DIE SUCHE NACH DEM ABSOLUTEN
von
Léon Bloy
Das ist der Titel eines sehr schönen und sehr beängstigenden Romans von
Balzac. Er hat indessen lange nicht alles gesagt, denn dieser große
Schriftsteller scheint selbst nicht recht verstanden zu haben, was das
ist, das Absolute. Die spanischen Matrosen, die Christoph Columbus
begleiteten, meu-terten mehrere Male, sie gingen sogar soweit, ihm den
Tod anzudrohen, wenn er nicht den Befehl zur Rückkehr gäbe, lange bevor
sie in der Gegend von San Salvador angekommen waren. Damit Amerika
entdeckt würde, war nicht weniger nötig als das wunderbare
Gottvertrauen, mit dem dieser unvergleichliche Mann zu den Ungläubigen
sagte: "Schenkt mir noch drei Tage Vertrauen, und ich schenke euch eine
Welt."
Aber Amerika war nicht das Absolute. Es war ein äußerst schwierig zu
erreichender Landungsplatz, aber immerhin ein Landungsplatz, wo man
sich niederlassen und von wo man schließlich zurückkehren konnte. Das
Absolute hingegen ist ohne Rückkehr. Man kommt von dort nicht mehr
zurück, denn es ist eine Reise ohne Ende. Das ist das Geheimnis: das
Absolute ist nicht nur ein Abgrund auf die Ewigkeit zu, sondern es ist
zu gleicher Zeit der einzige Ausgangspunkt, der Anfang der Strecke. Man
geht aus von Gott, um zu Gott zu kommen, und das ist die einzige
Ortsveränderung, die für mich einen Sinn hat und einen Nutzen. Alles
andere, das heißt jede Reise, mit der man glaubt, irgend wohin zu
gelangen, ist, genau genommen, dumm, und je schneller man geht, um so
törichter ist es... Aber noch einmal, das Absolute ist eine Reise
ohne Rückkehr, und darum haben jene, die sie unternehmen, so wenig
Gefährten. Man denke einmal darüber nach! Immer dasselbe wollen, immer
in derselben Richtung gehen, Tag und Nacht wandern ohne ein einziges
Mal nach rechts oder nach links, und sei es auch nur für einen
Augenblick, abzubiegen, das ganze Leben, alle Gedanken, alle Gefühle,
alle Handlungen bis zur leisesten Regung nur als die ununterbrochene
Befolgung eines Urbeschlusses des allmächtigen Willens zu
begreifen.
Man stelle sich einen Menschen voller Tatkraft vor, etwa einen
Forscher, der gerade aufbricht. Die Kraft seiner Rede hat ein paar
Schwärmer hingerissen, und sie haben sich entschlossen, ihm zu fol-gen.
Zu Beginn ist die Reise ein Triumphzug. Blumenregen, Beifallsrufe, eine
rasende Menge. In den Städten und Dörfern wird geflaggt und
illuminiert, festlich bewirtet man die Verwegenen. Die gesamte
Landbevölkerung ist bei ihrer Durchreise im Freudenrausch. Doch der
Jubel wird bald schwächer. Man kommt in neue Länder, die nichts wissen
und denen die ganze Sache gleichgültig ist. Manchmal erregen die
Reisenden sogar Mißtrauen. Das leidenschaftliche Verlangen nach dem Ja
oder Nein des Evangeliums, das jede andere Form des Gespräches
ausschließt, ist sicher keine Empfehlung. Unmerklich werden
Leckerbissen und guter Wein durch Abfälle ersetzt, und an die Stelle
der Blumen tritt der Inhalt der Nachttöpfe.
Die Begeisterung der Gefährten ist schon ganz und gar erloschen. Manche
haben sich unter verschiedenen Vorwänden entfernt und sind nicht
zurückgekommen. Die wenigen Getreuen suchen ihrerseits ein einigermaßen
ehrenhaftes Mittel zur Flucht. Daß man hier leiden müßte, hatte man
nicht vorausgesehen.
Dennoch fügt man sich noch aus Scham oder aus Stolz. Solange es noch
menschliche Behausungen gibt und gute oder schlechte Menschen, wird man
mit ein wenig Energie die Reise noch ertragen können. Aber nun hören
die einen wie die andern allmählich auf. Man kommt ins Unbehauste, in
die Einsamkeit. Kälte, Finsternis, Hunger, Durst, unermeßliche
Müdigkeit, die entsetzliche Traurigkeit, die Todesnot, der Blutschweiß
. . .
Der Verwegene sucht seine Gefährten. Er begreift jetzt: es ist Gott
wohlgefällig, daß er allein sei in seinen Qualen, und so geht er in die
dunkle Unermeßlichkeit, vor sich trägt er sein Herz wie eine Fackel!
(aus "L'Invendable", zitiert nach: "Leon Bloy - Der beständig Zeuge Gottes" hrsg. von Raissa Maritain, Salzburg 1955, S. 61 ff.) |