Auf den Höhen des Geistes
Gespräche eines russischen Mönches über das Jesus-Gebet
S. N. Bolsakov
übers. von P. Bonifaz Tittel OSB, Wien 1976
1. Fortsetzung:
2. Vater Evfimij, Dionisiat
Ende Oktober 1951 war ich einige Wochen im griechischen Kloster
Dionisiat. Dort lernte ich einen Griechen aus Sikon kennen, der zuerst
in Rußland im Kaukasus lebte, dann zur Zeit des Bürgerkrieges auf den
Athos ging. Er hieß Vater Evfimij, war über 60 Jahre und zeichnete sich
durch Weisheit aus. Er war der Bibliothekar des Klosters. Mit ihm
konnte ich einige bedeutsame Gespräche führen. Einmal saßen wir auf dem
kleinen Balkon seines Kellions, direkt über dem Meer. Am Ende eines
ruhigen, warmen Herbsttages ging gerade die Sonne im Westen unter.
Himmel und Meer erglänzten unter den letzten
Strahlen.
"Vater Evfimij", fragte ich, "in Konevica sprach ich mit Vater Dorofej
über das reine Gebet, im Kloster Neu-Walaam mit Vater Michail über die
letzten Grenzen des Gebetes. Was sagen sie dazu?"
"Wenn auch die öffentlichen kirchlichen Gebete oder das Privatoffizium
im Kellion nach Büchern und Noten überaus nützlich sind, so sind sie
nichtsdestoweniger doch zeitlich begrenzt" antwortete Vater Evfimij.
"Nicht immer haben wir Bücher und Noten, wir können ja auch nicht die
ganze Zeit in der Kirche oder im Kellion sitzen - wir müssen unsere
Pflichten erfüllen, um zu leben. Ich weiß nicht, welches Gebet außer
dem Jesus-Gebet immer gebetet werden kann. Für dieses Gebet brauchen
wir nicht in der Kirche oder im Kellion sein, benötigen wir keine
Bücher. Das Jesus-Gebet kann immer gebetet werden - zu Hause, auf der
Straße, auf der Reise, im Gefängnis, im Krankenhaus. Allerdings muß man
es erlernen."
"Wie?"
"Es ist an sich ganz gleich wie. Am Anfang wiederhole es für Dich,
laut, sooft Du kannst, zu Hause, auf dem Weg, wenn keine Leute in der
Nähe sind. Wiederhole es aber mit Aufmerksamkeit, langsam, wie ein
Bettler in flehentlichem Ton: Herr Jesus Christus, Sohn Gottes, habe
mit mir Sünder Erbarmen! Wiederhole es öfter, wenn es nur möglich ist.
Dann wiederhole es in deinem Geist, aber immer langsam und mit
Aufmerksamkeit. Schließlich kannst Du es mit deinem Atem und mit deinem
Herzschlag vereinen. Daran wage Dich aber nicht selbst heran, sondern
laß Dich von einem anderen, der selbst so betet, unterweisen, sonst
gerätst du in Träumerei und anderes mehr. Das kann sich nun über Jahre
hinziehen, du kannst es aber auch schon bald erlernt haben. Und dann
kommt in deinem Geist dieses Gebet von selbst, wie ein Bach: ob Du nun
gehst, arbeitest oder schläfst. Ich schlafe, aber mein Herz wacht.
Später braucht man keine Worte oder Gedanken mehr, Dein ganzes Leben
wird zum Gebet. Das ist es, was Vater Dorofej Dir über Joann von der
Moldau erzählt hat."
"Gibt es eigentlich sonst noch Leute wie Starez Joann?" - "Ja, es gibt
sie. Nicht weit von hier, auf dem Athos, in Karul gibt es Einsiedler,
von denen einige sehr hoch erhoben wurden."
"Wie kann man erkennen, Vater Evfimij, ob einer tief in das Jesus-Gebet gedrungen ist?"
"Wenn Du bei jemand im Gebet unterrichtet werden willst, dann suche Dir
einen ruhigen und bescheidenen Starzen aus, der niemand verurteilt,
vielleicht auch als Einzelgänger angesehen wird, der nicht
streitsüchtig ist, nicht schreit, mit niemand herum kommandiert. Es
gibt freilich auch Starzen, die sich herausnehmen andere zu führen,
obwohl sie sich selbst nicht beherrschen können. Sie haben, so könnte
man vielleicht sagen, nur die äußere, technische Seite des Gebetes
gelernt, seinen Geist aber nicht empfangen. Sag selbst, wie kann einer
andere verurteilen, der selbst andauernd bittet: Erbarme dich meiner,
denn ich bin ein Sünder."
"Vater, was ist die höchste geistige Stufe?" - "Bei den Leuten als Narr
zu gelten.Denn die Weisheit dieser Welt ist Narrentum vor dem Herrn und
umgekehrt. Auf diesen mühsamen Kampf kann man sich aber nur unter der
Führung eines Starzen einlassen." - "Was kommt
dann?"
"Nun, das Leben als Pilger, wie es der Autor der "Aufrichtigen
Erzählungen" eines Pilgers" war. Für die Welt gilt auch das fast als
Unsinn. Dann kommen das Einsiedlertum und das einfache Mönch-tum. Aber
denk daran, nicht das Äußere ist wichtig, sondern das Innere. Es gibt
auch heuchlerische "Narren in Christus", arbeitsscheue Pilger,
aufgeblasene Eremiten, Einsiedler, die alle verachten und nichtsnutzige
Mönche. Gerettet kann man überall werden, nicht nur im Kloster, auch in
der Welt. Es ist nur leichter in den Klöstern oder in der Einsamkeit,
es gibt weniger Ablenkung. Wenn Du aber im Kloster nicht betest, wie es
sein soll, dann wirst Du langsam einschlafen und vor Dichhindösen und
Du wirst nicht nur ganz verlieren, was Du einmal beses sen hast,
sondern auch in einen noch schlech teren Zustand geraten und sogar ganz
von Gott abfallen. Auch das kommt vor."
"Es wird bald zur Vesper schlagen, Vater Evfimij". - "Bald", sagte er,
"da schlägt es schon. Es ist Zeit in die Kirche zu gehen".
Wir verließen den Balkon und begaben uns über Gänge und Treppen in die
Kapelle, die in das Licht der untergehenden Sonne getaucht war. Der
Gottesdienst begann, langsam, mit Andacht, wie auf dem Athos
üblich.
"Du mildes Licht der heiligen Dreifaltigkeit des Unsterblichen, des
himmlischen Vaters, des Heiligen, Seligen: Du, Jesus Christus. Zum
Untergang gekommen ist die Sonne, sie zeigt uns ihr abendliches
Leuchten. Den Vater, den Sohn und den Heiligen Geist besingen wir als
Gott ...."
Abends trat ich noch einmal auf den Bal kon meines Kellions und
betrachtete den mit unzähligen Sternen bedeckten Himmel. Leise trat
Vater Evfimij zu mir.
"Du betrachtest den Himmel? Schau nur, wie großartig und schön die
Schöpfung ist. Es wird einmal die Zeit kommen, da wirst Du nicht nur
grübeln, sondern selbst begreifen, wie man die Höhen des Gebetes
erreicht. Dann wirst Du es nicht nur durch den Verstand begreifen,
sondern durch die Erleuchtung. Über all ihren Sorgen bemerken die
Menschen in der Welt nichts von alledem, sondern wie die Schweine,
entschuldige, schauen sie auf die Erde und suchen ihr Fressen. Das
wahre Glück und die Schönheit eröffnen sich dem, der in Gott lebt. Ja,
groß und wohltätig ist die Macht des Gebetes. Im Vergleich mit ihr ist
alles andere - Staub, Nichtigkeit der Nichtigkeiten und nichts als
Nichtigkeit."
(Das Buch kann bestellt werden im Verlag von Frau Dr. Herta Ranner, A-1070 Wien, Zeismannsbrunngasse 1)
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