LESERBRIEF:
Streit um das "Haus am Dom"
Die Kriegszerstörungen und Flächenbombardements des Zweiten Weltkrieges
hatten das Erscheinungsbild der deutschen Städte gründlicher verändert
als jede Epoche zuvor. Der Wiederaufbau und die ein wenig unkritisch
als "Wirtschaftswunder" bezeichnete Rekonstruktionsperiode gaben den
Städten eine neue Physiognomie. Die Menschen, darunter viele
Flüchtlinge aus den verlorenen Ostgebieten, brauchten bezahlbaren,
zweckmäßigen Wohnraum. Damit begann die sogenannte "zweite
Zerstörung" (Wolf Jobst Siedler) unserer Städte. Theodor W.
Adorno sah darin sogar einen künst-lerischen Hinweis auf die
Enthumansierung des Lebens, während der österreichische Kunsthstoriker
Hans Sedlmayr in der Moderne den "Verlust der Mitte" erblickte. Auch
Frankfurt am Main blieb von diesem architektonischen Vandalismus nicht
verschont. Der später als "Brutalismus" unrühmlich bekannt gewordene
Architekturstil der fünfziger Jahre setzte sich auch hier mit nicht
wieder gut zu machenden Bausünden weitgehend durch, anstelle der fast
gänzlich zerstörten historischen Altstadt mit ihren verwinkelten Gassen
und kleinen Plätzen prägten nun monotone Flachbauten und moderne
multifunktionale, zumeist ziemlich unästhetische Zubauten das Bild.
Eines der wenigen erhalten gebliebenen Gebäude, das unweit des Doms
gelegene alte Zollamt soll nun neubebaut werden. Für zehn Millionen
Mark hat das Bistum Limburg der Katholischen Kirche das Grundstück von
der Stadt erworben und will auf diesem ein Kommunikationszentrum mit
Café, Bibliothek und Versammlungsräumen errichten. Im Erdgeschoß wird
das Museum für moderne Kunst in den nächsten dreißig Jahren als Mieter
seine eigenen Ausstellungen zeigen können. Nun hatte sich das Bistum im
Falle des "Hauses am Dom" für einen Architekturwettbewerb entschieden,
zu dem sechs Büros ihre Entwürfe einreichten. Den ersten Preis erhielt
das Büro PAS Jourdan und Müller. Deren Entwurf sieht jedoch lediglich
die Erhaltung der historischen Bausubstanz für die unteren Geschoße
vor, während der zum Dom ausgerichtete Kopfteil mit großen,
unregelmäßigen, schrägen Glasflächen, einem Pultdach und teilweise
ausgestellten Fassadenelementen völlig neu errichtet werden soll. Zur
auf den Römerberg führenden Braubachstraße gibt sich der Entwurf sehr
beliebig und schert sich augenscheinlich auch nicht um die historische
Umgebung und die Steinwurfnähe des Domes.
Oberbürgermeister Petra Roth (CDU) zeigte sich in einer ersten
Stellungnahme "entsetzt" und äußerte in einem Vortrag vor der
Polytechnischen Gesellschaft, der Entwurf des Frankfurter
Architektenbüros PAS Jourdan und Müller habe ihr "Schuhe und Strümpfe"
ausgezogen. Sie rief die Frankfurter auf mit ihr gemeinsam dieses
Bauvorhaben zu verhindern. Ähnlich reagierten die Römer-Abgeordneten,
die sich nach kurzer Besichtigung des preisgekrönten Entwurfes in ihren
Fraktionssitzungen auf ein negatives Votum festlegten. Der
Finanzdirektor des Bistums Limburg, Georg Freiherr von Boeselager,
sprach hingegen von einer "untypischen Vorgehensweise zwischen der
Stadt und der Kirche" und plädierte dafür "erst Ruhe in die aufgeregte
Diskussion" kommen zu lassen, um dann erneut in einen Dialog
einzutreten. Er versicherte jedoch, daß die Katholische Kirche nichts
bauen werde, was nicht im Konsens mit der Stadt abgestimmt werden
könne.
Das Merkwürdige an der jetztigen Diskussion ist, daß ausgerechnet die
Katholische Kirche im uralten Streit zwischen "Modernisierern" und
"Historisierern" ins Kreuzfeuer der Kritik geraten ist, weil sie sich
mit ihrer voreiligen Entscheidung eindeutig auf die Seite der
"Modernisierer" geschlagen hat. Wurde sie bei der Schlüsselübergabe von
der OB noch für ihren "Wagemut"gelobt, weil sie das Museum für moderne
Kunst mit seinen Ausstellungen für dreißig Jahre ins eigene Haus läßt,
so bekommt sie jetzt den Unmut Petra Roths und der Frankfurter Bürger
zu spüren, die der weiteren architektonischen Barbarei in der
Frankfurter Altstadt endlich einen Riegel vorschieben wollen.
Dehumanisierung und Destruktivität als Konstruktionsprinzip sollen,
wenn es nach dem Willen der Bürger geht, ein für allemal der
Vergangenheit angehören und einer harmonischen Verschmelzung von von
Baustil, Grünanlagen, Skulpturen und behutsam renovierten
historischen Gebäuden Platz machen.
Die Katholische Kirche macht jetzt in Frankfurt die Erfahrung, daß es
eben nicht immer ratsam ist, auf "Modernisierung" um jeden Preis zu
setzen, anstatt die großen Baudenkmäler vergangener kultureller
Hochblüzezeiten, derer wir uns gottlob noch erfreuen dürfen, kostbaren
Kunstwerken gleich zu pglegen und zu erhalten. Friedrich Nietzsche,
nicht gerade ein Freund der Kirche, schrieb: "Wir haben die Kunst,
damit wir nicht an der häßlichen Wahrheit zugrunde gehen". Was ist aber
dann, wenn die angestrebte Bebauung lediglich ein Symptom darstellt für
den sich seit langem vollziehenden schleichenden
Modernisierungs-"Umbau" in der Katholischen Kirche selbst?
Werner Olles |