WEISHEIT AUS DEM EINFACHEN VOLK
von
Theologieprofessor Dr.P.Severin M. Grill, SOCist, Stift Heiligenkreuz bei Wien
In der Kirche müssen schöne Bilder hängen von Jesus, Maria, den Engeln
und den Heiligen, damit die Weiber sie anschaun, wenn sie empfangen
haben, und schöne Kinder bekommen. - Ausspruch eines erfahrenen
Landwirts.
Der Kirchenvater Augustinus erzählt eine Geschichte von dem Arzt
Hippokrates, der eine Frau vor der Beschuldigung des Ehebruches
rettete. Einfachen Eltern von gewöhnlichem Aussehen wurde ein
außerordentlich schöner Knabe geboren, der den Eltern völlig unähnlich
war. Es wurde daher die Frau des Ehebruchs angeklagt. Da kam der Arzt
Hippokrates dazwischen und stellte die Frage, in welchem Gemach die
Frau während ihrer Schwangerschaft sich aufgehalten habe. Man sah nach
und fand daselbst das Bild eines schönen Knaben, das die Frau oft
angesehen hatte. Der Anblick des Bildes beeinflußte das Werden ihrer
Leibesfrucht.*)
Man wird an die Erzählung der Bibel erinnert, daß der Patriarch Jakob
abgeschälte Stäbe in die Tränkrinne der Schafe legte und daraufhin
gefleckte Lämmer geworfen wurden. Jakob hatte sich für seine Dienste
beim Onkel Laban als Lohn ausbedungen, daß die gefleckten Schafe und
Ziege ihm, die reinfarbigen aber dem Laban gehören sollten. Darauf
legte er geschälte Stäbe in die Tränkrinnen und es wurden mehr
gefleckte Tiere geworfen als reinfarbige. Das Anschauen der geschälten
Stäbe bei der Begattung bewirken in den Muttertieren die Sprenkelung.
So kam Jakob für seine zwanzigjährige mühevolle Tätigkeit zu seinem
Lohn, den ihm der geizige Onkel vorenthalten wollte.**)
Wir können nicht ruhig zusehen, wie man oft als Kitsch bezeichnete
Bilder und Statuen aus den Kirchen entfernt oder gar durch moderne
"Kunstwerke" ersetst, die das Heilige verhöhnen und Abscheu statt
Andacht erregen.
Anmerkungen:
*) Quaestiones in Heptateuchum. Lib.III, 37 und 42. PL 34,572
**) ebenda
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