Die Erziehung durch das Elend
von Leon Bloy
"Die Zeit ist ein Hund, der nur die Armen beißt", sagte ein
Unglücklicher, der darin unbestreitbar Erfahrung hatte. Ich glaube, daß
er auch manchmal die Reichen beißt, gibt es doch unter ihnen
Tollwütige, aber der Fall ist selten, und der Biß dürfte im allgemeinen
harmlos sein.
Ich bin wohl jeden Tag im Jahr wild gebissen worden, selbst in den
Schaltjahren, und eine ganze Reihe von Leuten wird sagen, daß diese
Tagebuchbetrachtungen es überreichlich beweisen. Ich weiß nicht, ob
jene guten Leute es wert sind, daß man auf sie hört, aber es ist
sicher, daß ich sehr arm bin und daß der Hofhund äußerst gereizt ist.
Wie wird das enden?... Ich mag noch so gut wissen, daß Gott mich
beschützt und mich jeden Tag ernährt, mein Glaube ist so anfällig, daß
ich vor Elend umzukommen fürchte. Aber das Elend gehört dem Heiligen
Geist an, das heißt dem lebendigen Gott. Ich erinnere mich, einmal so
etwas geschrieben zu haben. Das Elend kann mir also nicht den Tod
bringen. Aber die ständige Angst kann ihn mir bringen. Seit mehr als
vierzig Jahren suche ich einzig das Reich Gottes und seine
Gerechtigkeit in Erfüllung des Gebotes. Die verheißene Zugabe ist mir
insofern auch nicht verweigert worden, als ich ohne Bitterkeit oder
Neid die Vögel des Himmels und sogar die Lilien des Feldes betrachten
kann, für deren Kleidung und Nahrung der himmlische Vater selbst sorgt.
Da ich jedoch ein Bevorzugter des Leidens bin, mußte jede Wohltat von
Angst begleitet sein, sei es, daß die Angst ihr ein wenig vorausging,
weil die Wohltat auf sich warten läßt, sei es, daß sie gleich danach
kommt, weil die Wohltat nur den nächsten Tag sicherstellte. Das
Evangelium lehrt mich, daß die Vögel, deren Vertrauen ich nachahmen
soll, keine Scheuern haben, und ich muß zu meiner täglichen Qual und
Verwirrung immerfort an die Scheuer denken, als ob ich von der
wunderwirkenden Vorsehung vergessen sein könnte! Das ist eine Pein, die
ich zu den vielen anderen noch tragen muß. Allerdings verschafft mir
dies bei der Erforschung der paradoxen Angst aller Leute in diesen
entsetzensvollen Tagen eine außergewöhnlich vorteilhafte Lage. Der
dritte Kriegswinter Wilhelms Il. beginnt gerade. Der niederträchtige
Überfall dieses Strauchdiebes hat die Scheuern der Armen zerstört. Wie
soll man es all diesen Menschen sagen, daß sie selig sind, weil ihrer
das Himmelreich ist? Wie kann man ihnen verständlich machen, daß jene,
die weinen, getröstet werden, und daß jene, die leiden um der
Gerechtigkeit willen, eines Tages die Bewohner des Paradieses sein
werden? |