Pokémon contra Schutzengel
- Bemerkungen zu einer sog. Kindergottesdienstvorlage -
von
Magdalena S. Gmehling
Über Geschmack läßt sich streiten. Was in den letzten Jahren an
ästhetischen Scheußlichkeiten und pädagogischem Firlefanz in deutschen
Kinderzimmern Karriere machte, ist unbeschreiblich. Be-kanntlich zählt
nur das Klingeln der Supermarktkasse. Um gestalterische und
bildnerische Qualitäten schert sich kein Mensch. Die Vermarktung
musikalischer Trivialitäten blüht... Nun endlich erobern die
beglückenden anti-christlichen Kitschfiguren und die poppigen CDs auch
die Altäre. Ganz offiziell legt das Schulreferat der Diözese Eichstätt
eine Vorlage zum Wortgottesdienst für das Schuljahresende 1999/2000
unter dem Titel "Pokémon - als Freunde sind wir stark" vor.
Es handelt sich bei diesem gedruckten Entwurf um eine raffinierte
Anbiederung an die nivellierende Erlebnisweise der Masse, verbunden mit
billiger Effekthascherei. Der kalkulierbare Seelsorgserfolg wird von
den agierenden Animateuren am Ende der Veranstaltung durch großzügige
Verteilung von Pokémon-Lutscher sichergestellt. Den also profanierten
Kirchenraum verläßt man schlußendlich anstelle der üblichen Kniebeuge
unter allgemeinem Geschrei und Gelutsche.
Von Theodor Haecker stammt das Wort, "daß der Banause zuerst das Kind
einer mißratenen Welt ist." Eben diese mißratene Welt wird dem
Wertvollsten, unserer Jugend, per Diözesanempfehlung aufgezwungen. Kein
Wort von den bergenden guten Mächten, die Dietrich Bonhoeffer noch in
der KZ-Haft beschwor. Keine wache Begegnung der Liebe mit dem Du, mit
geistigen Realitäten. Keinerlei Wissen bezüglich übersinnlicher
Symbolgehalte. Schutzengel haben ausgedient. Ich zitiere zum Beweis den
Text des Liedes, welches von der CD in den "Wortgottesdienst" lautstark
eingespielt wird:
"Ich will der allerbeste sein wie keiner vor mir war.
Ganz allein fang ich sie mir, ich kenne die Gefahr.
Ich streife durch das ganze Land, ich suche weit und breit.
Das Pokémon, um zu verstehen, was ihm diese Macht verleiht.
Pokémon, komm schnapp sie dir.
Nur ich und du in allem, was ich auch tu.
Pokémon mein bester Freund, komm retten wir die Welt!
Pokémon, dein Herz ist gut. Wir vertrauen auf unsern Mut.
Pokémon, ich lern von dir und du von mir.
Egal wie schwer mein Weg auch ist, ich nehme es in Kauf.
Ich will den Platz, der mir gehört, ich gebe niemals auf.
Komm zeigen wir der ganzen Welt, daß wir Freunde sind.
Gemeinsam ziehn wir in den Kampf, das beste Team gewinnt. "
Dazu erhält jeder Schüler einen Liedzettel mit Bild: "Pokémon als Freunde sind wir stark!"
Welches christliche Gottes- und Menschenbild spricht aus dieser
Karikatur? Welch perfide Tendenzen stecken hinter solchen Vorlagen?
Welch erbärmliche Spielarten des Pelagianismus? Weder Gnade noch
Erlösung sind nötig. Die Attrappe des heiligen Michaels amüsiert in
witziger, borniert genügsamer Verklärtheit. Die pseudokommunikative
Lutscheraktion persifliert das Altarsakrament auf die schändlichste
Weise. Das kitschige Verweilen in der Sphäre sinnlichen Erlebens wird
bis zum Exzess verlängert. Dies alles mutet man 7- bis 12jährigen
Kindern zu. Die Pädagogen lächeln verlegen, heucheln Zustimmung oder
Gleichgültigkeit.
* * *
Pokémon - Monster für alle Taschen
von
René Linke
Vorbemerkung der Redaktion:
Um unwissenden Lesern ein Bild zu vermitteln, um was es sich bei
Pokémon handelt, präsentieren wir bewußt eine Darstellung dieses
Spiels, welche von einem Autor gezeichnet wird, der nicht aus unseren
Reihen kommt.
E. Heller
* * *
Das Fieber rund um die Figuren erfaßt immer mehr Drittklässler. Mitte des Monats geht die Vermarktung im Kino weiter.
Krefeld. Ein wenig fühlt man sich an Drogendealer erinnert: Der
achtjährige Knirps steuert auf dem Spielplatz zielsicher auf die ihm
völlig unbekannten Kinder zu. "Pokémon-Karten, Pokémon-Stikker?" fragt
er verschwörerisch in die Runde, sofort greifen alle in die Taschen. Es
setzt ein heißer Tauschhandel ein, begleitet von fremdklingenden Namen
wie Pikachu, Schiggy oder Turtok. Die Kinder wissen genau, wovon die
Rede ist. Die Erwachsenen stehen schulterzuckend daneben. Die Spielidee
stammt aus Japan. Pokémon ist japanisch, heißt soviel wie
Taschenmonster. Und aus Japan stammt auch die Spielidee, die nach Japan
und den Vereinigten Staaten nun auch Deutschlands Kinderzimmer in einem
nie geahnten Ausmaße erobert. Pokémon ist ein Kartenspiel, Pokémon ist
eine Fernsehserie, Pokémon sind Sticker, Plüsch- und Actionfiguren,
aber vor allem ist Pokémon ein Game-Boy-Spiel. Ein Spiel, so mutmaßt
die "Frankfurter Allgemeine Zeitung", das der elterlichen Kontrolle
ganz und gar entzogen sei. "Suchen Sie sich einen Achtjährigen, der
Ihnen das erklärt", lautet der Bescheid eines Nintendo-Mitarbeiters,
als ein Journalist ihn nach diesen eigentümlichen Wesen befragte.
Sechs Jahre lang tüftelte der Japaner Satoshi Tajiri an seiner
Spielidee, entwarf 150 verschiedene "Taschenmonster", vom schrecklich
feuerspeienden Glurak bis zum knuddeligen Pikachu. Pikachu, ein kleines
gelbes Männlein und das Lieblinspokémon aller Kinder, ist inzwischen
Erkennungszeichen der Serie und beliebtestes Merchandising-Produkt
geworden.
Der Spieler bei Pokémon ist Jäger, Sammler und Trainer in einem. Auf
seinem Weg zum "besten Pokémon-Meister der Welt" muß er wilde Pokémon
einfangen, Teams zusammenstellen und sie trainieren. Denn jedes
einzelne Wesen besitzt individuelle Talente und Kräfte und kann neue
Fertigkeiten erlernen. Um in Wettkämpfen zu bestehen, muß sich der
Spieler einen ständig wachsenden Katalog von Geheimnissen merken. Man
braucht heute einem Pokémon-infizierten Achtjährigen nur eine Zahl
zwischen 1 und 150 zu nennen - und schon spult er Namen, Art, Stärken
und Schwächen sowie die Weiterentwicklungen des jeweiligen Pokémon
herunter. Eine in wenigen Monaten antrai-nierte Gedächtnisleistung, für
die man sonst das Kleine Latinum erhielte.
Der Schulhof wird zur Tauschbörse. "Schnapp sie dir alle", heißt das
Motto - doch das ist gar nicht so einfach. Denn der Verkaufsclou ist:
Weder das Kartenspiel noch eine der verschiedenen Game-Boy-Versionen
ist komplett. Und so wird jeder Schulhof inzwischen zur großen
Tauschbörse, tragen zwei über ein Link-Kabel verbundene
Game-Boys-Duelle in der Pokémon-Arena aus. In einigen Schulen herrscht
inzwischen striktes Pokémon-Verbot. Zu sehr versinken die Kinder in
diese eigene Welt von kleinen Getümen, Sammelkarten und komplizierten
Wettkämpfen. Nicht einmal das erfolgsverwöhnte Spiele-Imperium Nintendo
hatte mit diesem Boom gerechnet, als es 1998 die neue Software
vorstellte. Über 30 Millionen Spiele wurden allein in den USA und Japan
verkauft, der Pokémon-Lizenzumsatz beläuft sich bisher auf über neun
Milliarden Mark.
Auch in Deutschland sprengt der Run auf die"Taschenmonster" alle
nachvollziehbaren Dimensionen. Das im vergangenen Herbst erschienene
Spiel verkaufte sich schon in den ersten zwölf Wochen über 800 000-mal.
Die Zeichentrickserie, die seit September '99 auf RTL II läuft, bricht
in der Zielgruppe alle Einschaltrekorde. Über Wochen hinweg waren die
wichtigen Link-Kabel ausverkauft. Noch schlimmer sieht es bei den
Karten und Stickern aus. Verzweifelte Kioskbesitzer hängen Schilder mit
"Kein Pokémon" ins Fenster, weil sich die Kinder die Klinke in die Hand
geben auf der Suche nach den letzten Tüten. Zudem tauchen wie bestellt
immer wieder Gerüchte von neuen, unbekannten Pokémon auf.
Mit diesem Gerücht spielt auch der erste Pokémon-Film, der am 13. April
in den deutschen Kinos startet. Eine eher krude Geschichte über Macht
und Kloning mit rühriger Botschaft. Die wahre Stärke kommt aus dem
Herzen, und die Welt wird nur durch die Kraft der Freundschaft zwischen
Pokémon und Menschen gerettet.
Monster mit Beinamen "Ich wähle dich". Pikachu, das beliebteste aller
Monster, trägt den Beinamen "Ich wähle dich". Ein magischer Satz für
Kinder, die Unverbindlichkeit und Ohnmacht oft genug erleben. Dies mag
die Faszination und die Hingabe erklären, mit der hier Drittklässler
ihre eigene Pokémon-Familie hegen und pflegen. Die Erwachsenen können
da wieder einmal die Augen schließen und zum Geldbeutel greifen. (...)
(aus: West-Deutsche Zeitung) |