DIE KIRCHE - EINE WITWE
von
Theologieprofessor Dr.P.Severin M.Grill
Bei Lukas 18, 1-6 lesen wir die Parabel: Es war einmal ein Richter in
einer Stadt, der Gott nicht fürchtete und die Menschen nicht scheute.
Zugleich war auch eine Witwe in jener Stadt. Diese kam zu ihm und
sprach: "Schaffe mir Recht wider meinen Prozeßgegner". Er aber wollte
lange Zeit nicht. Dann aber sagte er bei sich selbst: "Wenn ich auch
Gott nicht fürchte und keinen Menschen scheue - weil mir aber diese
Witwe lästig fällt, will ich ihr zu Willen sein; denn sie könnte jeden
Augenblick kommen und mich bloßstellen."
Einleitung und Ende der Parabel wollen diese nur von der Beharrlichkeit
im Gebete auslegen. Wenn wir sie aber an sich nach den Gesetzen der
biblischen Bildersprache verstehen, so bedeutet die Witwe die
Kirche 1) die Stadt und ihr Richter den Weltstaat und dessen Obrigkeit,
der Prozeßgegner Satan und dessen Werkzeuge.
Der Weltstaat möchte die Kirche ignorieren und ihre berechtigten
Forderungen nicht beachten. Schließlich sieht er aber an der
Entwicklung der Dinge, daß es ohne Religion nicht geht und er
"verwirrt" werden könnte, d.h. daß ein Umsturz droht. Dann unterstützt
er die Kirche im eigenen Interesse.
Eine Auslegung der Parabel nach diesem Selbstverständnis tut der
Anwendung auf die Beharrlichkeit im Gebete keinen Eintrag, sie gewinnt
im Gegenteil eine aktuelle Bedeutung. Denn in der heutigen Situation
der Kirche sind die Stadt und ihr Richter nicht bloß der Weltstaat und
dessen Regierung, sondern vielfach die Kirche selbst, die auf dem Wege
der Verweltlichung ist. Papst und viele Bischöfe sind mehr Soziologen
als Theologen, sehen an ihr nur die Hilfe, die sie der
fortschrittlichen Demokratie leistet, und vergessen auf das Jenseits,
das die Kirche in erster Linie predigen muß. In der Theologie zeigen
sich Stumpfheit und Unverständnis für höhere mystische Wahrheiten. Man
spricht von "Schwesterkirchen" und reiht sie als gleichwertig in die
Linie des Monotheismus neben Judentum und Islam ein, ja sogar in die
Hochreligionen des Heidentums, Buddhismus und Hinduismus.
Man gibt damit ihre Erst- und Einzigrangigkeit auf und stellt den Neuen
Bund seinen Vorläufern (Noebund der Heiden, Patriarchenbund der
Mohammedaner, Sinaibund der Juden) gleich. Man gibt das Meßopfer auf
und spricht von einer "Eucharistiefeier", zweifelt an der Realpräsenz
Christi, streicht die Kniebeugen und Kreuzzeichen in diesem Ritus und
läßt das Johannesevangelium als Ausdruck der einmaligen Inkarnation des
Logos und der Adoption der gläubigen Menschen aus. Man schweigt zur
schamlosen Mode und erhebt nur schwachen oder zu späten Protest gegen
Abtreibung und Homosexualität.
Die Augustnummer der Zeitschrift "La Contre-Reforme catholique" weist
auf den Gegensatz zwischen der Religion des hl.Papstes Pius X. und der
politischen Utopie Pauls VI. durch Anführung von authentischen
Dokumenten hin.
Aber die "Witwe" Kirche - das ist die wahre Kirche, die wahre Hauptfrau
Salomons neben den 2 mal 70 Nebenfrauen - läßt nicht nach, die Wahrheit
zu fordern und sich bei dem Richter über die Bedränger der wahren
Kirche zu beschweren. Da wird diese verweltlichte Amtskirche denn doch
nachdenklich und entschließt sich, diese wahre vorkonziliare Kirche
wieder in Schutz zu nehmen, ihre Lehre und Praxis wieder aufzunehmen,
weil sie das Chaos sieht, das durch die Neuerungen immer schwärzer
heraufzieht.
Der fromme Dichter von 4 Esdr ruft der Witwe-Mutter im Auftrag des
Herrn tröstend zu: "Umschlinge Mutter, deine Kinder, zieh sie mit
Freuden auf wie eine Taube, mach ihre Schritte fest, denn ich erwählte
dich. O Kindesmutter, fürcht dich nicht, ich sende dir zu Hilfe meine
Diener... Ergötz dich samt den Kindern, Mutter! Denn ich befreie dich,
so spricht der Herr."
Anmerkungen:
1) Klgl 1,1 wird Israel, die altestamentliche Kirche,
Witwe genannt: Zu einer Witwe ist geworden, die einst unter den Völkern
groß war. Die Fürstin unter den Ländern ergab sich der Fron.
2) Im 4. Buch Esdr spricht Israel: "Ach, Kinder, geht! Ich bin ja Witwe
und verlassen. P.Riessler, Altjüdisches Schrifttum, 1928, S.31
3) Über die verschiedene Deutung der Grundbegriffe (Stadt, Richter,
Witwe, Gegner) berichtet Dionysius bar Salibi in seinem Lukaskommentar
(A.Vaschalde Paris 1939), S.383 f. Siehe L.Funk: Die Parabeln des Herrn
im Evangelium. Innsbruck 1909, S.764-772.
4) Esdr 2, 15.30.
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EIN LESERBRIEF
Bottrop, 5.7.71
(...) Ich danke nochmals herzlich für die Zeitschrift EINSICHT; denn
sie ist ganz großartig und nennt alles beim rechten Namen. Können nur
ganze und konsequente katholische Sachen und Schriften gebrauchen und
keine Halbheiten. Davon haben wir übergenug.
Möchte Ihnen auch noch mitteilen, daß ich Ihre Zeitschrift durch einen
noch waschechten römisch-katholischen Pfarrer kennenlernte. Es ist
nämlich Pfarrer N.N. aus N. Eine echt katholische Kirche mit Hochaltar
und herrlichen Seitenaltären und alles mit echten und schönen
Tabernakeln. Es wird nur mit dem Gesicht zum Herrn im Tabernakel
zelebriert. Kommunionbank und Kanzel stehen auch noch und Kommunion
wird nur an knieende Gläubige an der Kommunionbank auf die Zunge
ausgeteilt unter Vorhaltung der Patene. Es wird nur die "Tridentinische
hl.Messe" in ganzer Länge und ohne Kürzung zelebriert. Der Pfarrer ist
noch eine einsame Eiche, die sich durch nichts erschüttern läßt. An den
Kirchentüren steht angeschlagen: "In dieser Kirche wird die
hl.Kommunion nur knieend an der Kommunionbank auf die Zunge
ausgeteilt." (...) Viele Angriffe auf sich selbst und seine echt
katholischen Verhaltensweisen hat er heldenhaft abgeschlagen. Selbst
Bischöfe ließ er abblitzen. Er ist ein ganzer Priester Gottes mit Leib
und Seele. (...) Schreiben Sie so weiter und lassen Sie sich durch
nichts beirren und einschüchtern! Vielen Dank und alles Gute für Ihr
Unternehmen und Gottes Segen dazu wünsche ich Ihnen von Herzen und
verbleibe mit herzlichen Grüßen in Jesus und Maria
J.K.W
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