"Das Wesen aller Kultur ist Religion"
- Das Kreuz der Grünen mit dem Kreuz -
von
Werner Olles
Ein etwa vierzig Zentimeter großes, schlichtes Holzkreuz an der
Rückwand des Sitzungssaales im Dietzenbacher Kreishaus sorgte Anfang
September für einen Eklat, der weit über die Grenzen des südhessischen
Städtchens Aufsehen erregte. Sechs Kreistagsabgeordnete der Grünen
fühlten sich nämlich "in ihren religiösen Gefühlen verletzt", weil der
Kreistagsvorsitzende Faust (CDU) eine Beratung darüber, ob das Kreuz
abgehängt werden sollte oder nicht, erst beim nächsten Treffen des
Präsidiums zulassen wollte. Daraufhin verließ die Mehrheit der grünen
Kreistagsfraktion unter Protest die Sitzung und erwägt nun eine Klage,
da das Kreuz die von der Landesverfassung vorgesehene religiöse
Neutralität des Staates verletze. Zudem sei das christliche Symbol
"ohne Absprache" angebracht worden, monierte die stellvertretende grüne
Fraktionsvorsitzende Chmelik.
Während CDU und FWG (Freie Wähler) mit lauten Buh-Rufen reagierten
applaudierte die SPD den Ausführungen der grünen Abgeordneten, die
forderte, das Kreuz "aus Respekt vor Andersgläubigen und Atheisten"
abzuhängen. Es sei "unhaltbar, daß in offiziellen Räumen der
Kreisverwaltung ein religiöses Symbol hängt", monierete eine grüne
Abgeordnete, die sich selbst als "gläubige Katho-likin" bezeichnete.
Der CDU-Landtagsabgeordnete Hermanns empfand hingegen das Verhalten der
Grünen als "einen Schlag ins Gesicht" eines jeden Menschen, dem
christliche Naächstenliebe etwas bedeute und fühlte sich "an so manches
chaotische Verhalten der Grünen-Landtagsfraktion" erinnert. Hermanns
definierte das Kreuz als "Heilszeichen" oder "Zeichen für das Leben".
Angesichts der mannigfaltigen Probleme des Kreises Offenbach müßten
sich die Grünen fragen lassen, ob es ihnen lediglich um den "Protest
des Protests wegen" gegangen sei. Als überzeugter Christ lasse er zwar
jedem seinen Glauben, sei aber nicht bereit ein Holzkreuz zum Politikum
werden zu lassen. Das Ganze habe für ihn den "schalen Beigeschmack
eines Wahlkampfmanövers". Im übrigen handele es sich bei dem schlichten
Holzkreuz um ein Geschenk der beiden Pfarrer, die das Kreishaus während
der Akademischen Feier eingesegnet hatten.
Wie immer diese Sache auch ausgehen wird, sie ist symptomatisch für
eine Zeit, in der der Mensch vom Geistlichen und Geistigen so tief
abgekommen ist, wie nie zuvor. Ein kleines Holzkreuz macht die
Krankheits- und Dekadenzerscheinungen unserer gott- und glaubenslosen
Gesellschaft, die schon lange nicht mehr zu übersehen sind, auf einmal
auch für Menschen augenfällig, die sonst mit derartigen Bewertungen
eher zurückhaltend umgehen. Man lese in diesem Zusammenhang nur die
Kommentare der Regionalpresse, die unisono daruf hinauslaufen, daß sich
die Grünen an diesem Kreuz wohl "gehörig verhoben" haben
(Rhein-Main-Zeitung der FAZ vom 6.9.02) oder darauf hinweisen, daß "wir
uns nun mal in einem Land befinden, das von jahrtausendealter
christlicher Tradition geprägt ist" und die Grünen zur "Toleranz"
ermahnen, die diese "so gern und oft für sich reklamieren" (Offenbach
Post vom 5.9.02).
In Krisenzeiten schlägt aber auch die Stunde der Psychopathen.
Nihilismus und antichristlicher Fortschrittsoptimusmus reichen sich
wieder einmal fröhlich die Hände. Aber wer wollte es den Grünen, die so
gerne von Liberalität reden, aber damit nichts anderes als Liberalismus
meinen, eigentlich übel nehmen, wenn sie die Gunst des düsteren
Augenblicks nutzen, um kämpferisch für ihr Anliegen einer verstärkten
Entchristlichung Deutschlands zu werben. Der soziale und kulturelle
Zerfall der smartie-bunten Spaßgesellschaft und die massenhafte
Abstumpfung der zum Allerweltsvölkchen degradierten Deutschen regt
ohnehin nur noch die altersstarrsinnigen öberreste realistischer
Rechtsintellektueller auf. Und während die Grünen durch das neue
Zuwanderungsgesetz und die geplante Aufnahme der Türkei in die EU eine
fortschreitende Islamisierung und Orientalisierung unseres Landes
anstreben, und damit den Ausweg aus der analytischen Sackgasse ihres
gescheiterten Multi-Kulti-Projekts gefunden zu haben scheinen, bleiben
den unverdrossenen Verteidigern abendländischer Werte angesichts des
Nichtvorhandenseins eines stabilen Glaubenssystems nichts als
Rückzugsgefechte.
Es scheint, daß die Grünen als einzige moderne politische Kraft von
Bedeutung Oswald Spenglers gegen den angelsächsischen
Zivilisationsbegriff gerichteten Kulturbegriff verstanden haben: "Das
Wesen aller Kultur ist Religion" und "Kultur ist das Dasein von
Nationen in staatlicher Form". In dieser Verschmelzung der religiösen
und ehtnonationalen Determinanten sehen sie die negative Auf-hebung
ihrer eigenen kulturbiologischen Vorstellungen. Jenseits des lärmenden
Konfusions-Getöses, das einem von links und rechts in die Ohren dröhnt,
praktizieren sie kaltschnäuzig einen geo-kulturellen und geopolitischen
Realismus, der es im wahrsten Sinne des Wortes in sich hat. Ihr
identitätspolitischer, fortschrittsoptimistischer Erweckungsgesang ist
in diesem Sinne ein in der Zerrissenheit zwischen Fortschrittsglauben
und Dekadenzbewußtsein geborener Selbstmobilisierungsaufruf, der aber
seine Wirkung nicht verfehlt.
Das theoretische Vernichtungsritual gegenüber dem kleinen Holzkreuz im
Dietzenbacher Kreishaus ist somit ein anschauliches Exempel dafür, daß
in Zeiten eines gleichmacherischen globalen Multikulturalismus und
einer wachsenden Gleichgültigkeit und sogar Feindschaft gegenüber dem
Christentum der Feind längst im Inneren steht. Die negative
Selbstdefinition des Okzidents, die immer unterschlägt, daß das
christliche Abendland durch die Okzidentalisierung der Welt nicht nur
sich selbst, sondern den anderen gleich mit erfand, verhindert jedoch
heute zuverlässig die Herausbildung eines Fundaments kultureller
Identität. In der Machtlogik der Grünen und ihrer Freunde bedeutet eine
Wiederbelebung der Idee vom christlichen Abendland die Abkehr von
westlichen Universalitäts-prinzipien und die Rückkehr zu einer Welt
autarker Kulturen. Daher rührt ihr Haß auf das christliche Kreuz,
deswegen ihre Dämonisierung metaphysischer Symbole zur Kennzeichnung
menschlicher Gruppenzugehörigkeit.
(bereits erschienen in JUNGE FREIHEIT vom 27.9.02) |