FRIEDRICH HEINRICH JACOBIS "ALLWILL" UND
FEDOR MICHAILOVIC DOSTOEVSKYS "DÄMONEN"
von
Univ.-Prof. Dr.Reinhard Lauth, München
Es geht mir im Folgenden nicht darum, eine literarische Abhängigkeit
nachzuweisen, es geht mir darum, aufzuzeigen, daß Jacobi in der Gestalt
seines Allwill - soweit ich sehen kann - zum ersten Male in der
Weltliteratur ein durch die Moderne geschaffenes Problem gestellt und
damit eine Thematik von aktuellster weltgeschichtlicher Bedeutung
eingeführt hat, die von Dostoevsky erneut erschaut und durch die Art,
wie er sie behandelt, zu ihrem innerlogischen Abschluß gebracht worden
ist.
Fichte weist in seiner "Wissenschaftslehre von 1804" auf einen Grundzug
hin, der unserem Zeitalter spezifisch eigentümlich sei: Das Denken und
Leben sei in ihm nicht nur historisch, sondern symbolisch geworden; zu
einem wirklichen Leben und Denken aber komme es fast gar nicht mehr.
Während in der historischen Haltung "das ganze Leben zur fremden
Geschichte verblaßt ist", versucht das symbolische Leben und Denken
zwei einander kontradiktorisch gegenüberstehende Weisen zugleich zu
behaupten. "Wessen (man) sie auch beschuldige, so ist die Antwort
bereit: "ja, das gilt wohl von Andern" nicht aber von uns;" und sie
haben insofern recht, als sie neben der getadelten Denkweise auch die
andere, ihr gegenüberstehende, historisch kennen; und wenn man bei
dieser sie angegriffen hätte, in dieselbe, welche sie jetzt abläugnen,
sich geflüchtet haben würden."
Als Fichte diese Einstellung stigmatisierte, war ihm bekannt, daß
Jacobi schon Jahrzehnte zuvor in der Gestalt seines Allwill einen
Menschen gezeichnet hatte, der nicht nur ein derartiger Symbolist ist,
sondern es bewußt, aus einer Grundmaxime heraus, sein will.
Allwill, das ist, wie schon der Name besagt, ein Mensch, der alles sein
will, alles leben und vertreten will, was ihm beliebt. Er überläßt sich
bewußt "seiner guten Natur, welche verlangt, daß (er) jede Fähigkeit in
(sich) erwachen, jede Kraft der Menschheit in (sich) rege werden
lasse." "Er wagt sein Alles an die Erreichung jedes Zwecks", urteilt
Silly von ihm. "Wer ihm abgewönne, gewönne ihm nie weniger als sein
Leben ab. Clemens nennt ihn einen Besessenen, dem es fast in keinem
Falle gestattet sey willkührlich zu handele. - Ein furchtbarer
Charakter! - Und wie täuschend da, wo er das Schöne und Gute sich aus
Lust zu eigen macht!" "Eduard!", schreibt Luzie ihm, "ein sehr
außerordentlicher Mensch sind Sie wahrlich. Wer Sie durchaus kennt, dem
muß es oft wunderbar vorkommen, daß Sie nicht ein Engel an Tugend, oder
ein Satan an Laster geworden sind. Die Ungereimtheit Ihres Wesens
widersteht allem Begriff. Unbändige Sinnlichkeit und stoischer Hang;
weibische Zärtlichkeit, der äußerste Leichtsinn - und der kälteste Muth
und die festeste Treue; Tigers= Sinn - und Lammes=Herz; allgegenwärtig
- und nirgend wo; alles - und nie etwas."
Jacobi hat es in "Eduard Allwills Briefsammlung" unternommen, uns die
Genese eines solchen Menschen zu zeigen. Er hat es gewagt als ein Mann,
dessen Überzeugung von Jugend auf war, "daß seine Seele nicht in seinem
Blute, oder ein bloßer Athem seyn möchte, der dahin fährt, und der "den
bloßen gemeinen Lebenstrieb" soweit hinter sich ließ, daß er leben
wollte "wegen einer anderen Liebe", über die keine seiner mächtigen
Leidenschaften je die Oberhand gewinnen konnte. Sein ganzes Trachten
ging darauf, diese höhere Liebe "zu rechtfertigen", denn "ohne diese
Liebe schien es ihm unerträglich zu leben, auch nur Einen Tag." "So
geschah es, daß er philosophische Absicht, Nachdenken, Beobachtung in
Situationen und Augenblicke brachte, wo sie äußerst selten angetroffen
werden." Unter den "zum Theil (wie ihn däuchte) nicht genug bemerkten,
zum Theil noch nicht genug verglichenen Thatsachen" stieß er hierbei
auf den Typus des Allwill, den er darstellend sichtbar machen wollte.
"Was nun diese Menschengattung angeht (...), so führen schon die
vorzüglichen Anlagen, die bey ihr vorausgesetzt werden müssen, die
Gefahr ihres Mißbrauchs mit sich.(...) Jedes Uebermaß von Kräften reizt
zu irgend einer Art von Gewaltthätigkeit und Unterdrückung. Hiezu kommt
bey den Allwillen, daß ihren vorzüglichen Gaben eine besonders zarte
und lebhafte Sinnlichkeit, eine große Gewalt des Affects, und eine
ungemeine Energie der Einbildungskraft zum Grunde liegt, (... wobei)
die Einbildungskraft der Allwille vornehmlich eine Einbildungskraft des
Affects, und weniger als bey andern Menschen ein freyeres
Geistes=Vermögen ist. Die Mischung dieser Grundeigenschaften ist in
keinem Einzelnen dieselbe; und so haben auch in jedem Einzelnen der
Verstand, die Besonnenheit und der Wille ihre eigene Art und Weise. Man
kann aber ohne Gefahr annehmen bey dieser Gattung, daß wo der hellere
Kopf ist, auch ein höherer Grad der Ruchlosigkeit sich einstellen
werde. Bey der Helle des Kopfs wird der Uebergang von der Empfindung
zur Reflexion; zur Beschauung und Wiederbeschauung - mit Beyhülfe des
Gedächtnisses - immer schneller, mannigfaltiger, gegenseitiger,
durchgreifender, umfassender; bis endlich Anschauung, Betrachtung und
Empfindung jeder Art, von der zur größten Fertigkeit gediehenen
Selbstbesinnung, Geistesgegenwärtigkeit und inneren Sammlung, welche
die Helden dieser Gattung, selbst in der ärgsten Beklemmung der
Leidenschaft, nie ganz verläßt, unaufhörlich nur verschlungen werden,
und für sich keine Gewalt und natürliche Rechte mehr haben. Der ganze
(Mensch, seinem sittlichen Theile nach, ist Poesie geworden; und es
kann dahin mit ihm kommen, daß er alle Wahrheit verliert, und keine
ehrliche Faser an ihm bleibt. Die Vollkommenheit dieses Zustandes ist
ein eigentlicher Mysticismus der Gesetzesfeindschaft und ein Quietismus
der Unsittlichkeit."
Es begann bei Allwill mit der Hingabe an seine eigene, zensurlos als
edel angenommene Natur. "Jedes Wesen ersprießt in seiner eigenen
Natur", sagte er sich. "Was ist zuverlässiger, als das Herz des edel
gebornen?" Das "Wesen (der Natur) ist Unschuld, und wenn wir annehmen,
was sie uns nach Zeit und Umständen in die Ohren raunt, werden wir uns
so wohl befinden, als irgend jemand unter dem Monde." *)
Er empfindet "alles Schöne so lethaft, daß jeder Eindruck davon (ihn)
berauscht, (ihn) für die Zeit alle weitere Besinnung raubt." "Gutes
Mädchen", warnt Luzie, "das sage ich nicht, daß er dich nicht liebt. Er
liebt dich gewiß; mit mehr Wahrheit vielleicht, als kein anderer Mensch
dich lieben könnte, liebt gerade alles wahrhaft Schätzbare an dir,
gerade das, worin deine gutgeschaffene Seele ihre artgemessenste
Thätigkeit, ihre eigenste Wonne, fühlt. Nicht wahr, das fühlst du, das
sichert dich, daß er dich innig liebt, wie du dich selbst, und wie du
ihn liebst; und du hast Recht so an ihn zu glauben; dein ist seine
ganze Liebe. Aber, armes Kind! Allwill liebt nie anders; er ist immer
seinem Gegenstande ganz; morgen vielleicht - dem Ehrgeitz; einem
vortrefflichen Manne; einer Kunst; vielleicht - einer neuen Geliebten.
- Sieh, dieser Allwill - der Unglückliche! muß unstät und flüchtig
seyn; er ist verflucht auf Erden aber gezeichnet mit dem Finger Gottes,
daß kein Mensch Hand an ihn zu legen wagt." "Das Glück ein ganzes Herz
zu besitzen - wie sollten (die Allwille) das schätzen können, da ihr
Herz nie einen Augenblick ganz,*) nie ein Gefühl des Herzens bey ihnen
lauter ist? (...) Keine Empfindung ist ihnen in dem Grade lieb, daß sie
nicht durch ekelhafte Vermischungen sie trübten, ihr Bild entweihten."
"Wenn ich nur etwas wüßte, das der Natur mehr entgegen wäre, als jene
Unmäßigkeit, welche alle Bedürfnisse vervielfältiget und unendlichen
Mangel schafft, mit seinen unendlichen Nöthen, - Angst, Schmerz,
Gewalithätigkeit, Betrug, Arglist und Tücke. - (Es braucht) nur einen
flüchtigen Blick auf die Welt - was in ihr alles so
verdirbt, daß wir sie böse, nennen müssen! - Es ist offenbar nur jene
Ungenügsamkeit, jenes blinde Ringen nach Allem, jenes Scheidekünsteln
an den Dingen, um die Form von dem Stoff, die Wirkung: von der Ursache
abzulösen; um zu widernatürlichen Bedürfnissen widernatürliche Mittel
zu erfinden, (...) Dafür zu predigen, die Theorie der Unmäßigkeit, des
Lasters als die einzige Philosophie des Lebens, als den einzigen Weg
zur Glückseligkeit, ja zur höchsten Vortrefflichkeit, anzupreisen: das
wäre, däucht mich, doch wohl das unsinnigste Beginnen, das sich
erdenken ließe, und das böseste!" Indem man alles miteinander haben
will, kommt man endlich zu Forderungen wie: "die leichtfertige Dirne
soll auch die hohen Reize, alle Tugenden, die Liebe eines frommen
Mädchen; und das fromme Mädchen wieder, die schnöden Annehmlichkeiten,
die ganze Thorheit der leichtfertigen Dirne besitzen (...). Und das
heißt denn doch Eines Sinnes seyn mit der Natur! - Allwill! Sie, eines
Sinnes mit Natur? Sie, der immerwährend die echtesten Bande der Natur
auflöset; wahre, reine Verhältnisse zerstört, um erträumte,
schimärische an die Stelle zu setzen".
Ein Allwill hat selbstverständlich die sittlichen Bindungen abgeworfen:
"Mir ekelt gar zu sehr, wenn ich mich als so ein Bildchen sittlicher
Heiligkeit, das ich werden soll, betrachte." Ich wurde, schreibt er
Luzie, "früh genug mit Strenge angewiesen, wie ich etwas (...) gut, und
nur dies Etwas so finden müsse; gefüllt bis oben an mit erkünsteltem,
erzwungenem Glauben; verwirrt in meinem ganzen Wesen durch gewaltsarne
Verknüpfung unzusammenhängender Begriffe; hingewiesen, hingestoßen zu
einer durchaus schiefen, ganz erlogenen Existenz." Auch die Frauen habe
man nicht gelassen, "wie die Natur sie beliebt hat", sondern sie "zu
Engeln martern und versuchen (...) wollen". Er aber sei zu seinem Glück
ziemlich bald innegeworden, wie es im Grunde mit seinen Unsterblichen
beschaffen sei, und seitdem verlange es ihn nach "Weibern für diese
Erde; und nicht für den Mond". "Deswegen ist es mir ein unerträglicher
Gedanke, von eben belobten Göttinnen irgendeine anzubeten; ihr in
ganzem Ernste zu Füßen zu liegen." "Zecht man nicht oft beym
Wachslichte fröhlicher, als man im höchsten Sonnenglanze tafelt?" Mit
dieser Einstellung muß Unschuld ihm "etwas so unnützes, so
nichtswürdiges scheinen (...); daß der Göttliche - Unschuld verspottet;
(...) Unschuld mit Füßen tritt; über sie hin, erhaben, seine Bahn
nimmt."
Jacobi läßt denselben Allwill im Felde der Erkenntnis mit frivoler
Absicht sich widersprechende Thesen vertreten und mit diesem
Widerspruch seine um Einsicht bemühte Cousine Clärchen experimentierend
verunsichern, nicht ohne es dabei auf ihre weibliche Zuneigung
abgesehen zu haben.***)
Durch "das müßige Sammeln von Empfindungen" und von "Wisserey ohne
Wissen", durch das ungereimte "Bestreben, Empfindungen - zu empfinden",
Konzeptionen zu konzipieren, geht Allwill der unmittelbare Bezug zur
Wirklichkeit verloren, zumal ja entgegengesetzte Gefühle und
Konzeptionen gleicherweise wahr sein sollen. Folgerichtig will Allwill
nichts von unverbrüchlichen Grundsätzen und aus diesen folgenden Taten
wissen. Wer bindende Gesetze anerkennt, dessen Handeln führt, so meint
er, wenn sein gegenwärtiges Gefühl mit seinen Grundsätzen in Konflikt
gerät, entweder zur Heuchelei, er umgeht dann das Gesetz und verdreht
es, oder es führt zu einer Art Maschinenwesen, wo er "immer nur
(blindlings oder sehend - wie es kommt) seinem ehemaligen Willen
[gehorcht], aber jetzt keinen eigenen Willen mehr [hat], (...) sich
hinfort nie weiter über sich selbst empor schwingen[kann]." Allwill ist
deshalb der Mann, der sich Ausnahmen gestattet, "Lizenzen hoher
Poesie", wie Jacobi sie anderswo einmal genannt hat.
Führt dieser reflektierte Symbolismus dazu, daß sein Vertreter ihn
endlich auf das letztbestimmende Prinzip seines Lebens ausdehnt, so muß
es mit ihm dahin kommen, "daß er alle Wahrheit verliert". Dann wird das
Prinzip seines Wesens der Widerspruch; das aber heißt: er muß sein
Wesen verlieren. Diesen Vorgang hat uns, wie ich im folgenden darlegen
werde, Dostoevsky an Stavrogin gezeigt.
Jacobi wollte in seinem "Allwill" aber nicht nur die Entwicklung dieses
modernen Menschen sichtbar machen, er wollte auch darstellen, in
welcher Weise durch einen solchen Menschen das Verhältnis zur Frau
verändert ist. Allwill ist von einem Kranz von Frauen umgeben, in denen
sich die Ausstrahlungen seiner Persönlichkeit brechen. Gleich in den
ersten Briefen wird ihm mit Silly das Bild vollkommener weiblicher
Treue entgegengestellt, einer Treue, die durch das Martyrium ihres sie
verzehrenden Lebens nach Verlust von Mann und Kind hindurch
erstrahlt.****) Neben Silly stellt der Dichter uns in Amalia die durch
ihren Gatten und ihre Kinder ganz erfüllte glückliche Frau und Mutter
vor. Aber anders als Puschkins Tatjana und Goethes Lotte verbindet
diese beiden Frauen keine weibliche Beziehung mit Allwill. Das Mädchen,
das Allwill liebt, ist Luzie, aber diese hat ihn durchschaut und stirbt
an dem zerbrochenen Verhältnis. Wie es zu ihrer Verbindung mit Allwill
kommen konnte, erklären einige Worte Sillys: "Was ich von ihm erfahre,
(...) macht rnich zittern für Unheil. Der unbändige Mensch mag dabey
ein wackerer Junge seyn, und es mit andern gewöhnlich besser meinen,
als mit sich selbst: aber dadurch wird er nur gefährlicher; das gibt
ihm die offene, unschuldige Miene, wogegen kein Rath ist, worauf man
ihm die Hand von ferne reicht, sich ihm anschlingt, und Gemeinschaft
mit ihm macht. Erst hintennach wird man gewahr, (...) wie wohlfeil er
seine Haut bietet, und folglich die seines Genossen mit.... Nun ein
Mädchen, das seines Weges käme - diesem auszuweichen - wie wäre es
möglich? So werd unsere Luzie hingewagt, so ging uns das süße Geschöpf
verloren; denn sie stirbt, Kinder, und ihr Tod ist dieser Allwill!"
Aber sie stirbt anders als Gretchen, sie durchschaut seine
Unwahrhaftigkeit und versagt sich dem Manne. "Es kam eine Stunde, da
fühlte ich, daß ich wohl einst Dich würde verachten müssen. Es ergriff
mich wie ein tiefes Schrecken, und ich entfloh. Ich war entflohen, und
kam zurück mit verhülltem Angesicht. Alle meine Liebe zu Dir hatte sich
in heiße Sorge um Dich verwandelt. Verborgen kam ich zurück (...), um
Dich nie zu lassen. Ich sey von Schwärmerey; ich sey an der Einbildung
gestorben, wird es heißen.- Nun ja!"
Allwill, deckt Jacobi an seinem Verhältnis zu Luzie auf, entsetzt das
Mädchen ihrer eigentlichen Bestimmung, ihres natürlichen Verhältnisses;
er macht sie aller Haltung für ihr folgendes Leben verlustig. Denn wenn
Luzie auch erkennt, daß er "ohnmächtig zur Liebe" und ihrer unwürdig
ist, so bleibt sie doch als Weib durch ihre Hingabe an ihn gebunden.
"Wenn Du das Gräßliche - die unaussprechliche Schmach des Gefühls
ahnden könntest: - ich - Dein! Du - nicht Mein! Verloren zu seyn, ganz
verloren an einen andern... Unser eigenes Selbst entflohen aus uns -
entflohen aus Ihm... Gar kein Daseyn mehr! Man ist verschwunden unter
den Lebendigen; getilget mit Schande aus ihrer Zahl - Elend ohne Maß,
ohne Namen!" Ihre weibliche Natur ist durch diese Beziehung verloren;
nur die reinmenschliche Sittlichkeit und Religion ist ihr geblieben. Im
Gegensatz zu SilIy ist sie keine Martyrerin der Unschuld, sondern eine
Vewirrung, vor der sie, sie erkennend, zurückschreckte, als es zu spät
war. Der Gedanke: "Liebe kann vielleicht ihn retten; kann vielleicht
zuerst in seinem Herzen den Geschmack an Lauterkeit und Unschuld wieder
rege machen" - Unschuld und ihrer ewigen Wonne, die ja auch er "auf dem
Wege der Verstockung" sucht, - gibt zwar der Sterbenden Trost, stellt
aber keine reale Möglichkeit mehr für Allwill dar.
Jacobi hatte vorhergesagt: "es kann dahin mit ihm kommen, daß er alle
Wahrheit verliert". Dostoevsky stellt uns in Nikolai Vsevolodovic
Stavrogin dieses systematische Ende des reflektierten Symbolisten vor.
Dostoevsky kannte wohl den "Allwill" nicht; er hatte Prinz Heinz und
Hamlet und vor allem Evgenj Onegin im Auge, als er seine Romangestalt
schuf. Aber wenn man Onegin einen unreflektierten Symbolisten nennen
muß, so ist der konsequente bewußte Symbolismus in Stavrogin Fleisch
geworden.
Auch Stavrogin besitzt eine große, überschüssige Kraft. "In den
Versuchen für mich selbst und in den Versuchen nach außen, um mit
dieser Kraft zu prahlen, wie auch früher in meinem ganzen Leben, erwies
sie sich immer als grenzenlos", schreibt er in seinem letzten Brief an
Darja. Bezeichnenderweise fügt er hinzu: "Aber wozu diese Kraft
gebrauchen - das ist es, was ich nie eingesehen habe". Trotz seiner
angeborenen "tierischen Sinnlichkeit" bleibt er stets Herr seiner
selbst, wenn er will. Er ist überzeugt, daß er trotz seiner
Leidenschaften sein ganzes Leben hätte als Mönch verbringen können.
Lebjadkin nennt ihn einmal unter Anspielung auf seinen Vornamen einen
"Wundertäter, bei dem nichts unmöglich ist". Auch die Namen
Vsevolodovic und Allwill erinnern in seltsamer Weise an einander.
Stavrogin ist auch bei nüchterner Vernunft: "Ich werde nie meine
Vernunft verlieren können und nie in dem Maße an eine Idee glauben
können wie [Kirillov]". Aber Stavrogin stellt sich zugleich bewußt
gegen die Vernunft: "Man muß in Wirklichkeit ein großer Mensch sein, um
sogar gegen die gesunde Vernunft standhalten zu können". Schatow sagt
ihm ins Gesicht: "Ich weiß auch nicht, warum das Böse häßlich und das
Gute schön ist; aber ich weiß, warum die Empfindung dieses Unterschieds
erlischt und verlorengeht bei solchen Herrschaften, wie Stavrogin und
seinesgleichen. ... Wissen Sie auch, warum Sie damals geheiratet haben,
so schmachvoll, schändlich und gemein? Gerade weil hier die Schmach und
Gemeinheit schon an Genialität grenzte. O, Sie schlendern nicht bloß so
am Rande? Sie stürzen sich dreist kopfüber in den Abgrund hinab.[...]
Die Herausforderung an die gesunde Vernunft, die hierin lag, war schon
gar zu verführerisch, Stavrogin und eine häßliche, schwachsinnige
Bettlerin, die dazu noch krüppelig ist!" Stavrogin ist schon nicht mehr
nur ein unstäter abstrakter Mensch und grenzenloser Träumer wie Onegin
"Das Böse in ihm ist [...] kalt und ruhig, wenn ich mich so ausdrücken
darf, vernünftig - und somit das Abscheulichste, das Furchtbarste, das
es Überhaupt geben kann."
Aber eben mit voller Vernunft dürstet er unersättlich nach Gegensätzen.
"Er stürzt sich in ungeheure Abweichungen und Experimente." So gibt er
einem Schatov und einem Kirillov zur gleichen Zeit entgegengesetzte
Ideen, die ihn selbst beschäftigen, ein, um mit Neugierde zu verfolgen,
was aus diesen Überzeugungen wird. Aus einer müßigen Laune heraus
verfaßt er ein Gesetzbuch für die Revolution. Es ist ja übrigens klar,
daß die von ihm ausgedachten Positionen (der revolutionäre Sozialismus;
die Menschgottlehre Kirillovs; der Glaube an Volk und Boden, ohne
Glauben an Gott, Schatovs) nur einseitige Abstraktionen aus dem
reflektierten Symbolismus sind, die als solche immer von ihrer
wirklichen Herkunft abhängig bleiben und keine gangbaren Lösungen
darstellen. Sie sind durch die Position, aus der sie abgelöst sind,
immer schon in ihren Voraussetzungen überholt. Stavrogin findet "keinen
Schönheitsunterschied zwischen irgendeinem wollüstigen tierischen
Streich und gleichviel welcher Heldentat, und wäre es auch das Opfer
des Lebens". In seiner Beichte schildert er den Moment, in dem er den
Sinn für Gut und Böse endgültig verlor. Es war, nachdem das von ihm
verführte kleine Mädchen sich erhängt hatte. "In diesem Augenblick traf
auf mich das jüdische Sprichwort zu: "Den eigenen Gestank riecht man
nicht". Obwohl ich in meinem Innern fühlte, daß ich ein Schuft war,
schämte ich mich nämlich dessen nicht. [...] Während ich damals beim
Tee saß und plauderte, formulierte ich für mich selbst zum erstenmal im
Leben mit aller Strenge die Erkenntnis, für mich gebe es weder Gut noch
Böse, ich hätte nicht nur das Gefühl für diesen Unterschied verloren,
sondern es gebe Gut und Böse überhaupt nicht (das war mir angenehm) und
dies sei nichts weiter als ein Vorurteil; ich erkannte auch, daß ich
imstande bin, mich von jedem Vorurteil frei zu halten, daß ich aber
verloren bin, wenn ich diese Freiheit erlangt habe."
Da der reflektierte Symbolismus damit sein innerstes Zentrum erreicht
hat, kann Stavrogin nichts mehr ganz sein und kann nichts mehr für ihn
heilig sein. "Ich kann auch jetzt noch ganz so, wie auch früher immer,
eine gute Tat zu begehen wünschen und empfinde Vergnügen dabei; daneben
aber will ich auch Böses und empfinde dabei gleichfalls Vergnügen. Aber
dieses wie jenes Gefühl ist [..., um meinen Grundwillen zu bestimmen,]
immer zu klein und flach.[...] Meine Wünsche sind viel zu wenig stark",
bekennt er Darja Pavlovna. Er hat jede sein Leben bestimmende
Überzeugung und Überzeugungsfähigkeit verloren. "Stavrogin, wenn er
glaubt, so glaubt er nicht, daß er glaubt. Wenn er aber nicht glaubt,
so glaubt er nicht, daß er nicht glaubt."
Dostoevsky zeigt uns ihn bei dem letzten Anlauf, durch eine äußerste
Tat noch eine sittliche Umkehr in seinem Leben zu vollziehen. Er will
vor der Öffentlichkeit gestehen, daß er Marja Timofeevna geheiratet und
das kleine Mädchen mißbraucht und in den Tod getrieben trat. Aber eben
hier setzt die höchste Versuchung ein, der er auch erliegt. Er
reflektiert darauf, auch diesen Akt noch zu einer Realisation höchsten
Zynismusses und Spottes zu mißbrauchen. Dostoevsky nennt diese Stimmung
"sittliche Wollust", das meint: Wollust am Mißbrauch einer sittlichen
Handlung. "Einst sah ich mir die lahme Marja Timofeevna Lebjadkina an,
die in den Ecken herumkroch und damals noch nicht verrückt, sondern nur
eine einfache Idiotin war. Sie war insgeheim sinnlos in mich verliebt
(wie die Unsern in Erfahrung gebracht hatten) und ich beschloß
plötzlich, sie zu heiraten. Der Gedanke an die Hochzeit eines Stavrogin
mit einem solch traurigen Geschöpf ließ meine Nerven vibrieren. Etwas
Schauerlicheres war nicht auszudenken. Und auf jeden Fall heiratete ich
nicht nur wegen 'einer Wette auf Wein nach einem betrunkenen
Mittagessen'." Es war "Lust zum Spott über das Leben", was ihn bewegte.
Später, in der Schweiz, erlebte Stavrogin einen neuen Ausbruch rasender
Leidenschaft. "Ich hatte den wütenden Wunsch nach einer neuen
Schandtat, nämlich nach Bigamie (ich bin schon verheiratet), obwohl
"ich jene, die ich begehrte [,Lisa], nicht liebte und [wußte], daß ich
niemals lieben könne." Auch der Plan, seine Heirat mit Marja bekannt zu
machen, reizt ihn um des Vergnügens willen, die Gesellschaft zu
verhöhnen und ihr gegenüber seinen grenzenlosen Hochmut auszulassen.
Seine Beichte, selbst sein Selbstmord werden ihm zu Möglichkeiten, die
Hochherzigkeit nur zu spielen und dabei "sittliche Wollus" zu genießen.
Auch durch Stavrogin sind, ebenso wie durch Allwill, eine ganze Reihe
von Frauen konstelliert. Schatovs Frau erwartet nach einem Verhältnis
mit ihm ein Kind, das Kind des Betrugs an Schatov. Zu derselben Zeit
wartet die Schwester Schatovs, "die Leibeigene Daschka", wie Stavrogin
sie einmal Marja Timofeevna gegenüber bezeichnet, mit einer Liebe, die
alles, auch die furchtbarsten Verbrechen in Kauf zu nehmen gewillt ist,
auf ihn, und er nennt sie ironisch seine "Krankenschwester".
Inzwischen reizt er die romantische Lisa und zerstört deren Leben um
einer einzigen Liebesnacht willen, und das, weil er wie Onegin ein
"geistiger Lakai" geblieben ist und ihm das Urteil des "vornehmen
Fräuleins" nicht gleichgültig blieb. Das geheimnisvollste Verhältnis
aber verbindet ihn mit Marja Timofeevna, die er nicht nur aus
"sittlicher Wollust" geheiratet hat, sondern noch auch mit einer noch
treuherzig gebliebenen Seite seines Wesens achtet.
In den "Dämonen" gibt es keine SilIy und keine Tatjana. Dostoevsky hat
in seiner Puschkin-Rede ausgesprochen, daß er in Puschkins Tatjana das
Ideal der Frau verwirklicht sah. Sie will dem alten General, den sie,
nachdem Onegin ihrer unglücklichen Liebe zu ihm alle Hoffnung genommen
hatte, geheiratet hat, auch ewig die Treue halten. "Treu diesem alten
General, den sie nicht lieben kann, da sie ja Onegin liebt, und den sie
nur genommen hat, weil '"die Mutter sie weinend beschwor"! In ihrer
verletzten, wunden Seele war damals doch weder Hoffnung, noch ein
Lichtblick, sondern nichts als Verzweiflung? So also, treu diesem
General? Ja, treu diesem [...] ehrlichen Menschen, der sie liebt, der
sie achtet und stolz auf sie ist. Mag auch die Mutter sie beschworen
und angefleht haben, aber sie, Tatjana selbst, und keine andere hat das
Jawort gegeben, sie, sie selbst hat ihm Treue geschworen. Mag sie ihn
auch aus Verzweiflung genommen haben, jetzt ist er ihr Gatte, und ihr
Treubruch [...] würde sie umbringen. Und kann denn ein Mensch sein
Glück auf dem Unglück eines anderen aufbauen? [...] Konnte Tatjana in
ihrer Reinheit und Vornehmheit und mit ihrem von eigenem Leid wehen
Herzen sich überhaupt anders entschließen? Nein!"
Wenn es in den "Dämonen" keine Tatjana gibt, so hat das seinen ganz
bestimmten Grund. Jacobi ließ Silly in keiner fraulichen Beziehung zu
Allwill stehen, weil sie sonst gleich Luzie mit ihrem ganzen Selbst an
ihn hingegeben und verloren gewesen wäre. Dostoevsky hat den gleichen
Grund. Alle Frauen, die den reflektierten Symbolisten Stavrogin lieben,
sind durch diese Liebe verloren. Dennoch gibt es nach Dostoevsky eine
reine Antwort auf diese dämonische Haltung, aber sie ist nur im
Wahnsinn möglich. Marja Timofeevna sieht, was den andern verborgen
bleibt, daß Stavrogin sich selbst gemordet hat und nicht mehr er selbst
ist. "Hast Du ihn getötet oder nicht, gestehe?" fragt sie ihn. "Änlich
bist Du ihm, ja, sehr ähnlich, vielleicht bist Du auch verwandt mit ihm
[...] Nur ist meiner ein lichter Falke und ein Fürst, Du aber bist eine
Eule und ein Krämer. Wenn meiner will, so beugt er sich vor Gott, will
er aber nicht, so beugt er sich auch vor Gott nicht! [...] Würde sich
doch mein Falke meiner nie vor einem vornehmen Fräulein geschämt haben!
Machte mich doch schon der Gedanke glücklich, in diesen ganzen fünf
Jahren, daß mein Falke dort irgendwo hinter den Bergen lebt und fliegt
und die Sonne schaut. Sag, Usurpator, hast Du viel genommen? Hast wohl
für großes Geld eingewilligt?[...] Fort, Usurpator! Ich bin meines
Fürsten Frau und fürchte mich nicht vor Deinem Messer! [...] Grischka
Otrepev anathema! (Der falsche Demetrius wurde verflucht!)"
Das Kind, das Marja Timofeevna zur Welt gebracht hat, war es ein Knabe
oder ein Mädchen, lebendig oder tot, ist es ein Traum oder
Wirklichkeit? Dostoevsky läßt das im Halbdunkel, weil dieses Kind nur
ein Unbestimmtes zwischen beidem sein kann. "Hast Du denn eines
gehabt?" fragt sie Schatov. "Wie denn nicht! Ein kleines, rosiges, mit
so winzigen Fingerchen, und all mein Leid ist nur, daß ich nicht mehr
weiß, ob es ein Knabe oder ein Mädchen war.[...] Als ich es damals
gebar, da wickelte ich es gleich in Batist und Spitzen und band es mit
rosa Bändchen zu und bettete es auf Blumen und sprach ein Gebet über
ihm und trug das Ungetaufte, und trage es durch den Wald und fürchte
mich in dem Walde, denn ich habe Angst und weine, und am meisten weine
ich darüber, daß ich geboren habe und doch den Mann nicht kenne."
"Vielleicht kennst Du ihn doch?" fragt Schatov vorsichtig. "Drollig
bist Du, Schatuschka, mit Deiner Vernunft. Vielleicht, vielleicht hatte
ich ihn auch... Aber was liegt daran, wenn es doch ebenso ist, als wenn
ich keinen hatte..? Da hast Du nun ein unschweres Rätsel, nun rat
einmal!" antwortete sie lächelnd. "Wohin hast Du denn das Kind
getragen?" "In den Teich habe ich es getragen", seufzte sie." "Ich
werde wohl vor ihm in etwas sehr Großem schuldig sein", sagt sie wie zu
sich selbst. "Nur weiß ich nicht, worin ich schuldig sein könnte, und
das ist nun mein ewiges Leid. Immer und immer, diese ganzen fünf Jahre,
habe ich Tag und Nacht gebangt, daß ich vor ihm in etwas schuldig sein
könnte. Und da bete ich denn lange und bete und denke immer an meine
große Schuld vor ihm."
Das Kind ist der Schluß der Liebe zwischen Mann und Frau. Nach einer
alten chassidischen Lehre wird aus jeder gemeinsamen Tat ein Engel
geschaffen. Aber nur dann ist er eine ganze Person, wenn der Schaffende
kann und will. Wer nun kann, und will nicht, schafft nur den Leib eines
Engels, ohne Seele. "Deine Sinne, Deine Begierden sind Dir zu mächtig",
ruft Luzie Allwill zu. "Und da sie eine so bequeme täuschende Hülle an
Deiner schönen Phantasie haben, wirst Du nie sie für das erkennen, was
sie sind. Auch die Bedürfnisse Deiner Sinne, die Täuschungen Deiner
Sinne - glaube mir, Allwill - [...] es sind Mörder! Hieher und
daher wird es Dir immer gräßlicher in die Ohren gellen: Mörder! -
Meuchelmörder!"
Eine im Wahnsinn Entrückte, deren Verhältnis zu Stavrogin zwischen
Traum und Wirklichkeit hängen bleibt, wirft ein ebensolches Kind, Knabe
oder Mädchen, lebendig oder tot geboren, dessen Vater sie nicht kennt,
und der jedenfalls für sie ist, als wenn sie ihn nicht zum Mann gehabt
hätte, in den Teich. Die vollendete Reflexionssymbolik Stavrogins endet
mit dem Mord der weiblichen Natur, die er zwischen Realität und
Irrealität gekreuzigt hat und die sich der wesenlos gewordenen Vernunft
nur noch durch den Wahnsinn ins Heile entziehen kann.
Beide Dichter, Jacobi und Dostoevsky, haben mit ihren Schöpfungen des
Allwill und des Stavrogin eine Prophetie für unsere Zeit gegeben. Die
sich selbst zerstörende Vernunft der modernen Welt kann zwar die
ursprüngliche natürliche Gewißheit nicht töten, aber sie treibt sie in
den Wahnsinn. Das gemeinsame Kind dieser Vernunft, die keine absolute
Position mehr beläßt und Gott selber zum Gegenstand "sittlicher
Wollust" zu machen versucht, mit dem in den Wahnsinn gestoßenen Leben
kann nur noch das armselige Wesen sein, das Maria, die Gottesfürchtige,
im Tode geschmückt hat und durch den Dornwald trägt, um es den Wassern
zu übergeben.
Anmerkungen:
*) Die Zeitgenossen haben hierin einen Hinweis auf Goethe gesehen.
Vergl. zum Beispiel den Brief Anton Matthias Sprickmanns an Amalie
Fürstin von Gallitzin von Ende 1779: "Bewahre mich Gott dafür, daß ich
Göthens That (cf. die "Kreuzigung" des "Woldemar") in meinem Herzen
jemals natürlich finde! - ich kann mir nur leicht vorstellen, wie
Göthe, das heißt, wie ein Mensch, der sich's zum Grundsatz gemacht hat,
jeder Laune jedes Augenblicks, wie sie aufwallt, zu folgen, der nie
über sich wacht, keine Herrschaft über sich hat, weil er keine hat
haben wollen und so immer tiefer in Sclaverei seiner Sinnlichkeit oder
Phantasie herabgesunken ist, - wie so ein Mensch so was thun konnte!
und daß daher bei ihm, wie Sie mir aus dem Herzen schreiben, sein
Betragen gegen Jacobi von einer minder schlechten Seite kann betrachtet
werden, als von der Seite eines kaltblütigen boshaften Vorsatzes, ihn
zu beschimpfen. Und nun muß ich noch eins hinzusetzen, um in diesem Punkt nichts auf dem Herzen zu behalten, um Ihnen mit
offener Aufrichtigkeit von dieser Seite alles zu sagen. / Ich setze
voraus: es war von Göthe That eines Augenblicks, - nicht prämeditirte
That, denn sonst gebe ich freilich alles auf! / Da dünkt mich dieses: /
Ein Mann wie Jacobi, der Göthe kannte, so ganz gefaßt und dargestellt
hat in seinem Allwill, und der diesen - diesen Göthe dennoch liebte,
sich von ihm seinen Busenfreund nennen ließ, ihn wieder so nannte (das
hat er wenigstens bei mir gethan, nachdem Allwill schon gedruckt war)
so ein Mann hätte Göthen um dieser ?hat willen nicht aufgeben müssen. O
Mich dünkt, nachdem Allwills Brief geschrieben und beantwortet war' da
hätte Jacobi als Freund von Göthe fordern müssen entweder Untersuchung
und Beantwortung oder Aufgebung seines abscheulichen Grundsatzes und
wenn Göthe dann sich gesträubt hätte, dann oder da wärs Zeit gewesen zu
brechen1 ihn aufzugeben. Aber darnach ihn noch lieben, noch Freund
nennen und dann um dieser That willen erst - das dünkt mich weder ganz
philosophisch, noch für Jacobi groß genug. Da find ich oder da komm ich
auf Vermuthung kleinerer Gefühle von Beleidigung oder beleidigter
Autorliebe." (Vergl. "Der Kreis von Münster" herausgeg. v. S.Sudholf,
1.Teil, 1.Hälfte, S. 58)
**) Das steht nicht im Gegensatz zu der vorhergehenden Aussage "Dein ist
seine ganze Liebe". Die Gansheit liegt im momentanen Aufgehen in Trieb
und Gefübl. "Nie einen Augenblick ganz" ist Allwill, weil er in seinem
Grundwollan nie etwas unverbrüchlich annimmt.
***) Entsprechend gibt Stavrogin Kirillov und Schatov zur gleichen Zeit
sich widersprechende Ideen ein, um mittels dieses Experiments
herauszufinden, was aus ihnen wird.
****) Silly hat sich ihrem Manne nicht nur bis zu dem Zeitpunkt verbunden, da der Tod sie scheidet, sondern auf immer.
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