An die Novelle "Kleider machen Leute"
von Gottfried Keller (1819-1890)), fühlte ich mich erinnert, als ich
unlängst von recht ärgerlichen Vorgängen erfuhr, die sich im Meßzentrum
von Las Vegas/USA abgespielt hatten. Dort hatte sich eine Gruppe von
Gläubigen abgesondert und ein eigenes Zentrum eröffnet, weil sie nicht
mehr in einer Kirchen-Gemeinschaft beheimatet sein wollte, in der -
vornehm-lich - junge Menschen modern gekleidet zum Gottesdienst
erschienen. Besonders die jungen Mädchen, die nach Aussagen von
Meßbesuchern sogar provozierend gekleidet gewesen seien, hatten das
Mißfallen der älteren Ladies erregt, weil sie u.a. keine Kopftücher in
der Kirche trugen. So zogen diese Damen, für die das Tragen eines
Kopftuches das unverzichtbare Symbol ihres katholischen Glaubens
darstellt, zusammen mit einem ebenso gesonnenen Priester einen
Trennstrich zwischen sich als 'anständigen und ehrbaren' Katholiken und
den übrigen... weniger prädikats-verdächtigen, übrigen
Pfarrmitgliedern.
So machen also nicht nur Kleider Leute, sondern die Kopftücher auch die
(wahren) Katholiken aus, wobei sich bei gewissen Ladies das Katholische
im Tragen des Kopftuches erschöpft und sie hinsichtlich des Glaubens
schlicht einer Selbsttäuschung erliegen. Diesen privilegierten Seelen
kommt es nicht einmal in den Sinn, daß sie mit ihrer Intoleranz im
Äußeren und ihrer selbstgerechten Anmaßung junge Leute, die auf der
Suche nach Gott sind, in denen gerade der Glaube zu keimen beginnt,
einfach wieder vertreiben, (geistig gesehen:) abtreiben; denn wo sie
Liebe erwarteten, begegnet ihnen Stolz und Selbstgerechtigkeit.
Nicht nur die Islamisten haben ein Kopftuchproblem, sondern auch die
katholischen Traditionalisten, wobei es im Formalen durchaus Parallelen
gibt. (Die Kopftuch-Trägerinnen und die -befürworter sollten sich
einmal überlegen, ob es in ihrem Interesse ist, möglicherweise als
Verbündete islamischer Ideologien zu gelten.)
Es lohnt sich noch, darauf hinzuweisen, daß es sich bei diesem
'schäbigen' Rest mehrheitlich um junge Menschen, um Jugendliche
handelt, die der dort tätige Geistliche mit aufopfernden, pastoralen
Kraftanstrengungen aus dem ideologischen Nichts für den wahren Glauben
und die wahre Kirche gewonnen hatte und die weiterhin in diesem
Priester ihren Hirten sehen, auf dessen Engagement, auch bei der
Bewältigung moderner Alltags- und Gefährdungsprobleme, sie sich
angewiesen fühlen.
Auf eine entsprechende Anfrage meinerseits hatte der betreffende Priester geschrieben:
"Sehr geehrter Herr Dr. Heller, sehr geehrte Frau Heller,
vielen Dank für Ihren Brief. Es scheint schwer zu glauben, daß Leute
weggehen wollen, wenn die Kirche wächst und zu einer sichtbaren
Struktur wird, die sowohl der modernistischen Kirche als auch der
Öffentlichkeit zeigt, daß die wahre Kirche nicht verschwunden ist. Aber
manche glauben, daß wir in Kellern und völlig von der Welt getrennt
sein müßten, daß nur wenige gerettet werden (sie allein), weil sie den
Missionsauftrag der Kirche vergessen haben. Ich habe viele Male
wiederholt, daß die Kirche kein Museumsstück für Menschen ist, welche
die Vergangenheit wieder aufleben lassen wollen, sondern daß wir uns in
der Gegenwart befinden. Sie fassen das als 'Novus Ordo' auf und hängen
an einem 'goldenen Zeitalter', das es nie gegeben hat, d, h.: Frauen in
bodenlangen Kleidern und mit langen Schleiern auf dem Kopf, und jeder
spricht nur Englisch.) Wir haben unter ihrem Weggehen nicht groß
gelitten; es hat vielmehr den Gläubigen mehr Auftrieb gegeben, an
kirchlichen Aktivitäten teilzunehmen. Vorher haben sich diese Leute,
die wegblieben, für gewöhnlich nur beschwert, herumgestritten und
Ausreden erfunden, um nicht zu helfen. Ich muss nur überlegen, welcher
Bischof hier in Las Vegas die Sakramente verwalten wird. (...) Mit
Gottes Segen und meinen Gebeten.
Father Courtney Edward Krier"
Diese Sezession könnte man als traurige Episode abhaken, wenn nicht
ähnliche Tendenzen hinsichtlich einer Intransigenz in den
Äußerlichkeiten auch bei uns bestünden, welche für Unruhe und
Ärgernisse sorgen. Nach längerem Zögern habe ich mich deshalb
entschlossen, auf dieses leidige Problem einzugehen.
Vor Jahren war ich mit meiner Familie auf Urlaub in einem
Hochgebirgsdorf. Meine älteste Tochter, die extra nachgereist kam, um
mit uns einige Berg- und Eistouren zu unternehmen, wollte die
Anwesenheit eines traditionsverpflichteten Priesters im dortigen
Meßzentrum nutzen, um wieder einmal zur Beichte zu gehen. Bevor sie
noch ihr Bekenntnis ablegen konnte, schickte sie dieser aus dem
Beichtstuhl hinaus mit der Begründung, sie tragen keine entsprechende
Kleidung - sie war in in einer Hose (andere Kleidung hatte sie nicht
dabei) erschienen. Auf die spätere Frage meiner Tochter, die inzwischen
weinend die Kapelle verlassen hatte, was denn sei, wenn sie,
möglicherweise mit einer Todsünde belastet, beim Bergsteigen
verunglücken sollte, antwortet ich ihr, ohne lange zu zögern: da ihr
der betreffende Kleriker das Ablegen der Beichte verweigert hätte,
würde er dafür von Gott zur Rechenschaft gezogen. Sie könne beruhigt
sein, denn sie habe die Intention zur Aus- und Wiederversöhnung mit
Gott gehabt. (Christus hatte gesagt: "Kommet zu mir, die ihr mühselig
und beladen seid", er hatte nicht hinzugefügt: "Zieht euch aber vorher
um.") )
Was steht nun hinter solch intransigenten Haltungen? Zu Recht können
die Vertreter einer strengen äußeren Disziplin darauf hinweisen, daß es
ein Zeichen der Ehrfurcht vor Gott und Seinem hl. Sakrament sei, wenn
Frauen in der Kirche, besonders während des Gottesdienstes, ihren Kopf
bedecken. So war es in der Tat einmal, besonders in den mediterranen
Ländern, aber auch in der orthodoxen Kirche. Sie können sich dabei auf
das Kirchenrecht Benedikts XV. (CIC von 1917) berufen, der in Kanon
1262, § 2 bestimmt: "Die Frauen aber sollen bei gottesdienstlichen
Feiern in- und außerhalb der Kirche immer bedeckten Hauptes erscheinen.
Auf die Beobachtung dieser Bestimmung müssen sie besonders bedacht
sein, wenn sie die hl. Kommunion empfangen."
Einen biblischen Appell zum Tragen einer Kopfbedeckung für Frauen
liefert der hl. Paulus: "Jede Frau aber, die mit unverhülltem Haupte
betet oder prophetisch redet, entehrt ihr Haupt" (1 Kor 11,5), dem u.a.
noch die Mennoniten, eine calvinistisch orientierte Sekte, entsprechen.
Paulus gibt diese Anweisung im Zusammenhang mit der Stellung von Mann
und Frau im Hinblick auf Christus: "Ich möchte aber" schreibt er den
Korinthern, "daß ihr wißt, daß das Haupt eines jeden Mannes Christus
ist; das Haupt der Frau aber ist der Mann, und Haupt Christi ist Gott"
(1 Kor. 11,3). Die Kleidung der jüdischen Frauen z.Zt. Christi ähnelte
sehr stark der des Mannes, wobei die Oberkleider reicher verziert und
die Unterkleider länger waren als die der Männer. Als Kopfbedeckung
trugen auch sie eine Art Turban. Nur durch den Schleier unterschied
sich die Kleidung der Frau klar von der des Mannes. (Vgl. Wetzer und
Welte's "Kirchenlexikon oder Enzyclopädie der katholischen Theologie
und ihrer Hilfswissenschaften", 7. Bd., Freiburg i. Brsg. 1891, Col.
763 f.) Die Verhüllung des Kopfes resultiert nach Paulus aus der
untergeordneten Stellung der Frau unter den Mann: "Der Mann nämlich
soll sein Haupt nicht verhüllen, weil er Gottes Bild und Abglanz ist;
die Frau aber ist des Mannes Abglanz". (1 Kor. 11,7) )
Es ist klar, daß bestehende Bräuche, d.h. dort wo sie in Geltung sind,
eingehalten werden müssen; denn Verstöße gegen lebendige Traditionen
sind nicht bloß ein Negieren äußerer Formen, sondern zutiefst ein
Revoltieren gegen die jeweilige Einstellung, die erst zur Ausprägung
der äußeren Form geführt hat. Auf das Gebot für Frauen, beim Beten
ihren Kopf zu bedecken als Zeichen der Unterwerfung bezogen bedeutete
dies: Würde eine Frau es ablehnen, ihren Kopf zu bedecken, würde sie
damit zugleich gegen die Unterordnung unter den Mann revoltieren. Und
damit würde sie in der Tat ein Ärgernis darstellen in einer
Gemeinschaft, in der diese Unterordnung der Frau in Geltung wäre.
Eine ähnliche Befürchtung haben auch diejenigen, die in
traditionsbewußten katholischen Gemeinden auf dem Tragen von
Kopftüchern insistieren: Wenn die Kopfbedeckung ein Zeichen der
Ehrfurcht vor Gott bedeutet, dann würden Frauen, die mit unbedecktem
Kopf in der Kirche erschienen, Gott nicht die erforderte Ehrfurcht
erbieten. Darum dann die Forderung nach einem strengen Reglement.
Ganz so einfach ist es nun nicht. Nicht nur, daß wir in einer Zeit der
Formlosigkeit leben, in der auch die üblichen Konventionen ihre
Verbindlichkeit verloren haben, weswegen es wenig Sinn macht, gegenüber
Fremden darauf zu bestehen, nein, das Tragen des Kopftuches war auch
schon lange vor dem Konzil z.B. in Deutschland nicht mehr (religiöse)
Sitte. Mir ist noch bewußt, daß wir auf Studienfahrten nach Italien und
beim Besuch der dortigen Kirchen auf seriöseres Auftreten als in
Deutschland aufmerksam gemacht wurden. Aber auch im strengeren Spanien
tragen die Frauen - nachgeprüftermaßen - seit über 40 Jahren keine
Kopfbedeckung. Ich persönlich kenne keine einzige Frau, die in der
Nicht-Bedeckung ihres Hauptes einen Verstoß gegen die geforderte
Ehrfurcht gegenüber Gott sieht bzw. eine solche Ehrfurchtsverweigerung
beabsichtigt!
Wenn also jemand mit gewissen Druckmitteln versucht, bestimmte Formen
z.B. der Ehrfurcht (Tragen eines Kopftuches) wieder(!) einzuführen,
sollte er sich zumindest dieser veränderten Einstellung bewußt sein und
sich darüber klar sein, daß solche autoritativen Gesten, die in der
Regel nur auf Unverständnis stoßen, eher die Gläubigen vom Besuch des
Gottesdienstes fernhalten als sie einzuladen.
Und was ist mit den Verweisen auf den hl. Paulus bzw. die Bestimmung
des Kirchenrechtes? Selbst der Kommentar der von Hamp, Stenzel und
Kürzinger hrsg. "Heiligen Schriften des Alten und des Neuen
Testamentes" (Pattloch-Verlag, Würzburg 1960, mit "Imprimatur" des
Würzburger Generalvikars Dr. Fuchs vom 19.2.1957) spricht in bezug auf
die entsprechenden Paulus-Stellen von einer "aus zeitbedingter Sitte zu
verstehenden Anordnung." (S. 228) Was den Kanon 1262, § 2 betrifft,
kann man nicht ohne Grund einwenden, daß es sich um eine Bestimmung des
kirchlichen, d.h. auch veränderlichen Rechtes handelt. Papst Pius XII.,
der ja einer der wenigen Päpste war, der sich auch intensiv mit den
Problemen der Frauen beschäftigt hat, anerkennt die Faszination der
Mode bei Frauen und räumt ihnen eine ästhetische Selbstgestaltung ein,
die sich am Prinzip des Schicklichen orientieren soll (vgl. u.a.
Leiber, Robert: "Pius XII. sagt" Zürich 1956, S.62 ff.; Seibel-Royer,
Käthe: "Pius XII. - Ruf an die Frau", Graz 1956, S. 235). Als Hirte,
der mit solch sensiblen Problemen wie den Lieben und Vorlieben von
Frauen ja auch zu tun hat, sollte man zu deren Lösung nicht mit dem
Paragraphen-Knüppel anrücken.
Man kann nicht künstlich Traditionen und Verhaltensweisen wieder
einführen, die im praktischen Leben längst bedeutungslos geworden sind,
ohne die dahinter stehenden Ideen neu zu beleben, geistig zu erzeugen.
In unserer Zeit der Formlosigkeit kann ich Formen nur durch
Verinnerlichung von Einstellungen aufbauen. Der Prozeß verläuft von
innen nach außen. Ich muß vermitteln, was Demut ist, damit sich
demütiges Verhalten, auch in bestimmten Äußerungen (bis hin zu
Konventionen), einüben läßt.
Ähnlich sieht das auch Prinz Asserate, dessen Buch "Manieren" bei uns
in Deutschland einen nicht ungeahnten Erfolg erlebt, in Bezug auf gute
Manieren: "Allein die Benimm-Regeln zu beachten, macht niemanden zu
einem Menschen mit guten Manieren. Man könnte die Manieren vielmehr die
Frucht der Moral nennen, den äußeren, ästhetischen Ausdruck einer
inneren Verfaßtheit." (Interview mit der JF vom 16.1.2004) ) Leider ist
es so, daß das Insistieren auf einer nicht verinnerlichten
Kleiderordnung Aversionen erzeugt, die das vermeintliche spirituelle
Leben eher ersticken.
Hier muß nun auch der Stellenwert dieses Problems genau geortet werden.
Spätestens hier sollte klar sein, daß es sich bei diesem
Kleider-Problem um einen dürftigen Nebenschauplatz handelt, der sich in
der Nähe des Sektierertums angesiedelt hat, ja sich in diesem teilweise
recht wohl fühlt ... dessen Darstellung - um einmal persönlich zu
reagieren - mich einige Ãœberwindung gekostet hat, ist man dabei doch in
Gefahr, sich der Lächerlichkeit preiszugeben. Wir haben eine Menge
realer Probleme, die zu lösen wären, um in dieser prekären kirchlichen
Situation zu bestehen. Aber anstatt sich diesen lebens-,
überlebenswichtigen Aufgaben - z.B. dem Aufbau von kirchlichen
Gemeinden, der Katechese (mit der Einbeziehung der gesamten modernen,
aktuellen Problematik), den überregionalen Zusammenschlüssen mit
rechtlicher Absicherung und pastoraler Führung, Bildung von
Priesterkongregationen zur Erarbeitung von übergreifender pastoraler
Betreuung - zuzuwenden, wird überlegt, ob Turnschuhe das nötige
'katholische' Outfit haben.
Um das Groteske eines solchermaßen 'voreingestellten'
Problembewußtseins herauszuarbeiten, erlaube ich mir, Ihnen, verehrter
Leser, folgendes Beispiel zu präsentieren. Seit etlichen Jahren leben
meine Familie und ich hier draußen vor München in einer ländlichen
Gegend, wo Brauchtum noch eine lebendige Tradition hat. Wir fühlen uns
den Menschen hier draußen sehr verbunden und nehmen auch an deren
traditionellen Veranstaltungen teil... in der entsprechenden Tracht.
Man stelle sich nun vor, ich würde nur Gäste zu mir nach Hause
einladen, die sich diesem Brauchtum unterwerfen würden, was so viel
heißt, daß Männer in Lederhose und Frauen im Dirndlkleid zu erscheinen
hätten. Für Kopfschütteln wäre gesorgt. Ähnlich verständnislos
reagieren Jugendliche, wenn ihnen hinsichtlich ihrer Kleidung
Vorschriften gemacht werden, die sie nicht verstehen. Es wäre
sicherlich interessant zu sehen, wer von den Theoretikern dieser
Ordnung dann in der Lage wäre, die Archetypen-Theorie eines C.G. Jung
zu zitieren.
Man kann das Problem nur von dem aufgezeigten Wiederbeleben von
Inhalten, die sich dann selbst-tätig ausformen, her lösen. Eine solche,
etwas aufreibendere Arbeit wäre aber gerade heute angebracht, wo die
Jugendlichen von jenen Institutionen, die vorgaukeln, Halt und Heil zu
vermitteln, nicht nur im Stich gelassen, sondern sogar noch zu
ideologischen Abenteuern verführt werden.
Um noch einen pastoral-pädagogischen Aspekt anzuführen: Wie sollte man
gerade Jugendlichen begegnen, die heute geistig nichts mehr oder noch
nicht viel (wieder) besitzen? Mit Ausgrenzung, gouvernantenhafter
Selbstgerechtigkeit? Franz Dilger beschreibt in seinem Buch "Giovanni
Bosco -Motiv einer neuen Erziehung" (Olten 1946), wie Don Bosco auf
seine Kinder eingewirkt hat:
"Alle Enttäuschungen der herkömmlichen Erziehung erweisen sich als
Folge eines geistigen Vergewaltigungsversuches am jungen Menschen. Wer
nur dem Leben dienen will und dem Jugendglück, wird formender wirken
als jener, der dem werdenden Menschen seinen kategorischen Imperativ
entgegenhält. Das Alter diene der Jugend, nicht umgekehrt, das ist
Boscos Maxime. Er hatte es hundertfach erfahren, daß so vieles Böse,
das in der Jugend sich erhebt, von den Erwachsenen stammt, sei es, daß
sie mit ihrer Zwängerei, mit ihrer Neigung zum Terror das Ungute in der
wachsenden Natur wecken oder durch mangelnde Hingabe nicht verhindern.
Jungen-Fehler sind zumeist Reflexe der Erwachsenen-Laster.
Das mag revolutionär klingen in den Ohren aller Traditionalisten, die
es nicht wahrhaben wollen, daß der junge Mensch auch anders sein
könnte, als sich ihre an der Antike gestärkte Auffassung träumen läßt.
Welchen Kampf hatte Bosco gegen diese scheinbar christliche Neigung zu
führen, das geschichtlich bedingte Bild von Menschen für unveränderlich
wie das Dogma zu halten. Er aber hat es bewiesen, und seine Nachfolger
werden es glauben, daß Erzieher, die nur den Befehl der Hingabe kennen
und eine durch nichts zu erschütternde Liebe zu Jesus Christus, die
Jugend in einem neuen Lichte zeigen werden. Sie werden nicht predigen,
im herkömmlichen Sinne, noch moralisieren, aber eine christliche
Existenz voll Enthusiasmus und Weltbejahung vorleben und die Jugend
magnetisch anziehen. Wer zweifelt daran? Woher kommt es denn, daß
religiös erzogene Jugend so oft träge, mit bewußtem Widerstreben im
Religionsunterricht sitzt aus leidiger Pflicht, weil sie nun einmal
dazu abkommandiert ist? Keine Frage auf den Lippen, kein Problem
im Kopf, keine Sehnsucht im Herzen und keine Rührung im Gesicht!
Die andern aber, die religiös nicht Forcierten, ja viele geradezu
heid-nisch Erzogene, drängen sich zum Lichte Jesu Christi. Woher dieser
fatale Unterschied? Gebt Frei-heit, erzieht von innen her zu Christus!
Alles andere ist Rudiment einer antiquierten Machtpraxis. Was haben wir
uns doch alles verdorben mit kommandierter Religion! Bosco würde unsere
religiöse Erziehung weitgehend ändern. Religion ist
Liebensangelegenheit zwischen Gott und Mensch. Vergaß man, wie Liebe
ein subtil-zerbrechlich Ding ist? Wenn Christus findet, daß Jugend und
nicht Alter am besten disponiert ist für das Reich Gottes, und man
beobachtet, daß es in Wirklichkeit umgekehrt aussieht, soll man da am
Meister irre werden oder nicht viel mehr an der falschen Einstellung
der Glaubensverkünder zur Jugend? Nur religiös Ergriffene, denen
gleichzeitig die Weite des Lebens real bekannt ist, sollten die Jugend
in das Liebesgeheimnis Gottes einweihen. Aber da ja leider nur allzu
oft die Quantität entscheidet, hält man alles für in Ordnung, wenn das
kommandierte Praktizieren nach Klassen geordnet und reibungslos sich
abspielt. Wie warnte Bosco vor kommandierter, Praxis: »Esortare,
esortare e niente di più!« ("Ermahnen, ermuntern und weiter nichts!")
(S. 201 ff.)
***
Hl. Gregor der Große:
"Die Kirche wird in ihrer Endzeit ihrer Kraft beraubt werden. Für den
Antichrist bereitet sich vor ein Heer von abgefallenen Priestern. Am
Ende der Zeit wird es eine vollständige Vereinigung unter den Gottlosen
geben, während es unter den Gerechten Trennungen und Spaltungen geben
wird." ("Dialoghi", lib. IV.)