(aus: "Kirchliche Umschau" April 2002)
Vorbemerkung der Redaktion:
Die schrillen Bilder, die uns am 2. August vor gut eineinhalb Jahren
die Medien, besonders das Fernsehen, bescherten, sind fast wieder
vergessen: Homosexuelle vor dem Standesamt in zärtlicher Pose. Doch die
scheinbare Rückkehr zum Einerlei des bundesdeutschen Alltags kann nicht
vergessen machen, daß nun zur Alternative der Ehe als unauflösliches
Sakrament (kath. Position) und dem auflöslichen Ehebund
(protestantische Position) - weil "ein menschlich Ding" - noch eine
weitere getreten ist: die der gleichgeschlechtlichen (schwer
sündhaften, muß man heute hinzufügen, weil dies fast vergessen wird)
Partnerschaft, wodurch eine weitere Relativierung der sakramentalen Ehe
in unserer Gesellschaft eingeleitet wurde.
Einen Tag zuvor war das sog. Lebenspartnerschaftsgesetz in Kraft
getreten, welches vom Deutschen Bundestag mit der rot/grünen Mehrheit
beschlossen worden war. Daraufhin klagten die drei Bundesländer Bayern,
Sachsen und Thüringen vor dem Bundesverfassungsgericht. Im Frühjahr
2002 kam es zum einzigen Verhandlungstermin vor dem Verfassungsgericht.
Aus diesem Anlaß sprachen Redakteure der "Kirchlichen Umschau" mit Herr
Professor Dr. Johann Braun, Professor für Zivilprozeßrecht,
Bürgerliches Recht und Rechtsphilosophie an der Universität Passau, der
einer der Verfahrensbevollmächtigten der drei antragstellenden
Bundesländer war und gerade ein Buch zu diesem Thema veröffentlicht
hat.
***
Kirchliche Umschau (KU): Herr Professor Braun, können Sie unseren
Lesern kurz erläutern, welchen Inhalt das Lebenspartnerschaftsgesetz
hat?
Professor Johannes Braun (JB): Das Lebenspartnerschaftsgesetz schafft
zum ersten Mal einen Rechtsrahmen für das Zusammenleben von
gleichgeschlechtlichen Partnern. Es ist vor allem deshalb in das
Schußfeld der Kritik geraten, weil es sich außerordentlich eng an das
Eherecht anlehnt. Im Grunde handelt es sich bei der eingetragenen
Lebenspartnerschaft um ein Rechtsinstitut, das man salopp formuliert
als "Homo-Ehe" bezeichnen kann.
KU: Sind denn Ehe und die sogenannte "Homo-Ehe" jetzt rechtlich völlig gleichgestellt oder gibt es noch Unterschiede?
JB: Es gibt einige Unterschiede, die jedoch nichts daran ändern, daß
die eingetragene Lebenspartnerschaft ein Abbild der Ehe darstellt.
Viele Regelungen werden in der Sache unverändert aus dem Eherecht
übernommen und lediglich mit anderen Begriffen bezeichnet. Im übrigen
hat man ganz bewußt auch einige sachliche Unterschiede eingebaut;
diesen ist jedoch die Absicht anzumerken, einen " Abstand" zur Ehe
vorzuspiegeln, der in Wahrheit gar nicht besteht. So hat man etwa den
Zugewinnausgleich für die Lebenspartnerschaft übernommen, aber auf den
Versorgungsausgleich verzichtet, obwohl beide auf demselben
Grundgedanken beruhen und daher logisch zusammengehören. Kurz: man hat
sich im großen und ganzen eng an das Eherecht angelehnt und sich
gleichzeitig darum bemüht, das volle Ausmaß dieser Anlehnung zu
kaschieren.
KU: Könnten Sie einige Beispiele für die inhaltlichen Regelungen nennen, die diese neue "Partnerschaft" betreffen?
JB: Gleichgeschlechtliche Partner können nach dem neuen Gesetz wie
Ehegatten einen gemeinsamen Namen annehmen. Die Verwandten jedes
Lebenspartners werden von Gesetzes wegen zu Verschwägerten des anderen
Teils gemacht. In derselben Weise wie für Ehegatten gilt die sogenannte
Schlüsselgewalt auch für gleichgeschlechtliche Lebenspartner. Des
weiteren kommen in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft dieselben
Verfügungsbeschränkungen zur Anwendung, die im Güterstand der
Zugewinngemeinschaft für Ehegatten vorgesehen sind. Die Scheidung ist -
unter der Bezeichnung "Aufhebung" - in enger Anlehnung an die
Ehescheidung geregelt. Im Erbrecht werden die gleichgeschlechtlichen
Lebenspartner ebenfalls wie Ehegatten behandelt. Das geht so weit, daß
ein Pflichtteilsrecht vorgesehen ist, das dem Pflichtteil eines
Ehegatten entspricht.
KU: In Ihrem Buch heben Sie als ein besonderes Beispiel einen Mangel
des Gesetzes hervor, den Sie mit dem plakativen Begriff des "Harems"
belegen. Was ist damit gemeint?
JB: Die Ehe ist nach geltendem Recht monogamisch ausgestattet. An
diesem Vorbild ist an sich auch das Lebenspartnerschaftsgesetz
orientiert. Man kann daher nur einen einzigen gleichgeschlechtlichen
Lebenspartner haben, und ebenso darf auch jemand, der bereits
verheiratet ist, nicht zusätzlich eine Lebenspartnerschaft begründen.
Umgekehrt ist jedoch derjenige, der in einer Lebenspartnerschaft lebt,
nach dem Wortlaut des Gesetzes nicht gehindert, auch noch zu heiraten.
Das kann ihm von Verfassungs wegen nicht versagt werden. Wenn man in
diesem Fall ein Eheverbot aufgestellt hätte, wäre das ein evidenter
Verstoß gegen das Grundrecht der Eheschließungsfreiheit gewesen. Wer in
einer Lebenspartnerschaft lebt, kann daher nach wie vor eine Ehe
eingehen. Damit wäre bereits eine Dreiergemeinschaft gegeben. Da beide
Partner einer Lebenspartnerschaft Ehen eingehen können, kann man auf
der Basis des Lebenspartnerschaftsgesetzes von Rechts wegen sogar eine
Vierergemeinschaft begründen. Schon deshalb, aber auch noch aus anderen
Gründen ist das Lebenspartnerschaftsgesetz ein gesetzlicher Schritt in
die Richtung eines "Lebensformenpluralismus", der - folgerichtig
fortgedacht - weitere Schritte nach sich ziehen muß. In der öffentlich
geführten Diskussion ist man sich dieses Umstandes bisher nicht
hinreichend bewußt geworden. Wenn man jedoch ein besonderes Regelwerk
schafft, um es Homosexuellen zu ermöglichen, ihre Orientierung in einem
neuartigen "familienrechtlichen" Institut "zu leben", kann man - um nur
einmal diesen Punkt anzusprechen - bisexuell orientierten Personen ein
entsprechendes Institut nicht gut verwehren. Anders als Homosexuelle
können Bisexuelle ihre spezifische Orientierung jedoch nicht in einer
monogamischen Beziehung "leben". Sie brauchen dazu mindestens zwei
Partner. Auf diese Weise wird mit dem Lebenspartnerschaftsgesetz
unversehens die Tür zur Polygamie aufgestoßen. Daß die
christlichabendländische Tradition dem entgegensteht, kann sich dabei
kaum als Hindernis erweisen, denn diese Tradition steht einer
gleichgeschlechtlichen Partnerschaft in noch viel stärkerem Maße
entgegen.
KU: In der Öffentlichkeit ist kaum bewußt, daß nur ein Teil des
ursprünglichen Gesetzes geltendes Recht geworden ist. Was beinhaltet
der andere Teil und warum ist es überhaupt dazu gekommen, daß das
Gesetz geteilt wurde?
JB: Bei manchen Bundesgesetzen genügt es nicht, daß sie vom Bundestag
beschlossen werden; sie bedürfen darüber hinaus der Zustimmung des
Bundesrates. Der ursprüngliche Entwurf des Lebenspartnerschaftsgesetzes
war in diesem Sinn eindeutig zustimmungspflichtig. Als sich
abzeichnete, daß diese Zustimmung nicht zu erreichen sein würde, wurde
das Vorhaben aufgespalten in einen Teil, von dem man meinte, daß er
nicht zustimmungsbedürftig sei, und den zustimmungsbedürftigen Rest.
Der vermeintlich nicht zustimmungpflichtige Teil wurde isoliert
verabschiedet. Der Rest, das sogenannte
Lebenspartnerschaftsgesetz-Ergänzungsgesetz, hängt seitdem im Bundesrat.
KU: Handelt es sich bei diesem zweiten Teil "nur" um
Durchführungsvorschriften, z.B. wo diese "Ehe" geschlossen wird? Diesen
Punkt müßten die Bundesländer auf ihrer Verwaltungsebene regeln.
JB: Es geht noch um andere Dinge als um die Durchführung des
Lebenspartnerschaftsgesetzes, vor allem um Regelungen, die ins Geld
laufen: steuerliche und sonstige Vergünstigungen sowie öffentliche
Leistungen in den verschiedensten Zusammenhängen. All dies wird
selbstverständlich mehr Kosten verursachen als die Regelungen, die im
Lebenspartnerschaftsgesetz selbst vorgesehen sind.
KU: Noch vor wenigen Jahren wäre die "Homo-Ehe" undenkbar gewesen. Wie
konnte es zu einer solch rasanten Änderung des gesellschaftlichen
Bewußtseins kommen? Welche Rolle spielt dabei Ihre These von der
"Gehirnwäsche durch die Medien", der wir jeden Tag unterzogen werden?
JB: Lassen Sie mich ein Beispiel anführen. Ich habe im Jahr 1989 eine
familienrechtliche Vorlesung gehalten, in der ich unter anderem über
die damals erstmals publik gewordenen Bestrebungen berichtet habe, eine
eheähnliche Rechtsform für homosexuelle Partnerschaften zu schaffen.
Die Studenten reagierten darauf mit ungläubigem Staunen und wollten
nicht, daß ich die knappe Zeit für die Darstellung derartiger
Absurditäten verwende. Sie baten vielmehr, daß ich über den
familienrechtlich "relevanten Stoff" sprechen sollte. Wenn ich heute
eine familienrechtliche Vorlesung halten und dieselben Dinge vortragen
würde wie damals, würde sich darüber kein Mensch mehr erregen. Eher
schon dann, wenn ich gleichgeschlechtliche Partnerschaften mit
Stillschweigen überginge. Was ist der Grund für diesen Wandel? Die
Erklärung liegt nach meiner Auffassung in folgendem: Was täglich in den
Medien auf uns hereinbricht, ist für junge Menschen, die über keine
anderen Erfahrungen verfügen, schlicht die Normalität. Woher sollen
junge Leute die Vergleichsmaßstäbe auch haben? Ihre Bewußtseinsbildung
beginnt heute, in einer durch und durch von den modernen Medien
geprägten Welt. Traditionen werden hier immer weniger vermittelt. Was
zählt, ist zunehmend nur das, was unmittelbar "Spaß macht". Die
sichtbarsten Opfer des dadurch bewirkten Umdenkungsprozesses sind
Religion, Nation und Familie. Denn ein verantwortungsvoller Umgang mit
diesen Dingen setzt notwendig ein gewisses Verständnis dafür voraus,
daß die individuelle Vernunft nicht Herr über alles ist, über das sie
Herrschaft gewinnen möchte, sondern daß sie auf geschichtlich geprägte
Institutionen angewiesen ist, in denen sie allein einen Halt gewinnen
kann. Wo dieses Verständnis fehlt, werden Tradition und Institutionen
nicht mehr als Stützen auf dem Weg in eine ungewisse Zukunft empfunden,
sondern als Ausdruck einer Herrschaft, welche die Vergangenheit über
die Gegenwart ausübt.
KU: In ihrem Buch sprechen Sie von der Veränderung der Sprache und von Veränderungen im Verfassungsdenken.
JB: Nach Artikel 6 Absatz 1 des Grundgesetzes stehen Ehe und Familie
unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung. Der Ehe wird also
eine herausgehobene Stellung eingeräumt und zugleich wird der Staat
verpflichtet, sie zu schützen. Demgegenüber gibt es heute Bestrebungen,
die gerade umgekehrt darauf hinauslaufen, die Ehe zu schwächen. Statt
dessen wird meist die "Familie" in den Vordergrund geschoben und dabei
gleichzeitig inhaltlich umdefiniert. Ziel dieser neuen Begrifflichkeit
ist es, die Ehe langsam, aber sicher aus der Verfassung
herauszudrängen. Das kommt in aller Deutlichkeit in einem "virtuellen
Landesparteitag" zum Ausdruck, den die Partei Bündnis 90/Die Grünen
gerade soeben in Schleswig-Holstein veranstaltet hat. Dabei ging es
darum, ein Stimmungsbild für eine Änderung von Artikel 6 Absatz 1
Grundgesetz zu ermitteln. Was man vorhat, ist nichts anderes, als den
Begriff "Ehe" aus Artikel 6 Absatz zu streichen und durch den Begriff
"Kinder" zu ersetzen. Artikel 6 Absatz 1 soll also danach lauten:
"Kinder und Familie stehen unter dem besonderen Schutz der staatlichen
Ordnung". Die Ehe soll danach nichts weiter mehr sein als eine von
mehreren möglichen "Lebensformen", die als solche dem Staat vollkommen
gleichgültig zu sein hat.
KU: In Ihrem Buch sprechen Sie auch einen Wandel im Sprachgebrauch an. Was steht dahinter?
JB: Bei der Darstellung homosexueller Partnerschaften bedient man sich
ganz bewußt einer Sprache, die allein die positiven Seiten hervorkehrt.
Dementsprechend ist immer nur von "Verantwortung", von "Zuneigung" und
von "Liebe" die Rede, also von Dingen, die positiv besetzt sind und bei
denen man daher allgemeiner Zustimmung sicher sein kann. Im Hinblick
auf die Ehe dagegen werden vorzugsweise die negativen Seiten
herausgestellt: daß viele Ehen scheitern, daß die Scheidungszahlen
steigen, daß manche nur noch aus steuerlichen Gründen heiraten, daß die
Zahl der Kinder zurück-geht usw. Während also auf der einen Seite
versucht wird, die Ehe abzuwerten, werden homosexuelle Beziehungen
sprachlich aufgewertet. Auf diese Weise versucht man, auch durch
sprachliche Manipulation eine Annäherung zu erreichen.
KU: Als braver Bürger stellt man sich vor, daß unserer Verfassung
eherne Prinzipien zugrunde liegen, die so etwas nicht zulassen würden.
Wie ist es möglich, daß durch eine gezielte Lobbyarbeit ein solch
immenser Bewußtseinswandel in der Gesetzgebung, der juristischen
Fachwelt und in breiten Bevölkerungskreisen hervorgerufen wurde?
JB: Dies hängt damit zusammen, daß die Frage nach dem richtigen Recht,
auch wenn sie auf etwas Vorgegebenes zielt, immer nur aus einer
bestimmten historischen Situation heraus gestellt werden kann. Dadurch
ist dann naturgemäß auch die Antwort geprägt. Ähnliches gilt für die
Interpretation eines Gesetzes. Wenn sich das Vorverständnis ändert,
dann ändert sich auch das Interpretationsergebnis. Denn auch der
Gesetzesanwender steht nicht außerhalb seiner Zeit und seiner
Gesellschaft.
Es gibt politische Gruppen, die sich diesen Zusammenhang gezielt
zunutze gemacht haben. Der Zeitgeist ist heute zum großen Teil
Zeitungsgeist, er ist Mediengeist. Er entwickelt sich daher nicht durch
stillwirkende Kräfte, wie man früher einmal meinte, sondern kann
beeinflußt und manipuliert wer-den. Die Protagonisten der
Schwulenbewegung haben über Jahre hinweg versucht, den Zeitgeist zu
bearbeiten und auf Linie zu bringen. Mit Hilfe ihres Anhangs in den
Medien haben sie dabei einen erstaunlichen Erfolg gehabt. Auf seiten
der Ehe findet sich nichts, was dem gutorganisierten Netzwerk
homosexueller Aktivisten vergleichbar wäre. Ehe und Familie haben in
unserer Gesellschaft keine Lobby. Wer sich zu ihrer Verteidigung
bereitfindet, muß sogar gewärtigen, verunglimpft und nach einem
vielfach erprobten Ritual ausdefiniert zu werden. Wer die Ehe für ein
im Interesse der ganzen Gesellschaft notwendiges Institut hält, kann
daher im Augenblick seine Hoffnung nur auf das Bundesverfassungsgericht
setzen.
KU: Bekanntlich hört ja beim Geld der Spaß auf. Sollte nicht zumindest
die Finanzierung der Lebenspartnerschaften auch dem letzten
Gleichgültigen zu denken geben?'
JB: Sie haben recht, beim Geld hört der Spaß auf. Aber nur beim eigenen
Geld. Viele Bürger sind sich nach meinem Eindruck wenig bewußt, daß
alles Geld, das der Staat leistet, letztlich aus der Tasche des Bürgers
kommt. Der Staat wird nur allzu gern als ein Dukatenesel angesehen, den
man wunderbarerweise nicht zu füttern braucht. Obwohl die Leute beim
Thema Steuern sehr empfindlich sind, macht man sich nur unzureichend
klar, daß das, was der Staat dem einen gibt, einem anderen genommen
werden muß, daß also alle Verteilung nur Umverteilung ist.
KU: Welche Bedeutung haben Ehe und Familie für das Staatswesen überhaupt?
JB: Es wird heute verbreitet versucht, die Ehe als eine Lebensform
unter mehreren darzustellen und dadurch aus ihrer exponierten Stellung
herauszudrängen. Aus der Sicht des Einzelnen betrachtet, mag die Ehe
immerhin eine Lebensform sein. Aus Sicht des Staates jedoch ist sie
zugleich die Daseinsgrundlage der Gesellschaft. Und das in doppelter
Hinsicht:
-Einmal deshalb, weil sie auf Kinder hingeordnet ist und von diesen
wiederum die Zukunft der Gesellschaft abhängt. Solange die Ehe das
maßgebende Leitbild bleibt, ist dafür gesorgt, daß unsere Gesellschaft
nicht mit uns endet, sondern über eine Langzeitperspektive verfügt.
-Sodann aber stellt die Ehe die bestmögliche Form dar, um die unsere
Gesellschaft prägenden Traditionen an die nächstfolgende Generation
weiterzugeben. Im Rahmen einer Familie aus Mann, Frau und Kindern
werden die Rollenbilder und Verhaltensmuster vermittelt, auf die man
für die Orientierung im späteren Leben angewiesen ist.
KU: Jetzt sagen ja die Befürworter, daß die Ehe nicht abgeschafft, sondern nur eine neue Lebensform hinzugefügt wird?
JB: Wenn man den symbolischen Aspekt bedenkt, um den es nicht zuletzt
geht, ist das irreführend. In Artikel 6 Absatz 1 des
Grundgesetzes ist die Ehe als das alleinige Leitbild für die private
Lebensgestaltung aufgestellt worden. Sowie man diesem Leitbild - wie es
die Absicht des Gesetzgebers ist -ein zweites zur Seite stellt, ist dem
ersten Leitbild stelbstverständlich etwas genommen, nämlich seine
Einzigartigkeit. Man kann das mit einem Orden vergleichen, der
nacheinander für die unterschiedlichsten Verhaltensweisen verliehen
wird. Natürlich verliert der Orden dabei seine Bedeutung. Nach außen
bleibt er scheinbar unverändert. Man kann ihn tragen wie zuvor. Aber
seine symbolische Bedeutung ändert sich. Und deshalb wird ihn
vielleicht mancher nicht mehr tragen wollen.
KU: Ist dieses Lebenspartnerschaftsgesetz der Abschluß eines Prozesses
oder sehen wir uns am Beginn eines neuen Prozesses? Was könnte noch auf
uns zukommen?
JB: Das Lebenspartnerschaftsgesetz hat, wie gerade angedeutet, eine
immense symbolische Bedeutung. Nach der Absicht des Gesetzgebers soll
dadurch jedermann signalisiert werden, daß dem Staat homosexuelle und
heterosexuelle Verhaltensweisen gleich viel wert sind. Man muß sich
aber auch darauf einstellen, daß dieser Paradigmenwechsel schon sehr
bald einige reale Folgen nach sich ziehen wird. Wenn unsere
Rechtsordnung nämlich verschiedene und dabei gleichwertige Leitbilder
zur Verfügung stellt, dann müssen diese der heranwachsenden Generation
in geeigneter Weise vermittelt werden. In bestimmten Kreisen werden
bereits Vorbereitungen getroffen, um den Schulunterricht in den in
Betracht kommenden Fächern entsprechend auszugestalten. Die Ehe wird
dabei nicht mehr als alleiniges Leitbild vorgeführt werden, sondern nur
als eine Möglichkeit neben anderen Möglichkeiten, die aber alle
gleichwertig sind.
KU: Ist es Zufall, daß die"Homo-Ehe" in einer Zeit auf die Tagesordnung
geraten ist, in der das Verständnis für die Funktion überkommener
Institutionen verloren wurde?
JB: Wem die Eigengesetzlichkeit von Institutionen fremd ist - und das
ist heute die Regel -, der hat naturgemäß kein Gespür dafür, daß die
ehegleiche Ausgestaltung einer gleichgeschlechtlichen
Lebenspartnerschaft den in Gang befindlichen Erosionsprozeß des
Instituts der Ehe zwangsläufig beschleunigen muß.
KU: Können Sie das näher ausführen?
JB: Erlauben Sie, daß ich dazu einen Beitrag von Henning Bech aus AJP
zitiere. Dort ist nach elf Jahren "registrierter Partnerschaft" in
Dänemark rückblickend folgendes ausgeführt: "Bestimmte Lebensweisen und
Charakterzüge sind seit vielen Jahrzehnten mit den Homosexuellen
verbunden und waren für sie gewissermaßen charakteristisch. Viele
dieser Lebensweisen sind mittlerweile dabei, recht allgemein zu werden.
So erleben jetzt auch heterosexuell orientierte Personen
Geschlecht - d.h. Frausein oder Mannsein - als Problem und
Möglichkeit statt als Selbstverständlichkeit und naturgegeben. Auch sie
wissen jetzt, daß Ehe und Kernfamilie keine ewigen und unumgänglichen
Institutionen sind; sie wissen, daß sie sich scheiden können und neue
Beziehungen aufbauen können. Auch sie erfahren Promiskuität und
serielle Monogamie, und sie etablieren Freundschaftsnetzwerke anstelle
von verwandtschaftlichen Bindungen. Auch sie experimentieren mit
sexuellen Rollen und Variationen, entweder praktisch oder beim Angucken
von Talkshows oder Pornovideos. Kurz: die meisten Merkmale, die man
früher spezifisch den Homosexuellen zuschrieb, sind dabei, allgemein
und gewöhnlich zu werden."
Der "Normalbürger" vermag sich dies im Augenblick vielleicht nicht
recht vorzustellen, und noch weniger vermag er sich auszumalen, wohin
der Prozeß, von dem die "Homosexualisierung" der Gesellschaft nur ein
Teil ist, folgerichtig fortgedacht führen könnte. Aber wenn der
zweckrationale Verstand auf die Zerstörung all dessen drängt, was weder
unmittelbar eingesehen wird noch unmittelbaren Nutzen verspricht,
entzieht er dem Freiheits- und Selbstverwirklichungsanspruch des
modernen Subjekts unauffällig die Grundlage. Auf lange Sicht zeichnen
sich dabei Strukturen ab, die das Gegenteil dessen sind, was man einmal
als Grundlage und Voraussetzung von Freiheit zu denken gewohnt war. Um
es in Stichworten anzudeuten:
eine
bürgerliche Gesellschaft aus Verbrauchern, aber ohne Bürger; ein Staat
mit einer Bevölkerung, aber ohne Volk; ein Vaterland ohne Patriotismus
und Muttersprache; eine Demokratie aus Egoisten ohne Gemeinsinn; ein
maschinenmäßiger Fortschritt ohne Zukunftsperspektive für die Menschen
und zu all dem auch noch Legionen von Alten, die von einer Jugend
versorgt werden möchten, die es ohne Zuwanderung von außen nicht mehr
gibt.