William Shakespeare
- Fürsprecher des katholischen Englands -
von
Hildegard Hammerschmidt-Hummel
(Die TAGESPOST vom 19.4.01)
Der am 23. April 1564 in Stratford-upon-Avon geborene englische
Dramatiker William Shakespeare wurde - wie aus Hunderten von Zeugnissen
bekannt - schon von seinen Zeitgenossen in höchstem Maße verehrt und
mit literarischen Autoritäten der römischen Antike, mit Plautus und
Seneca, auf eine Stufe gestellt. Auch Königin Elisabeth I. und ihr
Nachfolger Jakob I. waren von dem Dichtergenie tief beeindruckt.
Im katholischen Untergrund
Shakespeare starb in seinem vornehmen Anwesen New Place in Stratford.
Dorthin hatte er sich be-reits 1613 nach seiner höchst erfolgreichen
Londoner Karriere endgültig zurückgezogen. In der dortigen Kirche wurde
er beigesetzt. Seine Familie ließ ihm ein repräsentatives Grabmonument
errichten - mit einer lebensgetreuen, nach der Darmstädter
Shakespeare-Totenmaske geformten Büste und zwei Inschriften: einer
lateinischen und einer englischen. Erstere, die seine überragenden
literarischen und philosophischen Leistungen, aber auch seine
herausragende Persönlichkeit würdigt, ist heute wenig bekannt: "Den,
der an Urteilskraft ein Nestor, an Begabung ein Sokrates, an Kunst ein
Vergil, / Bedeckt die Erde, betrauert die Menge, beheimatet der Olymp"
(Übersetzung von Dieter Wuttke). Dieser Grabdenkmaltypus war damals
Gelehrten und Dichtern vorbehalten.
Neben der bekannten offiziellen Existenz hat der Barde aus Stratford
auch ein verborgenes Leben geführt, wie das nun im Verlag Herder
erschienene Buch "Die verborgene Existenz des William Shakespeare"
zeigt. Shakespeare - so die wissenschaftlich belegten Thesen der neuen
Studie - war nicht nur Katholik, was seit langem vermutet, bisher aber
nicht bewiesen werden konnte, sondern er war auch Mitglied einer
katholischen Geheimorganisation zum Schutz der im damaligen England
blutig verfolgten Priester der katholischen Kirche. Er leistete ferner
einen entscheidenden Beitrag zum Überleben des unterdrückten und
gesetzlich verbotenen englischen Katholizismus.
Schon am Anfang ihrer Regierungszeit setzte Elisabeth I. die
Uniformitäts- und Suprematsakte wie-der in Kraft und führte England zum
Protestantismus zurück. Nach ihrer Exkommunikation (1570) und
insbesondere nach Beginn der Remissionierung Englands (1580) unter
Führung der Jesuiten-patres Edmund Campion und Robert Parsons wurden
die englischen Katholiken durch rigide anti-katholische Strafgesetze
entrechtet, sozial ausgegrenzt und wirtschaftlich ruiniert. Sie
bevölkerten in großer Zahl unter menschenunwürdigen Verhältnissen die
Gefängnisse, wurden gefoltert und oft hingerichtet oder lebten in
unsäglichem Elend. Für ihre Söhne waren die katholischen Englischen
Kollegien auf dem Kontinent oft die einzige Rettung.
England wurde damals von einem Netz von Spitzeln und Informanten
überzogen, die die Missionspriester und ihre Beschützer jagten, sie
aufspürten und denunzierten und als Belohnung ein Drittel des
beschlagnahmten Besitzes erhielten.
Campion wurde 1581 von einem Regierungsspitzel verraten, gefasst,
schwer gefoltert und auf be-sonders grausame Weise hingerichtet.
Parsons konnte unter dem Schutz des spanischen Botschafters auf den
Kontinent fliehen, wo er als Anführer der englischen Exilkatholiken
(später auch mit militärischer Gewalt) die Rekatholisierung Englands
plante und durchzusetzen versuchte. In einer Zeit, in der der englische
Katholizismus um sein Überleben zu kämpfen hatte, wurde William
Shakespeare, der Sohn streng katholischer Eltern, in ein katholisches
Umfeld hineingeboren. Mütterlicherseits war er mit dem alteingesessenen
katholischen Landadel von Warwickshire (und auch mit Familien der
Pulververschwörer) verwandt. Sein Vater hatte seinen katholischen
Glauben in einem von den Jesuiten verteilten Borromeischen Testament
schriftlich bekannt.
Als William mit sieben Jahren (1571) in die örtliche Lateinschule kam,
trat der heimliche Katholik Simon Hunt das Amt des Schulmeisters an.
Hatte John Shakespeare, der 1568 zum Bürgermeister und Friedensrichter
gewählte Vater des Dichters, dabei seine Hände im Spiel? 1575 ging Hunt
nach Douai, wurde Priester und Jesuit und 1580 englischer Beichtvater
am Stuhl von St. Peter in Rom, und zwar als Nachfolger von Robert
Parsons. Williams Schulkamerad Robert Debdale begleitete seinen Lehrer,
wurde gleichfalls Priester und starb 1585 in England den
Märtyrertod.
Wenn die Shakespeares für ihren ältesten Sohn eine katholische
College-Ausbildung gewünscht hät-ten, wovon man nun ausgehen muss, wäre
1578, als William das College-Alter erreicht hatte, nur das von William
Allen 1568 gegründete Collegium Anglicum in Douai in Frage gekommen,
das seinen Sitz von 1578 bis 1593 in Reims hatte. Denn zu diesem
Zeitpunkt war es das einzige katholische englische Kolleg. Ein
geisteswissenschaftliches Grundstudium in Douai oder Reims entsprach im
übrigen der Typik der Lebensläufe junger englischer Katholiken, die den
in Oxford und Cambridge geforderten Suprematseid mieden.
An Allens Kolleg wurde nach jesuitischem Konzept ausgebildet. Dabei
standen Rhetorik und Theater im Zentrum. Das Jesuitentheater
vernachlässigte bekanntlich die aristotelischen Einheiten und
bevorzugte Mischformen wie die Tragikomödie, so dass der junge
Shakespeare in Reims alles das hätte lernen können, was ihn später zum
Bühnenautor befähigte. Auf den Studienort Reims spielt der Dichter in
"Der Widerspenstigen Zähmung" sogar namentlich an. Sein Vater nahm 1578
eine große Summe Geld auf - vermutlich zur Finanzierung dieses
Kollegbesuchs.
Von Reims dürfte William 1580 direkt in den katholischen Adelshaushalt
der Hoghtons in Lanca-shire vermittelt worden sein, mit denen
Kolleggründer Allen eng befreundet war. Wie aus mehreren Quellen
feststellbar, war William dort Privatlehrer. lm Testament Alexander
Hoghtons von 1581 wird er unter dem (schon von seinem Großvater
benutzten) Namen ,Shakeshafte' besonders hervorgehoben. Diese letzte
Willensbekundung enthält bisher nicht erkannte, mit Bezug auf die
Biographie Shakespeares besonders wichtige Verschlüsselungen. Nicht nur
um seine Schauspieler - players - war der Testierende so überaus
besorgt, sondern um die von ihm versteckten Priester - priests -, aber
auch um die Mitglieder seiner bisher gleichfalls übersehenen
Geheimorganisation, die die Priester schützte. Letztere wurden - wie
der Erblasser verfügte - auf Lebenszeit bezahlt.
Die Herkunft und Verteilung der Gelder wurde durch testamentarisch
eingesetzte Treuhänder überwacht. Der junge Shakespeare gehörte dem
obersten Rang dieser Organisation an. Er war also im katholischen
Untergrund - wie viele andere vornehme junge Katholiken - ein
Beschützer der (Missions-)Priester. Nach dem Strafgesetz von 1585 war
dies Hochverrat.
Der Fluchthelfer in London
Ende 1580 muss der Dichter in Hoghton Tower Edmund Campion begegnet
sein. Auf ein Verhör des Missionspriesters im Londoner Tower im
September 1581 spielt er in "Was Ihr Wollt" an. Eine literarisch höchst
anspruchsvolle Elegie aus dem Jahre 1582 auf den Märtyrertod Campions:
(1581) dürfte von seiner Hand stammen (vgl. "Die verborgene Existenz
des Willian Shakespeare", S. 32f.). 1582 kehrte der junge Shakespeare
bekanntlich nach Stratford zurück, wo er eine Familie gründete. Es gibt
eine Reihe von Gründen, warum er 1585 seine Familie und seine
Heimatstadt verlassen hat. Einer der Gründe war wohl, dass ihm als
Mitglied einer katholischen Geheimorganisation zum Schutz der
Missionspriester nach dem katholischen Arden-Somerville-Komplott, in
das ein bedeutender Verwandter seiner Mutter (Edward Arden von
Parkhall) verwickelt war, gleichsam der Boden unter den Füßen zu heiß
wurde. Erst 1592 ist Shakespeare wieder nachweisbar, und zwar als
Londoner Theaterautor, der Furore machte.
Über das Intervall von sieben Jahren, die man die ,lost years' nannte,
war bisher nichts bekannt. Doch deuten alle in dem vorliegenden Buch
zusammengetragenen Indizien darauf hin, dass der 21 jährige Shakespeare
sich 1585 nach Reims und nach Rom begab, wo er Glaubensgenossen und
Freunde hatte, und wo sich in diesem Jahr die englischen Exilkatholiken
unter ihren Anführern Robert Parsons und William Allen sowie Katholiken
aus England zur Beratung neuer Strategien einfanden.
Die Bestätigung für diese These liefern bisher nicht identifizierte
Pseudonyme im Pilgerbuch des Englischen Kollegs in Rom, deren
gemeinsames Erkennungsmerkmal der Name der damals prak-tisch
unbekannten Stadt Stratford ist. Sie fallen exakt in die Zeit der ,lost
years': 1585, 1587 und 1589. Unter 1589 heißt es: "Gulielmus Clerkue
Stratfordienses", was im Klartext "William, Sekretär aus Stratford"
bedeutet. Kein anderer als William Shakespeare dürfte dieses und die
übrigen Pseudonyme verwendet haben. Er verließ Stratford Anfang Februar
1585 und traf am 16. April 1585 in Rom ein, also nach der damals
üblichen Reisedauer von etwa sechs bis acht Wochen. Bevor der
Dramatiker 1613 - nach seiner aktiven Schaffensphase als gefeierter
Bühnenautor der englischen Metropole endgültig nach Stratford
zurückging, kaufte er das östliche Torhaus der ehemaligen Klosteranlage
Blackfriars in London. Dieses Haus mit seinen geheimen Kammern und
Passagen hatte bereits seit Jahrzehnten als Anlaufstelle und
Unterschlupf für die blutig verfolgten Priester der katholischen Kirche
gedient. Dort erhielten sie Fluchthilfe und konnten über Themse und
Kanal auf den Kontinent entkommen. Drei Treuhänder stellten sicher,
dass der mit dem Erwerb des Hauses verbundene Zweck auch nach
Shakespeares-Tod erfüllt wurde. Die Kaufurkunde enthält ein bisher
übersehenes, geradezu perfektes Arrangement des katholischen
Untergrunds: Der Dichter stellte die Unterkunft und der Besitzer der
Mermaid Tavern die Verpflegung, ein Schiffsmagnat besorgte den
Transport und der Business Manager der Shakespeareschen Truppe die
Organisation. Das nahe Blackfriars Theatre konnte nötigenfalls Kostüme,
Perücken und falsche Bärte stellen.
Nach diesen juristischen Vorkehrungen, die als Shakespeares Beitrag zum
Überleben des blutig unterdrückten englischen Katholizismus verstanden
werden müssen, reiste der Dichter im Oktober 1613 noch einmal nach Rom,
wo er diesmals das Pseudonym "Ricardus Stratfordus" verwendete. Richard
war der Name seines Großvaters väterlicherseits. Richard hieß aber auch
der letzte seiner Brüder, der im Februar 1613 in Stratford beigesetzt
worden war.
Ein schweres Unglück im nördlichen Torhaus von Blackfriars (1623)
brachte ans Licht, dass dieses Haus ein heimliches katholisches
Seelsorgezentrum mit geheimer Kirche beherbergte. Unter dem im dritten
Obergeschoss in großer Zahl versammelten Gläubigen brach die Decke ein,
durchschlug die darunter liegenden Decken und prallte im Geschoß
unmittelbar über dem Torgewölbe auf, wo der französische Botschafter
residierte, der zum Zeitpunkt des Unglücks abwesend war. 99 Menschen
kamen ums Leben. Sie wurden mit wenigen Ausnahmen in einem Massengrab
bestattet, da der anglikanische Bischof von London ihre Beisetzung in
Kirchen und auf Kirchhöfen verweigerte.
Sonette über den Glauben
Die Katastrophe von Blackfriars zeigt, dass auch das nördliche ebenso
wie das östliche Torhaus der Anlage im Dienst des englischen
Kryptokatholizismus stand.
Die Ergebnisse des Buches "Die verborgene Existenz des William
Shakespeare" lassen das Werk des großen englischen Dramatikers in einem
ganz neuen Licht erscheinen. Viele der bisher dunkel gebliebenen
Textstellen erhalten mit einem Male Sinn - etwa die Aussage "my outcast
state" in Sonett 29. Denn nun ist klar, dass Shakespeare als Anhänger
und Verteidiger des alten Glaubens sich den gesetzlich und
gesellschaftlich Ausgestoßenen zugehörig fühlte. Auch Sonett 66, das
einen ganzen Katalog von Anklagen enthält, muss nun mit Blick auf die
verzweifelte Lage der damaligen katholischen Bevölkerung Englands
gelesen werden.
Hamlets berühmte Frage, "Ob's edler im Gemüt" sei, "die Pfeile und
Schleudern eines wütenden Geschicks" zu erdulden, oder "Sich waffnend
gegen eine See von Plagen/ Durch Widerstand sie enden" (Übers. August
Wilhelm Schlegel), gewinnt schlagartig eine ganz neue zeit-, sozial-
und religionskritische Dimension.
Dass Shakespeare mit den "armen Elenden" im König Lear, speziell mit
der Figur des Edgar, den im Elend lebenden englischen Katholiken und
ihren blutig verfolgten Missionspriestern ein Denkmal zu setzen
gedachte, hat schon der bedeutende englische Shakespeare-Forscher Peter
Milward in Shakespeare's Religious Background (1973) hervorgehoben.
Hinweis:
Frau Professor Hildegard Hammerschmidt-Hummel ist Autorin des kürzlich
erschienenen Buchs "Die verborgene Existenz des William Shakespeare.
Dichter und Rebell im katholischen Untergrund" Mit 15 Abbildungen,
Verlag Herder, Freiburg im Breisgau 2001.
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