DIE WISSENSCHAFT MONTINIS
von
Walter W.E. Dettmann
Zur Einführung des neuen sogenannten römischen Meßbuches schrieb Paul
VI. am Gründonnerstag des Jahres 1969 unter anderem folgende Worte:
"Nun darf man freilich nicht glauben, diese Erneuerung des Missale
Romanum sei ganz plötzlich und unvorbereitet gekommen; ihr haben
vielmehr die Ergebnisse der liturgiewissenschaftlichen Arbeiten während
der letzten vier Jahrhunderte den Weg bereitet. Schon nach Schluß des
Trienter Konzils hatten zur Überprüfung des Missale Romanum die
Bearbeitung und Einsichtnahme der alten Handschriften der Vatikanischen
Bibliothek und anderer von überallher gesammelter Bestände nicht wenig
beigetragen, wie aus der Apostolischen Konstitution "Quo primum"
Unseres Vorgängers des hl. Pius V. erhellt. Unterdessen aber sind
einerseits älteste liturgische Quellen neu erschlossen und
veröffentlicht, andererseits aber auch die Texte der Ostkirchen
eingehend untersucht worden. So wurde der Wunsch ausgesprochen, die
dort enthaltenen Reichtümer an Lehrweisheit und Frömmigkeit sollten
nicht länger im Dunkel der Bibliotheken verborgen bleiben, sondern ans
Licht gebracht werden, um Sinn und Gemüt der Christen zu erleuchten und
zu fördern" (Zitat aus dem Amtstlatt für die Diözese Bamberg vom
27.August 1969).
Die einfachen Gläubigen der römisch-katholischen Kirche konnten aus den
angeführten Worten nur die Verheißung entnehmen, daß die bisherigen
Reichtümer an Lehrweisheit und Frömmigkeit, die in der heiligen Messe
enthalten waren, durch die neue Liturgie noch um ein Beträchtliches
vermehrt werden sollten. Im übrigen aber waren die Worte Pauls VI. für
"Sinn und Gemüt" solcher Katholiken, die nicht Theologie studiert
hatten, ein verschlossenes Gebiet.
Wer jedoch als Priester seine eigene Ausbildung einigermaßen ernst
genommen hat, schaut bei den Worten Pauls VI. mit Schrecken in einen
Abgrund hinunter.
Es strahlt einem da nicht das Licht und jene Klarheit entgegen, die man
bei einem päpstlichen Schreiben über die heilige Messe erwartet,
sondern finsterer Rauch und sogar giftiger Qualm kommen einem entgegen
und verdunkeln alles, was einem seit dem Tag der Priesterweihe heilig
war.
Schon im ersten Satz sagt Paul VI. sonderbare Dinge: Er behauptet, daß
die heilige Messe vierhundert Jahre lang "liturgiewissenschaftlich"
mangelhaft gewesen sei. Paul VI. zielt auf die Feststellung, daß sein
Vorgänger Pius V. trotz gewissenhaftester Arbeit die größte
Ungeschicklichkeit begangen habe, als er die gesamte lateinische Kirche
für alle kommenden Zeiten auf diese Form des heiligen Meßopfers
verpflichtete, die wir bis zum Zweiten Vatikanischen Konzil besaßen.
Das Lob, das Paul VI. am Anfang seiner Regierung und am Anfang seines
obigen Schreibens der alten Meßfeier gespendet hatte, war ein reiner
Bluff und ein trügerischer Schein für oberflächliche Leser.
Montini sagt mit seinen Worten vom Gründonnerstag 1969 nichts anderes,
als daß die Protestanten mit ihrer Kritik an der römisch-katholischen
Meßfeier seit vierhundert Jahren Recht hatten!
Der Rauch der Finsternis quillt in dicken Schwaden aus dem Abgrund von
Montinis Worten: Er spricht von Erneuerung des römischen Meßbuches.
Schon wenige Jahre nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil hat sich
dieses Wort "Erneuerung" als eine derart faustdicke Unwahrheit
entpuppt, daß man nur mit Abscheu zuschauen kann, wie sich die
Priesterschaft der Katholischen Kirche so etwas gefallen läßt. Das
bisherige Meßbuch der römisch-katholischen Kirche wurde nämlich nicht
erneuert, sondern es wurde bis in die kleinsten Teile hinein
zerschlagen und zerfetzt. Vom ganzen herrlichen Werk Papst Pius V. ist
nicht das Geringste mehr übriggeblieben. Das, was jetzt an seine Stelle
trat, ist kein römisch-katholisches Meßbuch mehr, sondern ein vom
Unglauben diktiertes Pfuschwerk.
Papst Urban VIII. hatte im Jahre 1634 geschrieben: "Wenn es in den
menschlichen Dingen etwas Göttliches gibt, um das uns die Bürger des
Himmels beneiden könnten, falls Neid bei ihnen möglich wäre, so ist es
das hochheilige Opfer der heiligen Messe..." (Vorrede zum Missale
Romanum) - und Paul VI. wagt vor der gesamten Kirche zu sagen, dieses
heilige Meßopfer sei "liturgiewissenschaftlich" nicht in Ordnung!
Papst Urban VIII. schrieb ferner: "Durch die Wohltat (dieses heiligen
Opfers) kommt das zustande, daß die Menschen gewissermaßen im voraus
den Himmel auf Erden besitzen... Umso mehr müssen die Sterblichen sich
bemühen, einen so erhabenen Vorzug mit gebührender Ehrerbietung zu
umgeben ("cultus") und zu hüten, und sie mögen sich in acht nehmen vor
den Engeln, die jede Nachlässigkeit hassen und die eifersüchtig sind in
der Verehrung" (nämlich des hl.Altarssakramentes).
In einem weiteren herrlichen Vergleich sagt Papst Urban VIII.: "Weil
diese beiden Flügel (nämlich das römische Meßbuch und das Brevier), die
der Priester wie ein Cherub täglich zur wahren Versöhnungsstätte der
Welt ausbreitet, gleichförmig sein müssen, darum haben Wir die Sorge
dafür frommen und gebildeten Männern übertragen, durch deren Fleiß das
Werk so vollendet wurde, daß nichts mehr zu wünschen übrig blieb."
Aber trotzdem behauptet Paul VI., das bisherige heilige Meßopfer sei
"liturgiewissenschaftlich" seit vierhundert Jahren nicht in Ordnung!
Montini sagt in seinem ersten Satz noch etwas enderes. Er behauptet,
die sogenannte "Erneuerung" sei nicht plötzlich und unvorbereitet
gekommen. Was meint er mit dem Wort "unvorbereitet" ? Falls er sagen
will, die Päpste des 19. und 20.Jahrhunderts hätten sich von Amts wegen
mit dem Gedanken einer Änderung der heiligen Messe beschäftigt, so wird
er durch viele Maßnahmen dieser Päpste widerlegt.
Falls Montini dagegen sagen will, es seien geheime Kräfte in der Kirche
vorhanden gewesen, um die hl.Messe zu Fall zu bringen, dann erhebt sich
die Frage, ob er Montini selbst, auch dazu gehörte. Es ist klar, daß
diese Frage mit einem "Ja" zu beantworten ist, und damit wäre der Fall
gegeben, den Papst Paul IV., der namensgleiche Vorgänger Pauls VI., in
seiner Bulle vom 15. Februar 1559 vorgesehen hat: Er bestimmte nämlich,
daß ein solcher, der irgendeinmal vom Glauben abgewichen ist, niemals
gültig zum Papst gewählt werden kann. Die betreffende Bulle Pauls IV.
beginnt mit den Worten: "Cum ex apostolatus officio".
Montini richtet sich also selbst.
Wie sehr die Kirche heute durch ihn in die Irre geführt wird, zeigt die
Fortsetzung seiner Worte. Er schreibt: "Schon nach Schluß des Trienter
Konzils hatten zur Überprüfung des Missale Romanum die Bearbeitung und
Einsichtnahme der alten Handschriften der Vatikanischen Bibliothek und
anderer von überallher gesammelter Bestände nicht wenig beigetragen,
wie aus der Apostolischen Konstitution "Quo primum" Unseres Vorgängers,
des hl.Pius V. erhellt."
Fast jedes einzelne Wort dieses Satzes klingt katholisch und
selbstverständlich, und trotzdem ist der ganze Satz eine einzige grobe
Irreführung. Montini will in erster Linie den Eindruck erwecken, als
seien die sogenannten "liturgiewissenschaftlichen Arbeiten der letzten
vier Jahrhunderte" die ordnungsgemäße und legitime Fortsetzung jener
Arbeiten, die Papst Pius V. im Jahre 1566 zwecks Vereinheitlichung des
römischen Meßbuches befohlen hatte. Das ist eine der gröbsten
Irreführungen, die sich Paul VI. erlaubte
Denn sein Vorgänger Pius V. hatte nach Abschluß der Studien zur
Vereinheitlichung des Meßbuches jede weitere Änderung der äußeren
Gestalt des Meßopfers untersagt. Die wissenschaftlichen Studien zur
Vereinheitlichung und zur richtigen Gestaltung des hochheiligen Opfers
waren somit amtlich von höchster Stelle aus abgeschlossen.
Papst Urban VIII. hatte 60 Jahre später nur noch solche Fehler
beseitigt, die naturgemäß überall als Druckfehler und ähnliche Dinge
auftreten, und er hatte ausdrücklich festgestellt, daß die Form der
Meßtexte "nichts mehr zu wünschen übrig ließ".
Auch Papst Pius X. (1904 - 1914) unterzog das Meßbuch Pius' V. nur
deshalb einer Durchsicht und Prüfung, um zu verhindern, daß die
notwendig wachsende Zahl der Heiligenfeste die wöchentliche
Sonntagsfeier beeinträchtige. Am Text und Aufbau der Meßfeier änderte
auch Pius X. nichts, und die wichtigen Vorreden Pius' V. und Urbans
VIII. mußten weiterhin jedem neuen Druck des römischen Meßbuches auf
der ganzen Welt beigefügt werden.
Also ist es absolut unmöglich, daß die sogenannten
"liturgiewissenschaftlichen Arbeiten der letzten vier Jahrhunderte",
von denen Paul VI. spricht, eine ordnungsgemäße und legitime
Fortsetzung jener Arbeiten sind, die Papst Pius V. am Anfang seiner
Regierung befohlen hatte.
Auch wenn z.B. die Bücher von Prof.J.A.Jungmann sowie von
Prof.Brinktrine und viele ähnliche die kirchliche Druckerlautnis
besitzen - deren Erwerbung ist ja schon längst eine lächerliche und
bedeutungslose Kleinigkeit -, so sind diese Bücher deshalb noch lange
keine von der höchsten kirchlichen Autorität befohlenen Arbeiten.
Im Gegenteil: Die Bücher Jungmanns und anderer gleichgesinnter
Professoren sind auf reine Privat-Initiative zu keinem anderen Zweck
geschrieben, als um die höchsten päpstlichen Anordnungen, angefangen
von Pius V. bis zu dem Rundschreiben Pius XII. über die heilige
Liturgie ("Mediator Dei") auf vorgetäuscht wissenschaftliche Weise zu
bekämpfen und zu unterhöhlen. Sonst wäre Jungmann niemals Berater des
Zweiten Vatikanischen Konzils geworden.
Montini schreibt weiterhin: "Unterdessen aber sind einerseits älteste
liturgische Quellen neu erschlossen und veröffentlicht, anderseits aber
auch die Texte der Ostkirchen eingehend untersucht worden." Im ersten
Teil dieses Satzes stehen zwei Unwahrheiten: Es wird von "ältesten
liturgischen Quellen" gesprochen und behauptet, diese seien "neu
erschlossen und veröffentlicht worden".
Für den Fachmann ist es offenkundig, daß Montini mit den sogenannten
"ältesten liturgischen Quellen" vor allem die bekannte Hippolyt-Messe
meint. Diese Hippolyt-Messe ist aber weder die älteste liturgische
Schrift, noch ist sie eine "liturgische Quelle".
Montini sollte wissen, daß die sogenannte Hippolyt-Messe bereits im
Jahre 1563 in Venedig im Druck veröffentlicht wurde, somit sieben Jahre
vor der Einführung des Missale Romanum durch Papst Pius V. Paul VI. ist
also mehr als vierhundert Jahre im Rückstand gegenüber Pius V., der
genau gewußt hat, warum er auf die Hippolyt-Messe verzichtete.
In unserer Zeit wurde die Hippolyt-Messe hochgespielt durch den
Protestanten Lietzmann (1929) und durch die ähnlich denkenden
katholischen Professoren Brinktrine (1934) und J.A.Jungmann (1949). Es
ist auch unbegreiflich weit danebengeschossen, wenn der sonst
verdienstvolle Prof. B.Altaner über die Hippolyt-Messe sagt: "Die
Geschichte der Liturgie hat damit geradezu eine neue Grundlage
erhalten" ("Patrologie", 1958, S.47). Dies war wahrscheinlich bereits
im Hinblick auf das II. Vatikanische Konzil geschrieben.
Was von der Hippolyt-Messe in Wirklichkeit zu halten ist, sagte der
anerkannte Fachmann für Liturgiewissenschaft Dr.Ludwig Eisenhofer:
"Wenn auch diese Sammlung (d.h. die Gebetssammlung des Hippolyt) aus
Rom stammt, so darf darin doch keineswegs ein offizieller Text der
römischen Kirche erblickt werden. Hippolyt stellte lediglich für seine
schismatische Gemeinde Formulare zusammen. ..." (Handbuch der
kath.Liturgik, 1932, S.59).
Die Hippolyt-Messe wird niemlas eine liturgische "Quelle" werden, weil
sie gegen die römische Kirche und gegen die römische Meßfeier
geschrieben wurde. Daran kann auch Montini nichts ändern. Der
Hippolyt-Text ist und bleibt eine Messe der Spaltung, bei der keine
Gewähr besteht, daß die wesentlichen Teile der römischen Messe richtig
überliefert wurden. Mit so etwas wird man niemals eine Einigung der
Christen bewirken können. Dies hätte jedem einzelnen Bischof des
Zweiten Vatikanischen Konzils bekannt sein müssen.
Auch mit anderen, angeblich "ältesten liturgischen Quellen", z.B. mit
der sogenanuten Didaché (= "Lehre des Herrn durch die zwölf Apostel an
die Heiden") verhält es sich ähnlich wie mit der Hippolyt-Messe: Trotz
des klingenden Namens ("Lehre der 12 Apostel") handelt es sich bei
dieser im Jahre 1873 wieder entdeckten Handschrift nicht um eine
offizielle kirchliche Schrift, die jetzt etwa "neu erschlossen" wurde,
sondern um etwas, das bereits der Kirchenschriftsteller Eusebius im
vierten Jahrhundert unter die "Apokryphen" eingereiht hatte.
Die katholische Kirche kennt keine anderen Schriften der Apostel als
die Evangelien, die Apostelgeschichte, die Briefe der Apostel und die
Geheime Offenbarung des Apostels Johannes.
Dagegen ist es eine Tatsache, daß sich viele Leute anfangs bloß deshalb
auch "Apostel" nannten, weil sie einige Wochen oder Monate mit Jesus
gegangen waren, als es noch den Anschein hatte, erkönnte sich zu einem
politischen Volkshelden entwickeln. Von solchen sogenannten "Aposteln",
die später in der Kirche eine Rolle spielen wollten, ist im zweiten
Korintherbrief 12, 11 sowie in der Apokalypse 2,2 die Rede.
Je höher das Alter der sogenannten "Didaché" angenommen wird (z.B. die
Jahre 90 bis 100 n.Chr.).umso mehr verstärkt sich der Verdacht, daß der
Verfasser auch ein falscher Apostel war.
Wer bis jetzt noch nicht sieht, wie sehr Montini die Kirche irreführt,
der möge den nächsten Satz aufmerksam lesen, der unmittelbar auf seine
soeben besprochenen Worte folgt, nämlich: "So wurde der Wunsch
ausgesprochen, die dort (in der Hippolyt-Messe etc.) enthaltenen
Reichtümer an Lehrweisheit und Frömmigkeit sollten nicht länger im
Dunkel der Bibliotheken verborgen bleiben, sondern ans Licht gebracht
werden, um Sinn und Gemüt der Christen zu erleuchten und zu fördern".
Aber welche größeren Reichtümer an Lehrweisheit und Frömmigkeit sind
etwa im heutigen Schuldbekenntnis gegenüber dem früheren "Confiteor"
enthalten? Oder wie steht es mit den armseligen
"Gabendarbringungsgebeten", die Montini an Stelle der früheren Opferung
gesetzt hat? Und was hat "Sinn und Gemüt der Christen" mehr ergriffen:
Die eiskalte neue Liturgie oder ein feierliches Hochamt früherer Art,
sei es nun polyphon oder Choral, besonders vor ausgesetztem
Allerheiligsten? - Welche größeren Reichtümer der Verehrung des
heiligsten Altarssakramentes sind in Montinis Liturgie enthalten?
Mit Montinis sogenannten "liturgiewissenschaftlichen Arbeiten der
letzten vier Jahrhunderte" ist es wirklich nicht weit her. Diese
angebliche Wissenschaft war für ihn und für die deutschen Bischöfe nur
ein billiger Vorwand, um das hochheilige Meßopfer in einem derart
großen Umfang zu zerstören, wie es unter den wirklich gläubigen
Katholiken niemand für möglich gehalten hat.
Montinis Wissenschaft ist die wertloseste Seifenblase, und es ist eine
Schande, daß die sogenannte Bewegung für Papst und Kirche in
Deutschland dies nicht einsehen und klar aussprechen will. Es gibt
keine wirklichen liturgischen "Quellen" mehr, die Papst Pius V. etwa
nicht berücksichtigt hätte. Er hat das gesamte Verhalten der
römisch-katholischen Kirche gegenüber dem heiligsten Altarssakrament
von Anfang an genauestens geprüft, bevor er die heilige Messe in dieser
Form vorschrieb, die sie bis zum Zweiten Vatikanischen Konzil besaß.
Die Anbetung des heiligsten Altarssakramentes wurde der Kirche durch
den Heiligen Geist gegeben, und sie ist im Schoß der
römisch-katholischen Kirche von Anfang an ebenso organisch gewachsen,
wie der Menschensohn selbst im Schoße der reinsten Jungfrau Maria
horanwuchs.
Es gibt keine sogenannten "liturgischen Quellen", denen zufolge es
einmal anders gewesen sein könnte, und es wäre der schlimmste Gedanke
der Unterwelt, das heilige Wachstum durch einen künstlichen Eingriff
beenden zu wollen, um dadurch eine sogenannte Einheit aller Christen
herbeizuführen.
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