PAPST PIUS XII., ALBRECHT VON KESSEL UND DIE VERSCHLEPPUNG DER JUDEN VON ROM - Tausende
fanden Zuflucht in den Klöstern - Aufmerksam und mit großem Interesse
habe ich den Bericht von Stephan Adam in der "Tagespost" vom 28. August
gelesen, der den wesentlichen Inhalt des Buches von Pierre Blet S.J.
"Papst Pius XII. und der Zweite Weltkrieg/Aus den Akten des Vatikans"
wiedergibt (2. durchgesehene Auflage, Ferdinand Schöningh Verlag,
Paderborn 2001). In meinem im Frühjahr erschienenen Buch "Albrecht von
Kessel/Als Diplomat für die Einheit Europas" (Verlag Herder) habe ich
mich unter anderem mit dem Schicksal der Juden von Rom während des
Zweiten Weltkriegs befasst. Hierauf geht auch das Buch des Jesuiten
Pierre Blet ausführlich ein. Auf französisch ist es 1997 veröffentlicht
worden. Schon der Titel verrät, dass der Inhalt auf Akten des Vatikans
beruht. Einiges muss aber doch aus anderen Quellen geschöpft worden
sein. Für den Zustand der Forschung ist es leider bezeichnend, dass der
seit Jahrzehnten in Rom tätige Jesuit die verdienstvollen
Untersuchungen des Jüdischen Dokumetations-Zentrums in Mailand nicht
berücksichtigt hat, auch nicht das dort erarbeitete weitgehend auf
deutschen Originaldokumenten beruhende "Libro della Memoria" von
Liliana Picciotto Fargion, das einen präzise erarbeiteten Überblick
über die Verschleppung von Juden aus Italien in den Jahren 1943 bis
1945 gewährt. Die von mir erschlossenen Manuskripte des deutschen
Diplomaten Albrecht von Kessel (1902-1976) konnte der französische
Jesuit nicht kennen. Wohl aber hätte ihn ein Blick auf die schon 1991
erschienene erste Auflage des "Libro della Memoria" von Frau Fargion
vor manchem Irrtum bewahrt. Wie die jüdische Forscherin geht Pierre
Blet von einer Gesamtzahl von 8000 Juden in Rom im Jahr 1943 aus. In
der Nacht vom 15. zum 16. Oktober 1943 wurden von der SS jedoch nicht
"etwa 1000" Juden verhaftet, sondern nach den von Frau Fargion
ausgewerteten Unterlagen 1259 Personen. Darunter befanden sich mit
Juden verheiratete Ausländer oder Kinder aus Mischehen. 1023 Opfer der
ersten SS-Razzia in Rom wurden nach Auschwitz verschleppt, fast alle
starben dort in den Gaskammem. Die Verhafteten, die nicht Italiener
jüdischen Glaubens waren, hatte die SS im Oktober 1943 in Rom zunächst
wieder freigelassen. Von einem Befehl von Himmler, "in Anbetracht der
besonderen Bedeutung von Rom" die Judenverfolgung in der italienischen
Hauptstadt nach der ersten Razzia abzubrechen, den Blet erwähnt,
berichtet die jüdische Forscherin nicht. Auch in der deutschen
Vatikanbotschaft wusste man davon nichts. Insgesamt wurden nach
Ermittlungen des Dokumentationszentrums in Mailand 1680 Juden aus Rom
während des Zweiten Weltkriegs verschleppt, also noch mehr als
sechshundert nach dem Oktober 1943. Die übrigen Juden - jedenfalls weit
mehr als sechstausend - überlebten in Rom. Vielleicht hat die SS
zunächst tatsächlich verbreitet, Himmler habe nach der ersten Razzia
von Oktober 1943 befohlen, die römischen Juden fortan unbehelligt zu
lassen, und dann habe man behauptet, das sei auch tatsächlich
geschehen? Oder entstand die irreführende Version nur, weil die
nächtliche Aktion vom 15. zum 16. Oktober 1943 aus der Sicht der SS ein
blamabler Fehlschlag war? Nach anfänglichem Zögern waren noch vor jenen
Unglückstagen Tausende von Juden in die von Papst Pius XII. als
Zufluchtsstätten geöffneten Klöster geströmt. Albrecht von Kessel,
damals an der deutschen Vatikanbotschaft in Rom der wichtigste
Vertrauensmann des Botschafters Ernst von Weizsäcker, hatte mit Hilfe
eines Schweizer Freundes die zunächst zögernden römischen Juden
rechtzeitig und nachdrücklich gewarnt: Sie müssten unbedingt ihre
Wohnungen verlassen und sich in sichere Zufluchtsstätten begeben. Der
französische Jesuit wunderte sich darüber, dass, von wenigen Ausnahmen
abgesehen, die in römischen Klöstern versteckten Juden unbehelligt
geblieben sind: "Insgesamt betrachtet schienen sich die Klöster und
religiösen Einrichtungen einer merkwürdigen Immunität zu erfreuen,
trotz der Individuen, die für einen hohen Lohn die Juden denunzierten,
die sich dort versteckt hielten." So merkwürdig war das nicht. Die
deutsche Vatikanbotschaft hat sich, wie Kessel in seinen persönlichen
Aufzeichnungen über die Zeit der deutschen Besetzung von Rom festhielt,
auf einen persönlichen Befehl Hitlers bezogen, die deutschen Truppen
müssten die Neutralität der vatikanischen Einrichtungen strikt
respektieren. Das galt auch für die Klöster. Insgesamt waren in der
deutschen Vatikanbotschaft beim Einmarsch der deutschen Truppen nach
Rom mindestens vier Botschaftsmitglieder auf die eine oder andere Weise
mit dem Schutz der römischen Juden in ihren Zufluchtsstätten befasst:
Botschafter Ernst von Weizsäcker selbst, der damals seinen Mitarbeiter
Sigismund von Braun (1911-1998) damit beauftragt hat, Schutzbriefe an
die vatikanischen Klöster zu verteilen, in denen sich Juden aufhielten,
ferner eine Sekretärin, die diese mit dem Siegel der Botschaft
versehenen Dokumente schrieb. Dies könnte die schon in Berlin für
Weizsäcker tätige Charlotte Rahlke gewesen sein. Und schließlich
Kessel, der über den Schweizer Juristen Alfred Fahrener der jüdischen
Gemeinde von Rom zweimal, das zweite Mal mit leidenschaftlich
verzweifeltem Nachdruck, die Warnung zukommen ließ, alle Juden müßten
sich unverzüglich verstecken.(...)" Harald Vocke, DT vom 11.10.2001)
ANTISEMITISMUS - Durch
Frankreichs Großstädte rollt eine lange verschwiegene
Antisemitismus-Welle - Gewaltakte gegen die Juden - Als sich die
jüdische Gemeinde des Pariser Vororts Saint Denis an einem der letzten
Samstage zum Sabbat versammelte, trauten die Menschen ihren Augen
nicht. "Die Synagoge ist fast verwüstet worden", so Ariel Goldman,
Sprecher des Zentralrats der französischen Juden. Rituelle Gegenstände,
Bücher und Gewänder waren auf den Boden geworfen worden, die
Opferstöcke verschwunden und die Büroeinrichtung im ersten Stock
zertrümmert. An eiher Wand hatten die Täter den Schriftzug "Jude = tot"
hinterlassen. Überfälle auf Juden sind in Frankreich fast zur Routine
geworden. Brandsätze auf Synagogen, Quälereien jüdischer Schüler - das
Land erlebt eine Woge des Antisemitismus. Nach langem Lavieren und
einer Zeit des Kleinredens stellte Bildungsminister Luc Ferry kürzlich
ein Sofortprogramm vor, das er an alle Lehrer des Landes verteilen
ließ. Titel des Programms: "Zehn Maßnahmen für den Kampf gegen
Rassismus und Antisemitismus an den Schulen." Die Regierung von
Premierminister Raffarin kann nicht mehr ignorieren, was die
Statistiken seit zwei lahren belegen. Allein im vergangenen Jahr
versechsfachten sich antisemitische Angriffe, stellt der Bericht der
nationalen Menschenrechtskommission (CNDH) fest. Zum ersten Mal seit
zehn Jahren weist das Innennministerium mehr Gewaltakte gegen Juden aus
als gegen die zahlenmäßig fast sieben Mal größere Gruppe der Araber.
Selbst die ansonsten zurückhaltenden Beamten des Innennministeriums
sprechen bereits - von der breiten Offentlichkeit weitgehend unbemerkt
- im Rassismus-Bericht von einer "Explosion der antisemitischen
Gewalt". "Es gibt ein Vor und ein Nach dem 11. September", sagt die
Lehrerin Arlette Corvarola. "Die arabisch-stämmigen Schüler sind seit
den Attentaten von New York selbstbewußter geworden und sagen auf
einmal offen, was sie vorher nur untereinander gesagt haben." Via
Satellitenfemsehen wird der Nahost-Konflikt in die Wohnzimmer der fünf
Millionen in Frankreich lebenden Muslime getragen. Mit fatalen Folgen
für die jüdischen Schüler. So wie für Olivier, einen ehemals lebhaften
Jungen, der keine Probleme mit seiner Klasse hatte, wo acht von zehn
Kameraden muslimischen Glaubens sind. Olivier lebte in Frieden, bis er
bei einem Festakt für deportierte jüdische Schüler seines Gymnasiums im
20. Pariser Arrondissement einen Gedenktext las. "Dreckiger Jude",
wurde er beschimpft. "Weißt du, was deine Familie mit den
palästinensischen Babys macht?" Es folgten Fußtritte. Der Elfjährige
ging in die innere Emigration, sagte nichts mehr im Unterricht, die
Noten verschlechterten sich dramatisch. Bis der Rektor die Mutter zum
Gespräch bat. "Ihr Sohn sollte die Schule wechseln; wir können seine
Sicherheit nicht mehr gewährleisten", schlug der Schulleiter vor. Die
Mutter war außer sich: "Wo sind wir hier? Die Täter bleiben, das Opfer
muß gehen?" - "Wir können die Prinzipien der Republik nicht auf dem
Rücken Oliviers durchboxen", verteidigte sich der Pädagoge, "das würde
den Jungen brechen." Die Jüdin Laurence Cohen, Mutter von vier
schulpflichtigen Kindern, stellte die Lehrer zur Rede, als innerhalb
weniger Monate ihr zweites Kind malträtiert wurde. Ein Foto der
13-jährigen Tochter mit Beschimpfungen und Hakenkreuz ging auf dem
Schulhof herum. Ihr 14-jähriger Sohn mußte sich monatelang beleidigen
und schließlich ohrfeigen lassen. Der muslimische Täter wurde für zwei
Tage von der Schule verwiesen. (...) "Die Regel war auf den Gymnasien
immer, "keine Wellen zu schlagen, keinen Ärger zu machen, nur nicht
aufzufallen", sagt eine Lehrerin, die ihren Namen nicht nennen will.
"Eine Schule, an der nichts passiert, ist eine gute Schule." Erst ein
Buch, entstanden bei Fortbildungsseminaren mit Lehrern, brach das Tabu.
Unter dem Titel "Der verlorene Boden der Republik" sammelte Emmanuel
Brenner Berichte aus dem rassistischen Alltag vieler Pädagogen.
Französischlehrer gestanden, daß sie auf die Lektüren französischer
Schriftsteller jüdischen Glaubens lieber verzichten. (...) Das
unscheinbare Büchlein rüttelte auch die konservative Regierung wach.
Premierminister Raffarin brach mit der Tradition, gebetsmühlenhaft zu
wiederholen "Frankreich ist kein antisemitisches Land". Nun räumt er
ein: "Der Staat ist nicht unschuldig an einer gewissen Verharmlosung
der bedrohlichen Antisemitismus-Statistiken." Bildungsminister Ferry
brach ein weiteres politisches Tabu - und benannte die mutmaßlichen
Täter: "Arabisch-muslimische Kreise." Er benannte auch diejenigen, die
er für die Komplizen der Täter hält: "Ein Teil der linken Lehrer, die
anti-israelisch sind, tolerieren mehr und mehr antisemitische Parolen."
(...) (Privat Depesche vom 3.9.03)
REINES WUNSCHDENKEN - Die
meisten Deutschen glauben nicht an ein Leben nach dem Tod - Hamburg
(DT/KNA) Die Auferstehung von den Toten ist einer repräsentativen
Umfrage zufolge für die meisten Deutschen eine irreale Vorstellung. Wie
das in Hamburg erscheinende evangelische Magazin "chrismon" am
Freitag berichtete, erklärten 41 % der Befragten, dies sei für sie
reines Wunschdenken. Mit 57 % sei dabei der Anteil in Ostdeutschland,
der diese Auffassung vertrete, besonders hoch. Die christliche
Vorstellung, "der Körper stirbt und die Seele lebt weiter", teilen
der Umfrage zufolge rund 30 % der Bundesbürger. (...) (DT vom
12.3.02)
DIALOG MIT DEN JUDEN? - Juden
zu missionieren, ihnen das Christentum zu predigen, bezeichnet der
Landesrabbiner und Sprecher der Rabbiner in Deutschland, Joel Berger,
als "Fortsetzung des Holocaust mit anderen Mitteln, weil Mission zur
Eliminierung des Judenseins in Deutschland und in aller Welt beiträgt."
In einem Interview mit dem "Rheinischen Merkur" (Nr. 48, 2001) fordert
Berger: "Die christlichen Kirchen müssen ihren
Alleinvertretungsanspruch aufgeben, nach dem nur der kirchliche Weg zum
Heil führt (...). Christen sollen uns nicht missionieren... Die
Hoffnung, den Dialog als Heilmittel für die Lösung unserer Probleme zu
sehen, trügt. Christen und Juden haben sich zweitausend Jahre lang
auseinandergelebt. Und schließlich steckt hinter dem Dialog immer ein
verdeckter Missionierungsversuch. Wir haben einander wenig zu sagen,
weil die Kirche den Juden Jesus zum Christus gemacht hat. Durch die
judenmissionarischen Tendenzen, die im Gespräch mitschwingen, kann kein
wirklicher Dialog stattfinden... Juden und Muslime stehen sich viel
näher, als wir beide zum Christentum stehen... Mit Muslimen haben wir
weit weniger Dissens. Es gibt keine religiöse Auseinandersetung: Wir
sind beide streng monotheistisch. Wir benötigen keinen theologischen
Dialog. Wir haben keine Probleme, keine tiefgreifenden Unterschiede..."
Und am Schluß seines Interviews rät Landesrabbiner Berger:
"Verabschieden Sie sich von allen christlichen Vorstellungen! Islam und
Judentum sind nicht Religionen im christlichen Sinn. Es sind
Lebensweisen, deren Strukturen sehr ähnlich sind."
EIGENTLICH NUR SCHWINDEL - Zu: "Kirchen auf der Suche nach ganz
anderen Formen der Mission" (F.A.Z. vom 19. Juli). In der F.A.Z. hat
Dr. Klaus Berger vor wenigen Monaten vor der Ökumene als Mogelpackung
gewarnt. Hört man Kirchenpräsident Steinacker, droht uns Schlimmeres.
Die Ökumene als Schimäre, ein blutleeres durchscheinendes, ungreifbares
Etwas, das seine Existenz nur dem Vergessen, schlimmer noch dem
bewußten Verschweigen nach wie vor existierender wesentlicher
Unterschiede zwischen den christlichen Konfessionen verdankt. Beispiel
Abendmahl/Eucharistie. Wenn Kirchenpräsident Peter Steinacker
behauptet, die katholische und die evangelische Abendmahlslehre
unterschieden sich nur in dem Verständnis von Amt und Kirche, ist dies
eine Behauptung, die man einem Prof. Dr. der Theologie nicht abnehmen
kann. Dr. Steinacker wird zunächst wissen, daß es eine "evangelische"
Abendmahlslehre nicht gibt, sondern allenfalls ein calvinistisches,
zwinglianisches, lutherisches Abendmahlsverständnis, das sich in
Theorie und Praxis ebenso deutlich unterscheidet wie katholische
Eucharistie und lutheranisches Abendmahl. Jedes Erstkommunionkind wird
dem Herrn Professor erklären können, was die katholische Eucharistie
auszeichnet, auch wenn es nicht weiß - und in den meisten Fällen nie
lernen wird -, worin sie sich von einem calvinistischen Abendmahl
unterscheidet. Doch wird sich dieses Kind, sollte es einmal in ein
protestantisches Bethaus geraten, schon über die Einrichtung wundern.
Kein ewiges Licht, das die Präsenz Gottes anzeigt, kein Tabernakel, das
den Leib Christi birgt, keine Kniebänke, damit sich die Gläubigenvor
der Erscheinung des Herrn in Brot und Wein beugen können. Kein
Kruzifix, sondern ein schlichtes und nichtssagendes Kreuz, Menschen,
die nicht das Kreuz schlagen, wenn sie das Haus Gottes betreten, die
nicht das Knie beugen vor Altar und Tabernakel. Altäre ohne Reliquien,
Räume ohne das Licht von Kerzen vor den Bildern Marias und der
Heiligen. Wenn man die protestantischen Bethäuser überhaupt betreten
kann, denn das wird das Kind zuallererst lernen: die katholischen
Häuser sind offen, die protestantischen geschlossen. Nicht nur die
Theorie unterscheidet uns, es ist die sinnlich-praktische Architektur,
die Kunst, die Liturgie. Und angesichts dieser Unterschiede kann es
eigentlich nur Schwindel sein, wenn Herr Steinacker behauptet, die
akademische Theologie sei angesichts des "bereits praktizierten
Abendmahls" weiter fortgeschritten als das katholische Lehramt. Wie
soll es denn aussehen, das "gemeinsame" Abendmahl, denn nicht einmal
die Einsetzungsworte - das Zentrum der Abendmahlsliturgie - sind mehr
gemeinsam. Während die Protestanten der altertümlichen Übersetzung
Luthers folgend altväterlich-verstaubt "das Neue Testament im Blut
Christi" feiern, beten die Katholiken "den Kelch des Neuen und Ewigen
Bundes" an. Da bin ich doch wirklich gespannt auf die gemeinsame Feier.
Wer spricht welche Einsetzungsworte, wer nimmt den Kelch und die
Hostie, wer reicht sie wem, steht man nun oder kniet man nun, werden
nun Papst, Bischöfe, Maria und die Heiligen angesprochen oder besser
verschwiegen, kommen die Reste ins Tabernakel, vom ewigen Licht
beleuchtet, oder in den Müll. Theologisch ist da, ehrlich gesagt,
nichts zu beackern. Entweder wir glauben, oder wir glauben nicht, und
damit sollten wir zufrieden sein. Wer die Hostie als den Leib Christi
ansieht, wird sich den Orthodoxen und Katholiken anschließen, die
anderen mögen sich anders behelfen. Hans Mohrmann, Darmstadt (FAZ,
19.8.03)
"KINDER SIND EMPFÄNGLICH FÜR REGELN"
- Der Soziologe Klaus Hurrelmann über die Chancen, Schülern mehr
soziale Kompetenz zu vermitteln. Lehrer klagen über den rüden
Umgangston ihrer Schüler und mangelnden Respekt. Der Bielefelder
Soziologe Klaus Hurrelmann spricht über die Ursachen.
SZ: Ist Benimm-Unterricht die richtige Antwort auf schwierige Schüler?
Hurrelmann: Es ist auf jeden Fall der richtige Zeitpunkt, darüber zu
sprechen. In der letzten Shell-Jugendstudie hatten wir das
überraschende Ergebnis, dass die junge Generation eine neue
Sensibilität für Werte hat. Die Eltern sind die Angehörigen einer von
der anti-autoritären Bewegung beeinflußten Generation. Aber ihre Kinder
haben einen Wertewandel vollzogen. Sie sind empfänglich für
Verbindlichkeiten und Regeln.
SZ: Woher rührt dann die Respektlosiqkeit, über die Lehrer so klagen?
Hurrelmann: Schlüssel für das Sozialverhalten von Kindern sind die
Elternhäuser. Aber auch die Lehrer müssen sehen, dass ihr eigenes
Vorbild, ihre eigenen Muster des Umgangs einen erheblichen Anteil an
der Situation haben, und daran arbeiten. Es ist eine späte Lehre für
die 68er, dass es ohne eine faire und anerkannte Autorität der
Lehrperson nicht geht.
SZ: Ist die anti-autoritäre Erziehung der 68er Generation gescheitert?
Hurrelmann: Die Schuldiskussion wirft zweifellos ein Bild auf die
gesamte Gesellschaft. Die 68er-Generation hat die Regeln gesprengt und
war nicht in der Lage, neue, faire Umgangsformen aufzubauen. Erst die
junge Generation ist bereit, eine soziale Ordnung wieder ernst zu
nehmen. Diese ist letztlich ein urdemokratisches Prinzip. - Interview:
Christine Burtscheidt (SZ vom 6./7.9.03)
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