¡VIVA EL CHRISTO REY!
- STATIONEN EINER REISE DURCH MEXIKO -
von
Eberhard Heller
Der kirchliche Widerstand in Mexiko gegen die moderne "Revolution von
oben" schöpfte und lebt auch heute noch aus der lebendigen Erinnerung
an die Zeit der freimaurerischen Revolution in den 20iger Jahren, aus
den Erfahrungen der religiösen Verfolgung jener Jahre, in denen viele
Priester und Laien ihr Zeugnis für ihren Glauben mit dem Leben
bezahlten, die mit dem Ruf "Es lebe Christus, der König!" starben. Die
heutigen Nachfahren dieser Märtyrer stehen keinem Erschießungskommando
gegenüber, keine Salven durchsieben sie, aber sie wissen, wofür sie
leben, für wen sie einstehen: für Christus, für Christus, der wie
selbstverständlich ihr Leben durchzieht und gestaltet!
Die Anreise
Nachdem ich aus Zeitgründen der Einladung zur Konsekration von Mgr.
Dávila im Mai vergangenen Jahres nicht folgen konnte, aber auch, weil
der Rahmen einer solchen Feierlichkeit für die weiteren Absichten, die
ich mit einem Besuch in Mexiko verbinden wollte, denkbar ungeeignet
gewesen wäre, starteten wir endlich Ende Februar dieses Jahres zu dritt
- Herr Dr. Klominsky aus der Tschechischen Republik, Redakteur der
Zeitschrift TRIDENT, mein Sohn Bernhard und ich - in jenes ausgedehnte
Land, dessen Kirchenkampf entscheidend durch die theologischen Vorgaben
eines Pater Saenz y Arriaga und die unerschrockene Persönlichkeit von
Bischof Carmona geprägt worden war. Es sollte für mich die erste große
Reise sein, die ich in Angelegenheiten unseres Kirchenkampfes unternahm
und die mich in jenes Land führen sollte, aus dem wir u.a. als Gäste
den liebenswerten Bischof Carmona, aus dem wir Bischof Zamora und Herrn
Gonzalez Flores empfangen hatten, dessen Vater bei der 20iger
Revolution als Führer der kath. Jugend für den Glauben sein Leben
gelassen hatte und erschossen worden war..., dessen Bild unser Münchner
Zentrum geziert hatte und welches wir dann wiedersehen sollten in einem
Konferenzsaal in Guadalajara.
Eine ganze Reihe von Vorbereitungen mußte getroffen werden. Meine Frau
hatte die Reise in Absprache mit Bischof Dávila gut organisiert, die
Flugrouten festgelegt und die Abflugszeiten der mexikanischen
Fluggesellschaft recherchiert, die Tickets besorgt. In den Wochen vor
der Reise hatte ich mich auf der Fahrt zur Arbeit bemüht, noch einige
Brocken Spanisch zu lernen, die verschiedenen Diskussionsthemen mußten
festgelegt und durchdacht werden.
Voll innerer Spannung starteten wir unsere Reise am 19. Februar in der
Früh: zunächst von München nach Frankfurt, wo wir die Maschine nach
Mexiko bestiegen. Zwölf Stunden sollte die Flugzeit eigentlich
betragen. Doch wegen starker Turbulenzen über dem Ozean mußte das
Flugzeug einen Umweg über Island und Grönland nehmen. Unter uns, 10.000
Meter tiefer, breitete sich eine weiße Wüste aus, Schnee und Eis,
gegliedert durch Kämme, Gebirge, Ebenen, zugefrorene Seen,
stundenlang über endlose Weiten. Über Kanada korrigierte der Pilot
wieder die Route, die man auf einem Monitor verfolgen konnte. Jetzt
ging es weiter in direkter südlicher Richtung. Wir überflogen die
Vereinigten Staaten. Unter uns immer dieses gleichförmige Weiß,
gelegentlich unterbrochen vom Mäander eines Flusses. Irgendwann
verfärbte sich dieses Weiß in Grau, Graubraun, dazwischen später sogar
einige Flecken grün. Es wurde Abend. Ich packte meinen Fotoapparat und
das Lehrbuch für Spanisch weg, aus dem ich noch einige Lektionen
wiederholt hatte. Endlich kreiste das Flugzeug über einem riesigen
Lichtermeer, welches sich in der Ferne verlor: unter uns lag Mexiko
City, Ciudad de Mexico: einschwenken auf die Landebahn, und schon
rollte die Maschine aus. Wir kamen verspätet an, wir flogen mit
Verspätung nach Acapulco weiter, wo uns am Flughafen Pater Martin und
Herr Oskar erwarteten... bereits seit über drei Stunden. Nach einer
kurzen Fahrt im Auto öffnete sich hinter einem Bergrücken plötzlich die
Bucht von Acapulco, von dessen Ufer sich ein ungeheueres Lichtermeer
bis hoch in die Berge erstreckte, hoch hinaus, wo die letzten Hütten
der drei Millionen Einwohner der Stadt an den Fels geklebt sind. Der
Anblick war überwältigend.
Als wir endlich im Hotel Quartier bezogen hatten, war es Mitternacht,
nach einer Reise von über 23 Stunden... und draußen herrschten noch
immer 27 °C, plus!... und das nach einem schier endlosen Flug über Eis
und Schnee. In Acapulco gibt es nur eine Jahreszeit: Sommer - im
Januar, dem 'kältesten' Monat, rechnet man mit einer
Durchschnittstemperatur von 27 °C, im Juli von 29 °C. Daß Acapulco eine
der bekanntesten Touristen- und Vergnüngsstädte Mexikos ist, bezeugte
das Dröhnen der Disco-Musik bis weit in die Nacht...
Bischof Dávila
Für den nächsten Tag, einem Sonntag - war nach dem Besuch der Messe in
der von Bischof Carmona erbauten Kirche "de la Divina Providencia" (zur
Göttlichen Vorsehung) das Treffen mit Mgr. Dávila vorgesehen. Die
Räumlichkeiten des Bischofs befinden sich hinter der Kirche. Die
Begrüßung verlief zunächst recht förmlich, doch dann lockerte sich die
Atmosphäre recht bald. Anfängliche Sprachbarrieren waren bald
überwunden: der Bischof versteht etwas Englisch, ich konnte mit meinen
kürzlich erworbenen Spanischkenntnissen operieren, ansonsten übersetzte
Herr Oskar, der lange in Amerika gearbeitet hatte und stolz berichtete,
auch schon die Gespräche zwischen den Bischöfen Pivarunas und Dávila
gedolmetscht zu haben. Wir steckten die Themen ab, die wir behandeln
wollten: eine neue "Erklärung" zum Wiederaufbau der Kirche (die
Behandlung dieses Themas sollte in Hermosillo erfolgen), Reunierung der
Gläubigen, Sektiertum der sog. Thuc-Bischöfe, Ko-operation in der
Propaganda, Unterstützung, Studium im Seminar - und wir legten das
Reiseprogramm für die kommende Woche fest, welches wir gemeinsam
bewältigen wollten: Dos Caminos, Atlatlahuacan/Mor., Mexiko City,
Tampico, Hermosillo und Guadalajara.
Was sich bei der ersten Begegnung bereits andeutete und sich dann im
Laufe des weiteren Zusammenseins bestätigte: Bischof Dávila ist ein
zurückhaltender, umsichtiger Priester, der seine Verantwortung für die
Kleriker der Union Trento und die ihm anvertrauten Gläubigen sehr ernst
nimmt.
Nach diesem ersten Gespräch zeigten uns Pater Martin, den wir wegen
seiner Fahrkünste in dem turbulenten Verkehr von Acapulco einen
"Schuhmacher segundo" nannten, und Herr Oskar, unsere Sprachstütze, die
touristischen Attraktionen der Stadt.
Dos Caminos
Am nächsten Tag fuhr Bischof Dávila mit uns in das etwa 40 km von
Acapulco gelegene 1000-Seelen-Dorf Dos Caminos, dessen Einwohner sich
in der überwiegenden Mehrheit - ca. 80% - zum wahren Glauben bekennen,
weswegen die schöne alte Dorfkirche der Union als Pfarrkirche übergeben
wurde. Pater Martin, der vor seinem Theologiestudium Taxifahrer war,
schleuste uns wie tagszuvor geschickt durch das Straßen- und
Verkehrschaos. Etwas außerhalb der Stadt gab es noch einen kurzen
Halt... und eine herzliche Begrüßung mit einer Familie, die dort einen
Obstladen betreibt. Mitten in einer Reihe solcher Obstgeschäfte
befindet sich eine offene Kapelle, die von den Priestern in Acapulco
mit betreut wird. Wie uns Pater Martin berichtete, befinden sich in den
Vororten rund um Acapulco noch etliche solcher Kapellen, wo die
Priester-Union ebenfalls die Seelsorge übernommen hat.
Debatte über die kirchliche Situation
Nach einer kurzen Begrüßung des Pfarrers von Dos Caminos besichtigten
wir dessen barocke Kirche St. Jakob d.Apost. Eigentliches Ziel unserer
Fahrt war aber der dort angesiedelte Schwesternkonvent, dessen Oberin,
eine Amerikanerin, das erste intensivere Gespräch mit Bischof Dávila
dolmetschen sollte. Die Aufnahme bei den Schwestern in den bescheidenen
Räumlichkeiten war überaus herzlich: Ein "Willkommen" in deutscher
Sprache prangte uns auf einer Schultafel entgegen. Während mein Sohn
sich um die Problem-Kinder bemühte, die von den Schwestern betreut
werden, entwickelte sich zwischen Bischof Dávila , Herrn Dr. Klominsky
und mir ein sehr offenes und sachliches Gespräch über die allgemeine
kirchliche Situation und die von mir vorgetragenen Anliegen.
Sprachbarrieren - und damit verbunden: Verständigungsprobleme -
tauchten nicht auf: Schwester Maria sprach ein ausgezeichnetes
"Englisch" und übersetzte flüssig ins Spanische. Für mich etwas
überraschend war die Unbefangenheit, mit der sich Bischof Dávila auf
die vorgetragenen Probleme und Vorstellungen einließ, die ihm aber
zugleich auch die Freiheit der Distanz ermöglichte. Hier nun die
Themen, die wir besprochen haben:
- Reunierung der weltweit zerstreuten Gemeinden und Gläubigen - die
diesbezüglichen Bemühungen von Bischof Carmona sollten unbedingt
fortgeführt werden. Ich vertrat die Auffassung, daß diese Aufgabe ein
Bischof übernehmen sollte, der sich ausschließlich diesem Anliegen,
welches enorme Anforderungen an die betreffende Person und deren
Kommunikations- und Integrationsfähigkeit stellen würde, widmen sollte.
Meiner Meinung nach wäre es gut, wenn ein solcher Bischof aus der
Umgebung von Mgr. Carmona käme, der an dessen Bemühungen und
Intentionen am besten anknüpfen könne. Für Bischof Dávila, der zum
Zeitpunkt des Gespräches gerade einmal ein dreiviertel Jahr sein Amt
ausübte, war es sicherlich neu und überraschend, daß an ihn und die von
ihm vertretene mexikanische Priesterunion die Forderung nach
Verantwortlichkeit für die Gesamtkirche gestellt wurde. Für ihn war es
aber kein Problem, die Dringlichkeit und Wichtigkeit der Reunierung
anzuerkennen, ohne die es - auch nach seiner Meinung - zu einer
sektiererischen Zerspaltung des Widerstandes der rechtgläubigen
Katholiken kommen würde. Auch in Mexiko gäbe es neben der Union Trento
andere sedisvakantistische Gruppierungen, die nicht mit dieser
zusammenarbeiten würden. Solche Anliegen müßten aber in einem größeren
Rahmen behandelt werden.
- In diesem Zusammenhang kamen wir auf ein Thema zu sprechen, deren
Behandlung auch in Mexiko ansteht, nur hat es dort nicht die gleiche
Dringlichkeit wie bei uns: die Unterwanderung durch sektiererische sog.
Thuc-Bischöfe (d.s. Bischöfe - oder sogenannte -, die in irgendeiner
Sukzessionslinie zu Mgr. Ngô-dinh-Thuc stehen und schon deshalb meinen,
als rechtgläubige Bischöfe legitimiert zu sein). Als nach der Weihe von
Bischof G. des Lauriers die Rede auf die weiteren, von Mgr.
Ngô-dinh-Thuc geweihten Bischöfe kam, war die Meinung von Mgr. G.des
Lauriers, sie zu ignorieren. Das war falsch: inzwischen ist durch diese
- die sog. oder wirklichen Thuc-Bischöfen - ein sektiererischer Sumpf
angelegt worden, in dem es von geweihten oder nicht-geweihten oder
vielleicht-geweihten Klerikern, klerikalen Betrügern und Scharlatanen
nur so wimmelt (ich denke da u.a. an Herrn Roux, den man in Frankreich
nur noch Bischof Tartüff nennt). Diesen Sumpf gälte es auszutrocknen;
denn der wahre Widerstand ist in Gefahr, in diesen mit hineingezogen zu
werden, weil die Priester, unsere Priester! und die verantwortlichen
Laien für die Meßzentren nicht die genügende Sorgfalt bei der
Kooperation mit unbekannten Klerikern bisher haben walten lassen. Ich
berichtete über unsere Anstrengungen, insbesondere von den Bemühungen
Herrn Jerrentrups, durch genaues Verfolgen der jeweiligen Sukzession
die "Spreu vom Weizen zu trennen", d.h. zu eruieren, ob ein Kleriker
gültig, zweifelhaft oder direkt ungültig geweiht wurde und ob er
rechtgläubige oder sektiererische Intentionen verfolge. Solche Kleriker
würden auch in Mexiko auftreten, berichtete Bischof Dávila. Aber sie
hätten bisher noch kein Patentrezept, diesen Personen zu begegnen. Es
wurde vereinbart, daß wir der Union Trento unser bisheriges Material
zur Verfügung stellen und daß wir uns gegenseitig informieren wollen,
um Einschleusungen zu vermeiden.
- Propaganda für den Glauben: um eine
Zersplitterung der doch begrenzten Leistungsfähigkeit zu vermeiden,
wurde eine bessere Abstimmung bei der Bearbeitung neuer Themen, die
Kooperation der verschiedenen Publikationsorgane und der Austausch von
wichtigen Beiträgen vereinbart.
- Im Verlauf unseres Gespräches wurde von mir auch die Frage nach einer
finanziellen Unterstützung der PRIESTERUNION TRENTO und ihren
Bemühungen im Glaubenskampf gestellt. Eine Antwort wollte Bischof
Dávila erst nach der Konferenz in Hermosillo geben, nachdem er mit
seinen Konfraters gesprochen habe.
- Das Studium im Priesterseminar in Hermosillo wurde angesprochen, die
Behandlung dieses Themas aber auf den Besuch im Seminar verschoben.
- Annahme von Meßstipendien aus Europa: hier signalisierte Bischof
Dávila Interesse, zumal er - wie er später sagte - zusichern könne, daß
die bestellten hl. Messen recht schnell gelesen werden könnten.
Weiterhin galten meine Fragen auch der Situation der UNION in Mexiko.
Und hier erfuhr ich von Bischof Dávila, daß er auch Sorgen habe..., daß
er sich dieser Aufgaben zunächst annehmen und sie Schritt für Schritt
zu einem Ergebnis führen müsse. Die Priesterunion Trento müsse sich
weiter konsolidieren und den Aufbau neuer Gemeinden vorantreiben. Er
könne sich unter Vernachlässigung seiner eigenen 'Hausaufgaben' nicht
Problemen widmen, die ihn und die UNION vorerst überfordern würden.
Während des Chorgebetes machten wir noch einen Rundgang durch den Ort,
um dann mit Schwester Maria und einer amerikanischen Mitschwester im
alten Ford Transit des Convents nach Acapulco zurückzufahren: am
nächsten Tag wollten wir zusammen mit Bischof Dávila in diesem Auto
quer durch die Sierra Madre del Sur - ein Gebirge, welches sich östlich
von Acapulco bis zu einer Höhe von über 3000 m aufbaut - nach Mexiko
City fahren.
Unterwegs nach Mexiko City
Die beiden Schwestern wechselten sich bei der eintönigen, stundenlangen
Fahrt über den kürzlich eröffneten Highway ab, der sich von der
Pazifikküste durch eine herbe, einförmige, verdorrte
Hochgebirgslandschaft zieht, hier und da unterbrochen oder akzentuiert
von graugrünen Stangenkakteen. Es war heiß, die Luft trocken. Wir
Europäer wurden von Schwester Maria darauf aufmerksam ge-macht zu
trinken, viel zu trinken, ansonsten werde man krank. Die Schwestern
hatten vorgesorgt: Trinkwasser hatten wir genug mitgenommen. (Das
normale Wasser in Mexiko ist ungenießbar; man benutzt zum Trinken und
zum Kochen eigens aufbereitetes Wasser.) Während der Fahrt machte uns
Bischof Dávila auf verschiedene Dörfer aufmerksam, in denen Priester
der UNION oder andere, die sich ihr angegliedert hatten, ihr
Seelsorgeamt ausüben.
Der alte Ford tat seine Dienste. Gelegentlich mußten die beiden
Schwestern jedoch beweisen, daß sie nicht nur den Rosenkranz in den
Händen halten konnten, sondern auch wußten, wie man mit einem
Schraubschlüssel umgeht. Und dann geschah etwas bewegendes: bei einer
kurzen Rast an einer Tankstelle mitten in der Gebirgsödenei wurden
Bischof Dávila und die Schwestern ganz unerwartet von einem Soldaten
angesprochen, der hier auf Wache stand. Wie sich herausstellte, gehörte
er zu den Traditionalisten und hatte bei der Renovierung der Kirche von
Dos Caminos mitgearbeitet.
Es war schon fast dunkel, als wir vor den Toren von Mexiko City die
mächtige Kirche von Atlatlahuacan aus dem Jahre 1530 erblickten, die
eher einer Festung glich - 1530, das waren gerade einmal knapp 40 Jahre
nach der Entdeckung Amerikas durch Christoph Columbus! An das
eigentliche Kirchengebäude waren ein Kreuzgang und mehrere Wohnräume
angegliedert, und dieser imposante Komplex war weiträumig mit einer
Wehrmauer umgeben. Die Union Trento, der diese Kirche vom Staat
überlassen worden war, weil die Mehrheit der Stadtgemeinde sich für den
tradierten Glauben entschieden hatte, muß nun - mit staatlichen
Mitteln zwar! - die Kirche renovieren und dabei den kunsthistorischen
Dekor freilegen... d.h. Bischof Dávila darf sich nun auch noch mit der
Geschichte der sakralen Kunst seines Landes vertraut machen!
Spät abends gelangten wir nach Mexiko City: ein Häusermeer, in dem über
23 Millionen Menschen leben (sollen). Die Stadt wächst stetig, immer
mehr Slamsiedlungen gliedern sich ein, weil die Landflucht sehr groß
ist. Während Bischof Dávila bei Bekannten übernachtete, waren Herr
Klominsky, Bernhard und ich in einem Hotel in der Nähe der Kathedrale,
direkt im Zentrum untergebracht, und dort herrschte Ruhe. Am nächsten
Morgen besichtigten wir zusammen die Kathedrale, deren Niveau sich
abgesenkt hat, nun aber wieder angehoben werden soll, den berühmten
Zocal, den größten Stadtplatz der Welt, die Straßen in der Umgebung des
Domes, in denen ein ungewöhnlich reges Markttreiben herrschte.
Auffallend war die Omnipräsenz des Militärs, das in seinen
kugelsicheren Westen vor sich hin schwitzte. Die Schwestern brachten
uns danach zum Flughafen, wo Bischof Dávila bereits auf uns wartete.
Tampico
Weiter ging's nach Tampico an der Karibikküste. Der Flug dorthin galt
einzig und alleine dem Besuch unserer alten Freundin und Mitstreiterin
Frau Gloria Riestra. Von einer ihrer Freundinnen wurden wir am
Flughafen abgeholt. Mit Frau Riestra, der großen Dichterin und
Schriftstellerin, die wie kaum jemand religiöse Erlebnisse,
Erfahrungen, Hoffnungen und Gefühle sprachlich verdichten kann,
verbinden mich über 20 Jahre Kooperation in unserem Kirchenkampf:
eisernes Durchhalten, Bangen, Enttäuschungen, aber auch Momente der
Freude. Sie, die ehemalige Sekretärin eines Bischofs, war lange Zeit
die Beraterin von Bischof Carmona und die Seele der Zeitschrift TRENTO,
deren Redaktion nun Pater Pérez übernommen hat. Nach den Jahren des
Brief- und Telephonkontaktes war dieser Besuch nun die erste
unmittelbare Begegnung. Ich hatte mich auf eine etwas ältere Dame über
70 eingestellt, die wegen ihrer Krankheit in mehrerer Hinsicht auf
Rücksichtnahme angewiesen sein würde...und mich gründlich
verkalkuliert! Geistige Frische, Konzentrationsfähigkeit und Ausdauer
verbunden mit einem ungebrochenen Willen, an der Lösung der kirchlichen
Probleme auch in der Zukunft mitzuarbeiten, traten uns entgegen.
Das einzige Thema unserer englisch geführten Debatte bildete das
Problem der Wiederherstellung der Kirche. Frau Riestra ging gleich in
medias res: Papstwahl, wie ich mir diese vorstellen würde. Erst als
mein Sohn mich darauf aufmerksam machte, daß ich dieser Frage dauernd
ausweichen würde, trug ich meine Meinung zu diesem Problem und seiner
Lösung vor: eine Papstwahl könne nicht isoliert, sondern nur im
Zusammenhang mit dem Problem der Restituierung der Kirche als
Heilsinstitution gesehen werden. Die Debatte über die grundlegende
Konstitution der Kirche sei noch nicht zu Ende geführt worden,
ebensowenig die Diskussion über eine damit verbundene Papstwahl, wobei
in diesem Zusammenhang auch die praktische Durchführung und die
Bedingungen dazu erst theoretisch erörtert, d.h. aus den prinzipiellen
Möglichkeiten dazu abgeleitet werden müßten. Weil diese Diskussion noch
nicht zu Ende geführt worden wäre, seien bisher alle Versuche einer
Papstwahl kläglich gescheitert. Die Abenteuer eines Herrn Bawden, die
Wahl von Linus II. hätten unserer Sache nicht nur geschadet, sondern
sie vor allem lächerlich gemacht. All diese Überlegungen, die den
großen Enthusiasmus etwas bremsten, taten aber der Freude dieses Abends
und der Debatte keinen Abbruch, und auch Herr Dr. Klominsky und mein
Sohn wurden von dieser Spontaneität angesteckt. Sie werde ihren großen
Freundes- und Bekanntenkreis mobilisieren, um zum 'großen Gefecht' zu
blasen, versprach uns Frau Riestra. Zum Abschied dieses unvergeßlichen
Abends schenkte sie uns noch ihre letzthin erschienene
Gedichtsanthologie.
Hermosillo
Es war wiederum spät geworden an diesem Abend. Am nächsten Morgen
mußten wir sehr früh aus den Betten, um unsere Reise fortzusetzen. D.h.
wir mußten erst zurück nach Mexiko City fliegen - weil der
inner-mexikanische Flugverkehr sternförmig von dort zentral organisiert
ist -, um nach Hermosillo weiterzufliegen. Direktflüge von einer Stadt
zur anderen gibt es nur wenige. Auf dem Flug nach Hermosillo merkten
wir, daß Mexiko ein wirklich großer Staat ist. Wenn man von Cancun an
der Karibik, dem südöstlichsten Punkt, nach Tijuana im äußersten
Nordwesten, an der Grenze zu den USA, fliegen wollte, müßte man drei
Zeitzonen überqueren. Bis Hermosillo, unserem nächsten Ziel im Norden
von Mexiko, in der Sonora, waren es ca. 2000 km und 'nur' zwei
Zeitzonen. Nach gut drei Stunden Flug hatten wir unser Ziel erreicht.
Am Flughafen wurden wir vom Seminarleiter, Pater Francisco, Pater Luis,
Herrn Lopez, dem Rektor einer Privatschule, dem Lehrer für Philoso-phie
am Seminar und Herrn Martin Gonzales, der uns dolmetschen sollte,
empfangen. Im Gegensatz zu Tampico, wo es so schwül war, daß ich mich
fast in Wasserdampf auflöste, ist das Klima in Hermosillo sehr trocken.
Im Sommer, so berichteten später die Seminaristen, herrschen in dieser
Gegend Temperaturen bis zu 45 °C. Die Stadt mit ihren 800 000
Einwohnern liegt in einer Landschaft, die mich an Szenen aus einem
Wildwestfilm erinnerten. Die Häuser, meist im Bungalow-Stil gebaut,
sind schachbrettartig durch Straßen gegliedert, die sich an den Felsen
'brechen', die plötzlich steil aus der Hochebene aufragen... und sieben
Jahre hatte es hier nicht mehr geregnet!
Den Besuch in Hermosillo - wo die Priester-Union eine große Gemeinde
betreut, die ihre eigene Pfarrkirche gebaut hat - und später im
Priesterseminar, hatte Bischof Dávila besonders gut organisiert, sollte
doch hier die Konferenz über eine von uns, d.h. von Fr. Krier, Herrn
Jerrentrup und mir, im Konzept vorgelegte "Erklärung" stattfinden,
durch die eine neue Plattform für die Reunie-rung der Gläubigen
gefunden werden sollte. Selbst eine theologisch qualifizierte
Dolmetscherin hatte er zu dieser Konferenz eingeladen: Frau Prof.
Varela, die mehrere Jahre in Köln Musikwissenschaften studiert hatte.
Zu dieser Konferenz waren auch Fr. Krier aus Modesto/USA und Pater
Daniel Pérez aus Ciudad Juárez, an der Grenze zu den USA gelegen, wo er
eine größere Gemeinde mit einer eigenen Pfarrkirche betreut, angereist.
Fr. Krier hatten wir seit seinem letzten Besuch in Deutschland vor
eineinhalb Jahren nicht mehr gesehen. Daß wir uns hier wieder treffen
würden, wer hätte das gedacht! Mittlerweile hatte er sogar Spanisch
gelernt. Pater Pérez war vor der Wahl von Bischof Dávila Oberer der
Priesterunion gewesen und hatte davor lange Zeit das Priesterseminar
geleitet.
Besuch im Seminar
Gegen Abend fuhren wir alle zusammen zum Seminar, welches eine halbe
Autostunde außerhalb von Hermosillo mitten in dem kargen Land liegt.
Hier draußen war die Dürre der letzten Jahre besonders zu spüren: die
Vegetation vielfach abgestorben, die Erde trocken und hart. Staub
wirbelte auf, als die Autos in die unbefestigte Straße einbogen, die
schließlich zum Seminar führte. Diese verdorrte Natur bildete gleichsam
den stärksten Kontrast zu dem überaus herzlichen Empfang, den die
Seminaristen ihrem Bischof und uns Besuchern boten. Die achtzehn jungen
Männer, die dort ihr Studium absolvieren und sich auf die Weihe
vorbereiten, bilden eine gemischte Truppe aus allen Provinzen Mexikos.
Die Ausbildung umfaßt nicht nur das reine Theologiestudium, welches in
der Regel acht Semester dauert, sondern diesem vorgeschaltet ist noch
ein Gymnasialjahr mit der Vermittlung eines komprimierten Lehrstoffes,
da die Ausbildung an den öffentlichen Schulen in Mexiko anders verläuft
als bei uns.
Die äußeren Bedingungen sind spartanisch: das Leben ist bescheiden.
Soweit möglich versorgen sich die Seminaristen selbst. Sie sind in
Stockbetten untergebracht, dem Leiter und den Lehrern werden
Einzelbetten zugestanden. Diese Umstände bedeuten für jeden ein
erhebliches Maß an Disziplin, Selbstbeschränkung und Rücksichtnahme...
Tugenden, die sie später befähigen sollen, selbständig und auch einmal
allein an der 'Front' zu stehen, sensibel für die Sorgen und Nöte der
anderen. Das Studium wird begleitet von einer intensiven religiösen
Betreuung: hl. Messe, Stundengebet und Lesungen; aber auch körperlicher
Ertüchtigung - die Berge stehen gleichsam vor der Tür. Daneben erwerben
die Seminaristen während ihres Studiums praktische Erfahrung in der
Seelsorge. Einige geben in der Stadt den Kindern Religionsunterricht,
bereiten die vielen Jungen und Mädchen auf die erste hl. Kommunion vor.
Aber auch die besonderen Talente der einzelnen werden gefördert und
eingesetzt. So hat z.B. einer der Seminaristen die Pläne für die
zukünftige Seminarkapelle entworfen und die Bauzeichnungen erstellt -
ich habe leider vergessen, mir davon Kopien geben zu lassen. Die
Begegnung mit den jungen Leuten war für uns alle ausgesprochen
erfrischend, besonders für meinen Sohn, der sich in diesem Kreis bald
aufgehoben wußte. Wir lernten offene junge Menschen kennen, die hier
ohne klerikalistische Verbiegungen zu selbständigen Persönlichkeiten
und Priestern geformt werden.
An zwei Abenden haben wir mit ihnen in einer offenen und interessierten
Atmosphäre diskutiert. Father Krier und ich konnten ihnen Auskünfte
geben über unsere Erfahrungen, über die Zusammenarbeit mit S.E. Mgr.
Ngô-dinh-Thuc, über die Konsekration der ersten Bischöfe - warum sie
geheim durchgeführt wurden bzw. werden mußten, über die Entstehung der
DECLARATIO von 1982, über die kirchliche Situation in Europa, über die
Unterschiede der thomistischen und der Transzendentalphilosophie. Dabei
erwies sich Fr. Krier neben Herrn Martin Gonzales als eifriger
Dolmetscher. Um seine Latinos in Las Vegas zu betreuen, hatte er in den
letzten Jahren Spanisch gelernt.
Nach dem derzeitigen Ausbildungsstand könnten von diesen 18
Seminaristen in den nächsten drei Jahren 12 zu Priestern geweiht
werden, wie uns Bischof Dávila informierte.
Die Konferenz
Am nächsten Morgen fand in dem von Herrn Lopez geleiteten Gymnasium die
bereits erwähnte Konferenz statt, in der über ein von Fr. Krier, Herrn
Jerrentrup und mir entworfenes Thesenpapier beraten werden sollte,
welches inhaltlich an die DECLARATIO von Mgr. Ngô-dinh-Thuc anknüpfte
und diese hinsichtlich der Aufgaben einer Reunierung fortführte. Die
spanische Übersetzung, die dankenswerterweise Frl. Maria Theresa Moser
besorgt hatte, war den Teilnehmern schon vorher durch Bischof
Dávila zugeschickt worden. An dieser Konferenz nahmen teil: Bischof
Dávila, Pater Pérez, P. Francisco Jimenez, der Seminarleiter, P. Luis,
Spiritual des Seminars, Fr. Krier, Frau Prof. Varela, der Lehrer für
Philosophie am Seminar - der Name ist mir leider entfallen -, Herr
Lopez, Herr Dr. Klominsky und ich. Frau Varela, die einige Jahre in
Köln studiert hatte und sehr gut Deutsch sprach, erwies sich als
ausgezeichnete Dolmetscherin, die mein gedankliches Konstruieren, auch
in schwierigen Passagen, rasch nachvollziehen und spanisch
ausformulieren konnte. Das Thesenpapier wurde zügig beraten.
Mißverständliche Termini in der vorgelegten spanischen Übersetzung
waren bald ausgeräumt. Fr. Krier und ich hatten keinerlei Bedenken,
gewünschte Änderungen zu akzeptieren, die in der Tat zur theologischen
Präzisierung bzw. zum besseren Verständnis beitrugen. Über einige
Passagen wurde auch kontrovers diskutiert. Es ging nicht so sehr um die
sachliche Richtigkeit darin, sondern um die Möglichkeit der
didaktischen Vermittlung, weshalb diese Aussagen für eine allseits
anerkannte Plattform ungeeignet seien. Wegen der
theologisch-kirchlichen Relevanz der umstrittenen Passage stimmte man
endlich auch diesem Teil der Erklärung zu, wobei ich versprach, die
Diskussion mit den angesprochenen Personen aufzunehmen, von denen
befürchtet worden war, daß sie Verständnisschwierigkeiten haben würden.
Im weiteren Verlauf der Debatte konnten wir auch die Probleme der
kirchlichen Situation in Europa ansprechen und besonders auf die
Führungslosigkeit hier hinweisen, auf das mangelnde Engagement der
meisten unserer traditionellen Kleriker, die sich nicht als Männer der
Kirche, sondern eher als Privatpersonen darstellten, unfähig und
unwillig zur Kooperation nicht nur mit den Laien, sondern auch
untereinander. Eine Priestervereinigung wie die PRIESTERUNION TRENTO,
die klar gegliedert sei, die ausgearbeitete Programme auch umsetzen
würde, die intensive Seelsorge betreiben würde, gäbe es bei uns nicht.
Dieses Verhalten würde mit der Zeit unweigerlich zum völligen
Sektierertum, von welchem der Widerstand schon unterwandert sei, und
zum bloßen Nischen-Christentum führen. Hier wurde überlegt, ob man eine
gewisse Verantwortung für die Gläubigen in Europa übernehmen könne.
Pater Pérez konnte sich das gut vorstellen: "Wir wurden von den
Franziskanern und Dominikanern aus Europa missioniert, warum solle das
nicht auch einmal in umgekehrter Richtung funktionieren." Wie eine
solche Kooperation mit dem europäischen Klerikern aussehen könnte,
wurde nicht mehr diskutiert.
Die finanzielle Unterstützung aus Europa - und darüber wurde auch offen
gesprochen - werde Bischof Dávila folgendermaßen einsetzen: 60% für das
Seminar, je 20% für die Wiederherstellung der kirchlichen Einheit und
die religiöse Propaganda (Kooperation mit der Zeitschrift TRENTO,
Austausch von Artikeln, Absprache der zu berarbeitenden Themen,
Weitergabe von Informationen, insbesondere über Sektierer,
Sonderschriften).
Bischof Dávila überlegte, ob er nicht einen seiner Kleriker zur
weiteren Ausbildung nach Europa senden solle, damit er Kirchenmusik
studieren und sich im gregorianischen Choral ausbilden lassen solle.
Erinnerungen an Mgr. Carmona
Während unseres Aufenthaltes in Hermosillo wurden wir von verschiedenen
Familien zum Essen eingeladen, die schon lange zu den Katholiken
gehören, die in Bischof Carmona auch ihre geistige Autorität gefunden
hatten. Es wurde viel erzählt, von den Verhältnissen in Europa im
Unterschied zu denen in Mexiko - was wir davon bereits gesehen
hatten... und immer wieder kamen wir dann auch auf Bischof Carmona zu
sprechen - egal, ob hier in Hermosillo und später auch in Guadalajara.
Er hat nicht nur seine Seminaristen zu Priestern geformt, sondern auch
den Gläubigen landesweit jenes Gottvertrauen geschenkt, das sie all die
vielen Unzulänglichkeiten ertragen ließ und noch läßt. Er hat sie - so
meine ich - eher durch seine eigene tiefe Religiosität und persönliche
Wärme gewonnen, durch seine eigene feste Überzeugung, die ihm dann auch
das Vermitteln schwieriger Sachverhalte erleichterte, als durch bloße
theologische Spekulation. Er hat ihnen Zuversicht eingeflößt, indem er
sich ihrer persönlichen Anliegen annahm. Auch wenn er häufiger Opfer
seiner eigenen Vertrauensseligkeit wurde und - das muß man
gerechterweise auch sagen - fehlerhafte Personalentscheidungen
getroffen hat, so überwogen doch seine persönliche Unmittelbarkeit,
seine Unerschrockenheit und Furchtlosigkeit, auch bei massiven
Drohungen gegenüber seinem Leben, seine mittragende und mitleidende
Güte, die auch sein Gesicht prägten. Dies waren die entscheidenden
Momente, durch die er in Mexiko den Widerstand maßgeblich aufgebaut und
gestützt hat. Für mich persönlich besonders einprägsam waren seine
Augen, die eine ungeheuere Geduld ausstrahlten. Ich habe sie in Mexiko
häufiger gesehen, bei den Kirchenbesuchern, bei Arbeitern auf dem Land,
bei jenem Soldaten, der an einer Tankstelle Posten stand, Augen voll
Wehmut, die hoffend viel Leid ertragen können, die stumm am Gewissen
der anderen hängen bleiben, ohne anzuklagen... Einmal begegnete
ich ihnen bei einer Bettlerin am Strand von Acapulco, wo wir nach einem
Gespräch mit Bischof Dávila hingegangen waren. Wir brauchten ein wenig
Ruhe. Ich hatte ihr etwas Geld gegeben, doch sie blieb stehen, hielt
die Hand weiter auf und schaute mich stumm an. Ich versuchte ihr klar
zu machen, daß ich ihr doch schon etwas gegeben hätte... ihr trauriger
Blick blieb unverändert an mir hängen... Stunden später stellte ich
fest, daß mich ihre Augen immer noch ansahen, und ich fühlte Scham,
kleinlich gewesen zu sein.
Guadalajara
Es hieß Abschied nehmen von Hermosillo, von Fr. Krier, von Pater Pérez,
Frau Varela, von Martin, der sich mit Bernhard angefreundet hatte, von
den Patres Francisco und Luis, Abschied nehmen auch von den vielen
Kindern, denen ein Seminarist Unterricht im Schatten der Kirche erteilt
hatte. Unsere nächste Station war Guadalajara. Der Flug dorthin war
angenehm, zunächst ging es entlang der Pazifikküste: rechts das
tiefblaue Meer, das sich an dem felsigen Strand brach, links das Land,
braun bis ocker, verbrannt, verdorrt. Wenn man diese Landstriche sieht,
kann man die Landflucht verstehen, die die Zentren wie Mexiko City und
auch die Außenbezirke von Guadalajara ausufern lassen, ihnen
Elendsviertel bescheren, wo sich ein Slum an den anderen reiht.
Wir wurden vom Flughafen abgeholt und gut untergebracht. Guadalajara
liegt auf einer Hochebene, ca. 1500 m hoch. Man kann es eine schöne
Stadt nennen. Ich gewann den Eindruck, als ob Guadalajara das
eigentlich Zentrum des religiösen Widerstandes in Mexiko sei, wo die
Sedisvakantisten fünf Meßzentren besitzen. Nachmittags wurde dann noch
eifrig in einem kleinen Kreis von Personen diskutiert, die sich
besonders im Kirchenkampf engagiert und ausgezeichnet hatten. In diesem
Kreis präsentierte Bischof Dávila auch die Entwürfe für die neue
Seminarkapelle. Fragen, die uns gestellt wurden, galten sehr gezielt
den kirchlichen Verhältnissen in Europa. Man wollte die Möglichkeit
einer Kooperation mit den dortigen Klerikern sondieren. Leider konnte
ich solchen Planspielen wenig Nahrung bieten, denn den Klerus in
Deutschland mußte ich mit "independent" (unabhängig) eher zurückhaltend
beschreiben. Ich war etwas erstaunt, daß es in Guadalajara, welches
eine sehr entscheidende Rolle während der Freimaurer-Revolution in den
20iger Jahren gespielt hatte, wo es sogar eine katholische
Untergrund-Universiät gegeben hatte, durch die das intellektuelle
katholische Mexiko geprägt worden war, kein eigenes publizistisches
Organ gab.
In Guadalajara machten wir auch die Erfahrung, daß Religion und Geld
durchaus zusammengehen können, daß das eine zur Unterstützung und
Durchführung des anderen großzügig eingesetzt wird... eine Symbiose,
die bei uns fast undenkbar erscheint: entweder Religion oder davon
separiert: Geld. Sicherlich gibt es unter den sog. Traditionalisten bei
uns auch Personen, die Geld haben, aber die setzen es nicht ein für
religiöse Zwecke. Mein Sohn machte mich gleich zu Beginn der Debatte
darauf aufmerksam, daß unsere Gesprächspartner Personen mit nicht
unerheblichen finanziellen Mitteln sein müßten - er hatte ein Gespür
dafür schon als Schüler entwickelt, stammten doch etliche seiner
ehemaligen Klassenkameraden aus wohlhabenden, ja reichen Familien.
Es wurde schon langsam dunkel, als wir die Sitzung beendeten und uns
durch den Abendverkehr quälten, um noch ein Zentrum etwas außerhalb der
Stadt zu besichtigen. Der Besuch dort wurde für mich zu einem
großartigen, unverhofften Erlebnis. Nach einer halben Stunde Fahrt
gelangten wir schließlich zu einem breiten Hügel, der von einer Kirche
und einem kompletten Kulturzentrum (Konferenzsaal, Bibliothek,
Exerzitienhaus mit klosterartigen Zellen, kleines Museum für sakrale
mexikanische Kunst) gekrönt war. Über Treppen, die terassenförmig in
das felsige Gelände eingeschnitten waren und von Blumen überrankt
wurden, gelangte man auf den Vorplatz vor der Kirche, wo sich an diesem
Abend schon eine recht vornehme Gesellschaft versammelt hatte... zu
einer Hochzeitsmesse. Und während wir in dem Konferenzsaal, der wie ein
Amphitheater angelegt war, das Bild von dem als Martyrer geltenden
Gonzales Flores entdeckten, welches auch in unserem alten Münchener
Meßzentrum gehangen hatte, und von der Bibliothek aus noch einen
wunderbaren Ausblick auf das Lichtermeer der 6-Millionen Stadt
genossen, erklang aus der offenen Kirche nebenan Mozarts
"Krönungsmesse". Es war für mich wie ein Widerhall aus längst
vergessenen, untergegangenen Zeiten, welcher hier den Sprung zurück in
die Wirklichkeit wagte... in Mexiko! Das gesamte Zentrum war von der
Familie unseres Gastgebers und deren Freunden errichtet und der
Priesterunion Trento zur Betreuung übergeben worden.
Abschied
Am nächsten Morgen wurden wir zum Gottesdienst in einem der
Meßzentren in der Stadt abgeholt, dessen Ausstattung uns wieder an
vergleichbare Einrichtungen in Europa erinnerte. Auffallend war für uns
Europäer, daß neben dem obligatorischen Schriftenstand auch eine
Suppenküche in der Eingangshalle aufgebaut war, um die Armen und
Bettler zu versorgen. Bischof Dávila zelebrierte ein Pontifikalamt,
wobei er Pater Martin, der uns so gut durch Acapulco gelotst hatte, als
neuen Kaplan für Guadalajara vorstellte, während der bisherige
Geistliche, P. Merardo Loya, nach Acapulco versetzt werden
sollte. (N.b. indem die Priester die Pfarrstellen häufiger
wechseln, vermeiden sie einen höchst schädlichen Personenkult, das
Entstehen der berüchtigten 'Priesteranbetungsvereine'.) Es gab ein
kurzes Wiedersehen mit P. Martin, danach hieß es Abschied nehmen von
Bischof Dávila, mit dem wir gut eine Woche unterwegs durch Mexiko
gewesen waren. Wir konnten in dieser Zeit eine Menge Probleme
besprechen. Er hat uns mit vielen Personen bekannt gemacht, die alle
mit-helfen wollen, diese geistig-religiöse und kirchliche Krise zu
bewältigen. Wir haben wieder etwas von dem erfahren, was das
katholische Leben auch früher vor dem Konzil für uns ausmachte:
Eingebundensein des Religiösen in den Alltag, Gläubige, die mit ihrer
Religion leben, Gläubige, die wirkliche Gemeinden bilden... und nicht
elitäre Nischensteher sind wie bei uns... einfach ein bißchen
Kirchen-Normalität.
Nach einem Besuch in einem Vorort von Guadalajara, wo wir noch
mexikanisches Kunsthandwerk kennenlernten, flogen wir nach Mexiko City
und von dort über Nacht nach Deutschland zurück. Müde, etwas ausgelaugt
kamen wir an, aber - Gott sei Dank - wohlbehalten. Mexiko, die
Priesterunion Trento mit ihrem Bischof Dávila, Frau Riestra, Pater
Pérez und all die vielen Freunde, die Seminaristen, die Kinder von
Hermosillo, die erarbeiteten Konzepte zur Fortführung unseres
Kirchenkampfes, das gewonnene - und hoffentlich auch: geschenkte -
Vertrauen... all das bleibt in unseren Herzen, und auch die Beziehung
zu diesen Personen bleibt, um - wenn es Gottes Wille ist - mit ihnen am
Wiederaufbau der Kirche zusammenzuarbeiten.
* * *
Für Ihre eventuellen Kontakte die folgende Adressen:
Oberer der Priesterunion Trento: H.H. Bischof Martín Dávila Gándara
José Valdez Arévalo # 29
Acapulco, Gro. - Mexiko
Tel.: 0052-74-821362, Fax: 0052-74-834632, e-mail: obmdavila@latinmail.com
Rektor des Priesterseminars: H.H. Prbro. Francisco Jímenez
Banómichi 242, Col. López Portillo
C.P. 83104 Hermosillo, Sonora - Mexiko
Tel.: 0052-62-586380, Fax: 0052- 62-149088
Redaktion der Zeitschrift TRENTO: H.H. Prbro. Daniel A. Pérez Gómez
Calle Peral # 553 Sur, Col. Insurgentes
C.P. 82150 Cd. Juárez, Chih.
Tel.: 0052-16-152539, Fax: 0052-16-134562
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