Über das Papsttum der Römischen Bischöfe,
die Eigenart des Apostolischen Stuhles
und eine Kirche ohne Papst
von
Prof. Dr. Diether Wendland
I. Fortsetzung
1.Kapitel: Die "messianische Bewegung" im jüdischen Volke und das sich ausbreitende "Jüngerwesen"
Als der letzte große Prophet des Alten Bundes, Johannes der Täufer, am
Jordan wie ein Elias auftrat und zur Buße rief, da war bereits im
jüdischen Volke von Palästina eine "messianische
Bewegung" 1) entstanden, die jedoch von einer ganz
abwegigen und durchaus falschen Messias-Vorstellung sowie einem irrigen
Messias-Glauben geprägt war, nämlich von einer neuen davidischen
"Aufrichtung der Königsherrschaft in Israel" und dies sogar "auf ewig"!
Erfreut darüber aber waren sicherlich nicht die römerfreundlichen
Sadduzäer und Herodianer. Doch auch die sich um Johannes den Täufer
sammelnden "Glaubens-Schüler", die sog. "Johannesjünger", lebten noch
in diesem großen Glaubensirrtum, den sie von den Rabbinern bezogen
hatten, abgesehen von denen, die den Täufer schon etwas besser
verstanden, als er darauf hinwies, daß "schon die Axt an die Wurzel der
Bäume gesetzt ist" (Mt 3,10; Lk 3,9) und daß der Messias bereits
unter ihnen lebe, der er selbst aber nicht ist, wie andere verbreiten
(vgl. 3,15); denn er sei nur "die Stimme eines Rufers in der Wüste" (im
doppelten Sinne des Wortes) und "Vorläufer und Wegbereiter" (Joh 1,
20.23.25.30.) im Rahmen seines pro-phetischen Auftrags als Bußprediger
und Spender der "Bekehrungstaufe zur Vergebung der Sünden" (Lk 3, 2.3).
Die Hierarchen oder Tempelherrn in Jerusalem, die den Täufer wegen des
sich auf ihn beziehenden Messiasgerüchtes durch eine Abordnung am
Jordan zur Rede stellten und befragen ließen, waren beruhigt,
jedenfalls zunächst, ohne jedoch ihre Charakterisierung als
"Natternbrut" (Mt 3,7) zu vergessen. Denn es gehört zur jüdischen
Mentalität, vor allem von Höhergestellten, bis zur Sinnlosigkeit
nachtragend zu sein und keine Ruhe zu geben. 2)
Es war ein denkwürdiger Tag und ein historisches Ereignis, als der am
Jordan taufende und lehrende Prophet zu zwei von seinen bei ihm
stehende Jüngern sagte, indem er auf den in einiger Entfernung
vorübergehenden Jesus von Nazareth zeigte: "Seht, das Lamm Gottes!"
(Joh 1,35) (worüber ihr schon belehrt wurdet), und woraufhin die beiden
Jünger diesem Jesus in die Wüste von Peräa hinterhergingen, um mit ihm
in seiner vermeintlichen Herberge, die in Wirklichkeit aber nur eine
Höhle war, zu sprechen und sich von ihm belehren zu lassen. Johannes
der Täufer wird die beiden nicht mehr wiedersehen, doch darüber
sicherlich nicht bekümmert gewesen sein! Denn sein Wirken trug Früchte!
Der eine Johannesjünger war Andreas, der Bruder des Simon-Bar/Jona, und
der andere war der spätere Apostel Johannes, der Bruder des Jakobus
(beides Söhne des Zebedäus, der ebenfalls in Bethsaida-Julias ansässig
war. Christus wird sie später, wohl wegen ihrer leidenschaftlichen Art,
etwas ironisch "Boanerges" (Donnersöhne) nennen.) - Es ist kein
Nachteil, sich über diese heilsgeschichtliche Situation einige
vernünftige Gedanken zu machen.
Zwischen den Johannesjüngern und Christusjüngern bestand von Anfang an
ein großer Unterschied; denn erstere kamen von sich aus oder aus
eigenem Antrieb zum Täufer-Propheten, um sich von ihm (nicht bloß von
Rabbinern) belehren und leiten zu lassen; hingegen konnte man ein
Christusjünger nur unter zwei Voraussetzungen werden:
1. durch eine direkte und unmittelbare
Berufung (vocatio spiritualis) von seiten Chrisi zu bestimmten Zwecken
und wobei der erste Zweck in Seiner Nachfolge bestand, d.h. in einer
Nachfolge in Seinen Denken, Tun und Sich-verhalten; und
2. durch die von Christus selbst erteilte sog. "messianische Taufe"
durch Sein heiligmachendes Wort, d.h. durch eine Taufe von Dem, "der
mit dem Heiligen Geiste tauft" (Joh 1,33), ja "mit Heiligem Geist und
mit Feuer " (Mt 3,1). Beide Aussagen sind keine sakralen, sondern rein
spirituelle, da sie sich unmittelbar auf die Tilgung (Auslöschung) von
Schuld und Makel der Sünde beziehen. Zudem hat Christus geoffenbart:
"Niemand kann zu mir kommen, wenn ihn der Vater, der mich gesandt hat,
nicht zieht" (Joh 6,44), und zwar zuerst zu Christus, dem Gesandten,
und dann durch Ihn zu Gott, dem ewigen Vater. Das gehört zur Ordnung
der Erlösung aufgrund der Weisung Gottes und seines Wirkens "nach
außen".
Es kommt auch nicht von ungefähr, daß der Arzt und Apostelschüler Lukas
die "72 Jünger" erwähnt, welche Christus, obwohl die Jünger nicht
ständig bei Ihm waren, ebenfalls zu bestimmten Zwecken gesendet hatte:
"Gehet hin! Seht (=seid euch bewußt), ich sende euch wie Lämmer mitten
unter Wölfe. (...) Betretet ihr eine Stadt und nimmt man euch auf, so
eßt was euch vorgesetzt wird (= verlangt nichts Besonderes für euch),
heilt die Kranken in ihr und sagt ihnen (gleichzeitig): das Reich
Gottes hat sich genaht." (Lk 10,1 ff.). Der Evangelist Lukas wußte,
wovon er redete, nachdem er eine Sache genauer recherchiert hatte. Im
übrigen gehörte Christi Jünger-Sendung (Johannes der Täufer sendete
niemanden) ebenfalls zu den Ursachen der "messianischen Bewegung", die
man auch als "Reich-Gottes-Bewegung" bezeichnen kann. Diese Bewegung
hatte später zwei Schwerpunkte. Der eine lag in Kapharnaum am See
Genesareth, einer wohlhabenden Stadt und einem Verkehrsknotenpunkt in
Galiläa, dem bevölkerungsreichsten Lande in Palästina (Simon-Petrus,
der kein armer Mann war, betrieb dort mit seinem Bruder eine kleine
Fischerei); der andere lag im Lande Judäa und in Jerusalem, einer
friedlosen Metropole, von der auch die römische Besatzung 'ein
Klageliedchen singen konnte'. Dazwischen aber lag Samaria, gleichsam
ein Niemandsland im religiösen Sinne. Und doch hat Christus zuerst dort
(in Sychar am Jakobsbrunnen) seine Messianität geoffenbart. Auch dies
sollte einem zu denken geben.
Als die beiden Johannesjünger diesen Jesus von Nazareth mit brennendem
Herzen wieder verließen (sie hatten ihn zuerst aus Verlegenheit mit dem
üblichen Ehrentitel "Rabbi" (= Lehrmeister) ange-sprochen), suchte
Andreas seinen Bruder Simon und machte ihm, als er ihn fand, die
freudige Mitteilung: "Wir haben den Messias - das heißt übersetzt:
Christus - gefunden" (Joh 1,42). Daraufhin aber wollte der immer so
schnell entschiedene und praktisch veranlagte Simon sofort zu Jesus
geführt werden, um sich selbst davon zu überzeugen. Das gleiche aber
muß sich auch bei den Zebedäussöhnen ereignet haben, als Johannes
seinen Bruder Jakobus suchte und fand. Es ist jedoch nicht anzunehmen,
daß aus diesen vier Johannesjüngern nach ihrem Anschluß an Jesus von
Nazareth auf wunderbare Weise sofort Jünger Christi (maqhtai,
mathätai) geworden wären. Nur eines erschien diesen Vier höchst
verwunderlich, nämlich daß Christus, als er den Bruder des Andreas zu
Gesicht bekam, sofort kraft übernatürlichen Wissens sagte: "Du bist
Simon, der Sohn des Jonas (aus Beth-saida-Julias), du wirst (später)
Kephas genannt werden - das heißt übersetzt: Petrus (Fels)" (Joh 1,42).
Man kann hier ruhig voraussetzen, daß keiner von den vier
Johannesjüngern diese Aussage in ihrer Bedeutung wirklich verstanden
hat; sie ist ja auch gar nicht so leicht zu verstehen. Zudem handelt es
sich um eine Weissagung (vaticinium) für eine bestimmte Person sowie um
einen recht seltsamen und erst später zu gebenden Beinamen (cognomen)
für einen zum Apostel erwählten Jünger Christi, einen Beinamen, der
sich wiederum nicht auf den moralischen Charakter einer Einzelperson
bezieht (wie z.B. Joseph 'der Gerechte'), sondern auf dessen Position
in einer künftigen religiösen Gesellschaft, die selbst noch gar nicht
existierte. Indes war sie bereits auf eine atypische Weise im Werden
('in fieri'). Dies alles aber geht deutlich genug aus den Berichten der
Apostel-Schüler Markus (3,13-16) und Lukas (6,12-14) hervor. Bei ihnen
heißt es und was man bedenken sollte:
Der Heiland stieg, nachdem er sich von der ihn bedrängenden Volksmenge
gelöst hatte, allein auf einen kleinen Berg bei Kapharnaum, um zu beten
und dort die Nacht "im Gebet mit Gott" zu verbringen. Erst als es Tag
wurde, kam Er zurück und rief (von den anwesenden Jüngern) jene zu
sich, die er selbst wollte; und sie kamen zu ihm. - Und er bestellte
zwölf (von ihnen zu bestimmten Zwecken), daß sie
1. ständig mit ihm seien (als seine Begleiter),
2. seine Sendboten (Apostel) wären und er sie aussende, um zu predigen (nämlich das kommende Reich Gottes) und
3. Macht zu haben (und befugt zu sein), Dämonen auszutreiben."
(Damals gab es viele Besessene in Israel und auch jüdische Exorzisten.)
Auf diese Weise 'erwählte' sich Christus auch seinen Jünger
Simon-Bar/Jona zum Apostel und gab ihm jetzt bei dieser Gelegenheit den
geweissagten Beinamen 'Petrus', ohne jedoch seine Bedeutung zu
erhellen. 3)
Die Apostel und Jünger Christ wurden im Laufe der Zeit vom "Lehrer
Israels" nicht nur belehrt, sondern auch im Denken und Nachdenken
erzogen. Oft geschah dies mit Parabeln und bildhaften Ausdrücken, um
den Nicht-Berufenen das Verstehen zu erschweren (nicht etwa zu
erleichtern!).
Im griechischen Text heißt es sehr aufschlußreich: "Er machte die
Zwölf"; es machten also diese sich nicht selbst zu Aposteln und konnten
dies auch gar nicht tun (nur Sektierer behaupten das Gegenteil), da
niemand sich selber 'erwählen' kann und zu 'senden' vermag. Durch diese
Erwählung und gleichzeitige Namengebung aber wurde Simon-Petrus
zunächst zu einem "primus inter pares" ( zu einem Ersten unter
Gleichen) 'gemacht'. 4) Man kann ihn auch als den Sprecher (nicht
jedoch Anführer oder Leiter) dieser ausgesonderten (nicht:
abgesonderten) Gruppe bezeichnen. Das deutsche Wort "Gefolgschaft" ist
für diese Gruppe am passendsten, da in ihr auch gleichsam der 'harte
Kern' der Jüngerschaft Jesu Christi durch Erwählung in Erscheinung
trat, oft bezeichnet als "die Zwölf". 5) Indes dauerte es noch ziemlich
lange, bis die eigentliche Bedeutung dieses Beinamens, eines
Bild-Wortes, von den Aposteln deutlicher erkannt werden konnte. Es war
ein langer und schwieriger 'Entwicklungsweg', der von einem
gesetzesgläubigen, aber einem "kleingläubigen" (Mt 14,21)
Simon-Bar/Jona zu einem wahren christgläubigen Simon-Petrusführte.
Dieser Weg war viel länger als der von einem gesetzeskundigen Pharisäer
Saulus zu dem allein durch Christus auf außerordentliche Weise
bekehrten Saulus/Paulus, obwohl dieser sogar an der Ermordung des
Diakonen Stephanus mitschuldig geworden war (Apg 7,58.59.). Diesen
'Stachel im Fleisch' ist der Völkerapostel zeitlebens nicht
losgeworden, obwohl er so viele Gnaden-Gaben erhielt. Man darf keinen
Apostel auf irgendeine Weise glorifizieren.
Durch die Aussendung zuerst der Jünger (die 'einfachen Gläubigen'
wurden nicht gesendet) und darnach der Apostel, von der nur blinde
Exegeten meinten, diese sei bloß eine "Probesendung" gewesen (Christus
tat nichts 'auf Probe'!), beschleunige sich die "messianische Bewegung"
und konzentrierte sich mehr und mehr auf den erstaunliche Wundertaten
ganz mühelos vollbringenden "Propheten aus Nazareth", zumal da Gott
schon dem Propheten Mose geoffenbart hatte: "Einen Propheten gleich dir
will ich ihnen aus der Mitte ihrer Stammesbrüder erstehen lassen, meine
Worte will ich in seinen Mund legen, und er soll ihnen alles sagen, was
ich ihm sage und anordne. - Und wer nicht seine Worte hört, die er in
meinem Namen spricht, den will ich selber zur Verantwortung ziehen."
(Dt 18,18.19.)
Die Leute in Kapharnaum und Umgebung, welche die Worte Christi hörten,
"staunten über seine Lehre; denn sein Wort war voll Macht (= höchster
Autorität)" (Lk 4,32). "Sie staunten über seine Lehre; denn er lehrte
wie einer der Macht hat (= Vollmacht besitzt) und nicht wie die
Schriftgelehrten" (Mk 1,22). Dies fiel sogar dem 'einfachen Volke' auf,
welches auch bald ausrufen wird: "Das ist wahrhaftig der Prophet, der
in die Welt kommen soll" (Joh 6,14). Es ist verständlich, wenn einige
Jünger und Apostel sich als Träger der "messianischen Bewegung"
fühlten, die sich im Volke ausbreitete, das jedoch von einem irrigen
Messias-Glauben geprägt war. Es ist nicht richtig, Simon-Petrus von
diesem Irrglauben auszunehmen; denn er war sicherlich nicht 'gläubiger
und intelligenter' als die 'Donnersöhne', Johannes und Jakobus.
Ebenso verständlich aber ist, daß die Hierarchen und der Hohe Rat in
Jerusalem diese Bewegung, die sich auch unter den Judäern ausbreitete,
zu fürchten begannen, da ihnen von Spionen hinterbracht wurde, daß
Christus den gesendeten Aposteln u.a. befohlen hatte: "Geht nicht den
Weg zu den Heiden und betretet nicht eine Stadt der Samariter; geht
vielmehr zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel! Geht hin und
verkündet: Das Himmelreich hat sich genaht! Heilt Kranke, weckt
(geistig) Tote auf, macht Aussätzige rein, treibt Dämonen aus! Umsonst
habt ihr empfangen, umsonst gebt! ..." (Mt 10,5-9 ... 14.15.).
Zu dieser Zeit 6) hatte der Heiland bereits im Hause des Simon Petrus
und seines Bruders Andreas in Kapharnaum Wohnung genommen, wo Er
ständig und fast bis zur Erschöpfung von Kranken umlagert war, aber
auch bis zum Überdruß von Pharisäern und Schriftgelehrten aus Jerusalem
belästigt wurde. Man kann es sich leicht vorstellen, wie es dort
zugegangen sein muß, ganz abgesehen von der orientalischen Mentalität
untereinander zerstrittener Juden. Aber auch die "messianische
Bewegung" spitzte sich zu und wurde sogar eine nicht zu unterschätzende
Gefahr für Christi Jünger und Apostel. Denn derartige 'Bewegungen'
politischer Natur sind bestens geeignet, auch Unwillige mitzureißen,
dann aber meistenteils ins Verderben.
2. Kapitel:
Das Ende der "messianischen Bewegung", der Abfall eines Teiles der Jünger
und die Irritation der Apostel
Die durch das Auftreten der Jünger und Apostel Christi verursachte
Beschleunigung der "messianischen Bewegung" barg mehrere Gefahren in
sich. Denn das jüdische Synagogen-Volk und die Rabbiner erhofften und
erwarteten keinen "himmlischen Erlöser" von ihren Sünden, sondern einen
politisch-nationalen "Befreier", gleichsam einen "Super-David", der mit
großer Macht und Prachtentfaltung das 'auserwählte Volk' zuerst
zusammenführen und einigen und dann natürlich vom "römischen Joch"
befreien werde, vielleicht sogar unter dem Fanal eines 'Heiligen
Krieges'. Nicht bloß die Fanatiker wußten nichts mehr davon, daß der
Messias sogar ein "Anti-Typus" Davids ist, von dem schon Isaias, von
Gott belehrt, prophezeit hatte: "Seht, meinen Knecht, den ich halte,
meinen Erwählten, der mir gefällt! Ich lege auf ihn meinen Geist, der
bringt den Völkern die Wahrheit (Heilswahrheit)" (Is 42,1). Wer aber
fragte und suchte nach dieser Wahrheit, geschweige denn nach einer
bereits Mensch gewordenen? Das waren nur sehr wenige, ein von niemandem
beachtetes Häuflein frommer Juden, das verstreut in Palästina lebte.
Isaias hatte voller Hoffnung gesagt und geschrieben: "Das Volk, das in
Finsternis wandelt, erschaut ein gewaltiges Licht" (9,1). Ein zu helles
Licht kann die Augen aber auch blenden, so daß man sieht und doch
nichts sieht! Zudem war von einem neuen "theokratischen Königtum", auf
welche Fiktion viele fixiert waren, das wahre Heil nicht mehr erwarten.
7)
In Kapharnaum jedoch zogen sich Gewitterwolken zusammen, welche "die
Zwölf" offenbar gar nicht bemerkten; sie wunderten sich nur über den
plötzlichen Entschluß des Herrn, Kapharnaum zu verlassen und mit einem
kleinen Schiff (einem größeren Kahn) "an einen abgelegenen Ort" hinüber
zu fahren; dieser Ort lag in der Wüste oder Einöde nahe dem Städtchen
Bethsaida-Julias, von wo die ersten vier Christus-Jünger herstammten.
Doch keiner von den Aposteln ahnte, worauf dies hinauslaufen sollte.
(Mk 6,32) An Land angekommen, "begab sich Jesus auf einen Berg (eine
Anhöhe) und setzte sich dort mit seinen (12) Jüngern (Aposteln) nieder"
(Joh 6,3), damit diese sich ausruhen sollten von den vorhergegangenen
Strapazen. Doch dazu kam es nicht. Aber warum Nicht? Nun, weil "die
Zwölf" und die vielen, dem Heiland auf dem Landwege nachgeeilten Leute
(etwa 5000), nach den Krankenheilungen und Belehrungen ein besonderes
Wunder und Wunderzeichen deutlich sehen sollten, größer noch als das
"Manna-Wunder" unter Mose in der Wüste Sin (Ex 16,1 f.). Denn jetzt kam
es sogar zu einer mehr als tausendfachen Vermehrung der Substanz von
nur fünf Gerstenbroten und nur zwei Fischen zur Speisung des
erschöpften und zugleich erregten Volkes. Das Manna-Wunder war keine
Vermehrung der Substanz weniger eßbarer Dinge.
Es versteht sich von selbst, daß nicht wenige dieser Leute stutzig
wurden und schließlich zu der Überzeugung gelangten, daß ein solches
"göttliches Speise- und Schauwunder" doch nur der prophezeite Messias
vollbringen könne. Darum riefen sie: "Dieser ist wahrhaftig der
Prophet, der in die Welt kommen soll" (Joh 6,14) und den Mose gemeint
habe. Diese Leute, unter denen sich auch Christusjünger aus Judäa
befanden, waren schließlich drauf und dran, "sich Seiner zu bemächtigen
und zum König zu machen" (V. 16) - allerdings nur zu einem
völkisch-nationalen 'Messias-König' - und Ihn daraufhin im Triumphzug
nach Jerusalem "zu entführen". Als jedoch der wahre Messias sah, was da
vor sich ging und sich zusammenbraute (der Teufel war sicherlich schon
anwesend), "nötigte" Er die Apostel, sofort wieder "in das Schiff zu
steigen und Ihm an das andere Ufer (zunächst entlang der Küste)
vorauszufahren, bis Er das Volk entlassen habe" (oder: "während er das
Volk entlassen werde" (Mt 14,22 f), was gewiß nicht so einfach gewesen
sein wird, wie man sich wohl denken kann. Daraufhin stieg Christus
wieder auf den Berg, um für sich allein zu beten, und er blieb dort -
"Er allein" (Mt 14,23). Das war das Ende einer fehlgeleiteten
"messianischen Bewegung" mit politischem Charakter, die im Volke
entstanden war und der sich Christus entzog. Doch die Jünger und
Apostel hatten dies immer noch nicht erfaßt, geschweige denn begriffen.
Die Hierarchen in Jerusalem jedoch, die sich über die Vorgänge in
Galiläa informieren ließen, waren mehr als verwirrt; denn sie konnten
in bezug auf Jesus von Nazareth die Einheit und Identität von "dem
Propheten" schlechthin (kat exochn, kat exochän) und dem "göttlichen
Messias", der eindeutige Wunder-Zeichen heilsgeschichtlicher Natur
setzte, nicht erfassen. Sie waren durch eigenes Verschulden
"verblendet" und nur noch voll Haß (der bekanntlich geistig blind macht
und das Denken verwirrt).
Auf das erste Speisungswunder der Fünftausend mit einem Heilszeichen
des Messias aber folgte schon am nächsten Tage die große
Epourania-Rede, eine messianische Predigt höchsten Ranges in der
Synagoge von Kapharnaum (Joh 6,26-71), die indes auch zu einer
radikalen Spaltung in der Jüngerschaft führte - bis hin zu einem Abfall
vieler Jünger Christi, insbesondere derjenigen aus Judäa, die da
murrten: "hart ist diese Rede, wer kann sie anhören?" (V. 60) und
daraufhin weggingen, so daß Christus an "die Zwölf" die Frage (eine
Prüfungsfrage) stellte: "Wollt etwa auch ihr weggehen?" (V. 67). Diese
Frage hatte den Zweck, daß sie öffentlich ihren Glauben an Ihn als den
Messias bekennen sollten, nachdem die "himmlischen Dinge" (epourania)
in aller Öffentlichkeit verkündet worden waren. In dieser prekären
Situation aber machte sich Simon-Petrus zum Sprecher "der Zwölf", indem
er antwortete: "Herr, zu wem sollen wir gehen? Du hast Worte ewigen
Lebens!
Wir haben geglaubt und erkannt, daß du der Heilige Gottes (o agioV tou
Jeou, ho hagios tú Theú) bist." (V. 69.69.) Also werden wir bleiben und
dir folgen.
Sollte Christus diese Antwort genügt haben? Das ist zu bezweifeln, wie
aus Seiner kurzen Reaktion hervorgeht, die ziemlich verärgert klingt:
"Habe ich nicht auch, die Zwölf , mir auserwählt? Aber einer von euch
ist ein Teufel!" (V. 70). (Gemeint ist der Sohn des Simon Iskariot, der
hier als teuf-lischer 'Widersacher' bezeichnet wird.) Auch Simon-Petrus
dürfte die Epourania-Rede nicht wirklich verstanden haben, sondern hat
vielleicht nur deren Heilswahrheit dunkel geahnt. Zudem war das Wort
vom "Heiligen Gottes" (hagios tu Theu) schon einmal am gleichen Ort
gefallen (cf. Mk 1,24); doch damals von seiten eines von einem Dämon
Besessenen, wonach Christus ihm sofort verbot, dieses Wort zu
gebrauchen, weil Dämonen dazu kein Recht haben und mit einem solchen
mehrdeutigen Worte nur Verwirrung stiften. Außerdem ist der "Heilige
Gottes" nicht identisch mit dem "göttlichen Messias" und dem von Mose
geweissagten Propheten, der ihm ähnlich sein werde. Auch waren die
Apostel im Verstehen der "göttlichen Dinge" (oder der himmlischen)
nicht alle gleich begabt und manche sogar ungemein schwerfällig, wie
z.B. dieser Philippus, der in seiner Verständnislosigkeit Christus bat,
ihm doch den Vater, den ewigen, zu zeigen (Joh 14,8 f.); er verstand
überhaupt nicht, was das heißt: "Wer mich sah, hat auch den Vater
gesehen."
Kapharnaum wurde mehr und mehr zu einem gleichsam 'heißen Pflaster' und
einem unerträglichen Ort. Denn immer, wenn Christus dort oder in seiner
Umgebung zu finden war, "kamen die Pharisäer (und Schriftgelehrten)
heran, und begannen mit Ihm zu streiten" - bis zur Sinnlosigkeit, so
daß der Heiland sie schließlich leid hatte und diese sturen
Irrgläubigen und Ungläubigen einfach "stehen ließ" und mit den Aposteln
davonging (Mk 8,11.13.; Mt 16,8), ja sogar weg aus Kapharnaum und
Galiläa, den Jordan hinauf nach Cäsarea Philippi und in eine Gegend,
die fast nur von Heiden bewohnt war. Dadurch aber vermied Christus
Volksaufläufe, wie z.B. das zweite bloße Speisungswunder der
viertausend Männer, "Frauen und Kinder nicht gerechnet", ("und sie aßen
alle und wurden satt") in einer "öden Gegen" nordöstlich des "See's von
Galiläa" (Mk 81f.; Mt 15,29 f.), und konnte sich so den Aposteln
eingehender widmen, angefangen mit der Warnung: "Hütet euch vor dem
Sauerteig der Pharisäer und Schriftgelehrten (und der Herodianer)!" (Mt
16,6; Mk 8,15), weil diese Zeitgenossen ungläubig sind, alles verdrehen
und nichts von dem verstehen, was Ich, der Messias, autoritativ lehre
und tue. "Die Worte, die ich zu euch gesprochen habe, sind Geist und
Leben." (Joh 6,63) "Begreift (auch) ihr noch nicht (wer ich wirklich
bin)?" (Mk 8,21) Die Apostel hatten große Schwierigkeiten, einen und
ihren irrigen 'Sohn-David-Glauben' zu überwinden, der ihnen die
Erkenntnis des geheimnisvollen Kommens des "Reiches Gottes" bzw. des
"Messias-Reiches" versperrte. Zudem zeigte sich in der Abgeschiedenheit
von Cäsarea Philippi durch die Lehren Christi vom wahren Messias auf
geistige Weise das Kreuz des göttlichen Menschensohnes und Erlösers,
was die Apostel gänzlich überforderte. Dies darf man nicht übersehen,
wenn die zwei berühmten Fragen Christi an "die Zwölf" richtig
verstanden und bewertet werden sollen, die keiner von ihnen erwartet
hat: "Für wen halten die Leute den Menschensohn?" und "Ihr aber, für
wen haltet ihr mich?" (Mt 16,13.15). Es hatten nämlich auch die Jünger
und Apostel die frühere Belehrung Christi nicht verstanden: "Wie
nämlich Jonas für die Niniviten ein Zeichen (Warnungszeichen) war, so
wird es auch der Menschensohn sein für dieses Geschlecht." Denn die
Männer von Ninive "haben sich auf die Predigt des Jonas bekehrt; und
seht (erkennt endlich!), hier ist mehr als Jonas." (Lk 11,30.32.)
Dieser von Gott nach Ninive, der heidnischen Hauptstadt Assyriens am
Tigris, gesandte Prophet war ein Typus Jesu Christi, des göttlichen
Menschensohnes und Erlösers. Und hatte denn nicht schon Johannes der
Täufer vom Messias gelehrt: "Er hat die Wurfschaufel in seiner Hand, um
seine Tenne zu reinigen und den Weizen in seine Scheune zu sammeln; die
Spreu aber wird er verbrennen mit unauslöschlichem Feuer." (Lk 3,17).
Auch die Apostel waren, menschlich gesprochen, 'zum Problem geworden',
nicht bloß die Jünger.
Anmerkungen:
1) Diese Bewegung mit ihrer gesteigerten
Messias-Erwartung, die auch Schwerpunkte bildete, muß unterschieden
werden von der allgemeinen Hoffnung auf das Kommen des Messias, wofür
die 'böse Zeit reif' schien. Aber nur wenige bedachten die Prophetie
des großen Isaias, die den meisten sogar unbekannt geworden war.
2) ies kommt auch in der Frage des Simon-Petrus zum Vorschein (die sich
nicht auf einen 'Fremden' bezieht): "Herr, wie oft soll ich meinem
Bruder vergeben, wenn er gegen mich sündigt? Bis siebenmal?" Kurze
Antwort Christi: "Ich sage dir: nicht bis siebenmal, sondern bis
siebzigmal siebenmal!" (Mt 18,21. 22.) D.h. immer, wenn die Bitte um
Vergebung wahrhaftig und nicht geheuchelt ist.
3) Dieser Beiname wurde erst später (cf. Mt 16,18.19.) von Christus ein
wenig aufgehellt, zugleich aber mit zwei Verheißungen verbunden, die
jedoch auch von Simon-Petrus nicht verstanden wurden, wie aus dem
Folgenden ersichtlich wird. Und warum gebot Christus nun gerade den
Aposteln, "sie sollten niemand sagen, daß er der Messias sei" (ebd.
V.20)? Man erinnere sich an gewisse Geschehnisse in den Tagen vorher,
die fürwahr erschütternd waren.
4) Simon-Petrus war weder ein noch der "Erstapostel" (und der Iskariote
kein 'Letztapostel'), wie man neuerdings wieder so unsachlich zu sagen
pflegt, und ebenfalls nicht ein "Apostelfürst". Doch auch die Gruppe
oder der Kreis der Apostel war mitnichten ein "Apostel-Kollegium". Aber
vielleicht wird es bald 'literarische' oder 'exegetische' Narren geben,
die von 'Jesus und seinen Kollegen' reden werden, im Gegensatz zur
Propaganda 'Jesus Superstar', um Jesus den Christus zu lästern.
5) Die Worte "Jünger" und "Apostel" werden im NT oft promiscue
(unterschiedslos) gebraucht, was auf eine sprachliche Unbeholfenheit
zurückzuführen ist. Aber auch der Hohe Rat in Jerusalem war sich über
das Gemeinte nicht klar; nur das damals entstandene "Jüngerwesen" wurde
mit Argwohn beobachtet, bespitzelt und als gefährlich eingestuft, denn
es rüttelte am Totalitarismus der jüdischen Synagoge. Für die Römer
waren die inneren Zwistigkeiten der Juden in Palästina ohne Bedeutung;
sie waren für sie nur ärgerlich und verachtenswert.
Man muß von der Sache her drei Gruppen um Christus deutlich unterscheiden, auch wenn dies nicht immer leicht ist;
1) die "Jünger" (maqhtai),
2) die "Apostel" und
3) die rechtgläubigen Anhänger (asseclae in fide),
selbst wenn diese die "messianische Taufe" noch nicht empfangen haben
könnten.
Indes besaß Christus keine "Diener" (uphretai,
hüpärétai), weil "Sein Reich" eben "nicht von dieser Welt ist" (Joh
18,36). Aber auch der Hohe Rat in Jerusalem mit seinen 71 Mitgliedern
war zur Zeit Christi kein theokratisches Gebilde mehr, sondern ein
teils aristokratisches teils oligarchisches und ein durch-aus
despotisches, von dem das einfache Volk sich fürchtete und duckte.
Zudem saßen "auf dem Stuhl des Moses" keine Propheten mehr, sondern nur
noch "Schriftgelehrte und Pharisäer", die "allesamt 'blinde' Führer des
Volkes" seien und außerdem noch "den Menschen das Himmelreich (das
Reich Gottes in den Himmeln) verschließen" (Mt 23,2.13.). Die Dinge
liegen oft nicht so einfach, wie sich dies so manche Zeitgenossen von
heute in ihren Träumen vorstellen.
6) Damals erfuhr Christus auch durch Johannesjünger von der Ermordung
des Täufers auf Befehl des Herodes Antipas in seiner Burg "Machärus" in
Peräa. Der letzte Prophet des Alten Bundes im Übergang zu einem Neuen,
den er selbst angekündigt hatte, war tot. Christus hatte ihm noch kurz
vorher ein glänzendes Zeugnis ausgestellt.
7) Später wird Christus einen Pontius Pilatus dahingehend belehren:
"Wäre mein Königreich von dieser Welt, dann hätten meine Diener
(uphretai , hüpärétai) gekämpft (gmeint ist mit Waffengewalt), daß ich
den Judäern nicht ausgeliefert würde" (Joh 18,36). Jünger und Apostel
aber hatten keinen solchen Auftrag.
(Fortsetzung folgt)
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