DAS LAIENAPOSTOLAT
von
Papst Pius XII.
MAN PFELEGT HÄUFIG ZU WIEDERHOLEN, die Kirche sei in den letzten vier
Jahrhunderten ausschließlich "klerikal" gewesen, und zwar aus Reaktion
auf die Krise, die im 16. Jahrhundert die Hierarchie schlechthin
beseitigen wollte. Aus diesen Voraussetzungen will man dann folgern,
daß es an der Zeit sei, ihre Kader zu erweitern.
Ein solches Urteil ist der Wirklichkeit fern, da ja gerade seit dem
Tridentinischen Konzil die Laienschaft angefangen hat, sich in die
apostolische Aktion der Kirche einzufügen und einen immer inten-
siveren Anteil an ihr zu nehmen. Man kann sich davon leicht überzeugen;
es genügt, sich allein an zwei geschichtliche Tatsachen zu erinnern: An
die marianischen Männerkongregationen, die das Laienapostolat in allen
Bezirken des öffentlichen Lebens ausüben, und an die zunehmende
Teilnah-me der Frau am neuzeitlichen Apostolat. Dabei ist es wohl
angezeigt, zweier großer Gestalten zu gedenken. Maria Wards, der
unvergleichlichen Frau, die das katholische England der Kirche in
seinen dunkelsten und blutigsten Stunden geschenkt hat, und des
heiligen Vinzenz von Paul, ohne Zweifel eines der größten Gründer und
Förderer der Werke katholischer Karitas.
Man sollte auch den wohltuenden Einfluß nicht übersehen, der von dem
Band ausging, das bis zur Französischen Revolution in der katholischen
Welt die beiden von Gott eingesetzten Autoritäten in engen
Wechselbeziehungen zusammenschloß, die Kirche und den Staat. Die Enge
ihrer Beziehungen auf dem gemeinsamen Gebiet des öffentlichen Lebens
schuf im allgemeinen eine Atmosphäre christlichen Geistes, die zu einem
guten Teil Priester und Laien von der schwierigen Arbeit befreite, der
sie sich heute unterziehen müssen, und die in der wirksamen
Verteidigung des Glaubens und seinem Durchsetzen im Leben besteht.
Entwicklung der Trennung von Kirche und Staat
Mit dem Ende des achtzehnten Jahrhunderts kommt noch ein neuer Faktor
hinzu. Auf der einen Seite die Bildung der Vereinigten Staaten von
Nordamerika - die sich außerordentlich schnell entwickelten und in
denen die Kirche sehr schnell beträchtlich an Lebenskraft zunehmen
sollte -, auf der anderen die Französische Revolution, die in ihren
Auswirkungen innerhalb Europas und jenseits der Ozeane schließlich die
Kirche vom Staat trennte.
Die Trennung hatte, obgleich sie nicht überall in der gleichen Zeit und
auf die gleiche Weise zustande kam, doch das logische Ergebnis, daß die
Kirche ausschließlich mit ihren eigenen Mitteln ihr Wirken, die
Erfüllung ihres Auftrags, die Verteidigung ihrer Rechte und ihrer
Freiheit sicherstellen mußte. Dies war der Ursprung der so genannten
katholischen Bewegungen, die, von Priestern und Laien geleitet und
gestützt auf die Geschlossenheit und die aufrichtige Treue ihrer
Mitglieder, die große Masse der Gläubigen zu Kampf und Sieg führen
wollen. Ist dies etwa keine Einführung und Eingliederung der Laien in
das Apostolat?
Der gestaltlose Haufen der Lauen
Freilich gibt es eine ganze Schar von Lauen, Unentschlossenen und
Ungefestigten, denen die Religion vielleicht noch etwas bedeutet, aber
etwas sehr Unbestimmtes, das nicht den geringsten Einfluß auf das Leben
hat. Dieser gestaltlose Haufen kann, wie die Erfahrung lehrt, von einem
Tag zum andern der Notwendigkeit gegenüber stehen, eine Entscheidung
treffen zu müssen.
All diesen gegenüber hat die Kirche eine dreifache Sendung zu erfüllen:
die Gläubigen so zu führen, daß sie den Forderungen unserer Zeit
entsprechen; jene, die auf der Schwelle zögern, in die gesunde und
heilbringende Nähe des häuslichen Herdes zu führen, jene schließlich,
die sich von der Religion entfernt haben, und die man keineswegs ihrem
beklagenswerten Los überlassen darf, zurückzuführen. - Eine schöne
Aufgabe für die Kirche, die aber dadurch sehr erschwert wird, daß sie
sich zwar im ganzen gesehen stark ausgebreitet, daß sich aber ihr
Klerus nicht im gleichen Maße vermehrt hat. Der Klerus muß sich dazu
vor allem anderen der Ausübung des Priesteramtes selbst widmen, die ihm
kein Laie abnehmen kann.
Der Beitrag der Laien ist also unumgänglich notwendig. Die Erfahrung
der Brüderlichkeit, die unter den Waffen, in Gefangenschaft oder bei
anderen Begebenheiten des Lebens sich vorzüglich im Religiösen
entwickelt, bezeugt den Wert und den tiefen und wirksamen Einfluß der
Gemeinsamkeit von Beruf, sozialer Lage und Lebensbedingungen. Diese und
andere Faktoren, die sich aus den Verhältnissen der Umwelt und der
Einzelperson ergeben, haben der Mitarbeit der Laien am Apostolat der
Kirche die Tore weit aufgetan.
Alle Gläubigen ohne Ausnahme sind Glieder des mystischen Leibes Jesu
Christi. Daraus folgt, daß das Naturgesetz, und noch mehr das Gesetz
Christi, sie verpflichten, das gute Beispiel eines wahrhaft
christlichen Lebens zu geben: "Christi bonus odor sumus Deo in iis qui
salvi fiunt et in iis qui pereunt" - "Wir sind der Wohlgeruch Christi
vor Gott unter jenen, die gerettet werden, und jenen, die
verlorengehen" (2. Kor. 2,15). Alle sind daher gehalten, und heute ganz
besonders, in Gebet und Opfer nicht nur an ihre persönlichen Nöte zu
denken, sondern auch an die großen Ziele Gottes in der Welt, gemäß dem
Geist des Vaterunser, das uns Jesus Christus selbst gelehrt hat.
Nicht alle sind zum Apostel berufen
Kann man behaupten, daß alle in gleicher Weise zum Apostolat im
strengen Sinn des Wortes berufen sind? Gott hat nicht allen die
Möglichkeit noch die Anlagen dazu gegeben. Man kann nicht verlangen,
daß sich den Werken dieses Apostolats die Ehefrau widme, die Mutter,
die die eigenen Kinder christlich erzieht und überdies im Hause tätig
ist, um dem Gatten die Familie ernähren zu helfen. Nicht alle sind also
berufen, Apostel zu sein.
Es ist gewiß schwierig, die Grenzen des Aktionsfeldes des eigentlichen
Laienapostolats abzustecken. Soll man zum Beispiel die Erziehung mit
einbeziehen, die die Mutter in der Familie erteilt, oder die Lehrer und
Lehrerinnen, die voll heiligen Eifers sind in der Ausübung ihres
Erzieherberufes? Oder das Wirken des als solchen bekannten, entschieden
katholischen Arztes, dessen Gewissen keine Zugeständnisse macht, wo das
natürliche und göttliche Gesetz in Frage steht, und der mit allen
Kräften für die christliche Würde der Eheleute wirkt, für die heiligen
Rechte ihrer Nachkommen eintritt? Oder auch das Wirken eines
katholischen Staatsmannes zugunsten einer großzügigen Wohnungspolitik
für die weniger Begünstigten?
Vieles könnte für eine negative Antwort sprechen, wenn man nämlich in
all diesem nur die einfache, höchst lobenswerte, aber pflichtgemäße
Erfüllung der Standesaufgaben erblickt. Wir wissen jedoch, welchen
mächtigen, unersetzlichen Wert diese einfache Erfüllung der
Standespflicht durch Millionen und aber Millionen von gewissenhaften
und vorbildlichen Gläubigen für das Heil der Seelen hat.
Das Laienapostolat in seiner wahren Bedeutung ist ohne Zweifel zum
großen Teil in der Katholischen Aktion und in anderen von der Kirche
gebilligten Werken der apostolischen Tätigkeit organisiert; aber
außerhalb dieser Organisationen kann es geben und gibt es Laienapostel,
Männer und Frauen, die nicht allein das Gute, das zu tun ist, und die
Mittel, es zu verwirklichen, sehen, sondern es auch tun, um dadurch
andere Seelen zur Wahrheit und zur Gnade zu führen. Wir denken auch an
viele vortreffliche Laien, die in den Ländern, wo die Kirche so wie in
den ersten Jahrhunderten verfolgt wird, und die so gut sie es vermögen,
selbst unter Gefahr ihres eigenen Lebens an die Stelle eingekerkerter
Priester treten, Christenlehre erteilen, über das religiöse Leben und
Denken anderen Anweisung geben, zum Empfang der Sakramente und zum
Besuch der eucharistischen Andachten anregen. Alle diese Laien seht ihr
am Werk; fragt nicht erst, welcher Organisation sie angehören,
bewundert vielmehr und erkennt mit herzlicher Dankbarkeit das Gute an,
das sie wirken.
Fern von Uns sei der Gedanke, die Organisationen in ihrer Bedeutung zu
unterschätzen oder sie als Mittel des Apostolats gering zu werten; Wir
schätzen sie hoch ein, insbesondere in einer Welt, in der die Gegner
der Kirche diese mit der geballten Macht eigener Organisationen
bedrängen. Aber sie dürfen nicht zu einer kleinlichen
Ausschließlichkeit führen, zu dem, was der Apostel "explorare
libertatem", die Freiheit belauern, nennt ... (Gal. 2, 4).
Unterordnung und Einordnung
Es versteht sich von selbst, daß das Laienapostolat der kirchlichen
Hierarchie, die eine göttliche Einrichtung ist, untergeordnet sein muß.
Anders denken, hieße vom Fundament her die Mauer untergraben, auf die
Christus selbst seine Kirche gebaut hat.
Es wäre demnach ein Irrtum, im Bereich der Diözese das Laienapostolat
auf eine Linie zu stellen, die parallel zum hierarchischen Apostolat
verläuft, so daß selbst der Bischof das Pfarrapostolat der Laien nicht
dem Pfarrer unterstellen könnte. Er kann es sehr wohl, und er kann
sogar als Regel aufstellen, daß die Werke des Laienapostolats in der
Pfarrei der Autorität des Ortspfarrers unterstehen. Der Bischof hat
diesen als Hirten der ganzen Pfarrei eingesetzt, und als solcher ist er
für das Heil seiner ganzen Herde verantwortlich.
Daß es andererseits Werke des Laienapostolats geben kann, die außerhalb
der Pfarreien und auch außerhalb der Diözesen stehen - Wir würden
lieber sagen: über den Pfarreien und über den Diözesen - in dem Maße
nämlich, in dem es das allgemeine Wohl der Kirche erfordert, ist ebenso
wahr und braucht nicht eigens wiederholt zu werden.
Wenn Wir den Laienapostel, oder, genauer gesagt, den kämpfenden
Christen der Katholischen Aktion mit einem Werkzeug in der Hand der
Hierarchie vergleichen, so soll damit gesagt werden, daß sich die
kirchlichen Oberen seiner in der Weise bedienen sollen, in der sich der
Schöpfer und Herr der vernunftbegabten Geschöpfe bedient, als
Zweitursachen, "mit Milde voller Schonung". Sie mögen sich seiner im
Bewußtsein eigener schwerer Verantwortung bedienen, ihn ermutigen, ihm
Anregungen geben, und guten Willens seine eigenen Vorschläge
aufgreifen, und sie weitherzig gutheißen, wenn immer sie den gegebenen
Anforderungen entsprechen. In den entscheidenden Schlachten gehen die
glücklichsten Anregungen nicht selten von der Front aus. Die Geschichte
der Kirche bietet zahlreiche Beispiele dafür.
Grundlage der apostolischen Arbeit soll das herzliche Einvernehmen
zwischen Priestern und Laien sein. Das Apostolat des einen ist keine
Konkurrenz für das des andern. Tatsächlich gefällt Uns der Ausdruck
"Emanzipation der Laien", von dem man hin und wieder hört, nicht sehr.
Er birgt einen Mißklang in sich und ist geschichtlich ungenau. Waren
denn die großen Führer, auf die Wir hinwiesen, als Wir von der
katholischen Bewegung der letzten hundertfünfzig Jahre sprachen, Kinder
oder Minderjährige, die auf ihre Emanzipation warten mußten? Im Reich
der Gnade werden alle als Er-wachsene betrachtet; und darauf kommt es
an.
Der Appell an die Mitarbeit der Laien rührt nicht her von dem
Schwachwerden oder dem Versagen des Klerus vor der Aufgabe der
gegenwärtigen Stunde. Mag es einzelne Schwächen geben, das ist das
unvermeidliche Elend der menschlichen Natur, sie finden sich auf beiden
Seiten. Aber allgemein ist zu sagen, daß auch der Priester Augen hat,
die ebenso wie die der Laien die Zeichen der Zeit zu sehen vermögen,
und daß sein Ohr nicht weniger empfindlich ist, um den Schlag des
menschlichen Herzens abzuhorchen. Der Laie ist zum Apostolat berufen
als Mitarbeiter des Priesters, als ein oft sehr wertvoller Mitarbeiter,
der notwendig ist, weil der Klerus, wie Wir sagten, zu gering an Zahl,
um seiner Sendung allein zu genügen. 1)
1) Aus der Ansprache an den Kongreß über das Laienapostolat, 14. Oktober 1951
(zitiert nach: Chinigo, Michael: "Der Papst sagt - Lehren Pius' XII." Frankfurt a.M., 1955, S.266-270)
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