Jean-Marie Baptist Vianney, der Pfarrer von Ars
von
Heinrich Storm, München
Jean-Marie-Baptist Vianney, den heute kaum noch jemand unter seinem
bürgerlichen Namen, dafür aber beinahe jeder als den "Pfarrer von Ars"
kennt, wurde als Sohn einfacher, frommer Bauersleute am 8.5.1786 in
Dardilly bei Lyon geboren. Das erste einschneidende Erlebnis seiner
Jugend war die Französische Revolution mit ihren verheerenden
Auswirkungen auf die Kirche. Jean-Marie's Eftern lehnten diejenigen
Priester, die den von der Revolutionsregierung geforderten Eid
geleistet hatten ab und blieben der wahren Kirche, die nunmehr ein
Katakombendasein führen mußte, unter nicht geringen persönlichen
Gefahren treu. Auf diese Weise lernte Jean-Marie zum ersten Mal den Mut
und die Glaubensüberzeugung jener Priester kennen, die ihre Treue zu
Christus nicht selten mit ihrem Blut bezahlen mußten.
Schon als Kind fiel er durch seine Frömmigkeit auf und erfuhr hierin
durch seine Mutter eine überaus kluge und liebevolle Förderung. Seit
seinem 17. Lebensjahre fühlte er sich zum Priester berufen. Gott hat
ihm diesen Weg nicht leichtgemacht, im Gegenteil, es galt riesige
Schwierigkeiten zu überwinden: Zunächst den Widerstand des Vaters, der
auf die gute Arbeitskraft nicht verzichten wollte, dann die Einziehung
zur Armee, schließlich die Vorbehalte der geistlichen Ausbilder, denen
Vianney's Kenntnisse in Latein und Theologie, die er sich mit
unendlicher Mühe angeeignet hatte, unzureichend schienen. Doch die
unerschütterliche Überzeugung von der Echtheit seiner Berufung ließ ihn
alle Schwierigkeiten überwinden, und im Jahre 1815 erreichte er endlich
das so lang ersehnte Ziel: die Priesterweihe. Nachdem er im Anschluß
daran noch weitere 3 Jahre seinem geistlichen Wohltäter und Lehrer,
Pfarrer Balley von Ecully, als Vikar beistehen durfte, wurde er 1818 an
den Ort vorsetzt, der seine Lebensaufgabe wurde und den er bis zu
seinem Tod nur noch ganz selten verlassen sollte: nach Ars.
Kaum an seiner neuen Wirkungsstätte angekommen, begann er auch schon
den unerbittlichen Kampf gegen alle Arten von Lastern, die sich in dem
kleinen Dorf festgesetzt hatten. Dabei hatte er vor allem in den ersten
Jahren seiner Tätigkeit schwere Kämpfe gegen manche seiner Pfarrkinder
zu bestehen, die sich nur ungern immer wieder an ihre eigene Laxheit
und Sündhaftigkeit erinnern ließen. Allen diesen Angriffen setzte
Pfarrer Vianney nur eine umso größere kompromißlose Entschlossenheit
entgegen: "Will sich ein Hirte nicht selbst
verdammen, dann muß er vor jeder aufkommenden Unordnung in seiner
Pfarrei Menschenrücksicht mit Füßen treten und auch die Furcht, von
seinen Pfarrkindern verachtet oder gehaßt zu worden. Und wäre er auch
sicher, beim Herabsteigen von der Kanzel in den Tod geschleppt zu
werden, das darf ihn nicht hemmen. Ein Hirte, der seine Pflicht
erfüllen will, muß stets das Schwert in der Faust führene."
Aber die Strenge, mit der der Pfarrer von Ars seine Pfarrkinder zu
bekehren suchte, wurde bei weitem übertroffen von der Härte, mit der er
sich selbst behandelte. Was er sich an Fasten, Gaißelungen seines
Körpers und rastloser Tätigkeit zumutete, übersteigt beinahe das
vorstellbare Maß. Sein ganzes vierzigjähriges Priesterleben hindurch
hat er nicht nachgelassen, seinen "alten Adam", wie er sich ausdrückte,
abzutöten. Dieser ungeheure Eifer für das Heil der ihm anvertrauten
Seelen blieb nicht ohne Wirkung: Nach einigen Jahren war "Ars nicht
mehr Ars", wie Zeitgenossen voll Verwunderug feststellten.
Doch warteten auf den Pfarrer, der sich schon von der Last der
Verantwortung, die sein Amt als Seelsorger von Ars ihm auferlegte, wie
erdrückt fühlte, noch weit größere Aufgaben. Der Ruf seiner Heiligkeit
verbreitete sich in immer weiterem Umkreis, so daß ein mit den Jahren
ständig wachsender Strom von Pilgern einsetzte, die diesen
außergewöhnlichen Menschen sehen, seine Predigt hören und bei ihm
beichten wollten. In seinen letzten Lebensjahren war dieser einfache
Priester wohl der berühmteste Geistliche ganz Frankreichs: Hunderte
umdrängten dauernd seinen Beichtstuhl, an den er nun 15 Stunden täglich
gefesselt war! Dieses Leben, das zum Schluß nur mehr eine einzige
Marter war, ertrug der Heilige mit einem wunderbaren Gleichmut, ja
beinahe heiter. Auf die Frage, wie er die beißende Kälte des Winters in
seinem Beichtstuhl überhaupt aushalten könnte, antwortete er eines
Tages: "0h, mein Freund,das hat seinen guten Grund: Von Allerheiligen
bis Ostern spüre ich meine Füße überhaupt nicht mehr." Nie wurde er
müde zu betonen, daß "all unser Leid nur daher kommt, daß wir das Kreuz
nicht lieben."
Der Heilige von Ars hat wahrhaftig Ernst gemacht mit der Forderung
Christi: "Wer mein Jünger sein will, der nehme sein Kreuz auf sich und
folge mir nach." Sein Loben war eine ständige Selbstüberwindung: "Immer
heißt es neu anfangen!" seufzte er eines Tages. Er, dessen größter
Wunsch zeit seines Lebens war, sich als Mönch in die Einsamkeit
zurückzuziehen, um dort "sein armes Leben zu beweinen", sah sich immer
größeren Massen gegenüber, die von ihm Trost und Rat erwarteten.
Nicht allen hat der Pfarrer von Ars helfen können: Diejenigen, die nur
aus billiger Sensationslust nach Ars kamen, erhielten von ihm die
vordiente Abfuhr. Einer Dame aus den 'besseren Gesellschaftskreisen',
die ihm eines Tages etwas herablassend sagte, daß sie schon bessere
Prediger als ihn gehört habe, antwortete er mit jener wunderbar
schlichten und demütigen Ehrlichkeit, die für ihn so charaktollistisch
war: "Das entspricht ganz der Wahrheit, Madame, ich bin ungelehrt. Doch
wenn Sie wirklich all das tun würden, was ich Ihnen sage, so würde der
liebe Gott noch Mitleid mit Ihnen haben."
Doch nicht für alle ist die Begegnung mit der Heiligkeit, so wie in
diesem Falle fruchtlos geblieben. Ungezählte Menschen haben durch den
Pfarrer von Ars ihren Glauben wiedergefunden, sich oft in wunderbarer
Weise bekehrt, und sind ihrer göttlichen Berufung gefolgt, nicht selten
in den Priester- und Ordensstand. Sie waren oft schon durch den bloßen
Anblick dieses Menschen, der von der Liebe zu Gott wahrhaft verzehrt
wurde, überwältigt.
Als der Heilige sich in seinen letzten Lebensjahren von der Kanzel her
kaum noch verständlich machen konnte, wußte doch auch ohne alle Worte
jeder, was er ausdrübken wollte, wenn er auf den Tabernakel zeigte und
weinte aus Ergriffenheit und Liebe zum Allerhöchsten im Sakrament das
Altares.
Und so wie er fähig war, die Liebe Gottes in ihrer ganzen Schönheit und
Größe zu erfassen, so empfand er auch die ganze Scheußlichkeit und
Verworfenheit der Sünde. "Die beschmutzte Seele ist so räudig und
verfault, daß es einen jammert", sagte er in einer Predigt. und in
einer anderen vergleicht er sie mit "einem verendeten Tier, das man
acht Tage lang bei glühender Hitze durch die Sonne geschleppt hat." Auf
die Frage eines Beichtenden: "Warum weinen Sie denn so sehr, mein
Vater?" gab der Heilige nur zur Antwort: "Mein Freund, ich weine, weil
Sie nicht weinen."
Wie er es trotz dieses Abscheus gegen die Sünde jahrelang ausgehalten
hat, sich von früh bis spät, zum Schluß beinahe ohne Unterbrechung, der
ganzen Niedrigkeit, deren die menschliche Seele fähig ist, auszusetzen,
ohne jemals zu verzweifeln oder die Geduld zu verlieren, darauf gibt
uns der heilige Pfarrer ebenfalls die Antwort, wenn er sagt:
"Wahrhaftige Beglückung ist nur im Kreuz."
* * *
Bitten wir den hl. Pfarrer von Ars, den Schutzpatron aller Seelsorger,
um Fürsprache bei Gott, auf daß ER der Kirche wieder Priester schenke
wie ihn, die der Welt mutig ihre Sünden vorhalten, die für die Sünder
beten wie er: "Mein Gott, quäle sie so lange, bis sie ihre Sünden nicht
mehr aushalten." Dann besteht die Aussicht, daß einem Großteil der
Menschen die Armseligkeit ihrer Lage zum Bewußtsein kommt und daß sie
wieder hellhörig werden für die ernste Mahnung des heiligen Pfarrers:
"Wer sich vom Heiligen Geist führen läßt, hat die Welt überwunden. Wer
sich von der Welt führen läßt, verliert Gott. Achten wir also darauf,
von wem wir uns führen lassen."
"Auf Erden gibt es nur eine Traurigkeit: Kein Heiliger zu sein!" (Léon Bloy)
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