MARIÄ GEBURT
- NACH DEN VISIONEN DER GOTTSELIGEN ANNA KATHARINA EMMERICH -
Die Beseelung
Ich hatte eine Betrachtung von der Schöpfung der heiligsten Seele Mariä
und deren Vereinigung mit ihrem reinsten Leibe. Ich sah in dem
Lichtbilde, unter welchem mir gewöhnlich die allerheiligste
Dreifaltigkeit in meinen Betrachtungen vorgestellt wird, eine Bewegung
gleich einem großen leuchtenden Berg und doch auch wie die Gestalt
eines Menschen, und ich sah etwas aus der Mitte dieser Menschengestalt
gegen deren Mund aufsteigen und wie einen Glanz aus diesem ausgehen. -
Diesen Glanz sah ich nun ausgesondert vor dem Angesichte Gottes stehen
und sich drehen und bilden oder vielmehr gebildet werden, denn, indem
dieser Glanz eine menschliche Gestalt annahm, sah ich, als werde er
durch den Willen Gottes so unaussprechlich schön gebildet. - Ich sah
auch, daß Gott die Schönheit dieser Seele den Engeln zeigte, und daß
diese eine unaussprecliche Freude an ihrer Schönheit hatten. Ich vermag
nicht alles, was ich sah und erkannte, mit Worten zu beschreiben.
Als 17 Wochen und zwei Tage nach der Empfängnis der heiligen Jungfrau
verflossen waren, also in der Mitte der Schwangerschaft Annas weniger 5
Tage, sah ich diese heilige Mutter nachts auf ihrem Lager in ihrem
Hause bei Nazareth schlafend ruhen 1). Es kam aber ein Leuchten über
sie, und ein Strahl aus diesem kam auf die Mitte ihrer Seite nieder,
und es ging der Glanz in Gestalt einer kleinen leuchtenden menschlichen
Figur in sie über. - In demselben Augenblick sah ich die heilige Mutter
Anna von Glanz umgeben, sich auf ihrem Lager aufrichten. Sie war wie
entzückt und sah, als öffne sich ihr Inneres wie ein Tabernakel, in
welchem sie ein leuchtendes Jungfräulein erblickte, von der alles Heil
der Menschen ausgehen würde.
Ich sah, daß dieses der Moment war, in welchem sich das Kindlein Maria
zum ersten Male unter ihrem Herzen bewegte. - Anna aber erhob sich von
ihrem Lager, kleidete sich an und verkiindete ihre Freude dem heiligen
Joachim, und sie dankten beide Gott. Ich sah sie unter dem Baume im
Gar-ten beten, wo der Engel die Mutter Anna getröstet hatte. Ich ward
aber unterrichtet, daß die heilige Jumgfrau 5 Tage früher als andere
Kinder beseelt und 12 Tage eher geboren ward.
Mariä Geburt
Anna hatte schon einige Tage vorher zu Joachim gesagt, daß die Zeit
ihrer Niederkunft herannahe. Sie sendete Boten nach Sephoris zu ihrer
jüngeren Schwester Maraha, ins Tal Zabulon zu der Witwe Enue, der
Schwester Elisabeths und nach Bethsaida zu ihrer Nichte Maria Salome,
um diese drei Frauen zu sich zu bescheiden. Ich sah sie auf der Reise,
Enue, die Witwe, war von einem Knechte, die beiden anderen von ihren
Männern begleitet, welche aber in der Nähe von Nazareth zurückkehrten.
Ich sah, daß Joachim am Tage vor Annas Niederkunft seine vielen Knechte
zu den Herden hinwegsendete und so auch von den neuen Mägden Annas nur
die nötigen in dem Hause zurückbehielt. Auch er selbst ging hinaus nach
seinem nächsten Hirtenfeld. - Ich sah, daß Annas erstgeborene Tochter
Maria Heli das Hauswesen besorgte. Sie war damals etwa 19 Jahre alt,
mit Kleophas, einem Oberhirten Joachims, verheiratet, von welchem sie
ein Töchterchen Maria Kleophä hatte, welches jetzt etwa 4 Jahre alt
war.
Joachim betete und suchte seine schönsten Lämmer, Böcklein und Rinder
aus und sendete sie durch Hirten zum Tempel als ein Dankopfer. Er
kehrte erst in der Nacht nach Haus. Ich sah die drei verwandten Frauen
am Abend im Hause Annas ankommen. Sie begaben sich zu ihr in ihren
Wohnraum hinter dem Herde und umarmten sie. - Nachdem Anna ihnen die
Nähe ihrer Entbindung angezeigt, stimmte sie mit ihnen stehend einen
Psalm an: "Lobet Gott den Herm, er hat sich seines Volkes erbarmt und
hat Israel erlöst und hat wahr gemacht die Verheißung, die er Adam im
Paradiese gegeben, der Same des Weibes soll der Schlange das Haupt
zertreten usw." - Ich kann nicht mehr alles der Reihe nach
vorbringen.
Anna war wie im Gebet entzückt, sie sprach alle Vorbilder Mariä in dem
Psalme aus. Sie sagte: "Der Keim, den Gott dem Abraham gegeben, ist bei
mir gereifet." Sie erwähnte der Verheißung des Isaak an Sara und sagte:
"Die Blüte des Stabes Aarons ist in mir vollendet." - Dabei sah ich sie
wie von Licht durchdrungen. Ich sah das Gemach voll von Glanz und die
Leiter Jakobs über ihm erscheinen. - Die Frauen waren alle in freudigem
Staunen wie entzückt, und ich glaube, daß sie die Erscheinung auch
sahen. Erst nach diesem Willkommgebete ward den angekommenen Frauen
eine kleine Erquickung von Broten, Früchten und Wasser mit Balsam
gereicht. Sie aßen und tranken stehend und legten sich dann bis gegen
Mitternacht nieder, von der Reise zu ruhen. - Anna blieb auf, betete
und weckte um Mitternacht die Frauen, mit ihr zu beten. Sie folgten ihr
hinter einen Vorhang, wo ihr Betort war.
Anna öffnete die Türen eines kleinen Wandschranks, welcher ein
Heiligtum in einer Büchse enthielt. Zu beiden Seiten befanden sich
Lichter, ich weiß nicht ob Lampen. Man schob sie aus einem Behälter in
die Höhe und steckte kleine Späne unter, damit sie nicht niedersanken.
Man zündete die Lichter an. Ein gepolsterter Schemel stand zu Füßen
dieser Art von Altärchen. - In der Heiligtumsbüchse befanden sich Haare
der Sara, die von Anna sehr verehrt war, Gebeine von Joseph, die Moses
mit aus Ägypten gebracht hatte, etwas von Tobias, ich glaube eine
Kleidungsreliquie und der kleine weiße schimmernde birnenförmige
Becher, aus welchem Abraham bei dem Segen des Engels getrunken, und den
Joachim aus der Bundeslade mit dem Segen erhalten hatte. - Ich weiß
jetzt, daß dieser Segen Wein und Brot, eine sakramentalische Nahrung
und Stärkung gewesen ist.
Anna kniete vor dem Schränkchen, zu ihren beiden Seiten eine der Frauen
und die dritte hinter ihr. Sie sprach wieder einen Psalm, ich meine, es
ward darin des brennenden Dornbusches Mosis erwähnt.- Ich sah nun ein
übernatürliches Licht die Kammer erfüllen und sich um Anna herum
webend, verdichten. Die Frauen sanken wie betäubt auf ihr Antlitz. Das
Licht bildete sich um Anna ganz zu jener Gestalt, welche der brennende
Dornbusch Mosis auf Horeb hatte, so daß ich nichts mehr von ihr sah.
Die Flamme strahlte ganz nach innen, und ich sah nun plötzlich, daß
Anna das leuchtende Kind Maria in ihre Hände empfing, in ihren Mantel
einschlug, an ihr Herz drückte, dann nackt auf den Schemel vor das
Heiligtum legte und noch fort betete. - Dann hörte ich das Kind wei-nen
und sah, daß Anna Tücher hervorzog, die sie unter ihrem großen Schleier
hatte, der sie verhüllte. Sie wickelte das Kind bis unter die Arme grau
und rot darüber ein, die Brust, die Arme und der Kopf waren nackt. Nun
war die Erscheinung des brennenden Dornbusches um sie verschwunden.
Die Frauen richteten sich auf und empfingen zu ihrer großen
Verwunderung das neugeborene Kindlein auf ihre Arme. Sie weinten in
großer Freude. Sie stimmten alle noch einen Lobgesang an, und Anna hob
ihr Kind wie aufopfernd in die Höhe. - Ich sah dabei die Kammer wieder
voll Glanz und erblickte mehrere Engel, welche Gloria und Alleluja
sangen. Ich hörte alle Worte. Sie verkündeten, das Kind solle am 20.
Tage Maria genannt werden.
Anna ging nun in ihren Schlafraum und legte sich auf ihr Lager. Die
Frauen aber wickelten das Kind auf, badeten es und wickelten es von
neuem, worauf sie es zu seiner Mutter legten, neben deren Lager vorn
oder gegen die Wand oder zu Füßen, wie man es wollte, ein kleiner
geflochtener Gitterkorb befestigt werden konnte, um dem Kinde nach
Wunsch seine Stelle nahe bei der Mutter und doch abgesondert zu
bereiten. Nun riefen die Frauen den Vater Joachim. Er kam zu Annas
Lager, kniete nieder und weinte in Strömen auf das Kind; dann hob er es
auf den Armen empor und sprach einen Lobgesang, gleich Zacharias bei
Johannes' Geburt. Er erwähnte in diesem Psalm des heiligen Keimes, den
Gott in Abraham gelegt und der in dem durch die Beschneidung
versiegelten Bunde bei dem Volke Gottes fortgelegt, jetzt aber seine
höchste Blüte in diesem Kinde erreicht habe und nach dem Fleische
vollendet sei. Ich hörte in dem Lobgesange auch sagen, nun sei das Wort
des Propheten erfüllt: "Ein Reis wird aus der Wurzel Jesse
hervorsprossen." - Auch sagte er in großer Demut und Innigkeit, daß er
nun gerne sterben wollte.
Nachher erst bemerkte ich, daß Maria Heli, die ältere Tochter Annas,
das Kindlein erst später zu sehen bekam. Wenn gleich wohl schon einige
Jahre Mutter der Maria Kleophä, war sie doch nicht bei Mariä Geburt
zugegen, vielleicht weil sich dieses nach jüdischen Gesetzen nicht von
der Tochter bei der Mutter geziemte. Am Morgen sah ich die Knechte und
Mägde und viele Leute der Gegend um das Haus versammelt. Sie wurden
partienweise eingelassen, allen wurde das Kind von den Frauen gezeigt.
Viele waren sehr gerührt, und manche besserten sich. - Die Benachbarten
waren hierzu gekommen, weil sie nachts einen Glanz über dem Hause
gesehen und weil Annas Niederkunft, als einer lang Unfruchtbaren, für
eine große Gnade des Himmels gehalten wurde.
Freude bei Mariä Geburt im Himmel
Im Augenblicke, als das neugeborene Kind Maria auf den Armen der
heiligen Mutter Anna ruhte, sah ich es zugleich im Himmel vor dem
Angesichte der allerheiligsten Dreifaltigkeit dargestellt und von
unbeschreiblicher Freude aller himmlischen Heerscharen begrüßt. - Da
erkannte ich, daß ihr alle ihre Seligkeiten, Schmerzen und Geschicke
auf eine übernatürliche Weise bekannt gemacht wurden. Maria ward von
unendlichen Geheimnissen unterrichtet, und doch war und blieb sie ein
Kind. Dieses ihr Wissen können wir nicht verstehen, weil unser Wissen
auf dem Baume der Erkenntnis gewachsen ist. Sie wußte alles dieses, wie
ein Kind die Brust seiner Mutter weiß, und daß es an ihr trinken soll.
Als mir die Anschauung verschwand, wie das Kind Maria so durch die
Gnade zum Himmel unterrichtet ward, hörte ich es zum ersten Male
weinen. Ich sehe oft Bilder dieser Art, aber sie sind für mich
unaussprechhich und für die meisten Menschen wohl nicht ganz
verständlich, weswegen ich sie nicht mitteile.
Verkündigung der Geburt Mariä in der Vorhölle
Ich sah im Augenblicke der Geburt Mariä diese den Altvätern in der
Vorhölle verkünden und sah diese alle, besonders Adam und Eva von
unaussprechlicher Freude durchdrungen, daß nun die im Paradiese
gegebene Verheißung erfüllt sei. Ich erkannte auch, daß die Altväter im
Stande ihrer Gnade vorrückten, daß ihr Aufenthalt sich aufhellte und
erweiterte und sie eine größere Wirkung auf die Erde erhielten. Es war,
als sei alle Arbeit und Buße und alles Ringen, Schreien und Sehnen
ihres Lebens zu einer befriedigenden Frucht gereift.
Bewegung in Natur - Menschen bei Mariä Geburt -
Blick auf Simeon und Hanna
Ich sah in der Zeit der Geburt Mariä eine große freudige Bewegung in
der Natur, in allen Tieren und auch in den Herzen aller guten Menschen
und hörte süßen Gesang. In den Sündern aber war große Angst und
Zerknirschung. Ich sah besonders in der Gegend von Nazareth und auch im
übrigen gelobten Lande viele Besessene zu dieser Stunde in heftige
Raserei ausbrechen. Sie wurden unter heftigem Geschrei hin- und
hergeschleudert, und die Teufel brüllten aus ihnen: "Wir müssen
weichen, wir müssen ausfahren!" Zu Jerusalem sah ich, wie der alte
Priester Simeon, der am Tempel wohnte, zur Stunde von Mariä Geburt
durch heftiges Geschrei aufgeweckt ward, welches von Wahnsinnigen und
Besessenen herrührte, deren viele in einer der Straßen am Tempelberge
in einem Gebäude ein-gesperrt waren, und über welche dem in der Nähe
wohnenden Simeon ein Teil der Aufsicht oblag. - Ich sah ihn aber um
Mitternacht auf dem Platze vor das Haus der Besessenen treten und
einen, der zunächst wohnte, um die Ursache des heftigen Geschreis
fragen, womit er alles aus dem Schlafe wecke. Dieser schrie nun noch
heftiger, daß er heraus müsse. - Simeon öffnete ihm die Türe, der
Besessene stürzte heraus, und der Satan schrie aus ihm: "Ich muß
ausfahren, wir müssen ausfahren! Es ist eine Jungfrau geboren! Es sind
so viele Engel auf Erden, die uns quälen, wir, die jetzt ausfahren
müssen, dürfen nie wieder einen Menschen besitzen." Ich sah aber Simeon
inbrünstig beten; der elende Mensch ward schrecklich auf dem Platze
hin- und hergeworfen, und ich sah den Teufel von ihm ausfahren.- Es
freute mich sehr, den alten Simeon zu sehen. Auch die Prophetin Hanna
und Noemi, eine Schwester der Mutter des Lazarus am Tempel, die später
die Lehrerin Mariä ward, sah ich erwacht und durch Gesichte von der
Geburt eines auserwählten Kindes unterrichtet. Beide kamen zusammen und
teilten sich ihre Erfahrungen mit. Ich meine, sie kannten die heilige
Mutter Anna.
Anmerkung:
1) Die Ansicht, daß die Seele nicht unmittelbar nach der
Empfängnis, sondern geraume Zeit nachher sich mit dem Leibe vereinige,
hat, obwohl sie nicht die gewöhnliche ist, ihre Autoritäten. Siehe bei
Greg. Nyss. edit. Morel. Tom. II. p. 25.
(aus: "Leben der hl. Jungfrau Maria" nach den Betrachtungen der
gottseligen Anna Katharina Emmerich, Augustinerin des Klosters
Agnetenberg zu Dülmen, Aschaffenburg (Pattloch) 1964, S. 86 ff.)
* * *
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