Ergänzung findet? Man könnte erwidern: "Auf der Ebene des
Sexuellen, das er von den paarweis auftretenden Tieren her kennt,
könnte er von seiner eigenen Männlichkeit her eine Forderung anmelden.
"Aber ... was menschliche Begegnung ist, weiß dieser Mann ja nicht, ...
nach der Sage schlummert die Antwort innen in ihm, zunächst seinem
Herzen, aber die Rippe muß ihm erst entzogen und ... als lebendiges Du
gegenübergestellt werden. Man könnte sagen: die Antwort auf seine Suche
lag Adam so nah, daß er sie selber nicht finden konnte ... Dort, wo
einer sich zum lebenslänglichen Austausch der Liebe entfaltet, schöpft
er die Kraft des Durchhaltens aus den Vorräten einer verschwiegenen,
einsam-entschlossenen Treue zuinnerst im Ich, das sich irgendwie
beeilt, durch solche Treue auf eine verwirrende, noch immer ungelöste
Frage zu antworten... Warum liebst Du mich? ... Ist es vielleicht doch
blinder Zufall? Am äußersten Horizont des Christlichen dämmert ein
Lichtschein auf, der auch diese Frage sänftigt. "So sehr hat Gott die
Welt geliebt, daß er seinen eingeborenen Sohn dahingab" (Joh 3,16). ...
Dann gäbe es also im Absoluten ein Schwergewicht der Liebe, die über
sich hinaus will ins Andere, und das Andere ist nicht nur Gott der
Sohn, Gott der Heilige Geist, sondern auch die Nacht und die
Gottverlassenheit und der Absturz in die Verlorenheit. ..."
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