"Wohlan, wohlan die Welt ist voller Schmerzen"
Eine geschichtliche Betrachtung zum 370jährigen Erscheinen
der "Cautio Criminalis" des Jesuiten Friedrich von Spee
von
Magdalena S. Gmehling
Er lebte während des 30jährigen Krieges, einer Zeit der religiösen und
sittlichen Verwilderung. In einer Zeit, in der Deutschland "die stolze
Nation, in ein ärmliches Geschlecht von Bettlern und Räubern" (Möhler)
verwandelt wurde. Friedrich, Edler von Spee zu Langenfeld, wurde vor
410 Jahren zu Kaiserswerth, einem kurkölnischen Städtchen am Rhein
geboren. Sein Vater, Peter von Spee, ein wahrheitsliebender und
aufrechter Mann, war Burgvogt und Amtmann des Kurfürsten Gebhard,
Truchseß von Waldburg. Bereits Friedrichs Jugendzeit ist belastet von
Religionswirren. Schließlich findet er in dem von Jesuiten geleiteten
Dreikönigsgymnasium in Köln Aufnahme. 1610 tritt er neunzehnjährig als
Scholastikernovize in das Trierer Noviziat der Gesellschaft Jesu ein.
Im Herbst 1620 empfängt er die Priesterweihe. Betrachtet man das
schmale, kluge, feingeschnittene und asketische Antlitz des Paters, so
erscheint das Urteil der Zeitgenossen durchaus berechtigt: Ein "Mann
von scharfem Verstande, geistreichem und richtigem Urtheile und von
großer Gewandtheit in allen Zweigen des Wissens" (Harzheim: Biblioth.
Colon. S.57). Selbst wenn von den Werken des edlen Jesuiten nur das
Güldene Tugendbuch und die geistliche Liedersammlung der
Trutznachtigall erhalten geblieben wären, müßte man ihn als einen der
bedeutendsten Dichter katholischer Barocklyrik nennen, schrieb er doch
wie sein Ordensbruder Johann Scheffler (Angelus Silesius) erstmals in
deutscher Sprache.
Die geschichtliche Bedeutung des Rheinländers jedoch, dessen kurzes
Leben nur 44 Jahre währte, liegt in seinem Kampf gegen den Irrwahn der
Hexenverfolgung. Er wollte in einer Zeit des Rufmordes kein "stummer
Hund" sein. Noch immer ist nicht völlig geklärt, wo der mit
Lehraufträgen und Seelsorge- und Beichttätigkeit ausgelastete Pater
seine Erfahrungen sammelte. Jedenfalls scheint er um das Jahr 1627 auf
Wunsch des Würzburger Bischofs Philipp Adolf von Ehrenberg als
"Hexenbeichtiger" im fränkischen Raum tätig gewesen zu sein. Dem
jugendlichen Johann Philipp von Schönborn, dem späteren Bischof von
Würzburg und Kurfürsten von Mainz, dem er in tiefbewegten Worten sein
kummerbelastetes Herz ausschüttet, gesteht er, daß über dieser
Tätigkeit sein Haar grau geworden sei. " O, daß ich sagen könnte,
welcher Schmerz mein Herz zerreißt, weil ich diese Dinge verschweigen
muß". Als 1631 die Erstfassung der mutigen Schrift "Cautio Criminalis
(Vorsicht im Strafprozess) oder "Rechtliches Bedenken gegen die
Hexenprozesse" anonym erschien, hatte der charakterfeste Ordensmann den
größten Teil seines dornenreichen Lebensweges bereits hinter sich. Er
schreibt: " Ich schwöre bei Gott, daß ich wenigstens bis jetzt keine
Hexe zum Scheiterhaufen geleitete, von der ich nach allseitiger
Erwägung vernünftiger Weise behaupten könnte, sie sei schuldig
gewesen". Etwas später gibt er zu bedenken, es seien von fünfzig
Hingerichteten nicht fünf, ja kaum zwei schuldig.
Friedrich von Spee, dem Clemens Brentano bescheinigt, keineswegs ein
rationalistischer Aufklärer zu sein, kannte mit Sicherheit einschlägige
Veröffentlichungen, so die Arbeiten seines Ordensbruder Adam Thanner
aus Prag, ferner die Schriften des Delrio, Remigius und Binsfeld. Nicht
zu vergessen ist der berüchtigte, 1487 erstmals gedruckte "Hexenhammer"
Malleus maleficarum (Neuauflage dtv klassik 1982). Als dessen Autoren
gelten heute Heinrich Institoris, Jakob Sprenger und vermutlich auch
Johannes Gremper. Dieses über 200 Seiten umfassende Werk beurteilt kein
Geringerer als der auf diesem Gebiet erfahrene Joseph Görres. Er
schreibt, dass Sprenger durch dieses Buch "Zündstoff" angehäuft habe,
weil es zwar "rein und untadelhaft in seiner Intention, aber nicht mit
geschärfter Urteilskraft durchgeführt, ohne hinlänglichen Grund
thatsächlicher Erfahrung, unvorsichtig auf die scharfe Seite
hinüberwog" (Mystik Bd. IV. Abt.2 S. 585)
Die Zeit für die Niederschrift der "Cautio" mag Pater Spee während
eines 11-wöchigen Krankenlagers in dem zu Coevey gelegenen Stiftsgut
Falkenhagen gefunden haben. Hier musste er sich von einem bis heute
nicht völlig aufgeklärten Mordanschlag erholen, bei dem er schwere
Kopfverletzungen erlitt. Das Erscheinen seines bahnbrechenden Werkes
erfolgte zunächst ohne die vorgeschriebene Druckerlaubnis. Spee hatte
bereits um 1628 Probleme mit seinem Ordensgeneral Baving. Der
Universitätsbuchdrucker Peter Lucius in Rintelen, soll 1631 durch einen
"frommen Diebstahl" an das Manuskript gelangt sein. Auch der
Herausgeber der Erstausgabe bleibt ungenannt. Es ist klar, dass dem
mutigen Autor eine Bestrafung wegen Verletzung der Zensurvorschriften,
ja durch Missgunst im Orden sogar eine Indizierung drohte.
Während die Unruhe über das Buch, welches im April 1631 erschien, noch
andauerte, veranlassten Freunde des tapferen Jesuiten, besonders ein
ungenannter "vir amicissimus" im Juni oder Juli 1632 in Frankfurt am
Main eine "Editio Secunda". Der Herausgeber, der sich des Pseudonyms
Johannes Gronaeus I.C. bedient, erklärt, die erste Auflage der Cautio
Criminalis habe so viel Aufsehen erregt, daß sie innerhalb weniger
Monate verkauft worden sei. Sogar Mitglieder des Reichskammergerichtes
und des päpstlichen Hofes hätten eine baldige Neuauflage für ratsam
gehalten. Johann Friedrich Ritter, der den 1982 erschienenen Reprint
einleitet, hält es für wahrscheinlich, daß mindestens ein weiteres
Autograph existierte, welches in den Besitz einer hochgestellten
Persönlichkeit gelangte. Diese war dann für den Druck der "Zweiten
Auflage" verantwortlich. Jedenfalls spitzten sich die Querelen mit dem
Rektor des Kölner Jesuitenkollegs derart zu, daß der Ordensgeneral
erwog, Friedrich Spee aus dem Orden auszustoßen. Auf Verwendung des
Provinzials Nickl wurde ein freiwilliges Ausscheiden in allen Ehren und
auf eigenen Antrag angeraten. Spee widersetzte sich allen Vorschlägen
und blieb im Orden. Schließlich wurde er 1632 mit einem Lehrauftrag für
Moraltheologie nach Trier versetzt. Drei Lebensjahre verbrachte er noch
unter Freunden. Am 27. März 1635 aber, sollten die Jesuiten, unter
ihnen auch Friedrich v. Spee, als "gutkaiserlich Gesinnte" die Stadt
verlassen. Kurfürst Phillip Christoph hatte sein Land den Franzosen
übergeben. Zur Abwendung der Gefahr unternahmen die Patres ein
vierzigstündiges Gebet. Da eroberten die Kaiserlichen unter Graf
Rittberg Trier. Spee stürzte sich ins Kampfgetümmel und trug die
Verletzten auf seinen Schultern fort, um sie zu pflegen. Als kurze Zeit
später die Pest ausbrach, schonte er sich nicht. Er wurde selbst ein
Opfer der Krankheit und entschlief unter den Sterbegebeten seiner
Mitbrüder am 7. August 1635.
Friedrich von Spees "Cautio Criminalis" ist in der hier vorliegenden 2.
Fassung in 51 Fragen unterteilt. Der Verfasser leitet im
Inhaltsverzeichnis jedes Kapitel, in welchem er das Verfahren der
Juristen bei den Prozessen eingehend bekämpft mit der Form der Frage
ein. " Er zeigt, wie der Hexenprozess, auf eine Folge von
Zirkelschlüssen und Dilemmen aufgebaut, ein unheimliches Netz ist, aus
dem es kein Entrinnen mehr gibt, so daß die Richter nicht anzugeben
wissen, was denn ein wirklich Unschuldiger tun könne, um freizukommen"
(J.-F. Richter). Spee kannte die Fragwürdig-keit der auf der Folter
erpressten Geständnisse und die der Gleichförmigkeit der
Suggestivfragen. Nun beginnt die Cautio mit einer unumwundenen Bejahung
der Frage, dass es Hexen, Zauberer und Unholde gibt. Man hat unter
Berufung auf Thomasius, der die Arbeit des Jesuiten sehr schätzte darin
einen taktischen Schachzug Friedrich v. Spees vermutet. Das Verdienst
der Rationalisten des 18. Jahrhunderts besteht jedoch lediglich darin,
der allzu großen Leichtgläubigkeit auf diesem Gebiet Schranken gesetzt
zu haben. Es bleibt aber zu bedenken, dass Spee, der erfahrene Mann,
sehr wohl um dämonische Naturbeherrschung und um die Gefahr des
magisch-assimilatorischen Denkens, welches dem kausal-rationalen
entgegengesetzt ist, wusste. Der Aberglaube fragt nicht nach den
Ursachen eines Übels, sondern nach dem Verursacher. So feiert in Zeiten
und an Orten angstbesetzten Lebens die Irrationalität und mit ihr alle
Arten von Schadenszauber fröhliche Urständ.
Die Geschichte beweist seit dem Altertum magische Praktiken
lasterhaften Inhalts. Es handelt sich um dämonische Enstasen, wie sie
bereits bei den urgeschichtlichen Schamanen zu beobachten sind. In den
heidnischen Mysterien und leider auch bis in unsere scheinbar so
aufgeklärte Zeit, haben sich diese Einflüsse fortgesetzt. Vielleicht
haben wir inzwischen begriffen, dass Wicca-Kulte, Neo-Satanismus und
Zauberei, auch wenn sie scheinbar harmlos als Klamauk Kinderbücher
verunzieren, Einfallstore der Perversion par excellence sind. Die
Daemonisierung der Welt ist ein Kalkül des Antichristen, des Herrschers
der Endzeit.
Der Gebrauch von Halluzinogenen, von Berauschungs-und drogenähnlichen
Genussmitteln war seit dem Altertum weithin üblich. So legt der
Naturwissenschaftler Heinrich Marzell in der Kosmosreihe (241) ein
schmales Bändchen vor betitelt "Zauberpflanzen/Hexentränke" (Stuttgart
1963). Er schildert dort u.a. Versuche mit der sog. Hexensalbe, welche
Säfte von giftigen Nachtschattengewächsen enthält." Bemerkenswert ist
die vielfach auftauchende Vorstellung der Verwandlung in Tiergestalt
durch die Salbe. Die deutschen Hexen glaubten sich in Katzen, Hasen,
Eulen, Gänse und andere Tiere verwandelt... Außer den Solanazeen
enthielten manche Hexensalben auch Conit (= giftiger Bestandteil des
Eisenhutes, Aconitum napellus). Gerade durch diesen Zusatz, mit seinen
die sensib-en Nervenenden in der Haut erregenden, dann lähmenden
Alkaloiden, konnte die Autosuggestion der Tierverwandlung, des aus dem
Körper emporwachsenden Haar- oder Federkleides, entstehen, wie wir
heute ähnliche, von der Haut ausgehende Sinnestäuschungen bei den
Kokainisten beobachten." (ebd. S. 47). Nun wäre eine materialistische
Erklärung dieser Vorgänge sicher verfehlt, "weil durch die Rauschmittel
die Sinnen- und damit auch die Willenstätigkeit gelähmt wird, sodaß die
Daemonen förmlich eingeladen werden, Ihren stets bereiten Einfluss
geltend zu machen" (Petersdorff). Somit könnte man in den
verschiedensten Halluzinogenen und Drogen eine Art "daemonisches
Sakramentale" erblicken.
Es ist eine geschichtliche Tatsache, dass die blutige Geißel des
Hexenwesens in Europa mehr Opfer forderte, als der schwarze Tod. Von
Portugal bis Russland, von Schottland bis Sizilien wurden He-xenjagden
veranstaltet. Man denke an die Bernauerin, die tugendhafte Tochter
eines Augsburger Baders, die nach ihrer heimlichen Ehe mit Herzog
Albrecht III. von Bayern am 12.10.1435, widerrechtlich der Zauberei
angeklagt, bei Straubing in der Donau ertränkt wurde. Ferner an den
durch politischen Betrug zustande gekommenen Hexenprozess gegen Jeanne
d'Arc. Besonders schöne und besonders hässliche Weiber waren
gleichermaßen gefährdet, kräuterkundige Hebammen, Hysterikerinnen und
heilkundige "weise Frauen" galten als verdächtig. Männer, Kinder, ja
sogar Tiere wie schwarze Katzen, Hunde und Eulen wurden verbrannt.
Inmitten dieser Gräuel lebte Spee und er hat vermutlich die
"fränkischen Brände" gesehen. Sein Herz blutete beim Anblick dieses
Unheils. Ohne Menschenfurcht und gewissenlose Zaghaftigkeit schrieb er
sein Buch, in dem er seinen Standpunkt klar umreißt, " Wir alle müssen
vor den Richterstuhl der Ewigkeit treten. Wenn dort schon über jedes
müßige Wort Rechenschaft abzulegen ist, wie schwer wird da erst
Menschenblut gewogen werden? Die Nächstenliebe verzehrt mich und brennt
wie Feuer in meinem Herzen; sie treibt mich an, mich mit allem Eifer
dafür ins Mittel zu legen, daß meine Befürchtung nicht wahr werde, ein
unglückseliger Windhauch könne die Flammen dieser Scheiterhaufen auch
auf schuldlose Menschen übergreifen machen." (Cautio Criminalis. dtv
1982. S.135).
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