Jüdische Gemeinde: Nach der Wahl von Paul Spiegel
Den Zwang beenden
von
Peter Sichrovsky
"Die einzige Funktion, die der Vorsitzende der Juden in Deutschland
hat, ist die Auflösung des Zentralrates. Der Zentralrat dient nicht den
Juden, nur den Funktionären."
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Anmerkung der Redaktion EINSICHT:
Es ist schwer, aus geschichtlichen Gründen in Deutschland unbefangen
über Juden oder die jüdische Geschichte zu schreiben, kritische Töne
werden mit dem Etikett "antisemitisch" tabusiert. Selbst in Deutschland
lebende Mitbürger, die auf einen Ausgleich oder Normalisierung des
Verhältnisses zwischen Deutschen und Juden drängen, wie z.B. der in
München lehrende Prof. Wolffsohn, müssen sich gegen die Vorwürfe des
Rechtsradikalismus von seiten des American Jewish Comittee (AJC)
gerichtlich wehren (vgl. SZ vom 10.3.2000). Man denke auch an die
Debatte, die die Rede des Schriftstellers Walser zum Holocaust
ausgelöst hat, als er am 11. Oktober 1998 in der Frankfurter
Paulskirche anläßlich der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen
Buchhandels u.a. sagte: "Auschwitz eignet sich nicht dafür, Drohroutine
zu werden, jederzeit einsetzbares Einschüchterungsmittel oder
Moralkeule oder auch nur Pflichtübung." Die Proteste des damaligen
Vorsitzenden der Juden in Deutschland, Ignatz Bubis, der in Israel
begraben werden wollte, aus Angst, sein Grab könne in Deutschland
geschändet werden (welche Schändung es aber dann in Israel erfahren
hat), hallen noch nach: Bubis sprach von "geistiger Brandstiftung".
Doch gerade dieser verleumderische Druck auf Deutschland und andere
Länder wie z.B. Österreich seitens der Zionisten - damit meine ich jene
Juden, die ihre Religion nur zur Durchsetzung ihrer politischen Ziele
einsetzen -, hat wegen der anhaltenden Provokationen zu einem Klima
geführt, das dringend angesprochen und bereinigt werden sollte. So
haben z.B. die in der Sache völlig unhaltbaren Attacken seitens des AJC
gegen den damaligen österreichischen Bundespräsidenten Waldheim) zu
einem latenten Antisemitismus in unserem Nachbarland geführt - wobei
nicht mehr unterschieden wird zwischen Anti-Semitismus und
Anti-Zionismus. Eine ähnliche antisemitische Stimmung wurde durch die
maßlosen Proteste von israelischer Seite gegen das Sühnekloster in
Auschwitz und gegen das Aufstellen eines schlichten Holzkreuzes dort in
Polen erzeugt. Man denke auch an die jüdische Einflußnahme auf die
römische Liturgie, man denke auch an die jüngsten Erpressungsversuche
der deutschen Wirtschaft, als die Verhandlungen über die Entschädigung
der Zwangsarbeiter ins Stocken gerieten.
Um so erstaunlicher ist es deshalb, daß ein österreichischer Bürger
jüdischer Religion, der den "Bund Gesetzestreuer Jüdischer Gemeinden in
Deuschland" vertritt, gegen diese, auf Konfrontation gerichtete Haltung
der zionistischen Verbände vorgeht und deren Haltung massiv kritisiert.
Denn viele jüdische Mitbürger in Deutschland, aber auch in Israel, sind
mit dem Kurs, den der Zentralrat der Juden in Deutschland steuert,
nicht einverstanden - eine Kritik, die jedoch hierzulande
geflissentlich unterdrückt wird. Eberhard Heller
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Mit Paul Spiegel wurde ein identitätsloser Kompromiß als neuer
Vorsitzender der Juden in Deutschland gewählt, Michel Friedman zu
seinem Stellvertreter. Beide sind nicht im Entferntesten mit Ignatz
Bubis vergleichbar, und wer die Meinung des ehemaligen Vorsitzenden
über Friedman kannte, der muß schon den Mut des Zentralrats bewundern,
diesen eitlen Fatzke als stellvertretenden Vorsitzenden zu
etablieren.
Tagelang wurde in den deutschen Medien über die Wahl des neuen
Vorsitzenden berichtet, als ginge es um den Leiter einer großen und
mächtigen Organisation. Doch wie schon in der Vergangenheit
repräsentiert der Vorsitzende der Juden in Deutschland nicht eine
Winzig-Minorität von vielleicht 50 bis 70 000 Mitgliedern, sondern er
stützt seine Autorität und gesellschaftliche Bedeutung auf den
Holocaust. Dies gibt ihm die Berechtigung, jederzeit in den Medien
aufzutreten, bei Staatsbesuchen in der Nähe der Macht zu sitzen und bei
Begräbnissen von Opfern rassistischer Gewalttaten in der ersten Reihe
zu stehen.
Damit muß endlich Schluß sein! Das ist in der Tat nicht seine Aufgabe!
Die einzige Funktion, die der neue Vorsitzende der Juden in Deutschland
hat, ist die Auflösung des Zentralrates. Vor 1933 gab es keinen
Zentralrat der Juden in Deutschland, und auch heute existiert eine
derartige Vereinigung nur in ganz wenigen Länder, wo Juden leben. Die
Juden selbst lehnten sowohl im Kaiserreich als auch in der Weimarer
Republik eine Dachorganisation für die verschiedenen Gemeinden ab. Sie
argumentierten damals völlig zu Recht, daß eine jüdische
Einheitsgemeinde (im Gegensatz zur Organisation anderer
Religionsgemeinschaften) den Eindruck erwecken würde, daß die Juden in
Deutschland sich nicht in das deutsche Volk integrieren wollten.
Die Nationalsozialisten zwangen die deutschen Juden in eine
Dachorganisation, um sie besser kontrollieren zu können, wenn sie auch
behaupteten, sie diene nur dem "Zweck, die Auswanderung der Juden zu
fördern". Der nach dem Krieg gegründete Zentralrat ist somit eine
Fortsetzung der Idee der Nationalsozialisten und dient nicht den Juden
in Deutschland, sondern nur den Funktionären des Zentralrats und den
deutschen Behörden. Er repräsentiert in keiner Weise die Vielfalt der
jüdischen Religion und ist somit eine "antireligiöse Vereinigung", die
das jüdische Leben nur noch behindert. Während in anderen europäischen
Ländern in den Jahrzehnten nach dem Holocaust sich verschiedenste
jüdische Gruppen etablierten, mit ihren eigenen Rabbinern,
Gebetshäusern, Kulturzentren usw., versucht in Deutschland eine
jüdische Zentralbehörde mit allen Mitteln der Macht, die jüdische
Religion als politisches Parteiprogramm zu etablieren.
Dies muß ein Ende haben! Es dürfen sich nicht mehr "Berufsjuden" in
Deutschland auf der Asche unserer ermordeten Angehörigen und Verwandten
als Vorsitzende und Funktionäre einer Religionsgemeinschaft
inszenieren, die selbst etwa so religiös sind wie die Mitglieder des
ehemaligen Zentral-komitees der SED in der Ex-DDR.
Hier haben sich Männer und Frauen in den Vordergrund geschoben, die
nichts mit Glauben, Religiosität und jüdischer Tradition zu tun haben
und aus der Vertretungsberechtigung von religiösen Juden vor allem eine
politische Verantwortung ableiten.
Die Normalisierung zwischen Juden und Nicht-Juden in Deutschland wird
erst möglich sein, wenn die selbsternannten jüdischen Bürokraten auf
den gesellschaftlichen Status verzichten, den sie sich wegen der
tragischen Geschichte unseres Volkes überstülpen. Die Täter und ihre
Nachkommen boten den Opfern und deren Nachkommen zu große Stühle an, in
denen die Zentralratsfunktionäre nun frech und selbstbewußt, aber
dennoch verschwindend klein, sitzen und viel Lärm machen.
Es gibt wahrscheinlich derzeit in Deutschland mehr Hindus als Juden,
vielleicht auch mehr Buddhisten oder Zeugen Jehovas. All diese
Vertreter jener religiösen Minderheiten benehmen sich entsprechend
ihrer Gemeindegröße und kümmern sich um das religiöse Leben ihrer
Mitglieder.
Vielleicht wird der Holocaust erst überwunden sein und in den
Geschichtsbüchern ruhen, wenn die Juden in Deutschland sich ihrer
Religion wieder bewußt werden. Für jeden Juden ist dies eine private
Entscheidung, wie er seine Religion ausübt. Ob liberal, konservativ
oder orthodox, es gibt unter Juden ebenso viele Richtungen und
Organisationen wie in jeder anderen Religion.
Jeder Jude muß die Möglichkeit haben, nach seinen religiösen
Vorstellungen zu leben und zu beten. Das ist eines der grundlegenden
Menschenrechte in einer Demokratie und auch im Vertrag von Am-sterdam
für ein vereintes Europa festgehalten. Der Zentralrat widerspricht der
Idee der Religionsfreiheit. Er behindert einen Teil der Juden in
Deutschland bei der Ausübung ihrer Religion.
***
Hinweis:
Peter Sichrovsky, österreichischer Schriftsteller, Mitglied der FPÖ und
des Europaparlamentes, ist Vorsitzender des l999 in Berlin gegründeten
orthodoxen "Bundes Gesetzestreuer Jüdischer Gemeinden in Deuschland"
(BGJGD), der sich - ähnlich den freikirchlichen evangelischen Gemeinden
bezogen auf die EKD - unabhängig vom Zentralverband organisiert.
(aus: JUNGE FREIHEIT vom 14.1.2000, S. 2; mit
freundlicher Genehmigung der Redaktion; Adresse des Verlags:
Hohenzollerndamm 27a, 10713 Berlin; Chefredakteur: Dieter Stein)
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