Verschiedene Entwicklungen, die sich
auch überlagern, bestimmen zur Zeit ein ausgesprochen kompliziertes
Verhältnis zwischen dem (man muß schon sagen: sogenannten) Christentum
- repräsentativ vertreten durch die 'Konzilskirche', wobei Amerika als
die entsprechende 'kulturelle' Ausprägung gesehen wird - und der
islamischen Welt, die ja in sich auch nicht homogen ist, aber doch
darin übereinstimmt, den Westen insgesamt als Feind zu betrachten.
Dieser ist ihr zwar in wirtschaftlichen und technischen Dingen
überlegen, als moralischer höher stehend stufen sich aber die
Mohammedaner ein, die noch an Allah glauben, während der Westen in
tiefem Materialismus befangen ist, was gleichzusetzen ist mit
Atheismus. Und das ist das Schlimmste. Für einen gläubigen Mohammedaner
sind diese Ungläubigen aus dem Westen wie Hunde. Man hat von einem
Krieg der Religionen gesprochen, wofür der Irak-Krieg Amerikas (und
Englands) gleichsam chiffrenhaft steht. Doch - und so kann man es
emotionsloser betrachten - für das Mißverhältnis von Christentum und
Islam sind andere Gründe ausschlaggebender. Beide Religionen sind von
ihren Stiftern aufgerufen, die jeweilige Lehre zu verbreiten, die Welt
zu missionieren. Mohammed hat es mit "Flammen und Schwert" versucht,
die christlichen Missionare haben bis vor kurzem, d.h. bis zum II.
Vatikanum, mit viel Geduld und Aufopferung in den verschiedensten
Gebieten der Erde Christi Botschaft verkündet. Abgesehen davon, daß
sich eine Reihe von westlichen Gelehrten teils sehr intensiv mit dem
Islam beschäftigten, fand eine wirkliche Auseinandersetzung, gerade
auch auf theologisch-wissenschaftlichem Gebiet, eigentlich nicht statt,
es sei denn, man betrachtet u.a. die Versuche eines Charles de
Foucauld, der auch als "Wüstenheiliger" bekannt wurde und in Marokko
und im HoggarGebirge die Tuaregs zu missionieren versuchte, als eine
solche Bemühung. (N.b. dieser unglaubliche Priester und Forscher mahnte
zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Christianisierung Nordafrikas für
die nächsten 50 Jahre an, sonst sei es zu spät dafür!)
In jüngster Zeit sind eine ganze Reihe von Publikationen erschienen,
die auf das Verhältnis zwischen Christen (den modernen) und den
Islamisten eingehen, so z.B. Alain de Benoist "Aufstand der Kulturen".
Einer der exzellentesten Kenner des Islams und der
politisch-kulturellen Verhältnisse im arabischen Raum, Peter
Scholl-Latour, der am 9. März 80 Jahre alt geworden ist, beschreibt in
seinem Buch "Der Fluch des neuen Jahrtausends - Eine Bilanz" (München
2002), in dem er eine Reihe von Beiträgen zusammengestellt hat, auch
die Begegnung des iranischen Staatspräsidenten Mohammed Khatami mit
Johannes Paul II., die schlaglichtartig die durch die sog.
Religionsfreiheit und den 'Ökumenismus' der sog. Konzilskirche
verseuchte Schieflage zwischen beiden Religionen beleuchtet (S.98 ff.).
Eberhard Heller
***
Der Besuch des iranischen Staatspräsidenten Mohammed Khatami bei Papst
Johannes Paul II. hat weder im Zeichen der Menschenrechte noch der
Demokratie gestanden. Diese Themen mögen allenfalls am Rande des
relativ kurzen, aber mit römischem Pomp zelebrierten Treffens erwähnt
worden sein.
Zwischen den beiden geistlichen Führungsgestalten der Christenheit und
des Islam ging es um das gemeinsame Bekenntnis zum einzigen Gott und um
den verzweifelten Versuch, zwischen den beiden monotheistischen
Weltreligionen zu einer besseren Verständigung, zu einem geordneten
Zusammenleben zu gelangen.
Von Washington aus wird die Reise des Reformers Khatami, den man allzu
eilfertig als einen Mann westlich geprägter Toleranz darstellt, vor
allem als Versuch des gemäßigten Flügels der iranischen Mullahkratie
gewertet, die politische und wirtschaftliche Isolation zu durchbrechen,
in welche die Islamische Republik von Teheran seit der
Khomeini-Revolution durch die Boykott- und Sanktionsmaßnahmen der
Vereinigten Staaten geraten ist. Die großen Erdöl-Kontrakte, die
zwischen Persien einerseits, Italien und Frankreich andererseits
geschlossen wurden, richten sich ganz bewußt gegen eine
völkerrechtswidrige Gesetzgebung - den sogenannten "d'Amato-act" -, mit
der der amerikanische Kongreß seine europäischen Verbündeten in die
Frontstellung gegen den islamischen "Fundamentalismus" hineinzwängen
will.
Bei Johannes Paul II., der am Untergang des Kommunismus und dessen
Gottesverneinung ebenso aktiv beteiligt war, wie die muslimischen
Mudschahedin die Sowjetarmee aus Afghanistan vertrieben haben, ist in
letzter Zeit eine wachsende Irritation über die hemmungslose
Ausbreitung der Plutokratie, der Herrschaft des Geldes, des
"Cowboy-Kapitalismus" - wie man selbst in den USA sagt - festzustellen.
Die aufklärerische Ideologie der "human rights" - mit dieser Auffassung
steht Samuel Huntington nicht allein -, wird allzu häufig als
heuchlerisches und selektives Instrument einer neuen materialistischen
Weltordnung mißbraucht.
Wie intensiv wird in diesen Tagen über das Verhältnis des Westens, in
erster Linie Europas, zum Islam und zu dessen koranischen
Wertvorstellungen gemutmaßt und palavert! Es bedürfte wohl eines
römischen Pontifex von der unnachgiebigen, fast archaisch wirkenden
Natur eines Wojtyla, um dem eigenen Klerus und den eigenen Gläubigen
vor Augen zu führen, daß nicht die anpasserische Nachgiebigkeit des
Christentums den unentbehrlichen "Modus vivendi" zwischen zwei
Weltreligionen schaffen kann, die sich viele Jahrhunderte lang blutig
befehdeten, sondern die standhafte Betonung der eigenen metaphysischen
Werte und dogmatischen Ãœberzeugungen.
Der amerikanische Publizist William Pfaff - gewiß kein protestantischer
Fundamentalist aus dem "Bible Belt" - hat geschrieben, daß die
vielgerühmte totale Globalisierung, die den abstrusen Thesen Francis
Fukuyamas vom "Ende der Geschichte" eng verwandt ist, die "letzte
Illusion der Aufklärung" sei. Im Vatikan dürfte man sich mit einiger
Bitterkeit an jene Episode aus dem Pontifikat Pauls VI. erinnern, als
der Kurienkardinal Pignedoli im Februar 1976 zu Oberst Gaddhafi nach
Tripolis im Rahmen einer islamisch-christlichen Konferenz reiste. In
seiner krampfhaften Bemühung, das Wohlwollen der dort versammelten
höchsten Korangelehrten zu gewinnen, hatte der Prälat im Namen seiner
Kirche Abbitte geleistet für die Kreuzzüge, für den Kolonialismus, ja
für die Schaffung des Staates Israel. Die Reaktion der versammelten
Muselmanen war beinahe verächtlich. Gewiß seien Muslime und Christen
vereint in ihrem Glauben an den einzigen Gott, in der abrahamitischen
Überlieferung, in der Erwartung des jüngsten Gerichts, so lautete die
Entgegnung. Beide verehrten ja die gleichen Propheten, und es genüge
doch, daß Rom sich bereitfände, Mohammed als den obersten Künder, den
Koran als Siegel der Offenbarung anzuerkennen, um die brüderliche
Einmütigkeit aller Monotheisten zu realisieren.
Das Christentum, auch weite Segmente der katholischen Kirche, hat
längst Abschied genommen von dem missionarischen Auftrag, der im
Evangelium eindeutig enthalten ist: "Geht hin in alle Welt und lehret
alle Völker
..." Die Passion und die Erlösungsgeschichte des Jesus von
Nazareth wurde in das Reich der Mythen verwiesen, die Religion zu einer
humanitären Philosophie oder einer sozialen Institution degradiert. Es
ist vermutlich töricht, sich gegen eine solche Entwicklung zu stemmen.
Aber diese Hinwendung zum Säkularismus erschwert, ja verbaut jeden
Konsens mit einer islamischen Welt von mehr als einer Milliarde
Gläubigen, die im Koran weiterhin das "ungeschaffene Wort Gottes"
verehrt. Ist es nicht verwirrend, daß die Muslime die Jungfräulichkeit
Mariä (Mutter des Propheten Isa, in dem die Christen den Gottessohn
Jesus anbeten) als unveräußerlichen koranisch belegten Glaubenssatz
bejahen müssen, während die aufgeklärte Christenheit diese Episode
ihrer Heilsgeschichte längst als zauberhaftes Märchen einschätzt?
Der Besuch Mohammed Khatamis im Vatikan sollte nicht überbewertet
werden. Der iranische Staatschef repräsentiert als Schiite ja nur eine
Minderheitsgruppe innerhalb der "Umma", auch wenn er zur Zeit als
Vorsitzender der "lslamischen Staatenkonferenz" fungiert.
Johannes Paul II. seinerseits ist nicht mehr befähigt, als Sprecher des
Abendlandes aufzutreten. Die beiden Männer können keine bindende
Absprache treffen über eine Bereinigung all jener Konflikte und
Reibungspunkte, die nun einmal in den jeweiligen Bekenntnissen und
deren Rechtssystemen verankert sind.
Europa wird sich abfinden müssen mit dem Entstehen von zwei islamisch
geprägten Staatswesen auf dem Balkan (Albanien und Bosnien). Und
Millionen von Korangläubigen werden integrierender, aber auch
fordernder brodelnder Bestandteil der abendländischen Gesellschaft
werden, mit eigenen Strukturen und gesondertem Bewußtsein.
Der Westen ist weder gewillt noch befähigt, diesen militanten
Minderheiten einen restriktiven Toleranzrahmen aufzuerlegen, wie er
einst im osmanischen Millet-System gegenüber den christlichen
Untertanen des Padischah, gegenüber der "Herde des Sultans",
praktiziert wurde. Statt dessen nimmt die letzte christliche Weltmacht
USA die andauernde Diskriminierung der schrumpfenden christlichen
Gemeinden im Orient widerspruchslos hin. Wer empört sich schon - mit
beschämender Rücksicht auf die strategischen und merkantilen Interessen
Washingtons - darüber, daß in SaudiArabien, einem engen Verbündeten des
Westens, das Vorzeigen eines Kreuzes oder der Besitz einer Bibel unter
Strafe steht und daß dort das Zelebrieren einer katholischen Messe mit
der Todesstrafe geahndet wird, während in der "verruchten" Republik
Saddam Husseins interkonfessionelle Verbrüderungskonferenzen einberufen
und die christlichen Würdenträger mit hohen Ehren empfangen werden? Die
politische Absicht des Diktators von Bagdad ist dabei eindeutig. Aber
wie soll man einem einfachen, frommen Muselmanen erklären, daß die
amerikanisch gesteuerte "Globalisierung" zwar zu einer weltumspannenden
Vernetzung, zur Simultanität der Kommunikationsmittel, der
Börsenspekulation und des Medienzirkus geführt hat, daß die konkrete
Verwirklichung von Menschenrechten und Demokratie (dieser westlichen
Ersatzreligion unserer Jahrtausendwende) jedoch, von ganz wenigen
Ausnahmen abgesehen, auf den nordatlantischen Raum zwischen Amerika und
Europa beschränkt bleibt? (
...)