Das heilige Recht auf Einsamkeit
- Vor 900 Jahren starb der hl. Bruno von Köln -
von
Magdalena S. Gmehling
Geboren wurde er zu Köln, das genaue Datum ist unbekannt. Gestorben ist
der Meister der "großen Herzenstiefe" (Guigo) am 6. Oktober 1101 in der
wilden Einöde Süditaliens in La Torre in Kalabrien. Der heilige Bruno
stammte aus der adeligen Familie derer von der harten Faust. Dem
hochbegabten jungen Mann war der geistliche Beruf deutlich
vorgezeichnet. Er wurde - wie eine alte Vita zu berichten weiß - "das
Licht und die Zierde seines Jahrhunderts sowohl durch seine
Wissenschaft als seine Gottseligkeit."
Bruno erlebte als Domscholastikus zu Reims ein ärgerliches
"simonistisches" Ränkespiel. Doch dies allein war sicher nicht die
Ursache seiner Weltüberdrüssigkeit. Die Legende berichtet von einem
seltsamen "Sargerlebnis", in dem der einfühlsame Hagiograph Walter Nigg
geradezu den Schlüssel zu Brunos Persönlichkeit sieht. Beim
Totenoffizium für den angesehenen Domherrn Raimund Diokres in Paris
soll sich der Tote dreimal aus dem Sarg erhoben und seine Verdammung
bezeugt haben. Diese, von der Ritenkongregation verworfene Legende,
will besagen, "... daß es gar nicht auf das historische Faktum ankommt.
Die geschichtliche Tatsächlichkeit zum einzigen Massstab zu machen, ist
ein positivistisches Vorurteil, das am Äußerlichen hängenbleibt. Bei
jeder Legende ist auf die innere Wahrheit zu achten, die sich in ihrem
Sinn dokumentiert... Das Sargerlebnis ist für Brunos Leben von gleicher
Symbolkraft, wie die Legende von der mehrfachen Ausfahrt für Buddhas
Aufbruch." (Walter Nigg).
Träume, stumme Weisungen und die Kühnheit verborgener Wagnisse scheinen
dem Gründer der "Grande Chartreuse" durchaus gemäß. Auch bei Robert von
Molesme, dem späteren Gründer von Citeaux, findet er nicht die
angestrebte Strenge des Ordenslebens. Wohl aber verweist ihn dieser
kluge Mann an Hugo de Chateauneuf, den Bischof von Grenoble. Bevor nun
Bruno, der einstmals Hugos Lehrer war, bei diesem eintrifft, hat der
Bischof ein seltsames Traumgesicht. Er sieht in einer Einöde seines
Sprengels, Kartause genannt, einen von Gott erbauten Tempel. Aus der
Erde aber steigen sieben zirkelförmig leuchtende Sterne auf, um den Weg
zu diesem Bauwerk zu weisen. Am nächsten Morgen erscheinen die
"pauperes Christi", Bruno und seine sechs Gefährten, vor ihm mit der
Bitte, in der Einsamkeit in Buße und Armut leben zu dürfen. Hugo, ein
Mann mit viel Sinn für asketische Lebensführung, versteht die Weisung
Gottes. 1084 entlässt er die kleine Schar in ein unwirtliches und
menschenfeindliches Gebiet in den Alpen der Dauphine. "Als einen
Antonius redivivius könnte man Bruno bezeichnen, er war vom gleichen
Geist zum Unerhörten erfüllt, und bei ihm flammt das alte
Wüstenchristentum wieder auf: Nur ein Mensch, der einen Toten sich im
Sarge erheben sah, konnte auf diesen unerhörten Gedanken kommen. Dieser
Aufstieg in die Französischen Alpen ist das zweite, unfaßliche Erlebnis
Brunos, das die positive Ergänzung zum Pariser Totenoffizium bildet"
(Walter Nigg).
Der heilige Bruno ist der einzige Deutsche, der einen der alten Orden
gründete. Seine Persönlichkeit ist bis heute schwer fassbar und
verbirgt sich gleichsam hinter seinem Werk. Zu den wenigen Zeugnissen
gehört der uns verbürgte trunkene Aufschrei seines Herzens, sein
Lieblingswort: O Bonitas! Die umfassende Güte Gottes durchpulste ihn in
unbeschreiblicher Glut. Auf der Grundlage der verschärften
Benediktinerregel verwirklicht seine Gemeinschaft zunächst ohne
geschriebene Regel eine Verbindung des anachoretischen mit dem
cönobitischen Leben und dies in einer Strenge, welche uns fast
unheimlich anmutet. Zu dem entbehrungsreichen Leben in der Kartause
gehört die Enthaltung von Fleischspeisen, die Verwirklichung des "ora
et labora" durch die Teilung der Zeit zwischen Gebet und Arbeit, meist
Gartenbau und Bücherabschreiben und der Wille zur völligen
Verborgenheit. Das Gewand der stillen Mönche ist weiß, die Zellen sind
als kleine Häuschen in einiger Entfernung voneinander an die Mauer des
Klosterhofes angebaut. Den Alltag bestimmt unbestechliche Sachlichkeit
und Nüchternheit. Das immerwährende Stillschweigen wird nur einmal
wöchentlich durch einen dreieinhalbstündigen Spaziergang unterbrochen.
Stirbt ein Kartäuser, so zieht man ihm die Kapuze über den Kopf und
nagelt ihn mit der Kutte auf einem Brett fest. Alsdann wird er ohne
Sarg der geweihten mütterlichen Erde übergeben, die Brüder aber halten
ein Freudenmahl, weil einer der ihrigen die Vollendung erlangt hat. Ein
schlichtes weißes Kreuz ohne Namen bezeichnet das Grab. Es scheint
signifikant, dass ein Mann wie der bedeutende und erst spät als
Kardinal geehrte Charles Journet, der mutige Künder des Heiles durch
die Juden, welcher am 15. April 1975 verstarb, darum bat, im anonymen
Grab der Kartäuser in der Valsainte, dem Kloster in den Freiburger
Bergen, beigesetzt zu werden.
Frauen ist der Zutritt zu der Kartause generell untersagt. Dies gilt
vice versa für die wenigen Kar-täuserinnenklöster auch von Männern.
"Die Kartäuser-Liturgie ist heute noch unverändert diejenige des 11.
Jahrhunderts. Der alte gregorianische Choral ertönt aus diesen rauhen
Männerkehlen in beinahe klagendem Ernst... Während des Chordienstes
werfen sich die Kartäuser auf ein Zeichen plötzlich zu Boden. Sie
sinken im Gebet nicht in die Knie, sondern liegen flach auf der Erde,
die Kapuze über den Kopf gezogen. Dieses un-erwartete und schlagartige
Niederwerfen des Körpers auf die bloße Erde wirkt erschütternd... Der
auf dem Boden hingestreckte Mönch entspricht jedoch der Seinslage des
Kartäusers, der nicht erhobenen Hauptes einherschreitet, sondern sich
in demütigster Beugung buchstäblich vor Gott in den Staub wirft...
Diese beständige und eindrucksvolle Bußgesinnung betätigt er auch in
seiner einzigen Mahlzeit pro Tag und in vielem Fasten bei Wasser und
Brot. Ein aus Roßhaaren verfertigtes Cilicium trägt der Kartäuser Tag
und Nacht auf der bloßen Haut, und ebenso nimmt er wöchentlich an der
nicht gebotenen, aber zur Gewohnheit gewordenen Selbstgeißelung teil...
Der Kartäuser kennt nur das eine Ziel der unekstatischen Vereinigung
mit Gott, dem alles unterstellt wird. Er schreibt keine tiefsinnigen
Bücher über Mystik, aber er lebt sie in nüchterner Glut..." (Walter
Nigg)
Sechs Jahre des Schweigens und Gebetes waren dem heiligen Bruno im
Frieden der Großen Kartause vergönnt. Da erreicht ihn 1090 der Ruf des
Papstes. Urban II. ist sein ehemaliger Schüler. Er wünscht den stillen
intelligenten Mann als Ratgeber in seiner Nähe. Bruno gehorcht nach
reiflicher Überlegung. Er wird seine Gründung nie wieder betreten.
"Sein tragischer Weggang wuchs sich zur Katastrophe für sein Werk aus,
die viel größer war, als er befürchtet hatte. Eine Trostlosigkeit
ohnegleichen befiel die Mitbrüder... Kopflos ließen sie das Kloster im
Stich und zerstreuten sich in alle Welt... Das klägliche Verhalten der
davonlaufenden Mönche ist das unrühmlichste Geschehen in der ganzen
Geschichte des Kartäusertums. Es lehrt uns erschütternd, wie auch der
himmelstürmende Heroismus zusammensackt, wenn Gott seine Hand nur einen
Augenblick von ihm zurückzieht" (Walter Nigg)
Zur Ehre des Ordens sei es gesagt, dass dies die einzige schwache
Stunde im Laufe seiner Geschichte war. Weder gab es während der 900
Jahre seines Bestehens Unziemliches über seine Mitglieder zu berichten,
noch musste er je reformiert werden. Die Kartäuser haben dem Geist
dieser Welt radikal entsagt und scheuen jegliche Anpassung und
Veränderung. Als einige der geflüchteten Mönche bei Bruno in Rom
erscheinen, ist dieser darüber alles andere als erfreut. Er redet den
Gefährten gut zu und beschwört sie, in die Grande Chartreuse
zuruckzukehren. Kleinlaut gehorchen sie. Soweit wir über das Leben
dieses Einsiedlers im Zentrum der Christenheit informiert sind, hat
Bruno immer wieder um Entlassung aus dem päpstlichen Dienst gebeten und
versucht, auch in der "Verbannung" seinem Ideal zu leben. Als der Papst
vor Heinrich IV. nach Unteritalien flüchten muss, begleitet er ihn. Das
Erzbistum Reggio wird ihm angetragen. Bruno lehnt ab. Übermächtig ist
die Sehnsucht nach der Einsamkeit. In der wildromantischen Landschaft
Kalabriens gründet er - wiederum mit sechs Gefährten - bei La Torre die
zweite Kartause. Der Beschützer des Papstes, der Normannenfürst Roger
ist von Brunos radikaler Härte so beeindruckt, daß er dessen
Einsiedelei erweitern lässt und einige Güter beifügt. In dem
Kartäuserkloster St. Stefan im Busch (S. Stefano in Bosco) starb Bruno.
Mit einem öffentlichen Schuldbekenntnis auf den Lippen verschied er am
6. Oktober 1101, einem Sonntagmorgen. Paradoxerweise wird ihn
ausgerechnet der genussfreudige Renaissancepapst Leo X. 400 Jahre
später heilig sprechen. Sein Fest feiert die Kirche am 6. Oktober,
seinem Todestag.
Der moderne Genießer, der den Orden der Kartäuser allenfalls mit dem
süßen Likör "Chartreuse" in Verbindung bringt oder, wenn es hoch kommt,
die Mehlspeise der Kartäuserklöße kennt, wird dem fast grausam harten
Leben der weißen Mönche wenig Verständnis entgegenbringen. Wie bereits
erwähnt, blieben die Kartäuser dem fordernden Ideal ihres Stifters, der
nie an eine Regel dachte, treu. Erst nach seinem Tode, hat Guigo von
Kastell, der fünfte Prior, auf Drängen der Mitbruder die Ge-bräuche der
Großen Kartause schriftlich niedergelegt.
Die politischen Wirren machten vor dem Sterbekloster Brunos in
Kalabrien nicht halt. Erst 1840 konnte die Serra di San Brunone vom
Orden neu erworben und wieder besiedelt werden. In den seinerzeit durch
Guido Görres, den Sohn des Geistesriesen Joseph von Görres,
herausgegebenen "Historisch-politischen Blätter für ein katholisches
Deutschland" findet sich der Bericht eines Paters Paul Gerard über
dieses denkwürdige und triumphale Ereignis. Zur Ehre des heiligen Bruno
sei er hier abschließend auszugsweise zitiert.
"Durch ungünstige Witterung einige Zeit zurückgehalten, klärte sich...
der Himmel auf. Am 16. März traten wir endlich unseren Weg an, der
Erzbischof von Rheggio in einer Sänfte, sein Geleite und wir auf
Maulthieren... Alle Glocken der Stadt läuteten, von jeder Seite strömte
das Volk herbei, um seinen getreuen Hirten und besorgten Vater
Ehrfurcht zu bezeugen... Die Witterung war abscheulich. Regengüße,
Hagelschauer, Schneegestöber, Erderschütterungen folgten sich
wechselnd. Nichts konnte uns zurückhalten; das heiße Verlangen, unserem
heiligen Vater Bruno uns zu Füßen zu werfen, hieß uns Allem Trotz
bieten... Bei jedem Schritt gähnte der Abgrund. Endlich kommen wir nach
Soriano und wurden von den Dominikanern auf das freundlichste
empfangen.... Am 25. endlich war die Carthause unser letztes Ziel, der
Gegenstand unserer Sehnsucht. Die Entfernung beträgt zwölf italienische
Meilen; aber des steilen und schneebedeckten Weges willen brauchten wir
vier Stunden dazu... Am eisernen Kreuze (croce ferrata), eine Stunde
von der Karthause, ... harrte unser eine Abtheilung Bürgergarde und
eine Musikbande..., von der anderen Seite flogen Raketen auf; und mehr
als 500 Personen riefen wiederholt: Es lebe der heil. Bruno! Es leben
die Söhne des heil. Bruno! Es lebe Hr. Redeschi! (Erzbischof v. Reggio,
MS.G.) Unsere Augen wurden tränenschwer. Wir stiegen von den Pferden,
warfen uns in den Schnee auf die Knie und mehr durch mein Schluchzen,
als durch meine Worte vermochte ich das Kreuz zu begrüßen... Endlich
öffnet sich der Blick auf die Carthause; sie glich einer zerstörten
Stadt ohne Bedachung ... Von der Ferne her sahen wir die Geistlichkeit
von Serra... die silberne Bildsäule tragend, in welche der Schädel des
heiligen Bruno und ein Finger des heil. Stephans eingeschlossen ist.
Von neuem erschallt aus hundert und hundert Kehlen ein Lebehoch dem
heiligen Bruno; in seinem Jubel hüpft, springt, tanzt das Volk."
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