BUCHBESPRECHUNG:
Anna Katharina Emmerich:
Geheimnisse des Alten und des Neuen Bundes
Aufgeschrieben von Clemens Brentano, eingeleitet von Gerd-Klaus Kaltenbrunner
Arnold Guillet (Hrsg.) 370 S., 49 Abb., mit farbiger
Palästinakarte. 12. Aufl. Christiana Verlag., Stein am Rhein 1993. ISBN
3-7171-0962-6 DM 35.-, Fr. 31.-S 282.
In einer sehr sorgfältig edierten und formal ansprechenden Ausgabe legt
der Christiana Verlag das gewaltige visionäre Werk der Seherin von
Dülmen neu vor. Es handelt sich um die von P. Karl Erhard Schmöger nach
den Tagebüchern des Clemens Brentano aufgezeichnete Fassung. Die
mystischen Offenbarungen der stigmatisierten Charismatikerin bezeichnet
kein Geringerer als Johann Josef von Görres (1776-1848) als "Das größte
religiöse Weltepos".
Die Geheimnisse des Neuen und Alten Bundes enthüllen innere und
verborgene Zusammenhänge der Heilsgeschichte, schärfen den Blick für
Details und wundersame Geheimnisse. Was die begnadete Augustinernonne
über die Schöpfung, den Sündenfall und dessen Folgen, über die Engel,
be-sonders das Wächteramt der Schutzengel, die Gemeinschaft der
Heiligen, die streitende, leidende und triumphierende Kirche, in
gewaltigen und erschütternden Bildern schaut, was sie über das
Meßopfer, über Priestertum und Gebet, über Lohn und Strafe im anderen
Leben kündet, ist von erhabener Größe. Sie weiß prophetisch um die
verborgene Gegenwärtigkeit des Neuen Bundes im Alten Bunde und die
Heilsbedeutsamkeit des Segens. Sie eröffnet uns tiefsinnige Mysterien.
Ihre Visionen beziehen sich auch auf Einzelheiten der Kreuz- und
Gralssymbolik. Freilich wird nur demjenigen ein ungetrübter Zugang zu
dieser Welt beschieden sein, der sich um die Doppelgabe der Schaukraft
und des Bildersinnes bemüht.
So wenigstens urteilt der bekannte Publizist Gerd-Klaus Kaltenbrunner
in seiner einfühlsamen so-wohl geisteswissenschaftlich als auch
historisch überaus sachkundigen Einführung. Das geschaute und von
Clemens Brentano in sprachlich meisterhaften Texten gestaltete
Heilsgeschehen findet in seiner Würde und Tiefe auch heute einen
dankbaren und entzückten Leser. Die Seherin bemerkte gesprächsweise
immer wieder, daß ihr die Gnade der Visionen nicht zu ihrem privaten
Vergnügen und ihrer persönlichen Belehrung geschenkt werde. Sie habe
die Aufgabe, Verschlossenes und Versunkenes in allen Einzelheiten in
den Herzen der Menschen neu zu erwecken. Selbstverständlich bedurfte
die einfache und ungebildete Frau eines demütigen und hingebungsvollen
vor allem aber auch sprachmächtigen Schreibers, eben des "Pilgers"
Brentano. Keineswegs verwundert es, daß die prophetische Nonne auch
Geschehnisse vorhersagt, die sich in unserer Zeit erfüllen oder schon
erfüllt haben. So hört sie während der grauenhaften Höllenvision "daß
Lucifer ... 50 oder 60 Jahre vor dem Jahr 2000 nach Christus wieder
eine Zeit lang solle freigelassen werden."
Es versteht sich von selbst, daß die großartigen Gesichte der
christlichen westfälischen Sybille allen aufklärerisch
entmythologisierenden Tendenzen in der Theologie, allen säkularen
Reinigungsabsichten, eine glatte Absage erteilen. "Wir haben es dankbar
hinzunehmen, daß es Gott gefiel, sich nicht durch Formeln, Ableitungen
und Syllogismen zu erkennen zu geben, sondern durch hinreißende
Figürlichkeit." (Gerd-Klaus Kaltenbrunner) Es darf daher sicher als
wohlgelungener Griff des Verlages bewertet werden, daß die Umschläge
des sorgsam gebundenen Bandes die erhabenen Bilder Rembrandts
(1606-1669) zieren und daß als Illustrationen der Innenseiten
phantasievolle und durchgeistigte Zeichnungen des Gustave Dore
(1832-1883), eines Zeitgenossen der Anna Katharina Emmerich, ausgewählt
wurden. Auf die wenigen Fotos hätte einer gewissen Einheitlichkeit und
historischen Treue wegen durchaus verzichtet werden können. Hilfreich
empfindet der Leser das alphabetische Sachregister und die
ausführlichen Anmerkungen. Die bewegliche farbige Palästinakarte
erleichtert die gedankliche und topographische Orientierung. Das
tiefreligiöse Werk ist wärmstens zu empfehlen. Kirchenbild und
Bibelverständnis werden durch diese anspruchsvolle Lektüre auf
eindrucksvolle Weise bereichert.
Magdalena S. Gmehling
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