Der Gesellenvater Adolf Kolping
von
Eugen Golla
In den Jahren 1813, in dem die Völkerschlacht bei Leipzig stattfand,
und 1815, das den endgültigen Sieg über Napoleons Macht herbeiführte,
wurden der Kirche zwei Priester geschenkt - Kolping und Don Bosco -,
die in Opferbereitschaft ihr Leben der dringend erforderlichen
christlichen Sozialpolitik und Sozialpädagogik - jeder auf seine
besondere Art - widmeten. Beiden ist die Herkunft aus ärmlichen
Verhältnissen gemeinsam, die sie zwang, zuerst als Handwerker zu
arbeiten, um sich danach auf den geistlichen Stand vorzubereiten.
Adolf Kolping wurde am Festtag Mariae Empfängnis, dem 8. Dezember 1813,
in Kerpen geboren, einem vom Weltgeschehen abgelegenen Weiler zwischen
Köln und Aachen. Sein Vater war Schäfer auf einem Gutshof und nebenbei
Kleinlandwirt, aber sein Verdienst reichte in der damaligen Zeit aus,
um seine große FamiIie - Adolf war das zweitjüngste von fünf Kindern -
durchzubringen. Dankbar gedenkt er in seinen Erinnerungen an die
Zufriedenheit, die in seinem Elternhaus herrschte, dessen Fundamente
die Religion, die väterliche Autorität und die mütterliche Fürsorge
bildeten.
Mit 13 Jahren begann er eine Lehre als Schuster. Als er schließlich in
Köln in einem großen Schuhmachereibetrieb arbeitete, schien es, als sei
seine Zukunft für immer gesichert, zumal ihm die Einheirat in diesen
Betrieb angeboten wurde. Aber sein Sinnen war nicht auf eine
Familiengründung und bürgerlicher Sicherhleit gerichtet: er wollte
Priester werden, wozu er u.a. zweifellos auch durch die Roheit und
geistige Anspruchslosigkeit seiner Kollegen angeregt wurde.
Es war gewiß ein schwerer Entschluß für den vierundzwanzigjährigen
Handwerker, die zum Studium erforderliche Gymnasialbildung nachzuholen.
Sein Ortspfarrer soll ihn mit dem Spruch "Schuster bleib bei deinem
Leisten" abgefertigt haben. Aber ein anderer Pfarrer in der Umgebung
erbarmte sich und bemühte sich , Kolping etwas Latein und Griechisch
beizubringen, was bei dessen Begabung und rascher Auffassung
ausreichte, daß er bald in die Tertia des Kölner Marzellengymnasiums
eintreten konnte, wo er es durch eisernen Fleiß schaffte, bereits nach
dreieinhalb Jahren den sonst fünfjährigen Gymnasialkurs zu absolvieren.
Dabei ist noch zu berücksichtigen, daß er in dieser Zeit von einer
schweren Erkrankung heimgesucht worden war. Seinen Lebensunterhalt
verdiente er durch Nachhilfestunden.
Die Tochter eines Gutsbesitzers aus der Umgebung von Kerpen ermöglichte
ihm nach dem Schulabschluß durch finanzielle Unterstützung die volle
Konzentration auf das Studium der Theologie und Philosophie an der
Münchner Universität. Deren Mittelpunkt bildete damals der große Josef
Görres, der sich als akademischer Lehrer und Schriftsteller bemühte,
Wissenschaft und Politik nach einer langen Zeit der Vorherrschaft
freimaurerischer Ideen wieder ein christliches Fundament zu geben. In
ein persönliches Verhältnis trat Kolping insbesondere zu dem im
allgemeinen schwer zugänglichen Döllinger, dem er beim Ordnen von
Büchern helfen durfte.
Die letzten drei Semester mußte er vorschriftsmäßig in seiner
Heimatdiözese absolvieren. Die Bonner Universität war damals gespalten
durch den Hermesianismus, ein System, welches mittels rationaler
Grundlegung des Glaubens eine Aussöhnung zwischen der zeitgenössischen
Philosophie und der katholischen Theologie zu erreichen suchte. Er
betätigte sich an der Rheinischen Universität als einer der eifrigsten
Verfechter der streng katholischen Richtung, was ihm den Namen eines
ultramontanen Draufgängers einbrachte, aber auch Zeugnis für seine
feste Verankerung im Glauben ablegte.
1844 trat er in das Priesterseminar der Erzdiözese Köln ein und erhielt
am 13. April 1845 in der altehrwürdigen gotischen Minoritenkirche die
Priesterweihe. Sein erster Wirkungsort Elberfeld - heute ein Stadtteil
von Wuppertal - bot ihm Gelegenheit, nicht nur eine große
Diasporapfarrei - nur etwa 1/5 der Bewohner waren Katholiken -
kennenzuIernen, sondern was noch wichtiger für sein zukünftiges Wirken
sein sollte: er lernte hier zum ersten Male das soziale Elend und die
religiöse Not der Fabrikarbeiter kennen, besonders unter jenen
Arbeitern, die dort in der schnell wachsenden Textilindustrie
beschäftigt waren. Der rasche Fortschritt der technischen Entwicklung
seit Beginn des Jahrhunderts, aber auch die Bauernbefreiung, die zur
Landflucht führte, sowie die Gewerbefreiheit, welche einen großen Teil
der kleinen Handwerker zugrunderichtete, zwangen viele, sich als
schlecht bezahlte Arbeitskräfte in den Fabriken zu verdingen.
Mit wahrem Elan stürzte sich Kolping in sein neues Arbeitsgebiet.
Allerdings fand er bei seinem Pfarrer, der der hermesianischen Richtung
angehörte, keine besondere Förderung. Aber er lernte den sozial
engagierten Hauptlehrer der katholischen MädchenschuIe Joh. Gregor
Breuer kennen, der einen "Junggesellenverein" mit Vorträgen,
Unterricht, aber auch Geselligkeit für die Handwerksgesellen gegründet
hatte. Nachdem 1847 der Präses dieses Vereins, ein Kaplan, versetzt
worden war, trat KoIping mutig dessen Nachfolge an.
Mit dem Siegeszug des Frühkapitalismus änderte sich vieles auf dem
Gebiet des Gesellenwesens. Der junge Handwerker wurde immer seltener in
den Kreis der Familie seines Meisters aufgenommen, und, da sich die
Chance, einmal selbständig zu werden, verringerte, zählten - wie es
sich besonders im Revolutionsjahr 1848 zeigte - die Gesellen zu der
radikalsten Gruppe der den Arbeiterschaft, die sich als Proletarier
fühlten.
Frühzeitig wurde sich Kolping bewußt, daß Elberfeld für den Ausbau
seines Vereins nicht der richtige Ort war. Um überregional wirken zu
können, war ein Umzug in eine größere Stadt unbedingt erforderlich.
Nach längerem Bemühen erreichte er schIießlich die Versetzung auf eine
schlecht do-tierte Vikariatsstelle am Dom zu Köln, wo er sehr rasch die
Gründung seines Gesellenvereins vorantrieb. Im Frühjahr 1850 - ein Jahr
nach dem Antritt der neunen Dienststelle - zählte der Kölner Verein
bereits dreihundert Mitglieder. Schnell folgten west- und süddeutschen
Raum sowie in Österreich weitere Gründugen. 1865 bestanden bereits 418
Vereine mit 24.000 Mitgliedern.
Kolping sah nicht aus wie ein Priester, der sich in den Salons
besonders wohl fühlte, auch war er kein Stubengelehrter, dafür
aber ein richtiger Mann aus dem Volke. Frühzeitig überzeugte er sich
jedoch davon, daß alle Reformversuche durch das Gesellenwesen allein
zum Scheitern verurteilt sein würden, wenn nicht die gesamte
Gesellschaft auf christlicher Grundlage durch Gesundung der Familie,
d.h. Erziehung in der Familie und Erziehung zur Familie neugeordnet
würde, denn nirgendwo sonst als in ihr habe die Aufklärung so
katastrophale Folgen gehabt.
So sagte er auf der Generalversammlung in Mainz 1851 in seiner
derb-drastischen, an Abraham a Sancta Clara erinnernden Vortragsweise:
"Ein Mann, das ist schon ein großes Ding! Unter ihm stelle ich mir vor
den Schöpfer der Familie... Dann muß der Mann auch die Frau bilden und
erziehen, die Frau muß dem Mann helfen in der Handhabung der
Hausordnung und ganz besonders in der Kindererziehung; deshalb wird er
keine Schlampe nehmen, auch keine zum Pläsier".
Seit 1853 besaß der schnell wachsende Gesellenverein bereits ein
eigenes Haus; aber zur Finanzierung reichte weder sein kleines Gehalt
noch Betteln. Dies bewirkte der Einsatz von Kolpings
schriftstellerischer Begabung für sein Lebenswerk, indem er vorerst
Mitarbeiter an kirchlichen Zeitungen wurde. Bald entwickelte er sich
aber durch den in eigener Regie gestalteten "Kalender für das
katholische Volk" und die Gründung des damals einzignen katholischen
Wochenblattes, der "Rheinischen Volksblätter" zu einem bedeutenden
Publizisten, der erzieherisch auf das Volk einwirkte.
Seine vielseitigen Aktivitäten ließen aber auch seinen Einsatz für die
Religion beim Bürgertum und den weltlichen Behörden nicht zu kurz
kommen. Bekannt ist seine Polemik gegen den Stadtrat von Köln, als
dieser die Errichtung einer Mariensäule verbieten wollte: "Denn wenn
das Bild der Muttergottes auf dem AItenmarkt gewisse Leute unangenehm
berührt und also nicht aufgestellt werden soll - aus Liebe zum
konfessionellen Frieden, wie man sagte -, dann berühren auch die
öffentlich ausgestellten Bilder an den Häusern, an den Kirchen jene
Leute 'unangenehm' und müßten konsequenterweise entfernt werden; dann
müßten - um des Friedens willen - auch alle öffentlichen, kirchlichen
Prozessionen unterbleiben, dann sollte sich eigentlich gar kein
katholisches Leben mehr auf die Straßen von Köln wagen, denn es ist
nicht bloß wahrscheinlich, sondern gewiß, daß dadurch auf andere
Konfessionen ein 'unangenehmer Eindruck' gemacht wird. Damit aber sind
wir an der Tyrannei der Toleranz angelangt, die, wie sie leider in Köln
noch vielfach verstanden wird, jedes gesunden Menschenverstandes
entbehrt".
Dennoch war er alles andere als engstirnig: im selben Jahr genehmigte
er die Aufnahme und die Gleichbehandlung von Nicht-Katholiken im
Gesellenverein und ordnete an, daß niemand gezwun-gen werden dürfe,
sich am Religionsunterricht zu beteiligen, was zur Folge hatte, daß es
nie zu Streitigkeiten zwischen Katholiken und Protestanten kam. Bekannt
ist, daß auch der Sozialistenführer August Bebel Mitglied des
Gesellenvereins gewesen ist.
Obwohl ihm als Priester die Organisation der Kirche zur Verfügung
stand, was zur raschen Ausbreitung des Kolpingwerkes beitrug, wollte er
aber nicht, daß es sich zu einer Domäne des Klerus entwickelte. Wenn
auch in der Spitze eines jeden Vereins ein sozial aufgeschlossener
Priester, der Präses, stehen mußte, blieb dennoch das Kolpingwerk in
den Händen der Gesellen, was zur Folge hatte, daß die einzelnen mehr
einem bürgerlichen als einem innerkirchlichen Verein ähnlich waren.
Diese Freiheit von Bevormundung zeigte sich deutlich auch in der
Gestaltung der Gesellenhospize: die Gesellen blieben unter sich,
bildeten sich in Kursen weiter und trugen dann die dort erworbenen
Kenntnisse und Ideen mittels Heirat und Gründung von Werkstätten auch
in entlegene Gebiete hinaus.
Aber der Sozialismus gewann immer mehr an Boden. Marx arbeitete in
London an seinem "Kapital", die Fabriken wurden immer größer und ihre
Anzahl nahm rapide zu, doch das elende Leben der Arbeiter verbesserte
sich kaum. Der Kirche schwebte als Ideal eine nach Ständen gegliederte
Gesellschaft vor nach dem Muster der Staatsphilosophie der Romantik mit
ihrer Lehre vom organischen, geisterfüllten Ganzen. Folgerichtig lehnte
sie daher nicht nur den Klassenkampf, sondern auch sämtliche
sozialistischen Gedankengänge ab in der Hoffnung, durch Werke der
Caritas die Probleme, welche das Fabriksproletariat aufwarf, lösen zu
können.
Kolping, der eigentlich nur Seelsorger und Volkserzieher sein wollte,
versprach sich auch von einem ständischen Aufbau, einer korporativen
Ordnung der Gesellschaft eine positive Wirkung auf das Volksleben. Aber
in seinen letzten Lebensjahren sah er sorgenvoll auf die Entwicklung
der sozialen Verhältnisse. Wenn er jetzt schrieb, daß die soziale Frage
jenen Zustand der kapitalistischen Gesellschaft des l9. Jahrhunderts
bezeichne, in welchem der Fabrikarbeiter nicht frei über die Frucht der
selbstgetanen Arbeit verfügen könne und nicht Herr über seine Arbeit
und ihren Lohn sei, bediente er, der Pragmatiker, sich der
Ausdrucksweise des wissenschaftlichen Sozialismus. Weil religiöse
Gesinnung und Haltung allein nicht mehr ausreichten; forderte er
nunmehr eine von Gerechtigkeit geleitete Sozialpolitik. Er, dem man
immer "politische Zurückhaltung" zum Vorwurf gemacht hatte, verlangte
nun die Lösung der Arbeiterfrage durch staatliche Gesetze zur Linderung
der sozialen Not.
Obwohl im allgemeinen vom Klerus weiter mit kühler Zurückhaltung
behandelt, wurden ihm ab seinem fünfzigsten Lebensjahr Ehrungen zuteil:
er erhielt den Titel eines päpstlichen Geheimkämmerers und wurde zum
Rektor der Minoritenkirche Kölns ernannt. Aber er behielt immer seine
einfache Lebensweise bei, heißt es doch von ihm, er habe niemals einen
Kleiderschrank besessen.
Infolge häufiger Versammlungen und seiner schriftstellerischen
Tätigkeit gönnte er sich nur wenige Stunden Nachtruhe, so daß seine
stets schwache Gesundheit den drei Aufgaben, die er sich aufgeladen
hatte: Priester, Gesellenvater und Journalist, nicht mehr standhielt.
So erlag er erst zweiundfünfzigjährig am 4. Dezember 1865 einem
Herzleiden. Sein Leichnam fand in der Minoritenkirche die letzte
Ruhestätte, wo auch der große schottische Theologe Duns Scotus, der
"doctor marianus", begraben ist. 1934 eröffnete der damalige Erzbischof
von Köln, Kardinal Schulte, den Seligsprechungsprozeß.
Adolf Kolpings Lebenswerk, ein wichtiger Beitrag zum sozialen
Engagement der Kirche, wuchs auch nach seinem Tode weiter; es zählte um
1968 etwa 250.000 Mitglieder in fast zwanzig Ländern und umfaßte
nicht nur jugendliche Handwerker, sondern auch Erwachsene aus allen
Berufen. 1955, anläßlich der Jahrhundertfeier des Bestehens des
Kolpingwerkes, richtete Papst Pius XII. an den Bischof von Passau ein
Schreiben, in welchem er hervorhob, daß Kolping sein Werk auf zwei
Ein-sichten aufgebaut habe: Religion und Leben bilden eine Einheit, und
die Familie ist die Urzelle und das Vorbild allen Gemeinschaftslebens.
Benüzte Literatur:
Conzemius, Victor: "Adolf Kolping" in: "Rheinische Lebensbilder" Bd.3, Düsseldorf 1968.
Festing, Heinrich: "Was Adolf Kolping für uns bedeutet", Freiburg 1985.
Klüber, Franz: "Katholische Gesellschaftslehre" Bd.1, Osnabrück 1968.
Wothe, Franz Josef: "Adolf Kolping" Bonn 1938.
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