Der hl. Robert Bellarmin
von
Eugen Golla
Robert Bellarmin, der 1542 zu Montepulciano im Großherztum Toskana
geboren wurde, entstammt einer vornehmen, aber wenig bemittelten
Familie. Sein Vater, der das Amt eines Stadtoberhauptes innehatte,
gestand, daß er ohne Gottvertrauen verzweifelt hätte, da er fünf Söhne
und sieben Töchter ernähren mußte.
Roberts Mutter, die tieffromme Cynthia Cervini, war die Schwester des
Papstes Marcellus II. Dessen Erhebung auf den Stuhl Petri veranlaßte
begreiflicherweise den Jubel aller kirchlich Gesinnten, denn von ihm,
einem strengen Vertreter der katholischen Reformation, konnte der
Aufschwung der vom Protestantismus schwer getroffenen Kirche erwartet
werden. Jedoch die Worte aus Vergilis Äneis "Das Schicksal wollte ihn
nur zeigen...", die zu Ehren eines anderen Marcellus, des
frühverstorbenen Neffen und Schwiegersohns des Kaisers Augustus
geschrieben waren, galten auch für den Cervini-Papst: nach
vierzehntägiger Regierung starb er.
Bellarmins Mutter erreichte es, daß ihr Sohn, der sich nicht nur durch
Gottesfurcht, sondern auch durch eine auffallende Begabung zum Studium
auszeichnete, 1560 in den Jesuitenorden eintreten durfte. Nach den in
diesen Kollegien üblichen philosophischen Studien begann er seine
theologische Ausbildung in Padua, aber schon zwei Jahre später wurde er
nach Löwen, in die damals spanischen Niederlande gesandt, dessen
Universität nach der Sorbonne in Paris zu den bedeutendsten zählte. Es
war gewiß göttliche Fügung, daß er einen Wirkungskreis zugewiesen
bekam, der sich im Zentrum der Auseinandersetzung zwischen
Katholizismus und Protestantismus befand, so daß er in Theologie und
Praxis Kenntnisse erwerben konnte, die ihn zum bedeutendsten
katholischen Apologeten in der Frühzeit der Reformation heranbildeten.
Hier widerlegte er auch die falschen Lehren des Kanzlers der
Universität, Michael Bajus, über Gnade und Freiheit, die später vom
Jansenismus wieder aufgegriffen und weiterentwickelt wurden.
Obwohl noch Student, erhielt er wegen seiner Begabung zum Lehren und
seiner Gewandheit im Disputieren bereits 1570 eine Professur am neu
errichteten Seminar der Gesellschaft Jesu. Da aber der 1561 in Rom
eingerichtete Lehrstuhl für Kontroverstheologie bis dahin keine Erfolge
aufweisen konnte, erhielt er 1576 den Auftrag, diesen zu übernehmen. Es
war dies für Bellarmin eine große Auszeichnung, denn unter seinen
Zuhörern befanden sich nun auch die Schüler des Englischen Kollegiums,
die den Eid ablegten, nach vollendeten Studien in ihre Heimat als
Missionare zurückkehren. (Für viele sollte das den Tod durch ein
grausames Martyrium bedeuten.) Als Frucht seines großen Fleißes ließ
Bellarmin in Ingolstadt, einem wichtigen Zentrum des Glaubenskampfes,
sein Hauptwerk die "Controversiae" ("Die Streitfragen") erscheinen,
dessen zweiter Band auf der Frankfurter Buchmesse als Bestseller
verkauft werden konnte. Dies Werk rief in den ersten hundert Jahren
nicht weniger als etwa zweihundert Gegenschriften hervor. Die
"Controversiae", in denen er sich - im Gegensatz zu den meisten
protestantischen polemischen Schriften - eines gemäßigten Tones
befleißigte, galt als die bedeutendste Widerlegung der protestantischen
Deutung des Tridentinums bis zum Vatikanischen Konzil 1869/70. Etwas
vergleichbares bot erst die 1834 erschienene "Symbolik" Möhlers, welche
die dogmatischen Gegensätze zwischen Katholiken und Protestanten von
einem eher irenischen Standpunkt erläuterte, weshalb er auch von der
Konzilskirche vereinnahmt worden ist.
Das dreibändige Werk Bellarmins behandelt die Quellen des Glaubens
(Schrift und Tradition), die streitende Kirche (Christus, Papst, Klerus
und Laien), die leidende Kirche (die Armen Seelen), die triumphierende
Kirche sowie die Sakramente, die Gnade und die Sünde. Neue Wege
beschritt er hinsichtlich der Lehre vom Papst. Er lehnt die zwei
extremen Meinungen ab, daß der Papst die Obergewalt über die gesamte
Welt besitze beziehungsweise auf zeitlichem Gebiet gar keine Macht
innehabe. Stattdessen legt er eine Theorie vor, gemäß welcher der Papst
- allerdings nur in bestimmten Fällen - über eine indirekte oberste
Gewalt in zeitlichen Angelegenheiten verfüge. Diese Lehre erzürnte den
energischen und strengen Papst Sixtus V. derart, daß er dieses Buch auf
den Index setzen wollte, woran ihn aber sein baldiger Tod hinderte.
Robert schreckte auch nicht davor zurück, das heikle Thema eines
möglicherweise häretischen Papstes zu behandeln, das seit dem großen
Schisma zu Anfang des 15. Jahrhunderts nicht mehr ganz irreal erschien.
Nach Untersuchung verschiedener Theorien berühmter Theologen folgerte
er: "Ein offenbar ketzerischer Papst hört von selbst auf, Papst und
Haupt der Kirche zu sein, sowie er von selbst aufhört, Christ und Glied
des kirchlichen Leibes zu sein; darum kann er von der Kirche gerichtet
und bestraft werden."
Im Kapitel über die Laien findet eine gewisse Annäherung an die moderne
Lehre vom Staat Eingang: die weltliche Gewalt wird vom Volke verliehen,
das sie in Gestalt verschiedener wechselnder Regierungsformen an andere
delegiert; die Kirche ist aber nach göttlichem Recht unveränderlich
monarchisch.
In der Zwischenzeit war Bellarmin aber auf verschiedenen Gebieten
tätig, die alle seine gewaltige Arbeitskraft und seinen Reichtum an
Ideen voll in Anspruch nahmen. Noch unter Sixtus V. wurde er dem Kard.
Gaetani, der als Legat im Streit zwischen König Heinrich IV. von
Frankreich und der von Spanien unterstützten Liga vermitteln sollte,
beigegeben, in welcher Stellung er bewußt jede Einmischung in die
Politik vermied. Nach dem Ableben des Papstes nach Rom zurückgekehrt,
nahm er seine Tätigkeit am Collegium Romanum wieder auf, allerdings
nicht als Professor, sondern als geistlicher Vater. In diesen Jahren
war Aloysius von Gonzaga sein Beichtkind, zu dem er in ein besonders
inniges Verhältnis trat, das aber leider schon 1591 durch den Tod des
jungen Markgrafensohnes sein Ende fand. 1594 wurde Bellarmin
Ordensprovinzial in Neapel, ab 1597 berief ihn Papst Klemens VIII. zu
seinem theologischen Berater und ernannte ihn 1599 zum Kardinal, wobei
er sagte: "Wir erwählen ihn, weil niemand ihm an Gelehrsamkeit
gleichkommt und er der Neffe von Marcellus II. ist." Auch in dieser
hohen Stellung blieb Bellarmin bescheiden und weigerte sich, Nepoten zu
ernennen. Eifrig beteiligte er sich an der Arbeit in sämtlichen
Dikasterien, ohne an der Spitze einer derselben zu stehen, weshalb er
den Beinamen "Fac totum" erhielt. So wirkte er, wenn auch
gezwungenermaßen bei der Verurteilung des exkommunizierten Dominikaner
Giordano Bruno, einer der bedeutendsten Naturforscher der Renaissance,
zum Tode auf dem Scheiterhaufen mit.
1602 erfolgte seine überraschende Ernennung zum Erzbischof von Capua.
Wahscheinlich wollte ihn der Papst aus Rom entfernen, weil er in den
thomistischen und molinistischen Streitigkeiten über die Wirksamkeit
der Gnade eine andere Meinung vertrat als der Papst. In den drei Jahren
seines Wirkens in der von der Ewigen Stadt weitentfernten Diözese
erwies sich Bellarmin als wahrer Hirte seiner Gläubigen. Nicht nur, daß
er die vernachlässigte Kathedrale verschönerte und ein großer Wohltäter
der Armen war, er wirkte auch als hervorragender Prediger.
1605, dem Jahre zweier Konklaven, galt er bei beiden Wahlen als
Kandidat für den päpstlichen Thron. Trotz des Bemühens einer Gruppe von
Kardinälen scheiterte jedesmal seine Wahl, worauf er mit den Worten
reagierte, er hätte, um gewählt zu werden, nicht einmal einen Strohhalm
aufgehoben.
Unter Papst Paul V. entstand ein heftiger kirchenpolitischer Streit mit
der Republik Venedig, der dadurch ausgelöst worden war, daß der Senat
die kirchlichen Jurisdiktion mißachtete. Der Führer in die-ser
Auseinandersetzung, der zum Interdikt über die Lagunenstadt führte, war
der ehemalige Servitenpater Paolo Sarpi, der die Lehren der Konzilien
von Konstanz und Basel verteidigte und zur Mißachtung des Interdikts,
überhaupt zum Ungehorsam gegen den Papst aufrief. Da Venedig wegen
seiner Nachbarschaft zum Deutschen Reich in höchstem Maße in religiöser
Hinsicht gefährdet erschien - besonders England war bemüht,
protestantische Schriften in großen Mengen einzuschmuggeln - veranlaßte
Paul V. Bellarmin gegen die venetianischen Theologen und Juristen
Streitschriften zu verfassen, die zu den bedeutendsten auf diesem
Gebiete gehören.
In diesen Jahren führte er auch mit dem englischen König Jakob I., dem
katholisch getauften Sohn Maria Stuarts, heftige Kontroversen, die er
selbst die dornigsten seines Lebens zählt. Der doppelzüngige König
fügte den Katholiken viel Leid zu, wobei seine Hauptwaffe der
sogenannte Treueid war. Jakob sah in ihm bloß einen Akt der weltlichen
Gewalt und bestritt daher dem Papst jedwede Art von Einmischung, wobei
es ihm gelang sogar einen Teil der Katholiken auf seine Seite zu
ziehen. Begreiflicherweise bezeichnete Bellarmin dagegen diesen Eid als
eine Gewissensvergewaltigung, wobei er die Argumente auf seine Theorie
von der indirekten Gewalt des Papstes stützte, die er in seinen
"Controversiae" entwickelt hatte. Innerhalb von sechs Jahren griff der
Heilige mit vier Schriften in diese Auseinandersetzung ein. Der König,
der sich für einen großen Theologen hielt, verzichtete schließlich
sogar auf sein Hauptvergnügen, die Jagd, und schloß sich mit seinen
Theologen ein, um eine neue, an sämtliche Monarchen des Christkichen
Erdkreises gerichtete Apologie zu verfassen; in dieser wiederholte er
nicht nur, daß der Treueid nur bürgerlichen Gehorsam verlangte, sondern
er wiederholte auch die allbekannten Beschuldigungen der Protestanten,
einschließlich des Nachweises, daß der Papst der Antichrist sei.
Bellarmin mußte auf päpstlichen Befehl eine neue Verteidigungsschrift
verfassen, aber der Treueid blieb in England weiter das wichtigste
Drohmittel gegen die Katholiken.
Wenige Jahre später begann die Inquisition die Schrift Galileis über
das kopernikanische Weltsystem zu überprüfen, dessen Hauptsatz von der
Heliozentrik, also der Lehre von der Bewegung der Erde um die Sonne,
angeblich den Darstellungen in der Heiligen Schrift widersprechen würde.
Als Mitglied des heiligen Offiziums trat nun an den inzwischen über
siebzig Jahre alt gewordenen Bellarmin die Aufgabe heran, sich mit
dieser die Theologie und die Naturwissenschaften revolutionierenden
Lehre auseinanderzusetzen. Er verhielt sich dem großen Physiker und
Astronomen gegenüber wohlwollend, ja er bewunderte ihn, jedoch betonte
er, man müsse die Lösung des Widerspruchs zwischen Theologie und
Naturwissenschaft den Theologen überlassen.
Diese Auseinandersetzung findet auch ihre dramatische Bearbeitung.
Bertold Brecht läßt in seinem Stück "Das Leben des Galilei" Bellarmin
auf der Bühne auftreten. Eindrucksvoll spielt sich die geschichtlich
belegte Zusammenkunft des Kardinals mit Galilei in einem für einen
Maskenball dekorierten Saal ab. Aus ihm ertönt der Anfang eines
Gedichts Lorenzo Medicis, gesungen vom Knabenchor, ein schwermütiges
Lied, das die so rasch davoneilende Jugend mit einer dahinwelkenden
Rose vergleicht... Bellarmin tritt ein, die Maske eines Lammes vor sein
Antlitz haltend. Er beginnt eine Diskussion mit Kardinal Barberini und
Galilei; und wieder erweist sich Bellarmin gnädig gesinnt, indem er dem
von der Inquisition angeklagten Naturforscher erlaubt, seine
astronomischen Untersuchungen weiter fortzusetzen, allerdings nur als
Privatmann in Form einer Mathematischen Hypothese. (Am 16. Mai
desselben Jahres, 1616, gab er Galilei sogar die Erklärung ab, er sei
bereit, seine Interpretation der Hl. Schrift zu revidieren, falls ein
überzeugender Beweis von der Richigkeit des heliozentrischen Systems
vorgelegt werden könne. Die Voraussetzungen hierfür wurden jedoch erst
gegen Ende des 17. Jahrhunderts durch Newton geschaffen.)
Kardinal Bellarmin verfaßte, besonders in der zweiten Hälfte seines
Lebens, außer apologetischen Schriften auch viele andere Werke. Zu den
bedeutendsten zählt der Kommentar über die Psalmen, der sich mehr duch
tiefe Frömmigkeit als scharfsinnige Exegese auszeichnet. Schon 1597
begann er mit der Ausarbeitung seines großen und kleinen Katechismus,
wobei der erstere zu den bedeutendsten Leistungen auf dem Gebiet der
Glaubensverkündigung seit dem Tridentium zählt und in viele Spra-chen
übersetzt worden ist. Bellarmin gehört auch zu den Befürwortern der
Dogmatisierung der Unbefleckten Empfängnis Mariae, wofür allerdings
damals die Zeit noch nicht gekommen war. Von 1614-19 hielt er für je
einen Monat die Ignatianischen Exerzitien ab; hierbei verfaßte er
jährlich bestimmte Andachtsbücher, die sich großer Beliebtheit unter
den Gläubigen erfreuten. Sehr groß war auch die Zahl seiner Briefe, da
er mit den bedeutendsten Persönlichkeiten in schriftlichem Kontakt
stand.
Ende August 1621 zog er sich in das Noviziat des hl. Andreas auf dem
Quirinal zurück, das auch sein Exerzitienhaus war. Hier befiel ihn ein
Fieber, dem er bereits am 17. September erlag. Daraufhin erschien in
protestantischen Ländern ein Buch, das trotz seiner Aufschrift: "Die
zuverlässige und wahrhafte Geschichte des verzweiflungsvollen Todes
Robert Bellarmins" nichts als Verleumdungen und Lügen enthielt.
Den kanonischen Prozessen der Selig- und Heiligsprchung stellten sich
viele Schwierigkeiten in den Weg, welche in der Hauptsache die
Freimaurer und die Jansenisten bereiteten. Die Opposition, ja der Haß
gegen die Gesellschaft Jesu wurde immer stärker, schließlich gab es
auch im Kardinalskollegium eine jansenistische Partei, deren Führer um
1750 Kardinal Passionei war, ein in Luxus und Kunstgenuß schwelgender
Kirchenfürst, ein Freund und Förderer Winckelmanns. Der größte Papst
des 18. Jahrhunderts, Benedikt XIV., ließ den Prozeß wieder aufnehmen
und nannte die Herabsetzung Bellarmins durch Passionei ein Geschwätz,
das keinen Eindruck auf ihn mache. Aber die bald danach erfolgte
vorübergehende Unterdrückung des Jesuitenordens sowie die
Schwierigkeiten, welche immer wieder diverse Staaten bereiteten,
bewirkte, daß erst Papst Pius XI. 1923 die Seligsprechung, 1930 die
Heiligsprechung und im Jahre darauf die Proklamierung Bellarmins zum
Lehrer der Kirche vornehmen konnte. Die Kirche feiert sein Fest am 13.
Mai.
Unter diesem Papst fand der Heilige seine letzte Ruhestätte in der St.
Ignatius-Kirche in Rom neben seinem früheren Beichtkind, dem hl.
Aloysius von Gonzaga.
* * *
Benützte Literatur:
Brecht, Bertold: "Das Leben des Galilei".
Pastor, Ludwig von: "Geschichte der Päpste" Band XII, XVI/1, Freiburg 1927, 1931; Ar. "Bellarmin".
"Catholicisme Hier, Aujourdhui, Demain," Bd. 1, Paris 1948.
"Realencyklopädie für protest. Theologie und Kirche", Bd. 2, Leipzig 1897.
"Theologische Realenzyklopädie", Bd. 5, Berlin, New York 1980.
"Vies des Saints", Bd. 5, Paris 1947. |