Und sie sind es doch...
von
Eberhard Heller
Und sie sind es doch... nämlich mitverantwortlich für eine neue
antijüdische Stimmung in Deutsch-land. Gemeint sind Michel Friedman,
der stellvertretende Vorsitzende des Zentralrates der Juden in
Deutschland, und Israels Ministerpräsident Ariel Scharon, denen der
FDP-Politiker Möllemann eben diese Mitverantwortung anlastete.
Um was geht es? Um die angebliche Antisemitismus-Debatte, die in den
letzten Wochen die Wellen in den deutschen Redaktionsstuben hat höher
schlagen lassen. Aus einem Fall Karsli wurde - wie bekannt - der Fall
Möllemann. Warum aber der Sprung in die politische Arena? Weil dieses
Problem, das sich dort mit soviel Heuchelei und Perfidie austobt, auch
ein religiös-geistiges ist, welches ich auch deshalb darstellen möchte,
um vor religiösen Verzerrungen im Verhältnis zum Judentum zu warnen,
welches aus christlicher Sicht keiner besser dargestellt hat als Leon
Bloy, dessen Buch "Le Salut par les Juifs" ("Das Heil durch die Juden"
- 1892) das eindringlichste Zeugnis zugunsten der heilsgeschichtlichen
Bedeutung des "erstgeborenen Volkes" ist - nach dem 11. Kapitel des
Briefes des hl. Paulus an die Römer.
Hier zunächst die bekannten dürren Fakten: Herr Karsli, ein in Syrien
geborener deutscher Politiker, bis vor kurzem Abgeordnter der Grünen im
NRW-Landtag, hatte seine Partei verlassen aus Enttäuschung über den
politischen Verrat des grünen Außenminsters Fischer an seiner ehemals
pro-palästinensischen Haltung und dem israelischen Ministerpräsidenten
Ariel Scharon in seinem Vorgehen gegen die Palästinenser "Nazimethoden"
vorgeworfen. Mit Unterstützung des FDP-Landesvorsitzenden Jürgen
Möllemann wollte Karsli zur FDP überwechseln, zumal ihm die
pro-arabische Haltung Herrn Möllemanns bekannt war. Darauf wurden beide
- Karsli und Möllemann - von Herrn Friedman beschimpft, Antisemiten zu
sein, was Herr Möllemann dadurch quittierte, er - Friedman - und
Scharon seien mitverantwortlich für eine neue antijüdische Stimmung,
wofür er sich später entschuldigte, aber Friedman davon ausnahm. Eine
solche ungeheure 'Unterstellung' brachte dann die "political
correctness" in den deutschen Blätterwäldern zum Kochen - und vorne mit
heulte Herr Prantel, Chefideologe der "Süddeutschen Zeitung", der neben
der Antisemitismus-Keule auch noch die Karte des "besonderen
Verhältnisses Deutschlands zu Israel" zog, was in concreto bedeutete:
jegliche Kritik an Israel und ihrem Präsidenten mit der von Martin
Walser zu Recht so genannten "Moralkeule" zu tabuisieren (SZ vom
17.5.02). Dagegen hatte sich der israelische Publizist und
Friedensaktivist Uri Avnery (geb. 1923 in Beckum/Westfalen,
dessen Familie 1933 nach Palästina ausgewandert war) gewandt und
betont: "Man darf Israel nicht nur kritisieren, meiner Ansicht nach muß
man es sogar tun." (JUNGE FREIHEIT vom 31.5.02) 1) Selbst den
philo-semitischen Vertretern der 'Konzils-Kirche' und dem
EKD-Vorsitzenden gingen die Vorwürfe des Antsemitismus zu weit.
Zu diesen Fakten füge ich noch hinzu: Karsli hat sich für den Vorwurf,
Scharon bediene sich "Nazimethoden" in einem Interview, welches er der
JUNGEN FREIHEIT am 3.5.02 gab und welches wir in Auszügen anbei
widergeben, zunächst entschuldigt, neuerlich aber diesen Vorwurf
wiederholt 2) und angekündigt, er werde den Präsidenten des
Zentralrates der Juden, Paul Spiegel, und dessen Stellvertreter, Michel
Friedman, verklagen, weil diese ihm Antsemitismus vorgeworfen hätten
(SZ vom 22./23.6.02). 3) Der Zentralrat der Juden in Deutschland
wünschte den Rücktritt Möllemanns (AZ vom 12.6.02), dem von dem
Ministerpräsidenten des Saarlandes, Herrn Peter Müller,
Regierungsunfähigkeit bescheinigt wurde 4).
Selten klafften in Deutschland in letzter Zeit öffentliche Meinung -
nicht nur am Biertisch vertreten, sondern auch in den "Salons", wie der
Musterknabe der "political correctness", der niedersächsische
Ministerpräsident Gabriel, einräumen mußte - und veröffentlichter
Meinung so deutlich auseinander wie im Falle Möllemann, der eigentlich
ein Fall Friedmann ist. 5) Insgeheim geben selbst offizielle Vertreter
von CDU und SPD Herrn Möllemann Recht.
Und worin besteht nun das religiös-geistige Problem dieser
Auseinandersetzung, von dem ich anfangs gesprochen habe? Worin besteht
die eigentliche Perfidie, bei der mit der Antisemitismus-Keule die
Kritiker der israelischen Politik mundtot gemacht werden sollen? Ich
antworte: dadurch, daß Definitionen, die für die Erfassung religiöser,
religionsgeschichtlicher und religionssoziologischer Sachverhalte und
Vorgänge festgelegt wurden, unzulässigerweise auf den politischen
Bereich übertragen und auf ihn angewandt werden. Prof. Moshe
Zimmermann, Lehrer für Geschichte an der Hebräischen Universität von
Jerusalem beantwortet die Frage "Was ist Antisemitismus?" so: "Ein
Begriff, der im Jahre 1879 von einem Deutschen erfunden wurde, um den
nicht mehr salonfähigen Begriff 'Judenfeindschaft' oder 'Judenfresser'
zu ersetzen. Antisemit ist einer, der aufgrund eines Vorurteils 'die'
Juden - als vermeintliche Rasse, Nation, Religionsgemeinschaft oder
soziale Gruppe - pauschal negativ bewertet und daraus im relevanten
Fall auch soziale oder politische Konsequenzen zieht." (SZ vom 24.5.02)
Nimmt man den "vermeintlichen" Bezug auf die Rasse weg, bezieht sich
der Terminus "Antisemitismus" nach diesem jüdischen Gelehrten auf die
Ablehnung der Juden als Religionsgemeinschaft bzw. auf die Mitglieder
dieser Religionsgemeinschaft. Dabei geht es nicht darum, daß man z.B.
als Christ eo ipso in Opposition zur jüdischen Religion steht, wie man
als solcher auch Gegner des Islam ist (und umgekehrt), wobei es
christliche Pflicht bleibt, die Angehörigen anderer Religionen zu
tolerieren (um ihnen so letztendlich auch den christlichen Glauben zu
verkünden). 6) Es geht darum, daß mit dem Terminus "Antisemitismus" die
pauschale Ablehnung, möglicherweise sogar die Verfolgung der Juden -
als Angehörige der jüdischen Religion - gemeint ist.
Von einer solchen Ablehung kann in der betreffenden Auseinandersetzung
nun überhaupt nicht die Rede sein! Weder greifen Karsli noch Möllemann
die Angehörigen der jüdischen Religon an noch die Religion selbst,
sondern sie attakieren einen Politiker und seine Politik. Die Perfidie
Friedmans besteht darin, daß er die Kritik an der Politik Israels
gleichsetzt mit Antisemitismus, daß er religionsbezogene Kategorien
mißbraucht, um politische verwerfliche Ereignisse zu werten, daß er die
Moralkeule "Antisemitismus" schwingt, um Kritiker dieser Politik zu
kriminalisieren... eine Politik, die auch in den Augen des israelischen
Verteidigungsministers Ben-Elieser "Haß" sät. Er räumt ein, daß Israel
mitverantwortlich ist für Selbstmordanschläge. Die militärischen
Vorstöße in palästinensisches Autonomiegebiet fachten "Frustationen,
Hass und Verzweiflung" an und schafften ein "Treibhaus", in dem immer
mehr potenzielle Selbstmordattentäter gezüchtet würden. (SZ vom
22./23.6.02)
Mit diesem Hinweis wird auch mein im Titel anklingender Vorwurf "Und
sie [gemeint: Friedman und Scharon] sind es doch... nämlich
mitverantwortlich für eine neue antijüdische Stimmung" bestätigt. Wie
werden diese Ressentiments erzeugt? Indem man bewußt unsachliche,
falsche Argu-mentationslinien wählt, um den Gegner zu diffamieren und
stigmatisieren bzw. berechtigte Kritik zu tabuisieren. Im Falle von
Friedman ist es die Antisemitismus-Keule, im Falle von Scharon ist es
dessen rechtsbrechende Politik der Besetzung fremden Gebietes, um
angeblich 'Frieden' zu schaffen. Selbst der bereits zitierte Prof.
Moshe Zimmermann sieht das ähnlich. Auf die Frage, ob die Juden nicht
selbst Antisemitismus schüren, antwortet er: "Nein. Aber auch Juden
können dazu beitragen, dass latente Antisemiten sich 'outen'." (SZ vom
24.5.02)
Die Gefahr, die in solchen Fällen, in denen die Meinungsmacher ein
Thema mit einem Tabu zu belegen versuchen, besteht darin, daß die Sache
selbst in irrationale Kanäle absinkt und irgendwann mit großer Vehemenz
wieder auftaucht und dann in "Springerstiefeln" seinen "Lauf" nimmt,
wobei selbst das letzte Pflänzchen von rationaler Auseinandersetzung
niedergetrampelt wird. Wenn man Herrn Friedmann, einen brillanten
Agitator und Rhetoriker, den Peter Sichrovsky, selbst Jude, für den
"Showman des Antisemitismus" hält (JUNGE FREIHEIT vom 24.5.02) und der
um sein medienwirksames Auftreten weiß, beobachtet, kann man den
Eindruck gewinnen, daß er diesen Aspekt billigend in Kauf nimmt. In
diesem Sinne hat Herr Möllemann Recht, wenn er Friedman als
mitverantwortlich für Stimmungen macht, die von anti-israelischen über
anti-zionistische in anti-semitische überschlagen können - die Grenzen
der Emotionen sind fließend. (Inzwischen will sich Friedman aus der
Verantwortung ziehen, indem er den auf seine Person gerichteten Vorwurf
generalisiernd auf alle Juden ausdehnt: "Ich war nicht das Thema, ich
war nur das Medium. Die Beschreibung, die Möllemann von mir gegeben
hat, war austauschbar; er hat sich den Juden, den er karikieren wollte,
selbst erschaffen." (SZ vom 7.6.02) Eben nicht!
Ähnlich sieht dieses Problem auch die Tochter des ehemaligen
Vorsitzenden des Zentralrates der Juden Galinski (+ 1992), Evelyn
Hecht-Galinski: "Dieser Zentralrat [unter dem Vorsitzenden Spiegel] hat
es von Anfang an verstanden, medienwirksam auszuteilen. Liegt das nun
an Paul Spiegels Künstleragentur oder am Talkmaster und selbst
ernannten Journalisten Michel Friedman? Friedman hat sich durch sein
Zentralratsamt und seine Position Talkshows 'erkämpft', die er als
Anwalt ohne dieses Amt sicherlich nicht bekommen hätte. Außerdem sitzt
er ja noch im ZDF-Verwaltungsrat und in der DU, all diese Posten sind
nicht miteinander vereinbar. So hat mein Vater, der 1992 gestorbene
Zentralratsvorsitzende, Heinz Galinski, es genau aus diesen Gründen
immer abgelent, Parteimitglied zu werden. Auch für Ignatz Bubis wäre es
heute sicher schwierig geworden in der FDP. Durch die Machtfülle, wie
sie nach meiner Meinung nur in Deutschland möglich ist, gelingt es dem
Zentralrat nun, jegliche Kritik an der israelischen Politik als
Rassismus oder Antisemitismus abzuschmettern. Das betrifft natürlich
auch jüdische Kritik, genau wie der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde
zu Berlin, Alexander Brenner, kritische Stimmen auf jüdischer Seite
("Nestbeschmutzer") wie den Ossietzky-Preisträger und
Gusch-Emunim-Gründer Uri Avnery, Daniel Barenboim, Felicia Langer,
Moshe Zimmermann dann sicherlich auch dazurechnen darf. Solange sich
der Zentralrat als diplo-matische Vertretung Israels aufführt, ist wohl
jegliche Objektivität zu vermissen. So ist dann wohl auch zu verstehen,
daß Friedman Scharon als 'Hofberichterstatter' interviewen darf. Ob er
den wohl auch so anfassen wird, wie seine sonstigen Opfer? Auch für die
deutschen Politiker und Medien wäre es an der Zeit, anstatt ständig der
derzeitigen israelischen Regierung und dem Zentralrat Soli-darität zu
bekunden, sich etwas objektiver mit der desolaten Lage der
Palästinenser zu beschäftigen. Außerdem ist es gefährlich und
unerträglich, wie Friedman die Antisemitismus-Angst bei den Juden
schürt. Auch das ist kalkulierte Selbstdarstellung." (SZ vom 21.6.02)
Die Herren Friedman und Spiegel, den "süddeutschen" Chefideologen
Prantel, die Herren Müller und Gabriel und all die anderen Herrn der
"political correctness", die sich in letzter Zeit als 'Freunde Israels'
geoutet haben, frage ich: Sind all die siebzigtausend Juden, die
lautstark gegen die Politik Scharons demonstrieten, Antisemiten? Ist es
dessen Verteidigungsminister? Wollen Sie auch den als Antisemiten
brandmarken? Welche absurden Abgründe müssen sich noch auftun?
In Italien gibt es diese besonderen 'Geschichtlichkeiten', wie sie auch
dort durch den Faschismus Musolinis im II. Weltkrieg entstanden sind,
nicht. Die "Geschichte" wurde sachlich aufgearbeitet, während diese
Auseinandersetzung mit ihr in Deutschland tabuisiert wurde. Die
Deuschen müssen sich von dieser Knebelung durch die "Moralkeule"
befreien, um wirkliche Verantwortung in der Weltpolitik frei zu
übernehmen bzw. übernehmen zu können. Das Aufbäumen Möllemanns gegen
den schier übermächtigen Druck der Medien - mit ihren Politclaqueuren
in allen Parteien und politischen Ebenen - war ein erster Anfang.
Nachtrag:
Inzwischen gibt es neben den Herren Möllemann und Karsli noch einen
weiteren 'Antisemiten' auf der politischen Bühne, der es ebenfalls
wagte, Ariel Scharons Vorgehen gegen die Palästinenser zu kritisieren:
den ehemaligen Minister Norbert Blüm. 7) Aus tiefsten Herzen kann man
sagen: "Gott sei Dank"!
Anmerkungen:
1) Dazu schreibt Avnery weiter: "Israel ist ein Staat
wie jeder andere, und wir sind ein Volk wie jedes andere. Wir wollen
keine Sonderrolle." (JUNGE FREIHEIT vom 31.5.02)
2) Für den Vorwurf, Scharon bediene sich "Nazimethoden" hat der
jüdische Friedensaktivist Avnery sogar noch Verständnis: "Der
palästinensische Intellektuelle Edward Said hat einmal gesagt, ein
Araber könne sich nicht mit Israel auseinandersetzen, wenn er den
Holocaust nicht versteht. Araber haben allerdings ein verständliches
Problem damit, denn der Holocaust wird in der israelischen Propaganda
gegen die Plästinenser verwendet, Das führt natürlich leicht zu
arabischen Gegenreaktionen, den Holocaust zu verharmlosen oder zu
leugnen. (...) Ein Indiz wäre, daß die Formel, 'Israel benutze
Nazi-Methoden' sehr häufig in arabischen Ländern zu hören ist, und Herr
Karsli schließlich syrischer Abstammung ist." (JUNGE FREIHEIT vom
31.5.02) - Selbst der israelische Verteidigungsminister Ben-Elieser
räumt ein, daß die Militäraktionen "Haß" entfachen (SZ vom 22./23.6.02).
3) Im gleichen Bericht wirft Karsli den beiden Vertretern des
Zentralrates der Juden in Deutschland "Verleumdung und Ehrverletzung"
vor. Er sei "Opfer einer ungeheuerlichen Verleumdungskampagne", wobei
eine "zionistische Lobby" einen großen Einfluß auf die Medien ausübe.
4) In einem Interview der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG vom 15./16.6.02 sagte
er: "Einen Minister Möllemann kann ich mir aber kaum vorstellen. (...)
Weil er Michel Friedman von der Entschuldigung für seine Aussage
ausnahm, Menschen wie Friedman und der israelische Ministerpräsident
Ariel Scharon seien mit Schuld am Antisemitismus. (...) Wer so etwas
macht, disqualifiziert sich für verantwortungsvolle politische
Positionen."
5) Bei den Verdächtigungen, in der FDP würden sich Antisemitismus breit
machen, vergißt man, daß der verstorbene Vorsitzende des Zentralrates,
Ignaz Bubis, selbst Mitglied dieser Partei war.
6) Am klarsten hat diesen Sachverhalt einmal der verstorbene H.H. Dr.
Otto Katzer formuliert. Auf den Vorwurf eines kommunistischen
Peinigers, er - Katzer - sei ein Feind der Kommunisten, hat er
geantwortet: "Ich bin nicht Ihr Feind, wohl aber Ihr Gegner! Feind sind
Sie sich selbst", weil Sie die lebendige Wahrheit verfolgen.
7) Dem "Berliner Tagesspiegel" sagte Blüm, er sei ein Freund Israels.
"Und jene Israelis, die in Israel gegen Premier Ariel Scharons Politik
auf die Straße gehen, sind genau so wenig Antisemiten wie ich". (SZ vom
22./23.6.02) |