"... und ich plädiere für die schwarzen Kutten"
Priesterschwund und allgemeines Priestertum
im Lichte des Hohenpriestertums Christi
– Betrachtungen eines Laien –
von
Gerd-Klaus Kaltenbrunner
Nicht nur der Begriff des Priestertums, sondern auch die Gestalt des
Priesters selbst ist den Menschen unserer Zeit fremd geworden. Die
Soutane als Zeichen eines sakramental vermittelten
Aus-der-Welt-genommen-Seins gibt es kaum noch im alltäglichen
Straßenbild. Vorbei sind die Jahrhunderte, in denen das fußlange
Obergewand oder die sogenannte Priestertoga als zeitloses Sinnzeichen
sacerdotaler Existenz, als Erfordernis geistlichen Anstands, ja sogar
als heiligmäßiges und zu heiligem Wandel anspornendes Festgewand galt.
Die profane Mode mochte noch so wetterwendisch wandelbar sein, wodurch
ihr notwendigerweise immer zumindest ein Hauch des Launenhaften,
Liederlichen und Lachhaften anhing; dagegen die zugleich Schutz, Würde
und asketische Distanz zu modischer Willkür und Wankelfüßigkeit
anzeigende Priesertracht, deren Schwarz nicht unbedingt an Todesfall
und Trauerflor, wohl aber mit geziemendem Ernst an die "letzten Dinge"
gemahnte.
Wie erhebend kann nicht nur für Träger des geistlichen Habits, sondern
auch für jene Weltleute, die solcher ansichtig werden, der naheliegende
und zum Rekapitulieren des Heiligenkalenders einladende Gedanke sein:
So wie dieser vor mir stehende Kirchenmann war auch ein Giovanni Bosco,
ein Jean-Baptiste-Marie Vianney, ein François de Sales, ein Filippo
Neri, ein Clemens Maria Hofbauer, eine kaum zu zählende Schar von
Priester-Heiligen gekleidet ...
Solche Augenblicke und Gedankenverknüpfungen stellen sich immer
seltener ein, weil man nur ausnahmsweise im gewöhnlichen Leben Männern
begegnen kann, die sich durch ihre schlichte Robe augenfällig als
Priester, als Nachfolger der Apostel, als durch sakramentale Weihe und
charakteristische Lebensführung ausgezeichnete Gottesdiener und
Gnadenvermittler erweisen. Man kann viele Jahre in einer Stadt wohnen,
ohne jemals einen mit Soutane angetanen Geistlichen getroffen zu haben.
Obwohl es noch - wenngleich immer weniger - Priester gibt, sind sie,
anders als Polizisten oder Eisenbahnbedienstete, schon seit langem
nicht mehr einfach durch ihre Standestracht in unserer Lebenswelt
präsent. Nur in älteren Filmen, wie "Don Camillo und Pepone", "Der
Kaplan von San Lorenzo", "Die Glocken von St. Anna" oder "Das Jahr des
Herrn", gelegentlich auch in meist anzüglichen und schnöden Karikaturen
tauchen traditionsgemäß gewandete Priester auf. Der vor Jahrzehnten in
Kreisen konservativer Intellektueller gern zitierte Ausspruch des
akatholischen Lyrikers Gottfried Benn ist in seiner
provozierend-prägnanten Sinnbildlichkeit jüngeren Leuten heute
vermutlich völliges Abrakadabra: "... und ich plädiere für die
schwarzen Kutten."
Der einem protestantischen Pfarrhaus entstammende Dichter und Arzt
Gottfried Benn wollte mit diesem herausfordernden Wort seinen
intellektuellen Ekel vor jener schieberischen Betriebsamkeit bekunden,
mit der, wie man so sagt, Geschichte gemacht wird.
Der Priester als berufener Vermittler
"Ich plädiere für die schwarzen Kutten" - somit für die priesterliche
Existenz, die sich als solche auch nach außen hin, also phänotypisch
erzeigt. Was aber ist Priestertum wesentlich? Priester zu sein heißt
zuerst und vor allem: Mittler, Vermittler zu sein. Wo ein Priester als
Priester waltet, sind immer drei in Seinem ewig-heiligen Namen vereint:
Gott, der Mensch als der Gottesgnade bedürftiger Gottsucher und endlich
der Vermittler zwischen beiden.
Warum aber gibt es Vermittler zwischen Gott und Mensch, warum muß es
sie geben? Lassen wir alle religionsgeschichtlichen Rückblicke und
Vergleiche beiseite, die leicht in die Irre führen. Begnügen wir uns
damit, im Anschluß an Daniel Feuling O.S.B. festzustellen, daß es
außerhalb der Offenbarung, das heißt einer übernatürlichen Wahrheits-
und Willensbekundung des Einen und Dreifaltigen, kein authentisches
Priestertum geben könne, sondern nur Sehnsucht nach dem Priester und
Priesterersatz, Pseudopriestertum, vielerlei Versuche und Ansätze zum
Priestersein, niemals aber von Gott selbst bestellt und eingesetzte
Priesterlichkeit (wie dies schon Jahrhunderte vor der Anordnung des
aronitisch-levitischen Priestertums bei Melchisedech offenkundig der
Fall war).
Wenn also gefragt wird, warum es Priester als Vermittler zwischen Gott
und Menschen geben müsse, dann können wir, wenn wir offenbarungstreu
und überlieferungssinnig sind, nur dies antwor-ten: Priester gibt es
einzig deshalb, weil und wenn Gott es so will, daß in Seinem Namen -
das sei ein für allemal hervorgehoben! - ein Mensch in Gotteskraft dem
anderen Helfer sei zu dessen Seelenheil im Gottesgnadenleben. Das
Priestertum des Alten wie des Neuen Bundes verdankt seinen Ursprung
göttlicher Stiftung.
Der Gottmensch als Hoherpriester
Da das Priestertum Israels erloschen ist - Rabbiner sind keine
Priester! -, gibt es nur noch ein christliches, von Christus
eingesetztes, durch Teilhabe am Hohenpriestertum des Gottmenschen
geheiligtes Priesteramt. Christus, wahrer Gott und wahrer Mensch,
Opferpriester und Erlösungsopfer zugleich, ist auch im Himmel Priester:
Sacerdos in aeternum, Priester nach der Ordnung des Melchisedech, von
dem es im Hebräerbrief heißt, eo quod maneat in aeternum, sempiternum
habet sacerdotium, "weil Er (Christus) ewig bleibt, hat Er ein ewiges
Priestertum". Christus ist die Urgestalt heiliger Priesterlichkeit, der
Hierarch kat'exochen.
Es ist möglich, daß in der Endzeit dem zur kleinen Herde
zusammengeschmolzenen Volk des Neuen Bundes das gleiche widerfährt, wie
vor zwei Jahrtausenden dem Volk Moses' und der Propheten: der Untergang
des Priestertums im Vollsinn des Wortes. Viele Zeichen sprechen dafür,
daß uns dieser Entzug auferlegt werden wird. Aber völlig priesterlos
würden wir auch dann nicht sein.
Auch wenn das christliche Priestertum durch drastischen Rückgang der
Berufungen oder durch mas-senhafte, sozusagen "ökumenische" Apostasie
oder schließlich durch das Aussterben gültig geweihter und in
apostolischer Sukzession stehender Bischöfe erlöschen sollte, so würde
es weiterhin Kirche geben, die Kirche, welche es nur in der Einzahl
gibt. Der Herr des Evangeliums hat nicht verheißen, daß bis zum Ende
der Welt Priester Sein Andenken durch Opfer und Wandlung sakramental
begehen würden. Jeus hat unmißverständlich ausgesprochen, daß der von
Daniel vorausgesagte "Greuel der Verwüstung an heiliger Stätte" sich in
den Tagen der Endzeit wiederholen werde. Die Zerstörung des Jerusalemer
Tempels wird ihre Parallele in den letzten Tagen der Christen haben.
Das Gericht nimmt ja, wie der Heilige Petrus aufs bestimmteste erklärt,
"seinen Anfang am Hause Gottes (1. Petrus 4,17). Dann heißt es
"fliehen", also die bisherige Anhänglichkeit an irdische Heiligtümer
aufzukündigen. Auch keine Christus-Verkündigung auf Erden soll uns noch
gefangennehmen, "denn es werden falsche Christus und falsche Propheten
aufstehen und große Zeichen und Wunder wirken, um, wenn möglich, auch
die Auserwählten zu verführen" (Matthäus 24, 15-28). Dies aber hat Er
hingegen ausdrücklich zugesagt: "Und siehe, Ich bin bei euch alle Tage
bis zu Vollendung der Weltzeit (aion)" und "Wo zwei oder drei
versammelt sind in Meinem Namen, da bin Ich in ihrer Mitte" (vgl.
Matthäus 28,20; 18,20).
Wir dürfen diesen gerade heute tröstlichen Worten des Herrn entnehmen,
daß er in priesterloser Zeit, als das überirdische Haupt der Kirche,
uns als unfehlbarer Hoherpriester beistehen werde.
Als erhöhter Gottmensch, von dem sich alles irdische Priestertum
ableitet, wird Er auf vielfache, wunderbare und heute nur ahnungsweise
zu erkennende Weise das der herkömmlichen Hirten beraubte "Volk Seiner
Weide, die Herde Seiner Hand" untrüglich leiten. Darauf können wird
gerade im Weltalter der Priesterdämmerung uneingeschränkt und
hoffnungsfroh bauen. Den Vorwurf vergrämter
Zeitgeistlichkeits-Kritiker, wer so denke, sei ein "heiterer
Apokalyptiker" würde ich geradezu als christlichen Ehrentitel auffassen.
Das allgemeine Priestertum als Rettungsanker?
In der Lage, in der wir uns vorfinden, ist es notwendiger denn je, sich
darauf zu besinnen, daß das geflügelte Wort "Wir sind (die) Kirche"
nicht nur eine häretische und zersetzende, sondern auch eine ganz
glaubenstreue, orthodoxe und dogmatisch einwandfreie, ja apostolische,
weil christozentrische Auslegung zuläßt. Bedeutsam ist in diesem
Zusammenhang, daß die Idee des allgemeinen Priestertums durchaus keine
modernistische Flause darstellt. Sie ist vielmehr vom allerersten
Papst, den der Herr des Evangeliums höchstpersönlich berufen hat, in
seinem ersten Hirtenbrief feierlich pronunziert worden (vgl. 1. Petrus
2,9):
"Vos autem genus electum, regale sacerdotium, gens sancta, populus
acquisitionis, ut virtutes annuntietis ejus, qui de tenebris vos
vocavit in admirabile lumen suum." - "Ihr aber seid ein auserwähltes
Geschlecht, eine königliche Priesterschaft, ein heiliges Volk, ein
Volk, das dazu bereitet ist die Mächte (oder auch: die
Vortrefflichkeiten, Vollkommenheiten. G.-K.K.) dessen zu verkünden, der
euch aus Todesdunkel in Sein wunderbares Licht berufen
hat."
Soweit die vom Heiligen Geist eingegebenen und von höchster
apostolischer Autorität bekräftigten Worte des Märtyrer-Papstes Petrus
I. Es ist somit eine geoffenbarte Wahrheit, daß neben dem besonderen
oder hierarchischen Priestertum auch ein allgemeines Priestertum
besteht. Dieses allgemeine Priestertum kommt jedem Menschen zu, der der
Gnade der Taufe teilhaftig ist und eben dadurch zum mysticum corpus
Christi gehört. Kraft dieses sacerdotium generale kann jeder und jede
Gläubige, unter den entsprechenden Voraussetzungen, jene zwei
Sakramente spenden und empfangen, die für das Heil des Einzelmenschen
und den Fortbestand des Menschengeschlechts im ganzen unabdingbar sind,
weshalb sie nach dem Willen des Allerhöchsten nicht an das besondere
Priestertum und dessen Amtswalter gebunden sein sollten: Taufe und Ehe,
jenes "sacramentum magnum", wie es im Brief an die Epheser heißt, "ein
großes Mysterium im Hinblick auf Christus und die Kirche" (5,32).
Fürbitte, Sühne, Mit-Leiden als priesterliche Aufgaben
Das allgemeine Priestertum umfaßt jedoch noch mehr, insbesondere in
Zeiten der Verwirrung, des Abfalls und des hierarchisch nicht mehr zu
behebenden kirchlichen Notstands. Jeder und jede Gläubige ist dazu
berufen, in Freiheit und Gnade an zwei erhabenen hohepriesterlichen
Tätigkeiten Jesu Christi wirksam teilzuhaben. Wir dürfen, können und
sollen Anteil haben sowohl am hohenpriesterlichen Fürbittgebet als auch
an der von Ihm vollbrachten Sühne und Genugtuung. Alles Beten und alles
Leiden, Mitleiden im Namen dessen, der auf ewig in der Herrlichkeit des
Vaters ist, gerät dem mit Glaube, Hoffnung und Liebe begnadeten
Getauften zu priesterlichem Tun und Opfer. Für das Beten gilt dies in
allerhöchstem Maße, wenn wir uns tagtäglich an die Psalmen und Hymnen
halten, durch die Er selbst kundgetan hat, auf welche Weise er
vorzüglich angebetet werden will.
Als Betende haben wir Anteil am königlichen Priestertum dessen, der
sich selbst als Opfer dargebracht und Seine Jünger das Hauptgebet der
Christenheit gelehrt hat.
Über kurz oder lang wird es, wenn nicht ein Wunder geschieht, kein
authentisches besonderes Priestertum mehr geben. Bereits heute ist es
in nicht wenigen Fällen fraglich, ob diejenigen, welche den sogenannten
Eucharistiefeiern vorstehen, überhaupt Priester im kanonischen, im
überlieferten katholischen Sinn sind. Um so wichtiger ist es, die hohe
Tugend der discretio spirituum, der Unterscheidung der Geister (1.
Korinther 12,10), kraftvoll zu üben und zu pflegen. Wie könnten wir
dies besser als durch Lesen älterer Bücher, seien es nun Heiligenleben
oder gründliche Biographien von heiligen Priestern oder die Werke der
deutschen Mystik. Wer beispielsweise den "Gesandten der göttlichen
Liebe" der Heiligen Gertrud kennt, dem wird gewiß nicht entgangen sein,
wie oft die große Mystikerin, aus den verschiedensten Gründen,
priesterlichen Beistand und Teilnahme am Meßopfer entbehren mußte. Wie
sie diesen Entzug dank Beistand des ihr zugeneigten Gottessohnes auf
glaubenstreue und geistesfruchtbare Weise überstanden hat, kann man
ihrem beglückenden Werk entnehmen.
Zu erinnern ist auch an einen heiligmäßigen Mann, der uns zeitlich
näher steht: Robert Mäder (1875-1945), dessen Geburtstag sich am
siebenten Dezember 2000 zum hundertfünfundzwanzigsten Male jährt.
Robert Mäder war ein begnadeter, von apostolischem Feuer durchglühter
Priester und ein theologischer Schriftsteller, dessen Sprachgewalt an
die von Männern wie Joseph Görres, Zacharias Werner, Sebastian Brunner,
Johann Emanuel Veith, Heinrich Abel S.J., Rupert Mayer S.J., Juan
Donoso Cortés und Jean Dominique Lacordaire O.P: heranreicht. Mäder hat
über dreißig Jahre lang (von 1912 bis zu seinem Tode) als Pfarrer an
der Heilig-Geist-Kirche zu Basel gewirkt. Alles, was er dort mit
missionarischem Eifer aufgebaut hat - eine Mädchenschule, eine
Schwesterngemeinschaft und einen Verlag -, ist inzwischen liquidiert
worden. Daß Mäder ein Prophet war, der die gegenwärtige Situation
voraussah, beweist sein Ausspruch, alle Basler Katholiken würden
dereinst unter einem einzigen Nußbaum Platz haben. Wenn jemand erfahren
will, was Priestertum in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts
bedeutet hat, der greife zu Robert Mäders Schriften, die, lange Jahre
vergriffen, in jüngster Zeit vom Verax-Verlag (CH-7537 Müstair)
dankenswerterweise neu herausgebracht worden sind: "Gedanken eines
Reaktionärs", "Eucharistie", "Jesus, der König", "Zurück zur Messe!",
"Maria", "Der Heilige Geist". Im selben Verlag ist auch 1998 eine
gekürzte Fassung der erstmals 1955 veröffentlichten Biographie "Robert
Mäder, ein Kämpfer für Christus" erschienen. Ihr Verfasser ist der
inzwischen verstorbene Theologe, Missionswissenschaftler, Ethnologe und
Afrikanist Albert Drexel. Doch das letzte Wort habe Robert Mäder
selbst, und wer will leugnen, daß das, was er sagt, mehr als fünfzig
Jahre nach seinem Heimgang nichts an Kraft und Würze verloren hat.
Also sprach Pfarrer Robert Mäder
"Ein Priester und ein Bischof unserer Tage muß der Welt gegenüberstehen
wie Jesus der Heiligen Stadt. Ihr Vorbild sei zu allen Zeiten der
weinende und zürnende Christus! - Wer einen so erhabenen Beruf empfängt
wie der Priester, hört auf, ein Privatleben zu führen: 'Nicht mehr ich
lebe, Christus lebt in mir!' - Wir Christen sind zum Fliegen geboren,
nicht zum Kriechen. Dieser Himmelfahrtstrieb wirkt in jedem Getauften.
Er kann allerdings sehr verkümmert und ungleich ausgebildet sein. Wir
sind oft, was die Hühner in der Vogelwelt: wir scharren lieber als zu
fliegen. Kleine Menschen, kleine Wünsche! Kleine Menschen, schwache
Flieger! Wir müssen es lernen, Aviatiker der Übernatur zu werden - Es
ist nicht der Mühe wert, sprechen gelernt zu haben , wenn wir nicht vor
allem sprechen gelernt haben, um mit Gott zu reden. Alle Unterhaltung
auf Erden ist im Vergleich mit dem Gebet langweiliges Geschwätz."
Anschrift des Verfassers:
Gerd-Klaus Kaltenbrunner
Im Ölmättle 12
D-79400 Kandern
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