Pfarrer Carl Sonnenschein
- ein moderner Großstadtmissionar -
von
Eugen Golla
Als Sohn eines aus dem Bergischen Land stammenden Handwerkers wurde
Sonnenschein am 15. Juli 1876 in Düsseldorf geboren. Schon frühzeitig
entschied sich der Hochbegabte für den Priesterberuf, und er
absolvierte sein erstes Semester in Bonn. Dichterisch begabt, pries der
auf seine rheinische Heimat stolze mit folgenden Worten die Stadt
seiner Alma Mater: "Da liegt Bonn, die gefeierte Universitätsstadt. Im
Sonnenlicht des Stromes, im Spiegelbild der Sieben Berge. Fliederduft
an seinen Hängen, frische Blumen, dichtes Laub und singende Menschen.
Liegt da die Universitätsstadt, die Rentnerstadt, die Studentenstadt,
die Gartenstadt, Maibowlenzauber über ihr. Verloren und abseits, als
wenn die Welt ein großer Tennisplatz wäre und als wenn die
Glockenblumen allen Menschen Sonnenlicht und Frühlingsmorgen in die
Seelen läuten wollten."
Im Herbst 1894 setzte er in Rom im Collegium Germanicum sein
Theologiestudium fort. Einer sei-ner Kommilitonen war der gleichaltrige
Pacelli, der einmal bei der Verteidigung einer philosophischen These
die Gegenargumente vorbrachte. Die erste Bekanntschaft mit dem Leben
der Proletarier brachte ihm die Erteilung von Religionsunterricht an
Kinder der Armen in der Nähe des Kollegs. Bald lernte er einen jungen
Priester, Romolu Murri (1870-1944), kennen, der Ideen vertrat, welche
die Grundlagen der christlichen Demokratie, der italienischen Partei
Democrazia Christiana, bildeten und daher diametral entgegengesetzt
waren zu den Direktiven Leos' XIII. und Pius' X., die zur
Disziplinierung der Massen als Schutz gegen den Sozialismus kirchliche
Schutzherrschaft über die arbeitenden Klassen und statt Selbsthilfe
Unterstützung der Armen im Sinne der christlichen Barmherzigkeit
wünschten.
Obwohl Sonnenschein 1900 zum Priester geweiht worden war, blieb er zu
Studienzwecken noch ein Jahr länger in Rom und hielt, eingeladen von
Murri, in Palermo auf einem freien Platze eine Rede mit dem Thema
"Christus und die soziale Frage". Als er im Herbst heimgekehrt war,
erhielt er seine erste Kaplanstelle in Aachen. Die zweite Stelle,
Köln-Nippes, besaß bereits eine zahlreiche Arbeiterbevölkerung. Hier
hielt er nicht nur viele Vorträge in Vereinen, sondern er besuchte auch
am liebsten die ärmsten Familien.
1904 erfolgte seine Versetzung nach Elberfeld (seit 1929 ein Teil
Wuppertals), eine Diaspora mit etwa 25% Katholiken. Er setzte sich
besonders für die unterbezahlten Heimarbeiterinnen ein und unterstützte
die streikenden italienischen Arbeiter. Sein den gewohnten kirchlichen
Rahmen sprengender sozialer Einsatz bewirkte, daß zwei Jahre später
sein Bischof, der Kardinal-Erzbischof von Köln, ihn nicht mehr in der
Seelsorge verwenden wollte und beurlaubte.
1907 nahm Sonnenschein daher seine Arbeit bei der Zentrale des
Volksvereins in Mönchengladbach auf. Das besondere Anliegen von dessen
Mitbegründer, dem Fabrikanten Franz Brandts (1834-1914) war, den
Arbeiter in die Volksgemeinschaft aufzunehmen und besonders die
Katholiken zu unterstützen, die im Kaiserreich wirtschaftlich und
sozial oft benachteiligt wurden. Sonnenschein, der Brandts wie einen
Vater verehrte, leitete viele Schulungskurse und war ein beliebter
Redner, denn er war sehr sachlich und vermied unnütze Angriffe auf den
Gegner. Freiwillig gemühte er sich, auch die Studentenschaft in die
soziale Organisation der katholischen Kirche einzugliedern, obwohl er
sie für eine sich exklusiv verhaltende Korporation mit längst
überholten romantischen Ideen und dem Auftreten eines preußischen
Leutnants hielt. Es war sein Ziel die Volksgemeinschaft so zu
erweitern, daß geistige Bemühungen und Handarbeit in Harmonie
zusammenwirken, was dadurch erreicht werden sollte, daß die Studenten
ihr Wissen den Arbeitern vermittelten. Gefördert wurde dieses nlieggen
um die Studenten durch des Sekretariats sozialer Studentenarbeit (SSS)
sowie die Zeitschrift "Soziale Studentenblätter".
Wenn es ihm auch gelang, zweihundert mit Büchern, Zeitschriften und
Broschüren wohl versehene Zentralen zu eröffnen und auch im Ausland
Beifall zu ernten, hatte sein Einsatz für die studentische Mitarbeit
trotz aller Begeisterung den Fehler, daß er selbst nicht aus der
deut-schen Studentenschaft kam und nicht daran dachte, einen
entsprechend begabten Laien als seinen Vertreter oder Adjutanten
einzusetzen; möglicherweise war der Grund hierfür sein unglaublicher
Aktivismus und seine Neigung zum Befehlen. Einer reibungslosen
Entwicklung standen aber auch Standesdünkel und die Furcht gewisser,
dem Klerikalismus ergebener Geistlicher entgegen, daß sich durch
Sonnenscheins Wirken, das in kein kirchliches Schema paßte, viele von
der Kirche trennen könnten.
Sonnenschein unterzog sich während des ersten Weltkriegs den größten
Strapazen. Eine wichtige Hilfe gewährte ihm hierbei die von ihm
angelegte Kartei der Mitglieder der SSS, die ihm eine Betreuung in
großem Maßstabe ermöglichte. Er besuchte sämtliche Kriegsschauplätze,
kümmerte sich um die Verwundeten, hielt Vorträge und betreute die
Familien deren Väter im Felde waren. Nach Ablauf des Krieges wurden
nicht weniger als 100.000 Brief an ihn gezählt.
In diesen Jahren war er auch für die Flämische Bewegung tätig, die
wegen der Benachteiligung der Flamen gegenüber den Wallonen
entstandenen war und die während des Weltkriegs von der deutschen
Besatzung Unterstützung für eine Autonomie oder gar Selbständigkeit
erwartete.
Als Belgien nach Kriegsende Mönchengladbach besetzte, floh
Sonnenschein, zumal er auch diverse Schriften über Geschichte und
Zukunft der Flamen verfaßt hatte, was möglicherweise eine Anklage vor
einem belgischen Gericht zur Folge gehabt hätte. Jedenfalls steht fest,
daß er Anfang Dezember 1918 nach Berlin zog wo er kurze Zeit danach im
Zirkus Busch umjubelt eine große Versammlung der Katholiken abhielt,
welche die konservativen katholischen Geistlichen schockierte.
Das vor allem durch die (seit der) Mitte des 19. Jahrhunderts stürmisch
einsetzende Industriealisierung zur Großstadt gewordene Berlin besaßt
1923 235.000 Arbeitslose. Es war zwar durch den Umsturz von dem
straffen Obrigkeitsstaat der preußischen Könige befreit, gleichzeitig
setzte aber eine nie gekannte Freizügigkeit und Lockerung aller
sittlichen Schranken ein sowie eine Radikalisierung des politischen
Lebens, die in Straßenschlachten linker Parteien ihren Ausdruck fand.
Sonnenschein sagte zu Beginn seines Wirkens: "Berlin ist eine
Großstadt, aber der Berliner Katholizismus verdammt kleinstädtisch".
Unter den vier Millionen Einwohnern gab es etwa 10% Katholiken und
eineinhalb Millionen Sozialdemokraten und Kommunisten. Vielfach
verloren die vielen Zuwanderer bald ihren Glauben oder wurden zumindest
gleichgültig. Andererseits gab es auch unter diesen Katholiken mutige
und opferwillige Gläubige, die in der Diaspora fest zusammenhielten.
Von Anfang betrachtete er das gesamte Berlin, das nach dem verlorenen
Krieg die Zufluchtsstätte einer bunt zusammengewürfelten Menge,
Bettler, Arbeitsloser, Verzweifelter und Gestrandeter geworden war als
sein unermeßliches Arbeitsfeld. Alle von ihm Betreuten wurden seine
Brüder und Schwestern, nie fragte er sie, woher sie kämen oder gar nach
ihrer Konfession, notfalls war er sogar bereit, für sie zu betteln. Vor
allem war es seine Maxime, niemand zu verurteilen, war es ihm doch
unbekannt, weshalb jemand so tief sinken konnte. Daher betete er in
tiefer Demut immer wieder: "Ich bin sündhaft, du aber, Gott, sei mir
gnädig." Einer seiner bekannten Aussprüche war: "Die schlimmste Sünde
ist die gegen die Nächstenliebe - auch die Sozialisten sind Kinder
Gottes."
Bei der Studentenschaft, die durch den Umsturz vielfach selbst zum
Sozialfall geworden war, fand er immer weniger Anklang. Die Versuche,
seine sozial-studentischen Zentralen arbeitsfähig zu erhalten
scheiterten, ebenso seine Bemühungen, die Studentenseelsorger für seine
Ideen zu gewinnen. Dagegen beherrschten immer mehr deutsch-nationale
Strömungen, Liberalismus und Kommunismus die studierende Jugend. Das
Sprachrohr für die Linksintellektuellen und Pazifisten war der
Redak-teur der WELTBÜHNE, einer der bedeutendsten Zeitschriften der
damaligen Zeit, Kurt Tucholsky (1890-1935), der zum schärfsten Kritiker
der Weimarer Republik wurde, insbesondere des sich immerstärker
ausbreitenden Nationalismus.
Dr. Carl Sonnenschein war hinsichtlich seiner Kleidung und Wohnung von
einer asketischen Einfachheit ähnlich der Don Boscos. In dem zum
kirchlichen Besitz gehörenden Hedwigsheim hatte er ein Zimmer, das
früher eine Portiersloge gewesen war. Links in der Ecke stand eine
hohes Bett, daneben ein primitiver Nachttisch, über dem Bett ein großes
Kreuz. Ein Großteil des Raumes füllten ein ovaler Tisch und ein
wurmstichiger Schrank aus, rechts eine Waschkommode mit Waschgefäß, da
es im Zimmer kein fließendes Wasser gab.
Wenn er nicht in den turbulenten Straßen nach Menschen spähte, hielt er
von früh bis abends Sprechstunden in seinem Büro ab, das die heutigen
Beratungsstellen vorwegnahm, gleichzeitig aber auch als
Arbeitsvermittlungsstelle und zur Jugendseelsorge diente. Dort befand
sich auch seine Kartei, die eigentlich aus kurzgefaßten Personalakten
bestand; sie allein ermöglichten ihm Seelsorge und Betreuung ins so
großem Umfang. Es war ein Glücksfall, daß sie, die praktisch ein
katholisches Adreßbuch war, wenig Stunden bevor die Gestapo kam,
vernichtet werden konnte.
Der Apostel Berlins war sich bewußt, daß die Großstadtseelsorge mehr
von ihm verlangte, als ein Mensch zu leisten vermag, daß er folglich
nie imstande sein werde, alle Not und alles Elend zu beseitigen, ja
auch nur zu lindern, - aber auch, daß es nie eine vor allem am
katholischen Christentum orientierte Gesellschaft geben werde.
Die Wohnverhältnisse in den damaligen Mietskasernen waren nach heutigen
Begriffen unvorstellbar. Zwar hätten die 1.200.000 Wohnungen eigentlich
ausreichen können, aber viele bestanden nur aus 1-2 Zimmern und 117.000
Haushaltungen lebten nur in Untermiete. Wie menschenunwürdig waren die
sanitären Verhältnisse! Wie viele auf kleinstem Raum zusammengepferchte
Familien besaßen drei und mehr Kinder und mußten mit einer
unvorstellbar kleinen Unterstützung auskommen! Diese trostlosen
Wohnverhältnisse bildeten die Brutstätten von Krankheiten, frühem
Siechtum, Kriminalität und sittlicher Verkommenheit. Um dieses Elend zu
lindern, beteiligte er sich an zwei Konsortien für Siedlungen am Rand
von Berlin.
Auch ein solches "Milieu" animierte Sonnenschein zur Poesie -
allerdings zu einer ganz anderen als damals, als er lebensfroh gestimmt
Bonn pries. Ein Berliner "Vater Unser", ein Gebet im Hinterhaus, im
Kabelwerk, im Hospital und im Gefängnis. Die erste Strophe lautet:
"Vater Unser!
Gibt es das? Bis heute war noch niemand gut zu mir!
Mein Vater trank! Meine Mutter starb in Wittenau! Ich bin
in der alten Jakobstraße erzogen! In Moabit erhielt ich
Bewährungsfrist! Nur in der Sonne fühle ich gelegentlich
eine streichelnde Hand!
Zu dir also darf ich Vater sagen! Das ist für mich ein
neues Gefühl! Die anderen sind Brüder? Ich hatte einen
Bruder und eine Schwester. Sie liegen in Weißensee begraben!
Beim Begräbnis war es eisig kalt! Diese Kälte bin ich nicht losgeworden."
Gleichsam ruft er in die kalte hartherzige Welt: "Die Mietskaserne ist
ein Verrat an den Zehn Geboten Gottes, die Armenviertel der Großstadt
sind eine Abschnürung der christlichen Kultur." Die biederen "braven"
Christen schockierend ruft, ja schreit er: "Es gilt nicht mehr im
wesentlichen (obwohl auch diese Antithese, die posthume, noch wach ist)
der Kampf um Ablaß, Ohrenbeichte und Marienkult, deren restlose
Verteidigung und Erhaltung uns natürlich wesentlich ist. Sondern
der Kampf um die Quadern des Christentums. Gilt noch der Begriff der
christlichen Ehe? Bekennen wir uns noch zum Kinde? Haben wir noch einen
Sonntag?" - "Nicht alle werden Heiden, weil sie keine Christen sein
mögen. Viele bedrängt die Not des Lebens. Sie möchten Christen sein.
Aber die es ihnen zeigen sollten, sind nur kühle Wegweiser und hölzerne
Bretter mit Anschlag. Sind ärztliche Rezepte, zu denen man kein Geld
hat. Sind Kochbücher im Schaufenster: Man nehme. Aber woher soll man
nehmen? Diese Menschen möchten Kinder haben. Diese Menschen bejahen im
Innersten die christliche Ehe und haben ein feines Gefühl, wie
wunderbar die Feinheit einer Kultur ist, über der das Bild einer
gotischen Madonna schwebt. Aber diese Madonna steht im
Kaiser-Friedrich-Museum und kommt nicht zu ihnen, in ihr Quergebäude.
Die zermürbende Fron der täglichen Arbeit zerschlägt jeden
Madonnentraum. Die große Öde ihrer Mietskaserne erdrosselt jedes blaue
Blümchen, das sich herauswagen möchte, an ihren Fenster und in ihren
Seelen."
Sonnenschein konnte aber auch Großstadtseelsorger anderer Art sein: In
einer Atelierwohnung sprach er zu Schriftstellern und Journalisten, daß
die heutigen Bücher immer nur Verführung, Lebensgenuß, Mord und
Selbstmord als Themen brächten und so die Jugend verdürben. Die
spöttischen Antworten lauteten etwa: "Ja glauben Sie denn, wir hätten
Absatz mit frommen oder braven Büchern?" Sonnenschein: "Ernste
Künstler, die in ihren Werken leben wollen, sollten die Wirkung ihrer
Werke an den Menschen ausprobieren. Es würde ihnen grauen." Freundlich
grüßend verließ er das Atelier.
Er ist zum Nachmittagskaffee bei einer Studienrätin eingeladen. "Ich
bin religiös, aber ich will diese Formen des starren Dogmas nicht.
Modernen Menschen können Sie nicht die unbegreiflichen Dogmen des
Mittelalters aufzwingen." Sonnenschein: "Stört Sie das Mysterium?
Scheint Ihnen Philoso-phie eher Religion zu sein, wenn sie auf dem
Breitengrad ihres Verstandes liegt?" Zuletzt gab die Studienrätin
Sonnenschein einen Briefumschlag mit mehreren Scheinen. "Sie sind immer
gern bei mir gesehen, auch wenn Sie mich nicht für Ihre religiösen
Ideen begeistern können!"
Sein Eifer im Missionieren erschöpfte sich aber nicht im Helfen und in
Besuchen. Da ihm mit seiner Verbindung von Studenten und Arbeiters
mittels der SSS kein dauernder Erfolg beschieden war, gründete er
bereits 1922 die Katholische Volkshochschule Berlin und arbeite als
erster Geistlicher in der Berliner Funkstunde, wobei er die
katholischen Morgenfeiern leitete. Ferner erhielt Berlin 1924 ein von
ihm redigiertes Kirchenblatt, das eine Auflage von 50.000 Exemplaren
erreichte und daher ein wichtiger Faktor in der Großstadtseelsorge
wurde. Seine Persönlichkeit kann besonders deutlich in seinen in dieser
Zeitung erschienen "Notizen - Weltstadtbetrachtungen" erkannt werden,
die später in zehn Bändchen unter dem Namen "Notizen" herausgegeben
wurden - ein buntes Gemisch von Erlebtem und Gesehnen, das in der Nacht
in die Maschine diktiert wurde und einen bedeutenden Beitrag zur
religiösen Publizistik lieferte.
1927 gründete er den "Geschichtsverein katholische Mark", der die
Erinnerung an die katholische Zeit Berlins und der Mark Brandenburg neu
beleben sollte. Mit Freunden, Förderern und Künstlern fuhr er Sonntag
früh in die Mark Brandenburg, hielt die Messe in irgendeiner Kirche
oder Kapelle aus der katholischen Zeit, um anschließen eine Wandung zu
unternehmen.
Einst taufte er, mit Rochett und Stola angetan, in einer märkischen
Kirche. Eine Klosterschwester hält den Täufling. Das Kind ist von einer
polnischen Mutter und unehelich. In Abänderung des Taufritus - als
spricht er an uns gewandt, die wir ihn auf einer Sonntagswanderung
begleiteten -: "O unehelich Kind! Auch du bist in weißes Gewand
gehüllt. Die Taufe löscht jeden Flecken. Nun stehst du ganz rein in der
Reihe, untadelhaft, neben dem Gutsherrn, neben dem Inspektor, neben dem
Landrat. Wer darf einen Stein auf dich werfen?" Er nimmt die Taufkerze
in die Hand. "Dieses Licht soll dir leuchten durch alle Dunkelheit des
Lebens. Über allem Abgrund deiner Wege. Über alle Gemeinheit dieser
Welt. Trage du o Kind, dieses weiße Kleid unversehrt dein Leben
hindurch. Lasset uns beten. Lasset uns mühen. Lasset uns schaffen, daß
Salz und Öl und Wasser und Kleid und Licht, die großen Symbole der
Taufe, in unseren Brüdern und Schwestern wirksam seien." (Zitiert aus:
Dr. C. Sonnenschein in Berlin" von Maria Grote, S. 91)
Einige ruhige Tage waren dem unermüdlichen Großstadtapostel vergönnt,
als er 1925 sein silbernes Priesterjubiläum mit den meisten seiner
Mitbrüder auf der Rheininsel Nonnenwerth feiern konnte. Der dort
herrschende Frieden sowie die ehrwürdigen alten Klostergebäude hatten
schon Franz Liszt begeistert und zum Ausruhen nach seinen Triumphen
eingeladen. Tränen standen Sonnenschein in den Augen, als der Chor der
Nonnen das Lied "Priesterherz ist Jesu Herz" anstimmten, das er einst
in Rom sang.
1928 machte sich ein rapides Abnehmen seiner Kräfte bemerkbar, so daß
er sich einer Behandlung unterziehen mußte. Die Ärzte stellten ein
Nierenleiden fest. Wenn er auch nach dem Krankenhausaufenthalt sein
unruhiges Leben weiter fortzusetzen versuchte, seine Kräfte, auch die
geistigen, schwanden schnell. Vergeblich suchte er noch Heilung
in Lugano. Schwerkrank kehrte er nach Berlin zurück, wo er kurze Zeit
danach, am 20. Februar 1929, starb. Der Trauerzug zum St.
Hedwigs-Friedhof umfaßte etwa 12.000 Menschen, unter denen sich nicht
nur Proletarier befanden, sondern sogar Minister; am Requiem nahm auch
Nuntius Pacelli teil.
Viel zu früh endet das Leben dieses bahnbrechenden Großstadtseelsorgers
oder besser gesagt Großstadtapostels. Er verschied nicht allein infolge
eines Nierenleidens, sondern auch durch Ausschöpfung aller seiner
Kräfte im Dienste seiner Mitmenschen.
***
Benutzte Literatur:
Grote, Maria: "Dr. Carl Sonnenschein in Berlin", Berlin 1957.
Hoeber, K.: "Dr. Karl Sonnenschein, der Studentenführer und Großstadtseelsorger", Berlin 1930.
Lubek, R.: "Carl Sonnenschein, Sozialreformer und Großstadtseelsorger.", Limburg 1980.
* * *
Zitat:
"Katholiken, die noch irgendwie orthodox katholisch sind - das ist eine
Minderheit in der 'christlichen Gesellschaft'! -, sollten sich in
religiösen Dingen um eine realistisches und möglichst kritisches Denken
bemühen, das nichts mit einem Vermuten oder Meinen oder irgendeinem
'Glauben' zu tun hat. Indes ist nur Einer "das Licht der Welt", die
ohne jeden Zweifel im Argen liegt.
Warum wendet man sich nicht direkt und unmittelbar an Ihn und bittet
Ihn nicht in allen wesentlichen Angelegenheiten, welche die Kirche
betreffen, um Hilfe? Oder weiß man nichts mehr von den besonderen
'Christusgnaden' oder den "Gnaden des Hauptes", die allerdings immer
nur gewährt werden 'wem Er will und wie Er will'?! Dies läßt sich nicht
erzwingen, ganz abgesehen davon, daß ein wirklicher und wahrer Herr
immer gebeten sein will. Für Christen, die noch orthodox katholisch
sind, ist das kein Problem."
(aus: "Über das Papsttum der Römischen Bischöfe, die
Eigenart des Apostolischen Stuhles und eine Kirche ohne Papst" von
Prof. Dr. Diether Wendland) |