Abriß der modernen Geschichte
der katholischen Kirche in Mexiko
In den Jahren 1519-21 eroberte Hernán Cortés Mexiko für die spanische
Krone. Die Reiche der Azteken und Maya mit ihrer hochentwickelten
Kultur, aber auch mit einem Götzendienst, der jährlich bis zu 100.000
Menschenopfer forderte, gingen dabei unter. Die Spanier brachten zwar
das Christentum und die christliche Kultur - mit dem mächtigen Bau der
von der Priesterunion Trento betreuten Wehrkirche in Atlatlahuacan bei
Mexiko City wurde bereits im Jahre 1530 begonnen! -, aber durch ihre
ungerechte Verwaltung kam es zu argen Mißbräuchen und zu Mißwirtschaft.
Die Missionierung der Indianer (1523-1572) wurde ausschließlich den
spanischen Franziskanern (seit 1523), den Dominikanern (ab 1526) und
den Augustinern Eremiten (ab 1533) überlassen, wobei die Missionare
versuchten, die Rechte der Indianer gegen die spanische
Willkürherrschaft zu schützen. Sie erwirkten auch den Erlaß der
päpstlichen Bulle "Unigenitus" vom 2.6.1537 zum Schutz der Indianer.
Die Erscheinung Unserer Lieben Frau von Guadalupe hatte den
katholischen Missionen einen mächtigen Auftrieb gegeben. Im Dezember
1531 erschien die Muttergottes viermal einem Indianer, Juan Diego, der
ein armes, aber sehr reines Leben führte. Auf dem Mantel dieses Juan
Diego hinterließ sie ihr geheimnisvolles Bild. Dieses Bild wird seit
nunmehr vier Jahrhunderten in einer Basilika nahe (heute in) der Stadt
Mexiko sorgfältig aufbewahrt und verehrt.
Unter dem Druck der äußeren Verhältnisse wuchs erst ab dem 17. Jahrhundert ein Einheimischen-Klerus heran.
Seit Beginn des 18. Jahrhunderts wurde die kirchliche Ordnung
erschüttert. Die Ideen der Französischen Revolution (seit 1789) und die
andauernde Einmischung der Vereinigten Staaten in die Innenpolitik des
Landes waren die wichtigsten Ursachen der Anarchie und der Ausblutung
des unabhängigen Mexikos. Denn die Ausbeutung durch die Spanier führte
schließlich dazu, daß sich Mexiko unter dem spanischen General Augustín
de Iturbide, ein Nachfahre der Azteken, von Spanien los-sagte. Doch
Mexiko kam nicht zur Ruhe. Ein Gewirr von Bürgerkriegen zwischen der
konservativ-kirchlichen Partei und der liberalen, freimaurerischen
Militärpartei hielt das Land in Atem.
"Die Diktatur des Präsidenten Porfirio Diaz 1877-81 und 1884-1911
führte das Land zu Ruhe, Entfaltung und Wohlstand zurück. Auch die
Kirche erholte und festigte sich etwas. Der Klerus reorga- nisierte
sich, die älteren Orden kehrten wieder, neuere Kongregationen kamen,
die kirchliche Hierarchie entwickelte sich fort.
Aber der Ausschluß der Katholiken vom politischen Leben, die
kirchenfeindliche Staatsführung und Staatsschule, vor allem die
Agrarfrage (besitzlose Indianermasse neben riesigem Grundbesitz des
Großkapitals, des Staats und konzessionierter ausländischer
Gesellschaften) und die sozialistische Verhetzung und Organisierung der
Arbeiter, deren Führung die Katholiken den Kirchenfeinden überließen,
führten zu neuen Kämpfen. Unter Francisco Madero (1911-13) gründeten
die Katholiken die Katholische Nationalpartei (1913: 500.000
Mitglieder), den Katholischen Nationalverband der Arbeit, den Orden der
Kolumbusritter, die Katholische Vereinigung der mexikanischen Jugend
und die nationale Vereinigung der katholischen Familienväter. Carranza
(mit General Obregón und den carranzistischen Gouverneuren, besonders
Alvarado in Yucatán), der Bandenführer Villa und der ehemalige
Verkäufer Zapata führten beim Kampf gegen die Föderalisten unter dem
Katholiken Huerta und gegeneinander um die Vorherrschaft einen
Ausrottungskrieg gegen Besitzer und Kirche (sakrilegische Verbrechen,
Erpressungen, Mißhandlungen, Morde) und brachten das Land dem Untergang
nahe.
Carranza, 1915 durch die Gunst Wilsons (Präsident der USA) Präsident
geworden, 'legalisierte' den Vernichtungskampf gegen die Kirche durch
die von 30.000 Revolutionären und Freimaurern (3% der Wahlberechtigten)
dem Lande aufgezwungene "reformierte" Verfassung von Querétaro vom
5.2.1917. Sie verlangt konfessionslosen Laienunterricht in allen
Schulen (Art. 3), untersagt Studien in geistlichen Anstalten (Art.
130), verbietet Zölibat, Ordensstand und -gelübde (Art. 5),
gottesdienstliche Handlungen, geistliche Tracht und Abzeichen außerhalb
der Kirchen (Art. 24), unterstellt den Kultus den staatlichen Behörden
(Art. 24 und 130), macht Kirche und religiöse Institute
eigentumsunfähig (Art. 27), erklärt Kirchen, kirchliche und caritative
Anstalten, selbst zukünftige, als Staatseigentum (Art. 27 und 130),
läßt nur in den Staatsschulen herangebildete Mexikaner als Priester zu
(Art. 30), schließt sie von den staatsbürgerlichen und politischen
Rechten (Art 55, 59, 82 und 130) aus, befugt die Bundesstaaten zur
Beschränkung der Zahl der Priester (Art. 130), untersagt der
konfessionellen Presse und den Geistlichen Bericht und Kritik über
öffentliche und staatliche Angelegenheiten (Art. 7), verbietet
politisch-religiöse Parteien (Art. 9), verwirft das kirchliche
Eherecht.
1914 waren fast alle Bischöfe von ihren Diözesen vertrieben, gefangen
oder geflüchtet, 1917 Hunderte von Priestern und Tausende von Nonnen
verjagt und ca. 2.000 katholische Schulen unter-drückt. Unter innen-
und außenpolitischem Druck setzte Carranza die kirchenfeindlichen
Gesetze als "unzeitgemäßen Fanatismus" am 5.2.1919 außer Kraft. Aber
schon 1923 lebte der Kulturkampf unter Präsident Obregón wieder auf. In
grausamer, zum Bürgerkrieg treibender Form führte ihn Präsident Calles
(1924-28) unter dem Einfluß der kommunistischen Arbeiterpartei;
gleichzeitig förderte die Regierung die schismatische "Mexikanische
orthodoxe Katholische und Apostolische Kirche" und die protestantischen
Sekten. Seit 1925 entfernte Calles die Katholiken aus dem Staatsdienst
und unterdrückte die Reste der katholischen Presse. Anfang 1926 führte
er die antireligiösen Gesetze durch. Die Seelsorgegeistlichen wurden
auf ein unmögliches Maß beschränkt, 1926 alle katholischen
Privatschulen geschlossen, die ausländischen Priester und Ordensleute
unter skandalöser Behandlung deportiert und alle Kirchengüter
"nationalisiert".
Die fünf katholischen Verbände schlossen sich zur Liga der religiösen
Verteidigung zusammen. Am 2.2.1926 richtete Pius XI. einen Brief an die
Bischöfe Mexikos. Am 21.4.1926 veröffentlichten 31 mexikanische
Bischöfe ein Hirtenschreiben gegen die Verfolgung und zur Reform der
Verfassung. Daraufhin erließ Calles am 1.6.1926 33 verschärfende
Bestimmungen (s. Osservatore Romano vom 5.8.1926) zum Artikel 130. Sie
verbieten unter schwersten Strafen u.a.: Amtshandlungen ausländischer
Geistlicher (Art. 1, 2); Religionsunterricht sowie Gründung und Leitung
von Elementarschulen durch Geistliche oder religiöse Körperschaften
(Art. 3-5); alle Ordensniederlassungen und Ordensgelübde (Art. 6);
religiöse Handlungen, geistliche Tracht und religiöse Abzeichen
außerhalb der staatlich überwachten Kirchen (Art. 17, 18), Grundbesitz
und Kapitalien der Kirchen (Art. 21), erklären erneut alle Kirchen,
Bischofsresidenzen, Seminarien, Asyle, Kollegien, Klostergebäude sowie
sonstigen Gebäude mit religiösem Zweck als Staatseigentum (Art. 22).
Die Petition der Bischöfe gegen das Religionsgesetz verwarf der
Kongreß. Da die mexikanischen Bischöfe die besonders verlangte
Zivilregistrierung des Klerus zwecks staatlicher Auswahl der
zugelassenen Priester ablehnten, aber auch die Priester durch
Kultusausübung ohne behördliche Ermächtigung nicht härtesten Strafen
aussetzen wollten, suspendierten sie auf den 31.7.1926 für ganz Mexiko
den öffentlichen Kultus. Die Regierung erwiderte mit Wegnahme aller
Kirchen und kirchlichen Gebäude; die Bischöfe wurden ausgewiesen,
gefangengesetzt, die verborgenen verfolgt. Gegen "Übertretungen" der
verfassungswidrigen Gesetze gingen Polizei und Soldateska mit
schwersten Bußen, Gefängnis, grausamen Martern und selbst Tötung
vor.
Von den 4.493 Geistlichen in Mexiko blieben fast alle standhaft und
wählten Verbannung, Versteck und Tod. Den wenigen zugelassenen Priestem
machten gesetzliche Schikanen ihr Amt fast unmöglich. Die Kirche
Mexikos wurde zur Katakombenkirche. Heldenmütig starben Priester,
Ordensleute und Laien für den Glauben, eine große Anzahl nach
grauenvoller Mißhandlung. Von der Katholi-schen Vereinigung der
Mexikanischen Jugend z.B. wurden über 100, im Jahre 1926 allein über
147 Priester getötet.
Aus höchster Notwehr eröffneten Klerus und Laien den passiven
Widerstand durch Boykott der Staatskassen, des Handels und Verkehrs,
der religionslosen Schulen, der liberalen Zeitungen und der Geschäfte
der Kirchenfeinde, enthielten sich von Luxus, Lustbarkeiten,
Genußmitteln, Vergnügungen und zeigten öffentliche Trauer. Gegen die
Mahnung der Bischöfe schritt das verzweifelte Volk mancherorts,
besonders 1926 unter General Gonzáles, zum Aufstand gegen die illegale
Regierung, wodurch deren Vorgehen gegen die "Libertadores" ("Befreier")
einen gesetzlichen Anschein gewann.
Als mexikanische Martyrer seien (in alphabetischer Reihenfolge) genannt:
Florentino Alvarez von León, am 10.8.1927 erschossen wegen Führung eines christlichen Arbeitersyndikates;
Rafael und sein Sohn Vicente Azevedo, im August 1926 zu Tlaxiaco erschossen wegen Verteilung von Flugblättern;
Pfarrer Luis G. Batiz mit Manuel Morales, Salvador Lara und David Roldán am 15.8.1926 zu Chalchihuites ermordet;
Manuel Bonilla, am 15.4.1927 zu Toluca gekreuzigt und erschossen;
Manuel und Rafael Campos von Momax, am 22.8.1926 mit dem reuigen
Callisten Benjaminito Díaz wegen Verweigerung des Abfalls vom Glauben
erschossen;
Maria Guadalupe Chairez, im Februar 1927 in Victoria zu Tode gemartert wegen Befreiung gefangener Katholiken;
Priester Mateo Correa, am 29.1.27 zu Durango erschossen als Opfer des Beichtgeheimnisses;
der 88jährige Priester Martin Díaz, 1927 zu Purificación ermordet;
Pfarrer Miguel Díaz von Autlán, im Februar 1927 gehängt;
Vikar Fernando Escoto von San Juan de los Lagos, am 3.5.1927 getötet;
Kaufmann José García Farfán in Puebla, am 21.7.1926 erschossen wegen Auslage von ka-tholischen Propagandazetteln;
Rechtsanwalt Anacleto Gonzáles Flores, (dessen Sohn zusammen mit
Bischof Carmona im Jahre 1982 hier in München S.E. Mgr. Ngô-dinh-Thuc
besuchte und die spanische Übersetzung der DECLARATIO besorgte) mit
Román und José Vargas, wegen Glaubensverteidigung in Wort und Schrift
gefoltert und am 1.4.1927 zu Guadalajara ermordet;
Priester Miguel Guizir, im Mai 1927 in Michoacán getötet wegen Spendung der letzten Ölung;
José López, am 1.9.1927 zu Arandas der Zunge beraubt, gefoltert und erschossen;
Pfarrer Miguel López von Durango, im November 1926 erschossen wegen Beschützung einer Jungfrau vor einem lüsternen General;
Pfarrer Pedro López von Pueblo Nuevo, im Dezember 1926 ermordet;
Pfarrer Vicente López von Tenancingo im Mai 1927 in Mexiko erschossen;
Pfarrer Cristóbal Magallanes von Totatiche, mit Augustín Sánches am 25.5.1927 in Colotlán erschossen;
Bischof José Manríquez y Zárate von Huejutla, im August 1926 im Gefängnis von Veracruz "tot aufgefunden";
Manuel Melgarejo (17jährig) und Joaquín de Silva, am 12.9.1926 wegen religiöser Propaganda zu Zamora erschossen;
Seminarist Tomás de la Mora von Colima, 16 Jahre alt, am 5.8.1927 wegen katholischer Propaganda gehängt;
die 18-27jährigen Sodalen (Mitglieder einer katholischen Bruderschaft)
Nicolás Navarro, Ezequiel Gómez, José Gallardo und Salvador Vargas, am
3.1.1927 zu León zu Tode gemartert;
Elias Nieves Auger von Cañada, am 9.3. 1928 wegen priesterlichen Wirkens erschossen;
Lehrerin Juliana Olazar, im Januar 1928 zu Huajuapam erschossen, weil sie mit eigenem Leibe Kruzifixe vor Schändung schützte;
der heroische Miguel Pro SJ mit seinem Gefährten, am 23.11.1927 in Mexiko erschossen;
Pfarrer Pedro Razo von Dolores, am 17.7.1928 wegen Messelesens mit seinem Sakristan Jeronimo erschossen;
Priester Saba Reyes zu Totatlán drei Tage und Nächte gemartert und am
14.4.1927 lebendig verbrannt und erschossen, weil er den Aufenthalt
seines Pfarrers nicht verriet;
Vikar Genaro Sánchez von Tamazulita, am 12.1.1927 gehängt und erstochen;
Priester José Sánchez von Palmillas, am 24.4.1927 gehängt;
Pfarrer Secondino Sánchez von Cocula, am 24.4.1927 zu Mascota umgebracht;
Priester Sedano von Ciudad Guzmán, am 7.9.1927 wegen verborgener Seelsorge an den Füßen geschunden, gehängt und erschossen;
Telegraphist Teodoro Segovia, am 13.1.1927 wegen katholischer Propaganda erschossen;
der Claretiner Andrés Solá von León, durch ein Erstkommunionbild als Priester erkannt, am 28.4.1927 erschossen;
José Vargas, im März 1927 zu Morelia getötet wegen Austragens des Sonntagsblattes;
David Maduro Vertiz SJ, am 13.2.1929 zu Parras wegen Austeilung des Aschenkreuzes erschossen.
Unter Präsident Portes Gil kam am 22.6.1929 ein Modus vivendi zustande:
die Zivilregistrierung des Klerus wurde auf die von den geistlichen
Obern anerkannten Priestern beschränkt, die Bischöfe konnten
zurückkehren und der Gottesdienst in den öffentlichen Kirchen
aufgenommen werden. Am 21.12.1931 setzte jedoch die Regierung die Zahl
der Priester und Kirchen für Staat und Bundesdistrikt Mexiko auf 25
(für 1 l/4 Millionen Einwohner), für Niederkalifornien auf zwei
Priester fest; alle anderen Bundesstaaten waren mit ähnlichen
Bestimmungen vorausgegangen oder folgten (z.B. Tabasco für 1/4
Millionen Seelen nur einen, Chiapas für l/2 Millionen vier, Vera Cruz
für 1,4 Millionen dreizehn Priester).
Mit Gesetz vom 15.10.1934 führte die Regierung in den Schulen
atheistische und sozialistische Erziehung (mit brutaler sexueller
Aufklärung) ein. Gegen den energischen Widerstand der Katholiken mit
friedlichen und verfassungsmäßigen Mitteln verschärfte sie ihre
Maßnahme. Die Abgeordneten-kammer beschloß die Ausweisung aller
Bischöfe. Der Oberste Gerichtshof ermächtigte am 31.10. 1934 den Staat,
jeden kirchlichen Besitz im Verwaltungswege einzuziehen. Mehrere
Staaten vertrieben ihre Bischöfe und Priester, einzelne schlossen
sämtliche Kirchen, andere begrenzten die Zahl der Priester widersinnig.
In einer Reihe von Staaten ist (1935) kein Gottesdienst mehr möglich.
Die meisten Kirchen sind "eingezogen". Am 1.3.1935 waren in ganz Mexiko
nur noch 197 Priester zugelassen. Der Glaubenskampf forderte 1926-35
etwa 5.300 Opfer (darunter 300 Priester).
Die Kirchenverfolgung in Mexiko nach bolschewistischen Grundsätzen und
Methoden vollzog sich unter Mitwirken des Kommunismus, der
Freimaurerei, der protestantischen Sekten Mexikos, vor allem aber unter
dem Schutz des Totschweigens bzw. der Verleumdung der liberalen
Weltpresse und zivilisierten Welt. Ansprachen und Apostolische
Schreiben Pius' XI. (darunter Anordnung eines Gebetskreuzzugs für den
1.8.1926), die katholische Presse und die Proteste der Katholiken aller
Länder suchten das Weltgewissen wachzurufen. Außer den Fehlern des
frühen Missionswerkes sowie zu weit gehender Bindung der Kirche an den
Staat in der spanischen Zeit mag der Kirche und den Katholiken Mexikos
der Vorwurf treffen, daß sie allzu konservativ waren, die sozialen und
wirtschaftlichen Mißstände nicht rechtzeitig erkannten und nicht
teilnahmen an der Politik der sozialen Ordnung, zu spät und ungenügend
eine katholische Presse und katholische Organisationen schufen,
mangelhaft an Wahlen und öffentlichem Leben teilnahmen."
("Lexikon für Theologie und Kirche", Hrsg: Dr. Michael Buchberger, 7. Bd, Freiburg i.Brsg. 1935, Col. 151ff.)
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