Über das hohepriesterliche Gebet Jesu
vom
hl. Augustinus
- 110. Vortrag über das Evangelium des hl. Johannes -
Über die Stelle: "Damit alle eins seien", bis dahin: "Und Du hast sie geliebt, Wie Du mich geliebt hast". Joh. 17, 21–23.
1. Als der Herr Jesus für seine
Jünger, die er damals bei sich hatte, gebetet und die andern Seinigen
hinzugefügt hatte mit den Worten: "Nicht für sie allein aber bitte ich,
sondern auch für die, welche durch ihr Wort an mich glauben werden",
fuhr er, gleich als würden wir fragen, um was oder warum er für sie
bitte, sogleich fort und sprach: "Damit alle eins seien, wie Du Vater
in mir, und ich in Dir, damit auch sie in uns eins seien". Und weiter
oben, da er noch für die Jünger allein, die er bei sich hatte, betete,
sagte er: "Heiliger Vater, bewahre sie in Deinem Namen, die Du mir
gegeben hast, damit sie eins seien, wie auch wir" (Joh. 17, 11). Um das
also bat er jetzt auch für uns, um was er damals für jene bat, nämlich
daß alle, sowohl wir wie sie, eins seien. Dabei ist sehr zu beachten,
der Herr habe nicht gesagt: damit wir alle eins seien, sondern: "Damit
sie alle eins seien, wie Du, Vater in mir, und ich in Dir" (eins sind,
ist hinzuzudenken, was nachher deutlicher ausgedrückt wird), weil er
auch vorher von den Jüngern, die bei ihm waren, gesagt hatte: "Damit
sie eins seien, wie auch wir". Demnach ist der Vater so im Sohne und
der Sohn im Vater, daß sie eins sind, weil sie von einer Substanz sind;
wir aber können zwar in ihnen sein, wir können jedoch nicht eins mit
ihnen sein, weil wir und sie nicht von einer Substanz sind, insofern
der Sohn mit dem Vater Gott ist. Denn insofern er Mensch ist, ist er
von derselben Substanz, von der auch wir sind. Aber hier wollte er mehr
das einschärfen, was er anderswo sagt: "Ich und der Vater sind eins"
(Ebd. 10, 30.), womit er zu verstehen gab, daß des Vaters und seine
Natur dieselbe sei. Und darum dürfen wir nicht, wenn der Vater und der
Sohn oder auch der Heilige Geist in uns sind, meinen, sie seien mit uns
einer Natur. So also sind sie in uns oder wir in ihnen, daß sie eins
sind in ihrer Natur, wir in der unserigen. Sie sind nämlich in uns, wie
Gott in seinem Tempel; wir aber sind in ihnen, wie das Geschöpf in
seinem Schöpfer.
2. Nachdem er dann gesagt
hatte: "Damit auch sie in uns eins seien", fügte er bei: "Damit die
Welt glaube, daß Du mich gesandt hast". Was heißt dies? Wird etwa die
Welt dann glauben, wenn wir im Vater und Sohne alle eins sein werden?
Ist das nicht jener ewige Friede und vielmehr der Lohn des Glaubens als
Glaube? Denn eins werden wir sein, nicht damit wir glauben, sondern
weil wir geglaubt haben. Aber wenn wir auch in diesem Leben gerade
wegen des gemeinsamen Glaubens alle, die wir an einen glauben, eins
sind, gemäß dem Ausspruch des Apostels: "Denn ihr alle seid eins in
Christus Jesus'' (Gal. 3, 28), so sind wir auch so eins, nicht damit
wir glauben, sondern weil wir glauben. Was heißt also: "Alle sollen
eins sein, damit die Welt glaube"? Eben die "alle" sind ja die
glaubende Welt. Denn nicht andere sind, die eins sein werden, und
andere die Welt, die darum glau-ben wird, weil jene eins sein werden,
da er ohne Zweifel von denjenigen sagt: "Damit alle eins seien", von
welchen er gesagt hatte: "Nicht für sie allein aber bitte ich, sondern
auch für die, welche durch ihr Wort an mich glauben werden", indem er
sogleich beifügt: "Damit alle eins seien". Diese "alle" aber, was heißt
das als eben die Welt, natürlich nicht die feindliche, sondern die
gläubige? Denn siehe, der gesagt hatte: "Nicht für die Welt bitte ich"
(Joh. 17, 9 ), bittet für die Welt, damit sie glaube. Denn es gibt eine
Welt, von der geschrieben steht: "Damit wir nicht mit dieser Welt
ver-dammt werden" (1 Kor. 11, 32). Für diese Welt bittet er nicht; denn
es ist ihm sehr gut bekannt, wozu sie vorherbestimmt ist. Es gibt dann
auch eine Welt, von der es heißt: "Denn der Menschen-sohn ist nicht
gekommen, damit er die Welt richte, sondern damit die Welt durch ihn
selig werde" (Joh. 3, 17), weshalb auch der Apostel sagt: "Gott war in
Christus, die Welt mit sich versöhnend" (2 Kor. 6, 19). Für diese Welt
bittet er, indem er sagt: "Damit die Welt glaube, daß Du mich gesandt
hast". Denn durch diesen Glauben wird die Welt mit Gott versöhnt, wenn
sie nämlich an Christus glaubt, der von Gott gesandt ist.
Wie werden wir also verstehen sein Wort: "Damit auch sie in uns eins
seien, damit die Welt glaube, daß Du mich gesandt hast", außer so, daß
er nicht dies als Ursache angab, daß die Welt glaube, weil jene eins
sind, als würde sie deshalb glauben, weil sie sieht, daß sie eins sind,
da ja die Welt selbst "alle" sind, welche durch Glauben eins werden,
sondern bittend sagte er: "Damit die Welt glaube", wie er bittend
sagte: "Damit alle eins seien", und bittend sagte: "Damit auch sie in
uns eins seien"? Denn "alle sollen eins sein" ist dasselbe, wie "die
Welt soll glauben"; denn indem sie glauben, werden sie eins, vollkommen
eins, die da, obwohl sie der Natur nach eins waren, durch Lostrennung
von dem Einen nicht eins waren. Kurz, wenn wir das Wort "ich bitte"
dreimal mitverstehen oder vielmehr, damit es voller klinge, überall
setzen, so wird die Erklärung dieses Satzes deutlicher sein: Ich bitte,
"daß alle eins seien, wie Du Vater in mir und ich in Dir"; ich bitte,
"daß auch sie in uns eins seien"; ich bitte, "daß die Welt glaube, daß
Du mich gesandt hast". Darum nämlich fügte er das Wort: "in uns" hinzu,
damit wir erkennen sollten, es sei, wenn wir durch treue Liebe eins
werden, der Gnade Gottes zuzuschreiben, nicht uns, wie auch der
Apostel, nachdem er bemerkt hatte: "Denn ihr seid einst Finsternis
gewesen", zwar sagt "jetzt aber Licht", aber damit sie das nicht sich
selbst zuschreiben sollten, beifügte: "im Herrn" (Eph. 5, 8).
3. Ferner, indem unser Heiland
den Vater bittet, erwies er sich als Menschen; jetzt aber, wo er zeigen
will, daß auch er selbst, weil er mit dem Vater Gott ist, das tue, um
was er bittet, sagt er: "Und ich habe die Klarheit, die Du mir gegeben
hast, ihnen gegeben". Welche Klarheit als die Unsterblichkeit, welche
die menschliche Natur in ihm erhalten sollte? Denn auch er selbst hatte
sie noch nicht empfangen, aber nach seiner Gewohnheit bezeichnet er
wegen der Unveränderlichkeit der Vorherbestimmung mit Worten der
vergangenen Zeit das Zukünftige, nämlich, daß er, der jetzt vom Vater
verklärt, d.i. auferweckt werden soll, der einst seinerseits uns zu
dieser Verklärung auferwecken werde am Ende. Dies ist ähnlich dem, was
er anderswo sagt: "Wie der Vater die Toten erweckt und lebendig macht,
so macht auch der Sohn lebendig, welche er will". Und "welche", wenn
nicht die-selben wie der Vater? "Denn was immer" der Vater "tut", nicht
anderes, sondern "dies tut auch der Sohn", auch nicht auf andere,
sondern "auf gleiche Weise tut er es" (Joh. 5, 21). Und darum hat er
auch sich von selbst auferweckt. Denn dahin gehört, was er einmal sagt:
"Reißet diesen Tempel nieder, und in drei Tagen werde ich ihn wieder
aufbauen" (ebd. 2, 19). Demnach muß er so verstanden werden, daß er die
Klarheit der Unsterblichkeit, die er vom Vater erhalten zu haben
versichert, sich auch selbst gegeben habe, obwohl er dies nicht
ausdrücklich hervorhebt. Deshalb nämlich sagt er öfters nur, daß der
Vater tut, was er selbst auch mit dem Vater tut, um es, was es immer
ist, dem zuzuschreiben, von dem er ist. Indes manchmal sagt er auch
unter Verschweigung des Vaters, daß er tue, was er mit dem Vater tut,
damit wir erkennen, ebenso sei der Sohn nicht von der Tätigkeit des
Vaters zu trennen, wenn er mit Verschweigung seiner Person sagt, daß
der Vater etwas tue, wie auch der Vater nicht von der Tätigkeit des
Sohnes getrennt wird, wenn mit Verschweigung seiner Person vom Sohne
gesagt wird, daß er etwas tue, was sie nichtsdestoweniger
gemeinschaftlich vollbringen. Wenn also der Sohn bei der Tätigkeit des
Vaters seine eigene Wirksamkeit verschweigt, so prägt er uns seine
Erniedrigung ein, um uns so mehr zum Heile zu dienen; wenn er aber
hinwieder bei seiner Tätigkeit die Wirksamkeit des Vaters verschweigt,
so prägt er uns seine Gleichheit (mit dem Vater ein, um nicht für
niedriger gehalten zu werden. Auf diese Weise also schließt er weder
sich an dieser Stelle von der Tätigkeit des Vaters aus, obwohl er
gesagt hat: "Die Klarheit, die Du mir gegeben hast", weil auch er
selbst sie sich gegeben hat, noch schließt er den Vater von seiner
Tätigkeit aus, obwohl er gesagt hat: "habe ich ihnen gegeben", weil
auch der Vater sie ihnen gegeben hat. Denn unzertrennlich sind die
Werke nicht bloß des Vaters und des Sohnes, sondern auch des Heiligen
Geistes. Wie er aber wollte, es solle dadurch, daß er den Vater für all
die Seinigen bat, dies geschehen, "daß alle eins seien", so wollte er
nichtsdestoweniger, es solle dies geschehen auch durch seine Wohltat,
wovon er sagt: "Die Klarheit, die Du mir gegeben hast, habe ich ihnen
gegeben"; denn er fügte sogleich hinzu: "Damit sie eins seien, wie auch
wir eins sind".
4. Dann fuhr er weiter: "Ich in
ihnen, und Du in mir, damit sie vollkommen seien in der Einheit". Damit
gab er sich kurz als den Mittler zwischen Gott und den Menschen zu
erkennen. Denn das ist nicht so gesagt, als ob der Vater nicht in uns,
oder wir nicht im Vater seien, da er auch an einer andern Stelle sagte:
..Wir werden zu ihm kommen und Wohnung bei ihm nehmen'' (Joh. 14, 23),
und hier kurz vorher nicht sprach: "Ich in ihnen, und Du in mir", was
er jetzt sagte, oder: Sie in mir, und ich in Dir, sondern: "Du in mir,
und ich in Dir, und sie in uns". Was er also jetzt sagt: "Ich in ihnen,
und Du in mir", ist so in der Person des Mittlers gesagt, wie jener
Ausspruch des Apostels: "Ihr aber seid Christi, Christus aber ist
Gottes" (1 Kor. 3, 23). Die weitere Bemerkung aber: "Damit sie
vollkommen seien in der Einheit" zeigt, die Versöhnung, welche durch
den Mittler geschieht, habe darin ihr Ziel, daß wir der vollkommenen
Seligkeit, der nichts mehr hinzugefügt werden kann, teilhaft werden.
Daher ist, wie ich glaube, das Folgende: "Damit die Welt erkenne, daß
Du mich gesandt hast", nicht so zu nehmen, als habe er wiederum gesagt:
"Damit die Welt glaube", denn bisweilen wird allerdings "erkennen" für
"glauben" gesetzt, wie er z.B. etwas weiter oben sagt: "Und sie haben
wahrhaft erkannt, daß ich von Dir ausgegangen bin, und sie haben
geglaubt, daß Du mich gesandt hast" (Joh. 17, 8), wo er nachher mit
"sie haben geglaubt" ausgedrückt hat, was er vorher mit "sie haben
erkannt" ausgedrückt hatte. Allein hier, wo er ja von der Vollendung
spricht, ist eine solche Erkenntnis zu verstehen, wie sie in der
Anschauung sein wird, nicht wie sie jetzt im Glauben ist. Denn es
scheint eine Ordnung eingehalten zu sein darin, daß er kurz vorher
sagte: "Damit die Welt glaube", hier aber: "Damit die Welt erkenne".
Denn dort hat er, obwohl er gesagt hatte: "Damit alle eins seien" und
"in uns eins seien", dennoch nicht gesagt: "Sie sollen vollkommen sein
in der Einheit", und fuhr dann fort: "Damit die Welt glaube, daß Du
mich gesandt hast"; hier aber sagt er: "Damit sie vollkommen seien in
der Einheit", und dann fügte er nicht bei: "Damit die Welt glaube",
sondern: "Damit die Welt erkenne, daß Du mich gesandt hast". Denn
solange wir glauben, was wir nicht sehen, sind wir nicht so vollkommen,
wie wir es sein werden, wenn wir zu sehen gewürdigt werden, was wir
glauben. Ganz richtig also heißt es dort: "Damit die Welt glaube",
hier: "Damit die Welt erkenne"; dennoch aber sowohl dort, wie hier:
"Daß Du mich gesandt hast", damit wir wüßten, daß wir, was die
unzertrennliche Liebe des Vaters und des Sohnes betrifft, dasselbe
jetzt glauben, was wir durch Glauben zu erkennen bestrebt sind. Wenn er
aber sagen würde: Damit sie erkennen, daß Du mich gesandt hast, so käme
dies auf das nämliche hinaus wie: "Damit die Welt erkenne". Denn sie
sind die Welt, nicht die feindselig bleibende, wie eine solche die zur
Verdammung vorherbestimmte Welt ist, sondern die aus einem Feinde in
einen Freund verwandelte Welt, wegen welcher "Gott war in Christus, die
Welt mit sich versöhnend" (2 Kor. 5, 19). Darum hat er gesagt: "Ich in
ihnen und Du in mir", als würde er sagen: Ich in ihnen, zu denen Du
mich gesandt hast; und Du in mir, die Welt durch mich mit Dir
versöhnend.
5. Darum sagt er auch weiter
noch dies: "Und Du hast sie geliebt, wie Du auch mich geliebt hast". Im
Sohne liebt uns nämlich der Vater, weil er uns in ihm erwählt hat vor
Grundlegung der Welt (Eph. 1, 4). Denn der den Eingeborenen liebt,
liebt gewiß auch seine Glieder, die er durch ihn zu seinen
Adoptivkindern machte. Wir sind jedoch nicht dem eingeborenen Sohne
gleich, durch den wir erschaffen und neugeschaffen wurden, weil es
heißt: "Du hast sie geliebt wie auch mich". Denn nicht immer bezeichnet
man eine Gleichheit, wenn man sagt: Wie jenes, so auch dieses, sondern
bisweilen bloß: Weil jenes ist, so ist auch dieses, oder: Weil jenes
ist, soll auch dieses sein. Denn wer wollte behaupten, die Apostel
seien ganz in derselben Weise von Christus in die Welt gesandt worden,
wie er vom Vater gesandt wurde? Um nämlich von andern Verschiedenheiten
ganz zu schweigen, deren Anführung zu weit führen würde, so sind ja
jene gesandt wordenl als sie schon Menschen waren, er aber wurde
gesandt, damit er Mensch wäre, und doch sagt er weiter oben: "Wie Du
mich in die Welt gesandt hast, so habe ich sie in die Welt gesandt"
(Joh. 17,18), als würde er sagen: Weil Du mich gesandt hast, habe ich
sie gesandt. So sagt er auch an dieser Stelle: "Du hast sie geliebt,
wie Du mich geliebt hast, was nichts anderes heißt als: Du hast sie
geliebt, weil Du auch mich geliebt hast. Demn es ist ausgeschlossen,
daß derjenige, welcher den Sohn liebt, die Glieder des Sohnes nicht
lieben würde, oder mit andern Worten, es ist kein Grund vorhanden,
seine Glie- der zu lieben, als weil er ihn liebt. Aber er liebt den
Sohn nach seiner Gottheit, weil er einen ihm gleichen erzeugt hat; er
liebt ihn auch, sofern er Mensch ist, weil das eingeborene Wort selbst
Fleisch geworden ist, und wegen des Wortes ist ihm das Fleisch des
Wortes liebenswürdig; uns aber liebt er, weil wir die Glieder
desjenigen sind, den er liebt, und damit wir dies wären, darum hat er
uns geliebt, schon bevor wir waren.
6. Unbegreiflich ist daher die
Liebe, mit welcher Gott liebt, und nicht veränderlich. Denn nicht erst
damals, da wir mit ihm versöhnt wurden durch das Blut seines Sohnes,
fing er an, uns zu lieben, sondern vor Grundlegung der Welt hat er uns
geliebt, damit mit seinem Eingeborenen auch wir seine Söhne wären,
bevor wir überhaupt etwas waren. Daß wir also mit Gott versöhnt sind
durch den Tod seines Sohnes, soll man nicht so hören, nicht so nehmen,
als ob uns der Sohn deshalb versöhnt habe, damit er nunmehr anfinge,
die zu lieben, die er gehaßt hatte, wie der Feind mit dem Feinde
versöhnt wird, damit sie dann Freunde seien und einander lieben, die
einander haßten, sondern wir sind mit ihm als mit einem uns bereits
Liebenden versöhnt worden, nachdem wir vorher mit ihm wegen der Sünde
Feindschaft hatten. Ob dies wahr ist, was ich sage, möge der Apostel
bezeugen: "Es bewährt aber", sagt er, "Gott seine Liebe zu uns, daß, da
wir noch Sünder waren, Christus für uns gestorben ist" (Röm. 5,8 f.).
Er hatte also gegen uns Liebe, auch da wir, noch in Feindschaft gegen
ihn lebend, Ungerechtigkeit übten; und dennoch ist zu ihm vollkommen
wahr gesagt worden: "Du hassest, o Herr, alle, die Ungerechtigkeit tun"
(Ps. 5, 7). Somit liebte er uns auf eine wunderbare und göttliche
Weise, auch als er uns haßte; denn er haßte uns nicht so, wie er uns
gemacht hatte, und weil unsere Ungerechtigkeit sein Werk nicht in jeder
Beziehung vernichtet hatte, so verstand er es, zugleich in einem jeden
von uns zu hassen, was wir gemacht hatten, als auch zu lieben, was er
gemacht hatte. Und zwar kann man dies hinsichtlich aller Dinge
verstehen von dem, zu wel-chem in Wahrheit gesagt wird: "Du hassest
nichts von dem, was Du gemacht hast" (Weish. 11, 25). Denn was immer
Gott hassen würde, das hätte er auch nicht ins Dasein rufen wollen, und
was der Allmächtige nicht hätte ins Dasein rufen wollen, das würde
überhaupt nicht existieren, wenn nicht in dem, was er haßt, etwas wäre,
was er lieben könnte. Er haßt ja mit Recht und verwirft als mit der
Richtschnur seiner Idee nicht übereinstimmend das Laster, er liebt
jedoch auch in den Lasterhaften sein Wohltun, das er durch Heilung, und
sein Gericht, das er durch Verdammung übt. So haßt also Gott einerseits
nichts von dem, was er gemacht hat - denn der Urheber der Naturen,
nicht der Laster, hat das Böse, das er haßt, nicht gemacht, und
anderseits ist hinsichtlich des Bösen, das er entweder heilt durch
seine Barmherzigkeit oder zum Gerichte bestimmt, das gut, was er tut.
Da er also von dem, was er gemacht hat, nichts haßt, wer könnte würdig
zum Ausdruck bringen, wie sehr er die Glieder seines Eingeborenen liebe
und um wieviel mehr den Eingeborenen selbst, in dem alles Sichtbare und
Unsichtbare geschaffen ist, was, nach Gattungen geordnet, von ihm auf
geordnete Weise geliebt wird? Die Glieder seines Eingeborenen nämlich
führt er durch die Fülle seiner Gnade zur Gleichheit mit den Engeln;
der Eingeborene aber ist, da er der Herr von allen ist, ohne Zweifel
der Herr der Engel, durch die Natur, wodurch er Gott ist, nicht den
Engeln, sondern vielmehr dem Vater gleich; durch die Gnade aber,
wodurch er Mensch ist, wie überragt er in dieser Beziehung nicht die
Vortrefflichkeit eines jeden Engels, da Fleisch und Wort eine Person
ist!
7. Wiewohl es übrigens nicht an
solchen fehlt, die uns sogar den Engeln vorziehen, weil, sagen sie,
Christus für uns, nicht für Engel gestorben ist. Doch was heißt das
anders, als mit der Gottlosigkeit sich rühmen wollen? "Denn Christus
ist", wie der Apostel sagt, "in der Zeit für die Gottlosen gestorben"
(Röm. 5, 6). Hier wird uns also nicht unser Verdienst, sondern Gottes
Barmherzigkeit vor Augen gestellt. Denn was soll das sein, sich deshalb
rühmen zu wollen, weil man durch seine Laster so schmählich krank
wurde, daß man nicht anders als durch den Tod des Arztes geheilt werden
konnte? Das ist nicht der Ruhm unserer Verdienste, sondern die Arznei
unserer Krankheiten. Oder ziehen wir uns deshalb den Engeln vor, weil,
obwohl auch sie gesündigt haben, ihnen kein solches Heilmittel gewährt
wurde? Gleich als ob ihnen nur wenig gewährt worden wäre, und uns mehr.
Und wenn auch dies geschehen wäre, so könnte man noch fragen, ob es
deshalb geschehen sei, weil wir erhabener dastanden, oder weil wir
hoffnungsloser daniederlagen. Da wir aber wissen, daß der Schöpfer
alles Guten zur Wiederherstellung der bösen Engel keine Gnade verliehen
hat, warum sollen wir daraus nicht vielmehr ersehen, daß ihre Schuld um
so mehr als eine verdammungswürdige erklärt wurde, je erhabener die
Natur war? Denn sie hätten um so weniger als wir sündigen sollen, je
vortrefflicher sie waren als wir. Nun aber sind sie durch Beleidigung
des Schöpfers um so verwerflicher undankbar gegen seine Gnade geworden,
je gnadenreicher sie erschaffen wurden; und es war ihnen nicht genug,
ihm untreu zu werden, sie wollten auch noch unsere Verführer werden.-
Dieses große Gut also wird er uns verleihen, der uns geliebt hat, wie
er Christus geliebt hat, damit wir wegen ihm, dessen Glieder wir sein
sollten, den heiligen Engeln gleich seien (Luk. 20, 36), denen
gegenüber wir von Natur niedriger erschaffen sind unt überdies durch
die Sünte zu unwürdig wur-den, als daß wir irgendwie ihre Genossen
werden sollten.
("Bibliothek der Kirchenväter" Bd. 19, Kempten und München 1914, S. 282-291.)
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