Gott und Schöpfung nach dem Glauben
vom
hl. Irenäus
Bischof von Lyon zwischen 170 und 200 n.Chr.
1. Das Gewordene muß von einer großen Ursache den Anfang zum Werden
genommen haben. Der Anfang von allem ist Gott. Er wurde nicht von
irgend etwas, aber alles wurde von ihm. Deshalb muß man zuvörderst
würdig bekennen, daß ein Gott und Vater ist, der alles schuf und
ordnete, der das Nichtseiende ins Dasein rief, der, alles umfassend,
selbst unermeßlich ist. Unter dem All ist aber auch diese unsere Welt
enthalten und auf der Welt der Mensch. So ist auch unsere Welt von Gott
erschaffen.
2. Der Sachverhalt, der sich ergibt, ist also folgender: [Es ist] Ein
Gott, der ungewordene Vater, unsichtbar, Schöpfer von allem; kein
anderer Gott steht über ihm, noch ist ein anderer Gott unter ihm. Gott
ist ein vernünftiges Wesen und hat deswegen das Gewordene durch das
[Vernunft-]Wort erschaffen. Auch ist Gott Geist und hat somit alles
durch den Geist geordnet, wie der Prophet sagt: "Durch das Wort des
Herrn sind die Himmelsfesten geschaffen worden, und durch seinen Geist
all ihre Kraft" (Ps. 32,6). Da also das Wort schafft, d.h. die Körper
wirkt und dem Hervorgegangenen Bestand verleiht, während der Geist die
Kräfte in ihrer Verschiedenheit ordnet und gestaltet, so wird mit Recht
das Wort der Sohn, Geist aber die Weisheit Gottes genannt. Auch der
Apostel desselben, Paulus, sagt darüber passend: "Ein Gott, der als
Vater über allen ist und der mit allen und in uns al-len ist" (Eph. 4,
6). Denn über allen ist er als Vater; mit allen ist er als Wort, da
durch dasselbe alles vom Vater ins Werden trat, in uns allen jedoch ist
er als Geist, der da ruft: "Abba, Vater" (Gal. 4, 6) und den Menschen
zum Ebenbild Gottes gestaltet. Nun zeigt der Geist das Wort und
deswegen ver-kündeten die Propheten den Sohn Gottes, währent das Wort
den Geist wehen macht, und deshalb ist er selbst der Sprecher der
Propheten und führt den Menschen zum Vater zurück.
3. Und das ist die rechte Ordnung unseres Glaubens, die Grundlage des
Gebäudes und die Sicherung des Weges: Gott der Vater, ungeworden,
unendlich, unsichtbar, ein Gott Schöpfer des Alls. Das zunächst ist das
erste Hauptstück unseres Glaubens. Das zweite Hauptstück sodann ist das
Wort Gottes, der Sohn Gottes, Christus Jesus unser Herr, welcher den
Propheten erschienen ist gemäß der Gestalt ihrer Weissagungen und nach
den Bestimmungen der Vorsehung des Vaters, er, durch den alles geworden
ist. Derselbe wurde auch am Ende der Zeiten Mensch unter den Menschen,
um alles vollkommen zu vollenden; er wurde sichtbar und körperlich, um
den Tod zu besiegen und das Leben zu zeigen (vgl. 2 Tim 1, 10) und
Gemeinschaft und Frieden zwischen Gott und den Menschen zu bewirken.
Das dritte Hauptstück dann ist der Hl. Geist, durch den die Propheten
weissagten, und die Väter die göttlichen Dinge lernten, die Gerechten
vorangingen auf dem Weg der Gerechtigkeit, und der in der Fülle der
Zeiten aufs neue über die Menschheit ausgegossen ward auf der ganzen
Erde, die Menschen für Gott neu zu schaffen.
4. Deshalb wird bei unserer Wiedergeburt die Taufe durch diese drei
Stücke vollzogen, indem der Vater uns zur Wiedergeburt begnadigt durch
seinen Sohn im Hl. Geiste. Denn diejenigen, welche den Hl. Geist
empfangen und in sich tragen, werden zum Worte, d.h. zum Sohne geführt.
Der Sohn hinwieder führt sie zum Vater und der Vater macht sie der
Unvergänglichkeit teilhaft. Also kann man ohne den Geist das Wort
Gottes nicht sehen und ohne den Sohn kann niemand zum Vater kommen
(Joh. 14, 6). Denn das Wissen des Vaters ist der Sohn. Das Wissen vom
Sohne Gottes aber [erlangt man] durch den Hl. Geist; den Geist aber
gibt nach dem Wohlgefallen des Vaters der Sohn als Spender an
diejenigen, welche der Vater will und wie er es will.
5. Und der Vater wird im Geiste Erhabener (VgL Luk. 1, 76) und
Allmächtiger (Zach. 4, 14) genannt und Herr der Heerscharen (Jer. 31,
35), damit wir lernen, daß Gott dies eben ist, d.h. Schöpfer des
Himmels und der Erde und aller Welten und Erschaffer der Engel und
Menschen und Herr von allem, derjenige, von dem alles ist und alles
erhalten wird, barmherzig, mitleidig und mildreich, gütig, gerecht,
Gott aller, der Juden auch und der Heiden, wie der Gläubigen, und zwar
der Gläubigen als Vater. Denn in der Fülle der Zeiten hat er das
Testament der Sohnschaft eröffnet, während er den Juden als Herr und
Gesetzgeber sich zeigte. Denn in der Mitte der Zeit, als die Menschen
Gott vergessen und sich von ihm entfernt hatten und abgefallen waren,
da führte er sie durch das Gesetz zum Gehorsam zurück, auf daß sie
lernten, sie haben Gott zum Schöpfer und Erschaffer; er hat ihnen den
Odem des Lebens geschenkt und wir sind schuldig, ihm zu dienen Tag und
Nacht. Den Heiden stellte er sich als den Erschaffer und Hervorbringer
und als den Allmächtigen dar. Aber für alle zumal ist er der Erhalter
und Ernährer, der König und Richter. Denn niemand wird seinem Gerichte
entrinnen, nicht Jude noch Heide und kein Sünder aus den Reihen der
Gläubigen und kein Engel. Diejenigen, welche jetzt seiner Güte nicht
vertrauen, werden im Gerichte seine Macht erkennen, gemäß dem Worte des
Apostels: "Du weißt nicht, daß die Güte Gottes dich zur Buße führt,
sondern sammelst in Halsstarrigkeit und Unbußfertigkeit des Herzens den
Zorn für den Tag der Rache und der Offenbarung der Gerechtigkeit
Gottes, der jedem vergelten wird nach seinen Wer-ken'' (Röm. 2, 4-6).
Das ist im Gesetze Gottes unter dem Ausdruck verstanden: Gott Abrahams,
Gott Isaaks und Gott Jakobs, Gott der Lebendigen. Und dennoch ist die
Erhabenheit und Größe dieses Gottes
unaussprechlich.
6. Die Welt nun aber wird von sieben Himmeln umgeben, in denen die
Mächte, die Engel und die Erzengel wohnen und die Pflicht des Dienstes
gegen Gott den Allmächtigen, den Schöpfer aller Dinge, erfüllen; nicht
als bedürfte er sie, sondern sie sollen nicht untätig, ohne Nutzen und
Segen sein. Reichlich ist deswegen das Innewohnen des Geistes Gottes,
und vom Propheten Isaias werden sieben Formen seines Dienstes
aufgezählt, welche ruhen auf dem Sohn Gottes, d.h. auf dem Wort bei
seiner Ankunft als Mensch. Er sagt: "Es wird auf ihm ruhen der Geist
der Weisheit und des Verstandes, der Geist des Rates und der Stärke und
der Frömmigkeit, es wird ihn erfüllen der Geist der Gottesfurcht" (Röm.
11, 2). Somit ist der erste Himmel von oben her, der die andern
umschließt, die Weisheit, der zweite hernach der des Verstandes, der
dritte der des Rates, der vierte, von oben gerechnet, der der Kraft,
der fünfte der der Wissenschaft, der sechste jener der Frömmigkeit, der
siebente ist die Feste über uns, die voll ist von der Furcht des
Geistes, der die Himmel erleuchtet. Als ein Bild davon ließ Moses den
siebenarmigen Leuchter immer im Heiligtum strahlen, gemäß dem, was das
Wort geoffenbart hatte: "Du sollst ihn genau nach dem Urbild
herstellen, welches du auf dem Berge gesehen hast" (Exod. 25, 40; Hebr.
8,5).
7. Nun wird dieser Gott verherrlicht von seinem Worte, welches sein
ewiger Sohn ist, und vom Heiligen Geist, welcher die Weisheit des
Vaters von allem ist. Und ihre Mächte, die des Wortes und der Weisheit,
die Cherubim und Seraphim genannt werden, preisen Gott mit
unaufhörlichem Lobgesang, und jegliches Geschöpf, das nur im Himmel
ist, bringt Gott, dem Vater von allem, Lobpreis dar. Er hat die ganze
Welt durch das Wort gebildet - und auf der Welt sind auch die Engel -
und der ganzen Welt schrieb er die Gesetze vor, bestimmte für jedes
seinen festen Stand, dessen gottgesetzte Grenze es nicht überschreiten
darf, und so vollführt ein jedes die ihm übertragene Aufgabe.
8. Den Menschen aber bildete er mit eigener Hand. Er verwandte dazu den
feineren und zarteren Stoff der Erde und verband in [weisem] Maße
miteinander die Erde und seine Macht. Denn er hat dem Geschöpfe seine
Form gegeben, damit es in seiner Erscheinung Gottes Bild sei. Als
Abbild Gottes setzte er den von ihm erschaffenen Menschen auf die Erde.
Damit er Leben empfange, hauchte er in sein Angesicht den Lebensodem,
auf daß der Mensch sowohl seiner ihm eingehauchten Seele nach und in
seiner Leibesbildung Gott ähnlich sei. Er war folglich frei und Herr
über sich selbst durch Gottes Macht, damit er über alles, was auf Erden
ist, herrsche. Und dieses große Schöpfungswerk der Welt, das alles in
sich barg, von Gott schon vor der Schöpfung des Menschen zubereitet,
wurde dem Menschen zum Wohnsitz gegeben. Und es fanden sich an ihrer
Stelle und mit ihren Arbeitsleistungen die Diener dieses Gottes, der
alles schuf. Und ein Hauswalter hatte als Schützer dieses Gebiet inne,
der über die Mitknechte gesetzt war. Die Knechte waren die Engel, der
Walter und Schützer aber der Fürst der Engel [ein Erzengel].
9. Indem Gott so den Menschen als Herrn der Erde und alles dessen, was
auf ihr ist, erschaffen hatte, hat er ihn auch zum Herrn derer, welche
als Diener auf ihr sind, erhoben. Jedoch erfreuten sich jene der Reife
ihrer Natur, während der Herr, d.h. der Mensch, klein war; war er doch
ein Kind, noch des Wachstums bedürftig, um zu seiner Vollreife zu
gelangen. Seine Ernährung und sein Wachstum sollte dabei voll Freude
und Wonne sein. So ward für ihn dieser Ort schöner bereitet als diese
Welt; [er ward ausgestattet mit Vorzügen] der Luft, Schönheit, des
Lichtes, der Nahrung, der Pflanzen, Früchte und der Wasser und mit
allem anderen, was zum angenehmen Leben nötig war. Sein Name war (drast
gleich) Paradies. Herrlich und schön war das Paradies; da wandelte das
Wort Gottes immer in demselben umher, es verkehrte und sprach mit dem
Menschen über die Zukunft und belehrte ihn zum voraus über das, was
kommen wird. So wollte es bei ihm wohnen, mit den Menschen reden und
weilen und sie in der Gerechtigkeit unterweisen. Allein der Mensch war
ein Kind, seine Gedanken waren noch nicht vollkommen geklärt, daher
wurde er auch leicht vom Verführer betrogen.
10. Bei seinem Verweilen im Paradies führte nun Gott dem Menschen,
während dieser darin umherging, alles Lebende vor und befahl, es ihm zu
benennen. Wie immer Adam ein Lebewesen be-zeichnete, so wurde es
nunmehr benannt. So war der Augenblick gekommen, da Gott Adam auch eine
Gehilfin schaffen wollte. "Denn", so sprach Gott, "es ist nicht gut für
den Menschen, allein zu sein. Laßt uns ihm eine Gehilfin machen nach
seinen Verhältnissen'' (Gen. 2, 18). Denn unter den andern Lebewesen
hatte sich keine Adam nach Natur und Wert gleiche und zu ihm passende
Gehilfin gefunden. So ließ Gott selbst über Adam eine Verzückung kommen
und ihn in Schlaf sinken. Weil es noch keinen Schlaf im Paradiese gab
und doch die Erfüllung eines Werkes auf dem früheren beruhen soll, so
ist dieser durch Gottes Willen über Adam gekommen. Es nahm nun Gott
eine von den Rippen Adams und ersetzte sie durch Fleisch. Die Rippe
selbst aber, die er ihm entnommen hatte, bildete er zum Weibe um und
führte es so vor Adam. Als dieser dasselbe sah, sprach er: "Das ist nun
Bein von meinem Bein und Fleisch von meinem Fleische. Sie soll Weib
heißen, denn von ihrem Manne ward sie genommen'' (Gen. 2, 23).
11. Und Adam und Eva — denn das ist der Name des Weibes — waren nackt
und schämten sich nicht. Denn sie waren ohne Sünde und kindlichen
Sinnes. Ihr Geist war frei von Vorstellungen und Gedanken, wie sie
seither aus Bosheit durch sinnliche Begierde und schändliche Gelüste in
der Seele entstehen. Noch hatten sie ja ihre Natur unversehrt bewahrt,
denn vom Schöpfer war der Hauch des Lebens ihnen eingehaucht worden. So
lange dieser Hauch unentweiht und unversehrt bleibt, ist er ohne
Empfänglichkeit und Sinn für das Schlechte. Deswegen nun schämten sie
sich nicht bei ihren Küssen und Umarmungen in Reinheit nach Kinderart.
12. Doch sollte der Mensch sich nicht zu hoch dünken und sich nicht
hoffärtig erheben, gleich als habe er, da ihm Macht und Freiheit
verliehen sind, keinen Herrn über sich; er sollte bewahrt werden davor,
sich gegen seinen Gott, seinen Schöpfer, zu verfehlen durch
Überschreitung des ihm gesetzten Maßes und durch stolze selbstgefällige
Willkürhandlungen gegenüber Gott. Deshalb wurden ihm von Gott Gesetze
gegeben; sie sollten ihm zeigen, daß er einen Herrn habe, den Herrn
aller Dinge. Auch traf Gott bestimmte Verfügungen, wie die, daß er [der
Mensch] in seinem Sein verharren sollte, wie er war, d.h. daß er
unsterblich sein sollte, wenn er das Gebot Gottes beobachtete. Der
Sterblichkeit aber sollte er verfallen und zur Erde aufgelöst werden,
aus welcher er bei der Schöpfung genommen worden war, wenn er dasselbe
nicht beobachtete. Das Gebot aber war dieses: "Von allen Bäumen, welche
im Innern des Gartens sind, sollst du essen dürfen, aber von dem einen
Baum, von welchem die Erkenntnis des Guten und des Bösen kommt, sollt
ihr nicht essen, denn an dem Tage, an welchem ihr davon esset, sollt
ihr dem Tode verfallen" (Gen. 2, 16 f.).
13. Dieses Gebot hat der Mensch nicht gehalten, sondern er wurde
ungehorsam gegen Gott, mißleitet vom Engel. Dieser letztere war wegen
der vielen Gaben, die Gott dem Menschen verliehen hatte, von bitterem
Neid erfüllt. In diesem richtete er sich selbst zu Grund und machte den
Menschen zum Sünder, indem er ihn zum Ungehorsam gegen das Gebot Gottes
verleitete. Durch die Lüge zum Anstifter und Urheber der Sünde
geworden, verfiel er zwar selbst dem göttlichen Strafgerichte im Abfall
von Gott aber er hatte auch bewirkt, daß der Mensch aus dem Paradies
vertrieben wurde. Weil der Engel nach einem aus sich selbst gefaßten
Entschluß von Gott abgefallen ist, wurde er in hebräischer Sprache
Satan genannt, was so viel ist als Widersacher. Doch wird er auch noch
Verleumder [Teufel] genannt. - Die Schlange, welche den Teufel in sich
trug, verfluchte also Gott. Sein Fluch traf das Tier, aber er ging auch
über auf den in ihm listig verborgenen Teufel. Den Menschen verwies er
von seinem Angesichte und gab ihm seinen Wohnsitz vor den Toren des
Paradieses. Denn das Paradies nimmt die Sünder nicht in sich
auf.
14. Außerhalb des Paradieses nun erlitten Adam und sein Weib Eva viel
schmerzliches Leid und Wirrsal. Voll Trauer, Mühsal und Seufzen war ihr
Wandel auf dieser Welt. Denn unter den Strahlen dieser Sonne bebaute
jetzt der Mensch die Erde und diese sproßte Dornen und Disteln zur
Strafe der Sünde. Dort geschah auch, was geschrieben steht: "Adam
erkannte sein Weib und sie empfing und gebar den Kain und nach
demselben gebar sie den Abel" (Gen. 3, 1). Der empörerische Engel,
welcher den Menschen zum Ungehorsam verleitet und zum Sünder gemacht
hatte und damit die Ursache seiner Vertreibung aus dem Paradiese
geworden war, begnügte sich nicht mit dem ersten Unheil, sondern wirkte
ein zweites unter den beiden Brüdern. Denn er erfüllte nun den Kain mit
seinem Geiste und machte ihn zum Brudermörder. So starb Abel von der
Hand seines Bruders. Das war das Zeichen, daß nachmals viele bedrängt,
verfolgt und ermordet wurden, indem die Gottlosen die Ge-rechten
verfolgen und morden. Das vermehrte noch den Zorn Gottes. Er verfluchte
den Kain und es geschah, daß das ganze von ihm stammende Geschlecht
gemäß der Herkunft dem Erzeuger ähnlich wurde. Dem Adam erweckte Gott
sodann einen andern Sohn an Stelle des ermordeten Abel.
("Bibliothek der Kirchenväter" Bd. 4, Kempten und München 1912, S. 587-594.)
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