"Linientreue Zwerge"
Deutschlandlied: Offener Brief von Bestsellerautor Frederick Forsyth an CDU-Ministerpräsident Erwin Teufel
von
FREDERICK FORSYTH
Anmerkung der Redaktion EINSICHT:
Normalerweise trennen wir das religiös-kirchliche vom
politisch-gesellschaftlichen Terrain aus prinzipiellen, aber auch aus
methodischen Gründen ab, auch wenn nicht übersehen wird, daß zwischen
beiden Bereichen eine bestimmte Dependenz besteht. Die derzeitige
politische Kultur hat aber einen solch geistigen Tiefstand erreicht -
ursächlich mitbewirkt durch den religiös-kirchlichen Verfall (wer für
den religiösen Synkretismus ist, propagiert auf politischer Ebene für
die Multi-Kulti-Gesellschaft) -, daß es einmal gestattet sei, diese
Situation an dem folgenden Vorfall aufzuhellen.
E. Heller
* * *
Sehr geehrter Herr Ministerpräsident,
in deutschen Zeitungen, die ich von Zeit zu Zeit lese, habe ich
entdeckt, daß einer Ihrer Kollegen, ein Herr Günther Oettinger, in den
Medien unter erheblichen Druck der deutschen Political Correctness (PC)
gekommen ist. Sein Vergehen war - sehr zu meinem Erstaunen -, daß er
mit seiner Studentenverbindung das Deutschlandlied gesungen hat, und
zwar in ganzer Länge. Ich mußte blinzeln und die Stelle mehrmals lesen,
um mich zu versichern, daß ich nicht irre! Meine Reaktion war und ist:
Na und? Als ich 1952 als Junge in Deutschland weilte, lernte ich rasch
den Text des Deutschlandliedes, und es wurde mir klargemacht, was der
Dichter von Fallersleben gemeint und wie man ihn auch hundert Jahre
lang verstanden hat: Meine Treue schulde ich .. "Deutschland,
Deutschland über alles".
Natürlich hat dann Adolf Hitler für zwölf Jahre diese ursprüngliche
Bedeutung in eine Art Herrenrassen-Hymne verkehrt. Aber Hitler
pervertierte alles, womit er in Berührung kam: Recht, Gesetz,
Geschichte, Kultur, Bildung und ursprünglichen Patriotismus. Alle diese
Dinge sind in einer demokratischen Gesellschaft längst
wiederhergestellt. Warum aber nicht das Recht, ein Heimatland zu lieben
und eben auch zu besingen? Der Grund scheint die deutsche
PC sein. Eine neue und absurde Religion, die die Herrschaft in Ihrem
Vaterland, Herr Ministerpräsident, übernommen zu haben scheint und alle
Züge einer Art aufkeimenden Neo-Faschismus' erkennen läßt.
Als Konservativer bin ich davon überzeugt, daß es gut und richtig ist,
die bewährten Traditionen, Sitten und Weisheiten unserer Vorväter zu
bewahren, um die Gegenwart zu erleuchten und die Zukunft zu bewahren.
Ich glaube außerdem an Toleranz und an das Recht auf legitimen Dissens
und offene Debatte. Ein bedeutender britischer Konservativer sagte
einst zu einem politischen Gegner: "Mein Herr, ich lehne alles ab, was
Sie sagen, aber ich würde bis zum Tode für Ihr Recht kämpfen, es sagen
zu dürfen." Die PC-Fanatiker haben das ins Gegenteil verkehrt: "Ich
lehne alles ab, was Sie sagen, und ich werde bis zu Ihrem beruflichen
und politischen Tode kämpfen, wenn Sie auch nur versuchen sollten, es
zu sagen." - Das ist, sehr geehrter Herr Ministerpräsident, der Grund,
warum ich heutzutage beunruhigt bin, wenn ich nach Deutschland komme.
Statt lebendiger und offener Debatte der großen Fragen - etwa wie:
Sollen wir die Deutsche Mark und vielleicht gar noch den deutschen
Staat abschaffen? - gibt es hier nur Friedhofsruhe.
Vor drei Jahren fragte ich in der deutschen Talk-Show "Cafe Europa"
während einer Werbepause den Gastgeber, warum man in Ihrem Land einen -
na sagen wir mal - reiferen Engländer ins Fernsehen einlädt, um die
kommende Euro-Währung und die drohende europäische Bundesstaatlichkeit
zu diskutieren. Er antwortete: "Herr Forsyth, Sie sind der einzige
namhafte Mensch, den wir finden konnten, der bereit war zu sagen, was
Sie eben offen gesagt haben." Bedenkend, daß ich nicht mehr gesagt
hatte, als daß ich dieAbschaffung der D-Mark für voreilig und unklug
hielte, schien mir das eine sehr armselige Erklärung. Als Konservativer
schmähe und verachte ich die drei politischen Extreme, die ich in
meinem Leben kennengelernt habe: Nazismus, Faschismus und Kommunismus.
Alle drei sind pervertierte Abkömmlinge des Sozialismus. Alle drei sind
brutale und grausame Glaubensbekenntnisse. Auch sonst haben sie viel
gemeinsam; sie sind einer Political Correctness verpflichtet und der
Bestrafung eines jeden, der von der vorgeschriebenen Lehre abweicht. So
funktioniert auch die PC von heute. Somit sind alle diese vier
politischen Orthodoxien dem Konservatismus diametral entgegengesetzt.
Ich lehne die Political Correctness auch deshalb ab, weil sie sich als
Glaubensbekenntnis der Toleranz vorzustellen versuchte, doch zum
genauen Gegenteil pervertiert ist. Auf diese Weise können die
PC-Fanatiker ihre Orthodoxie - das Glaubensbekenntnis intellektu-eller
Wichte - anderen aufbürden und jeden bedrohen, der es wagt zu
widersprechen.
Lassen Sie mich nun einige rhetorische Fragen stellen. Wissen denn
diese parteilinientreuen Zwerge nicht, daß Deutschland seit vielen
hundert Jahren existiert, nicht nur die zwölf Hitlerjahre? Wissen sie
nicht, daß der Beitrag der Deutschen zur Weltzivilisation tatsächlich
unschätzbar ist? Haben sie eine Ahnung von der Länge der Liste der
Staatsmänner, Wissenschaftler, Mathematiker, Künstler, Dichter,
Musiker, Entdecker, Reformer, Philanthropen und Philosophen, die das
deutsche Volk jenseits der zwölf Nazi-Jahre hervorgebracht hat? Wissen
sie, daß sich etwa kein britischer Student der Philosophie zuwenden
kann, ohne Hegel, Fichte oder Kant zu begegnen; oder der Wissenschaft,
ohne Planck, Röntgen, Hahn, Hertz oder fünfzig andere Ihres Landes
kennenzulernen; oder der Militärgeschichte, ohne den Genius des Alten
Fritz oder Carl von Clausewitz' zu bestaunen? Bemer-ken sie denn nicht,
daß obwohl wir gegen Euch gekämpft haben, wir Briten immer die Größe
hatten, den Mut eines Richthofen, Immelmann oder Boelckes zu würdigen?
Oder daß nach 1945 etwa Euer Flieger-As Adolf Galland ein naher und
persönlicher Freund unseres Asses Standford Tuck wurde? Ist Ihnen nicht
bekannt, daß wir bis heute Erwin Rommel respektieren und achten, weil
er unsere Kriegsgefangenen so völlig korrekt behandelt hat? Oder daß
wir immer noch Männer bewundern wie Pastor Niemöller, Gördeler, von
Stauffenberg und all jene anderen Helden Deutschlands, die an den
Fleischerhaken von Plötzensee von der Hand gewisser Schweine in Schwarz
starben? Können sie nicht akzeptieren, daß Hunderttausende deutscher
Konservativer ihr Vaterland liebten und ihm in Anstand und Ehre
dienten?
Letzlich sollten diese PC-Hexenjäger wenigstens erkennen, daß es große
deutsche, völlig anti-faschistische Konservative wie Konrad Adenauer
oder Ludwig Erhard waren, die nach 1945 Deutschland aus dem Dreck
gezogen und ins Wirtschaftswunder geführt haben? Und wo waren die
PC-Leisetreter während des Kalten Krieges? Die Hälfte von ihnen tanzte
nach Moskaus Pfeife, Beschimpfungen gegen die anglo-amerikanischen
Streitkräfte ausstoßend, die doch ihre Freiheit sicherten. Ich erinnere
mich, denn ich war damals hier. Ich glaube, hinter der Maske der
Political Correctness und der
Schmalspur-nur-keine-Abweichungen-Orthodoxie verbirgt sich ein
grundlegender Ekel gegen Deutschland. Dies alleine erklärt das endlose
Heraufbeschwören der zwölf Alptraumjahre und die Bereitschaft dazu,
jeden Deutschen zu verleumden, der es wagt, sein Land zu lieben. Nun,
Herr Ministerpräsident, bitte richten Sie doch Ihrem Parteikollegen
Oettinger aus, wenn er wieder einmal den Wunsch hat, Ihre völlig
akzeptable Nationalhymne in allen drei Strophen zu singen, so ist er
herzlich eingeladen, es hier bei mir in England zu tun. Ich nehme ihm
das nicht übel - solange ich mein "God save the Queen" dabei murmeln
kann. Und hinterher werden wir dann zusammen ein Bier trinken. So und
nicht anders sollte es doch schließlich sein.
Herzliche Grüße von einem Konservativen an den anderen,
Ihr Frederick Forsyth
(aus JUNGE FREIHEIT vom 7.7.2000, Nr. 28/00, S. 4)
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