Über das Papsttum der Römischen Bischöfe,
die Eigenart des Apostolischen Stuhles
und eine Kirche ohne Papst
von
Prof. Dr. Diether Wendland
V. Fortsetzung
6. Kapitel: Der "römische Petrus" und sein Nachfolger in der apostolischen Römischen Kirche, der Bischof zu Rom.
Es führte kein gerader Weg vom "galiläischen Petrus" über den
"jerusalemischen" und "antiochenischen" zum "römischen"; vielmehr
handelt es sich um gefahrvolle Umwege (was seinen Sinn hat), wie dies
auch beim Apostel Paulus der Fall gewesen ist (dieser wußte auch, wer
ihn so oft daran gehindert hat, den Weg nach Rom zu beschreiten (cf.
Röm 1,13), der ihm von Christus gewiesen wurde). Rom verdaute alle
Religionen der Völker ziemlich mühelos wie ein großer Magen, wenn man
nicht die "Staats- und Stadt-Götter des 'Heiligen Rom'" ablehnte oder
gar beleidigte; denn diese besaßen, so glaubte man, über die Stadt und
das Reich eine mächtige "Schutzfunktion". Die Römer waren, obwohl
Heiden, dennoch ein "religiöses Volk" und ihre Senatoren und Konsulen
sogar unglaublich abergläubisch. Altes Heidentum und finsterer
Aberglaube gehören zusammen, genau so wie neues Heidentum und 'moderne
Aufklärung', die auch nur geistige Finsternis ist. Dies scheinen
heutzutage die angeblich 'Gebildeten' wohl vergessen zu haben?!
Unter dem "römischen Petrus" kontrahierte (verdichtete sich) die Kirche
Jesu-Christi im Blute ihrer Märtyrer zur apostolischen Ecclesia Romana,
die man mit Recht auch als "petrinische Kirche" bezeichnet hat, obwohl
sie zwei Gründer hatte, die ihr Leben für Christus und somit auch für
sie hingaben. Die Ecclesia Romana besaß als einzige zwei spirituelle
Häupter, aber nur ein sichtbares Oberhaupt, das jedoch zugleich der
Stellvertreter (vicarius) Christi war, was der Apostel Paulus nie
gewesen ist, aber auch kein anderer Apostel. Wie blind muß man damals
im 'politischen Rom' gewesen sein, diese Religionsgemeinschaft für eine
jüdische Sekte zu halten, obwohl sie von den eingefleischten Juden wie
die Pest gehaßt und gemieden, ja sogar beim römischen Magistrat
angeschwärzt wurde. Dies alles darf man doch nicht geflissentlich
'übersehen', wenn man sich über den Anfang der Ecclesia Romana
realistische Gedanken zu machen beginnt. Nur das "Senfkorn des
Himmelreichs", von dem Christus sprach (Mt 13,21), ist unsichtbar,
solange es noch nicht 'wie zu einem Baum' geworden ist und dann sogar
von Historikern entdeckt werden kann.
Als der Apostel Simon Petrus endgültig seinen Wohn- und Amtssitz im
heidnischen Rom begründete (sedem constituit), war Christus, der Herr
der Kirche, sicherlich auf unsichtbare Weise "bei ihm", um ihn zu
leiten und zu stärken. Denn damals herrschte in Rom der auch in seiner
Familie mordende "göttliche Kaiser Nero" (54-68), schauerlichen
Angedenkens! Der römische Senat aber kroch vor ihm in würdeloser
Unterwürfigkeit auf dem Bauche, wie Tacitus berichtet (Annalen 13-16).
Der "römische Petrus" war mit seiner kleinen 'römischen Herde' wirklich
nicht zu beneiden und stand, rein weltlich betrachtet, auf verlorenem
Posten und dies insbesondere als der einzige Träger der schon erwähnten
drei Gewalten, die im Wesen des Papsttums und seiner Machtfülle liegen:
Schlüsselgewalt, Primatialgewalt und oberste Hirtengewalt. Deshalb
stellt sich die Frage: Hat in Rom der Apostel Petrus von diesen drei
Gewalten Gebrauch gemacht? Wir wissen es nicht. Aber wahrscheinlich
nicht und dies ließe sich leicht erklären, wenn man voraussetzt, daß er
dazu keine Gelegenheit gehabt hat und weil das bereits im Jahre 64 von
Morden heimgesuchte Rom zum größten Teil in Flammen stand. Daraufhin
jedoch brach die erste Christenverfolgung in einem größeren Umfang aus.
Die Ecclesia Romana kämpfte um ihr nacktes Überleben. Diese ist gemeint
mit der von Gott und Christus "mit-auserwählten Gemeinde in Babylon",
wo sich auch der Evangelist Markus befand, der Apostel-Schüler von
Simon Petrus. (1 Petr 5,13) - Der erste, von dem wir wissen, daß er vom
Papsttum in seiner Macht Gebrauch gemacht hat, ist der Römische Bischof
"Klemens I". (ca. 88-97), ein Römer, der die Apostel Petrus und Paulus
noch gekannt hat. Von den drei Vorhergegangenen (antecessores) sind nur
die Namen bekannt. Doch schon der erste Römische Bischof, Linus, der
auf Simon-Petrus folgte, war weder ein Apostel noch ein Jünger
Jesu-Christi, wie dieser bereits erwähnte Matthias, der durch Loswerfen
zum zwölften Apostel bestimmt und so durch ein "Gottesurteil" 'erwählt'
worden war.
Der den Christen in die Schuhe geschobene Brand Roms 1) und die
nachfolgenden schauerlichen Massaker an ihnen (der Geschichtsschreiber
Tacitus spricht von einer 'ungeheueren (=schrecklichen) Menge', was gar
nicht so übertrieben ist in Ansehung der Einwohnerzahl dieser
Metropole) konnten die Ecclesia Romana dennoch nicht vernichten, obwohl
auch ihre beiden geistlichen Häupter umgebracht worden waren. Es
wüteten hier aber nicht "die Pforten der Hölle", wie manche
irrigerweise annehmen, sondern es tobte sich aus ein 'göttlicher
Caesar' mit seinen Schergen und seinem An-hang. Man sollte auch böse
Dinge und Vorgänge in der richtigen Relation sehen und sie nicht
verwirren, weil sonst so manches nicht mehr erklärt werden kann. Auch
katholische Christen sollten sich immer daran erinnern, daß zuerst
Christus, der einzige "gute Hirt", verfolgt wurde, unsäglich gelitten
hat und schließlich umgebracht worden ist ... bevor Er von den Toten
auferstand. Sollte es Seiner Kirche etwa anders ergehen? Das nächste
Unheil drohte bereits mit dem Despoten Domitian (81-96), der ebenfalls
ermordet wurde, mit angestiftet von seiner Frau.
Es ist leicht, von einem 'Petrusamt' oder auch 'Papstamt' zu reden,
wenn nicht gewußt wird, was das petrinische Dienstamt (munus) ist und
was es alles beinhaltet, das in diesen Worten überhaupt
nicht zum Ausdruck kommt. Im übrigen hängt dieses 'Amt' ohne die Kirche
Jesu Christi, in der es existiert, in der Luft. Außerdem kann nicht
alles, was dem Apostel Simon-Petrus von Christus verheißen und dann
auch verliehen wurde, auf seinen Nachfolger einfachhin übertragen
werden; denn dieser ist weder ein von Christus 'erwählter' noch vom
Heiligen Geiste 'inspirierter' Apostel. Was aber ist er dann, wenn
nicht dies? Ist er etwa als Bischof ein altrömischer 'pontifex
maximus', der auch 'pontifeces minores' (Unterpriester) als Hilfskräfte
unter sich hat? Es gibt heute noch Leute, vor allem Konservative und
Traditionalisten, die so etwas immer noch glauben, weil sie ständig
hören, daß ein Papst 'pontifiziere' oder den 'Pontifikat' ausübe (auch
wenn dieses nur ein paar Tage gedauert hat). Im alten Rom war der
"pontifex maximus" der Vorsteher einer heidnischen "Priester-kaste",
welche verschiedene Zwecke hatte und was die Römer von den Etruskern
übernommen hatten; denn dies erwies sich als sehr praktisch für das
'Heilige Rom' und den Staat. Die Bezeichnung "pontifex maximus" bezog
sich auf eine Machtposition und war nicht bloß ein Titel, wie dieser
später unverständlicherweise sogar Päpsten zugelegt wurde. Sollte der
päpstliche Titel "Summus Pontifex" nicht mehr genügt haben?? Es läßt
sich nicht mehr feststellen, wann dies und wer damit angefangen hat.
Ähnlich verhält es sich auch mit der titulatorischen Anrede
"Sanctissime Pater", was schon zu großen Mißverständnissen geführt hat.
Man sollte sich realistisch und nüchtern auf die natürlichen und
übernatürlichen Ursprünge des Papsttums besinnen, wofür es nichts
Vergleichbares in der Welt gibt.
Mit den Aposteln Petrus und Paulus in Rom und ihren Schüler-Jüngern
begann ein neuer Abschnitt in der Kirchengeschichte, auch wenn diese
sich künftig zum großen Teil nur noch in Privathäusern und in
unterirdischen Katakomben abspielen wird. Zudem wird der "römische
Petrus" sicherlich nicht die Gefährlichkeit der römischen Situation mit
ihrem aufkommenden Kaiserkult verkannt haben, der im radikalen
Widerspruch zum Christentum in seinem Wesen und in seiner Universalität
steht. Außerdem konnten alle römischen Christgläubigen jederzeit damit
rechnen, daß ihr geistliches Oberhaupt plötzlich eines schnellen und
unnatürlichen Todes sterben könnte, um die Plebs von Rom mit einem
makabren Schauspiel 'zu beruhigen'. Denn in Rom 'gährte' es, nachdem
schon das 'Kaiserlein' Caligula (37-41) dem Wahnsinn verfallen war. Es
versteht sich doch von selbst, daß der "römische Petrus" für den Fall
der Fälle Vorsorge treffen mußte. Es fragt sich nur, wie dies geschehen
sein könnte? Etwa auf ähnliche Weise wie der Jünger Matthias zum
zwölften Apostel bestellt wurde oder etwa wie der Apostel Paulus zwei
von seinen Schülern zu Bischöfen bestellt hat? Beides erscheint uns
höchst unwahrscheinlich. Vermutlich und viel eher wird der Apostel
Petrus im Vollbesitz seiner geistlichen "potestas ordinaria" auf
ähnliche Weise gehandelt haben wie Christus bei der Verleihung der
obersten Hirtengewalt an ihn, die weder eine Auswahl noch eine Wahl
war. M.a.W.: er selbst hat seinen Nachfolger bestimmt, und zwar unter
Zeugen, und ihn zugleich Christus, dem Herrn der Kirche, anvertraut.
Dieser Akt wird sich niemals mehr wiederholen, weil kein Bischof einen
anderen Bischof zum Träger des Papsttums machen oder kreieren kann.
Denn Macht und Gewalt des Papsttums kann nur durch Christus verliehen
werden, von niemandem sonst. Seither sind die Römischen Bischöfe
Nachfolger Petri, des "römischen Petrus", im Primat und somit Träger
des Papsttums in der Kirche Jesu Christi - insofern sie nicht Häretiker
und Apostaten sind. Solche geistig und geistlich "toten Glieder" der
Kirche können weder Papst sein noch Papst werden. Christus verleiht
Häretikern und Apostaten weder die Schlüsselgewalt noch die
Primatialgewalt noch die oberste Hirtengewalt. Erst als sich
Simon-Petrus von seinem falschen Messiasglauben bekehrt hatte, der in
Cäsarea Philippi offenkundig wurde, verlieh im Christus die oberste
Hirtengewalt und machte ihn zu seinem Stellvertreter in Seiner Kirche -
nach der Auferstehung. Dies war auch eine Voraussetzung für die Sendung
des heiligen Geistes durch den Vater und den Sohn, wodurch die Apostel,
"die neuen Zwölf", auch persönlich inspiriert wurden (inspiratio divina
seu supernaturalis). Eine solche aber kommt den Römischen Bischöfen als
den Trägern des Papsttums nicht zu, denn sie sind keine Apostel. Darum
sind auch der römische Primat und Episkopat nur faktisch, nicht jedoch
notwendig eins. Der "römische Petrus" selbst ist eben kein Römischer
Bischof im eigentlichen Sinne. Der erste war Linus, ein Mann, der schon
vom hl. Paulus in seinem zweiten Brief an Timotheus erwähnt wurde
(4,21).
Der Primat des "römischen Petrus", den nur die Römischen Bischöfe
'erben', bezieht sich auf die "Ecclesia universalis", so daß sich der
Primat des "römischen Papstes" ebenfalls auf dieselbe bezieht, nicht
jedoch auf die Kirche oder das Bistum von Rom, eine Teilkirche. Deshalb
kann man den "römischen Papst" auch als den "episcopus episcoporum"
bezeichnen, was einen guten Sinn ergibt. Denn der Episkopat als solcher
ist keine Institution (Einrichtung) Christi, sondern nur der Apostel.
Und deshalb sind die Bischöfe auch keine Nachfolger der Apostel,
sondern sie traten nur an ihre Stelle in der von Christus gewollten
"apostolischen Kirche", die "auf dem Fundament der Apostel und
Propheten (des NT!) aufgebaut" wurde (Eph 2,20). Der Satz des hl.
Cyprian, des Bischofs von Karthago (gest. 258), "ubi Episcopus ibi
Ecclesia (Jesu Christi)" war und ist ein Irrtum. Vermutlich hatte
diesen Eiferer sein überflüssiger Streit mit Papst Stephan I. (254-257)
wegen des 'Ketzertaufstreites' (theologisch) ziemlich verwirrt. Nur die
Nachfolge im Primat ist, wie der Primat selbst, göttlicher Institution.
Nur der Römische Bischof oder der Bischof zu Rom kann als alleiniger
Nachfolger Petri im Primat einen berechtigten Anspruch auf die
Primatialgewalt und die oberste Hirtengewalt in der Kirche erheben.
Kein anderer Bischof ist dazu befugt, selbst wenn er ein kirchlicher
Patriarch wäre.
Der "römische Petrus" hat in seiner Person durch sein beständiges
Nachfolgen Christi, des Herrn der Kirche, und infolge seines
Märtyrertodes 2) den Primat auch als Erbe auf die (von ihm und dem
Apostel Paulus gegründete) Römische Kirche übertragen. Darum ist der
Primat des Römischen Bischofs kein ursprünglicher, wie manche annehmen,
sondern ein durch den "römischen Petrus" vermittelter. M.a.W.: das
Papsttum der Römischen Bischöfe ist ein durch den Apostel Petrus
vermitteltes Macht- und Herrschafts-Phänomen, das die schon erwähnten
drei Gewalten enthält und sich auf die ganze Kirche Jesu-Christi
bezieht. Auf diese Weise ist es zu einem Wesens-Element derselben
geworden. Sehr wahrscheinlich hat der "römische Petrus", da er nicht
ständig in Rom anwesend war, den Presbyter Linus zuerst zum Bischof
'geweiht' und dann später bestimmt, daß nur er sein Nachfolger sein
soll, wenn ihn auf irgendeine Weise der Tod ereilt, mit dem schließlich
zu rechnen war. Rom war nicht Antiochien oder Korinth. In Jerusalem
aber hatte er bereits die Gefahr des Todes zu spüren bekommen. Man muß
eine religiöse Sache (res religiosa) auch einmal in ihrer zeitlichen
Entwicklung betrachten, vor allem die Nachfolge (successio) Petri im
Primat (in primatu), nicht jedoch irgendwelche 'Nachfolger', die an
seine Stelle traten (zeitlich und äußerlich betrachtet). Es gab im
Laufe der Zeit schon genug Päpste, die keine waren, d.h. die mitnichten
Träger des Papst-tums gewesen sind. Deshalb ist auch die Aufstellung
einer 'Papstliste' eine zweifelhafte Angelegenheit, die man in der Tat
nicht zu ernst nehmen sollte. Das Papsttum und seine Verwirklichung
wird nicht durch zeitliche Kategorien bestimmt, da es nicht weltlichen
Ursprungs ist. Deshalb ist die Primatialgewalt auch nicht usurpierbar,
sondern ggf. nur mißbrauchbar (z.B. durch Simonie oder
Selbstbereicherung u. dgl.).
Der mit dem Papsttum sachlich identische Primat ist kein kirchliches
Oberhirtenamt, sondern das oberste Hirtenamt in der Kirche und eine
wahre Herrschergewalt, ein heiliger (sakraler) Prinzipat (principatus
sacer) - aber unter (nicht: mit) Christus, dem höchsten Herrn und
königlichen Haupt der Kirche. Dieser Prinzipat ist keine unumschränkte
Macht und Gewalt wie der "principatus civilis" der römischen Kaiser,
der auch als "dominatus" bezeichnet wird. Man darf diese beiden
Prinzipate nicht miteinander verwechseln, da ihre Bedeutung eine
verschiedene ist. Schon das wahnsinnige 'Kaiserlein' Caligula hatte den
echten römischen Prinzipat in Mißkredit gebracht, als es sich den Titel
"dominus et deus" (Herr und Gott) zulegte. Damals war Simon-Petrus noch
nicht in Rom, wo es aber bereits zugewanderte 'Judenchristen' gab,
vielleicht sogar einige 'Heidenchristen' (die den Einzug Jesu-Christi
in Jerusalem miterlebt hatten (cf. Joh 12,20 f.)).
Der sich zum sakralen (geistlichen) Prinzipat ausweitende Primat fügt
der Hirtengewalt, die eine bischöfliche ist, etwas hinzu, das als
Jurisdiktionsgewalt 3) oder Regierungsgewalt bezeichnet wird; in ihm
kommt der Apostolat und Primat Petri zur Vollendung und woran die
anderen Apostel, eben weil sie 'erwählte' Apostel sind, einzeln
partizipieren (teilhaben). Nur darf man hier nicht vergessen, daß die
Apostel keine Bischöfe waren und somit Apostolat und Episkopat nicht
dasselbe sind; sie sind real verschieden und können deshalb auch
auseinanderfallen. Der Episkopat trat an die Stelle des ursprünglichen
Apostolates der von Christus unmittelbar 'erwählten' Apostel und ist
nur eine Institution der Apostel, nicht jedoch eine Einrichtung Jesu
Christi. Zum Hauptträger des Episkopates aber wurde durch den
"römischen Petrus" der Römische Bischof als der einzige Erbe und Träger
des Primates. Die anderen Träger des Episkopates sind nur
'Diözesanbischöfe', also Bischöfe von größeren oder kleineren Diözesen
oder Bistümern; sie stehen als Bischöfe in der Einheit mit dem
Römischen Bischof oder Bischof zu (nicht: von) Rom und sind ihm, dem
Primat-Träger, durchaus untergeordnet. Dadurch jedoch bilden sie eine
ganzheitliche "hierarchia iurisdictionis" 4) in der gesellschaftlichen
Einheit der Kirche, die nur im uneigentlichen Sinne ein 'Organismus'
ist; denn ihre getauften und religionsmündigen Glieder sind freie
Personen, die über sich selbst verfügen und sich untereinander zu einer
Glaubens-Gemeinschaft freiwillig verbunden haben. Kein
religionsmündiger Mensch kann gezwungen werden, ein Glied der Kirche zu
werden.
Es sollte deutlicher unterschieden werden zwischen der Nachfolge Petri,
des Primatträgers, selbst und der Art der Nachfolge, die eine Tat des
Apostels Petrus (im Zusammenwirken mit dem Apostel Paulus) durch die
Gründung der Römischen Kirche oder der Kirche zu Rom gewesen ist, wohin
ihn Christus und der Heilige Geist letztendlich geführt haben. Das war
ein langer Weg zum Ziel, physisch und geistig, der in der Wüste von
Peräa begann. Zudem hieß es bereits im Missionsbefehl des
Auferstandenen: "Gehet hin und macht alle Völker zu Jüngern (aber nicht
bloß im Glauben sondern), indem Ihr sie lehrt, (auch) alles zu halten,
was ich euch aufgetragen habe." (Mt 28,19.20.). Dazu aber bedarf es vor
allem einer wirklichen Macht- und Herrschafts-ausübung (exercitatio
effectiva), die über eine bloße Hirtensorge (cura) priesterlicher Natur
weit hinausgeht und in einer obersten Hirten- und Regierungsgewalt zum
Ausdruck kommt. Diese Macht und Gewalt hat manche Ähnlichkeit mit einer
'sakralen königlichen Herrschaft', die heutzutage kaum noch verstanden
wird - im Gegensatz zu einem weltlichen Königtum, auch wenn dieses sich
hochmütig für ein 'von Gottes Gnaden' hält. (Hier sollte man sich auch
einmal erinnern an die Antworten Christi auf die unvernünftigen und
überheblichen Rangstreitigkeiten der Apostel, als diese noch wenig
'erleuchtet' waren.)
Als Apostel konnte der "römische Petrus" seinem Nachfolger (successor)
im Primat nicht alle ihm gegebenen Vorzüge und Vollmachten vererben, da
jener nur Römischer Bischof oder Bischof zu Rom war. Auch diesem
Bischof fehlten vor allem zwei Wesensmerkmale:
1.) die Unmittelbarkeit der Sendung durch Jesus-Christus selbst und die
damit verbundene Macht, Wundertaten selbständig zu vollbringen, auch
zum Zeugnis seiner göttlichen Sendung, und
2.) die Inspiration durch den Heiligen Geist zum Zwecke der
persönlichen Infallibilität (Unfehlbarkeit und Untäuschbarkeit) im
Lehren und bei Lehrentscheidungen (Dogmen) in Glaubens- und
Sitten-Sachen zum Wohle der ganzen Kirche und aller ihrer (getauften)
Glieder.
Schon der Apostel Paulus hatte bei den hektischen Korinthern Grund
genug für jene Klage: "Sind etwa alle Apostel? Alle Propheten? Alle
Lehrer? - Haben etwa alle Wunderkräfte, alle die Gabe zu heilen? Reden
alle in Zungen? Sind alle Ausleger?". So verhält es sich in Wahrheit
überhaupt nicht. Denn "Gott hat die einzelnen in der Kirche bestimmt:
erstlich zu Aposteln, zweitens zu Propheten, drittens zu Lehrern (...)"
(1 Kor 12,29.30.28). Es ist kein Zufall, daß sich der erste
autoritative Brief des Papstes Klemens I. (88-97) an die Korinther
richtete wegen übelster Zustände in der Leitung ihrer 'Großgemeinde'.
(Die griechische Hafenstadt Korinth war immer schon berüchtigt.)
Die einzelnen Bischöfe, die in der apostolischen Kirche an die Stelle
der Apostel traten, besaßen und besitzen keine persönliche
Infallibilität in Glaubens- und Sitten-sachen, obwohl sie die Träger
der "lehrenden Kirche" oder des "kirchlichen Lehramtes" sind und nur
der Episkopat berechtigt ist, den spezifisch christlichen Glauben
autoritativ (verbindlich) zu lehren, zu erklären und auszulegen - nicht
jedoch die Priester; denn diese predigen oder verkündigen ihn nur;
darum kann auch kein Priester Richter in Glaubensfragen sein! Wenn ein
Priester einen Bischof berechtigterweise als Häretiker oder Apostaten
bezeichnet, dann tut er dies nicht als Richter, sondern als
verantwortungsbewußter Christ, um andere aufzuklären oder zu warnen.
Nur der Träger des Primates mit seiner Ausweitung zum geistlichen
Prinzipat kann der Inhaber des Apostolischen Stuhles in der
apostolischen Ecclesia Romana sein, der uralten "mater et magistra
omnium ecclesiarum" (Mutter und Lehrmeisterin aller 'Teil'-kirchen),
die sich wie Teile in einem Ganzen verhalten, in dessen Mitte der
auferstandene Christus lebt und auf unsichtbare Weise unser Heil wirkt.
Der Apostolische Stuhl mit seiner 'Cathedra S. Petri' ist wohl der
geheimnisvollste Thron (Herrschersitz) in der Welt, da er göttlichen
Ursprungs und durch den "römischen Petrus" vermittelt ist. Dieser
'Stuhl' sollte nicht verwechselt, aber auch nicht identifiziert werden
mit dem "römischen Stuhl" in der katholischen Kirche, der nur ein
politischer Begriff ist wie z.B. Vatikan oder Kirchenstaat. Man sollte
auch die Schreibweise nicht ständig ändern, weil so etwas nur
Verwirrungen stiftet. Unterscheidungen sind notwendig und beileibe
keine Spitzfindigkeiten. Das liturgische Fest "Petri Stuhlfeier zu Rom"
(18. Jan.) bezog und bezieht sich auf den Apostolischen Stuhl, nicht
auf den 'römischen'. Aber das weiß man ja heute ja auch nicht mehr.
Anmerkungen:
1) Dies geschah auch durch übelste Verleumdungen von
seiten der Juden, die eine starke Gruppe bildeten und sogar Privilegien
genossen... Die Feuersbrunst hatte zwei Ursachen,
1. eine zufällige
wegen der leichten Entzündbarkeit der verschachtelten Häuser aus Holz
und der engen, verwinkelten Straßen (das waren häßliche Distrikte und
Armenviertel); und
2. durch Brandlegung auf Veranlassung des 'göttlichen Nero' in seiner
Abwesenheit und deren Ausbreitung man falsch kalkuliert hatte. Denn
Nero wollte nur die häßlichen und schmutzigen Viertel beseitigen und
dort in seinem Größenwahn eine 'neue Stadt' errichten mit Tempeln und
Vergnügungsstätten etc. Das war bekannt. Jetzt aber brauchte er einen
'Sündenbock', auf den er die Schuld abwälzen konnte. Die Hetzjagd auf
Christen begann, deren Anderssein ja schon lange beargwöhnt wurde,
nicht bloß vom Pöbel.
2) Es bewahrheitete sich die Prophetie Christi, des
Auferstandenen: "Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: als du Jünger warst,
gürtetest du dich selbst und gingest, wohin du wolltest; bist du aber
alt geworden, wirst du deine Hände ausstrecken (an einem Kreuz der
Römer) und ein anderer wird dich gürten und dich hinführen, wohin du
nicht willst." (Joh 21,18)
3) Diese Gewalt (potestas) ist eine hierarchische, da sie nur den
Gliedern einer Hierarchie zukommt, die eine Ordnungs-Einheit (unitas
ordinaria) ist. Diese Gewalt darf man nicht verwechseln mit der
"potestas iudiciaria", der bloß richterlichen Gewalt von Richtern einer
Gerichtsbarkeit in der Kirche.
4) Es ist mehr als abwegig, die "Jurisdiktionshierarchie" für ein
'Kirchenregiment' zu halten oder als ein solches zu bezeichnen. Denn in
dieser Hierarchie (= 'heiligen (sakralen) Herrschaft und Regierung')
sind der apostolische Primat und der römische Episkopat nicht
kirchlichen, sondern göttlichen Rechts.
Das Hierarchische als solches ist eine Ordnungs-Form und meint eine
gegliederte Über- und Unterordnung von Personen in einem lebendigen
Wesens-Ganzen - der reine Gegensatz zu einer Gleichgeordnetheit. Es ist
'heilig' im Sinne von etwas Unantastbarem in der menschlichen
Gesellschaft. Nur die Perversion der 'Massengesellschaft' zerstört es,
indem sie alle ihre Glieder 'gleichmacht' oder 'gleichwalzt'. Alles
'Demokratische' ist von Grund auf anti-hierarchisch. Ohne die
hierarchische Ordnung aber zerfällt die notwendige und heilsame
Autorität, die in ihrem Wesen eine gesellschaftliche
Machtvollkommenheit (potestas socialis perfecta) ist. Die höchste
Autorität jedoch ist gleichbedeutend mit dem Primat in der Ecclesia
universalis (der einen und allgemeinen Kirche) - im Gegensatz zu einer
'ecclesia particularis', einer Teilkirche oder Diözese. Davon
hinwiederum unterscheidet sich die 'Ecclesia universa', die
'Gesamtkirche', deren Gegensatz die 'Einzelkirche', die 'ecclesia
singularis' ist. Es ist notwendig, dies alles zu unterscheiden, weil
man sonst die Kirche zu einem vorstaatlichen und internationalen
"Gesellschaftsbrei" macht.
Es ist auch notwendig, klar zu unterscheiden zwischen - einerseits -
der hierarchischen Kirche selbst, die eine Gründung Jesu-Christi und
somit eine geordnete "societas perfecta sui generis suique iuris" ist,
und - anderseits - der Hierarchie in der Kirche, die ein "sacer
principatus" ist. Außerdem gibt es ( und was man nicht geflissentlich
'übersehen' darf) eine Partizipation der (gebildeten) Laien am
hierarischen Apostolat der Kirche. Dieses war im Lauf der Zeit durch
hochmütige Hierarchen (wie bei den alten Juden) unterdrückt und fast
vernichtet worden. Erst Pius XII. (1939-1958) war bestrebt, diesem
Zustand ein Ende zu machen. Darum der Haß nicht weniger Kleriker, der
sog. 'Klerikalisten', die sich sogar als Traditionalisten ausgaben, auf
diesen als Aristokrat beschimpften Papst. Für die gebildete Laienschaft
waren die Klerikalisten im Priesterrock geradezu ein Greuel.
(Fortsetzung folgt)
* *** *
Zitat:
Der langgewohnte Verzicht darauf, den Glauben zur Einsicht zu bringen,
ist eine der tiefsten Wurzeln der sogenannten Krise, in der wir stehen.
Unsere ganze Anstrengung muß daher unter Beachtung der Zeichen darauf
ausgehen, das Wissen darüber zu befördern, wann man nur meint und
wünscht, wann man hofft, wann man glaubt und wann man in Wahrheit weiß.
(+) Dr. Hans Gliwitzky (in: EINSICHT, 1. Jahrgang, Nr. 12, S. 37) |