AN DIE PRIESTER
von
Papst Pius XII.
ZU JENER HOHEN AUFFASSUNG vom Priestertum, die Uns der Völkerapostel
vor Augen stellt, erheben Wir Unseren Blick, Unser Streben und preisen
inmitten des christlichen Volkes Unsere Würde als Mittler und Gesandter
Christi. Wer steht in der heiligen Hierarchie dem Volke näher als der
Pfarrer, dessen Sendung drei Worte umschreiben. Apostel, Vater, Hirt!
Amt und Pflichten des Pfarrers
In jedem Pfarrer lebt ein Apostel; vor allem aber muß der Priester in
der Großstadt in sich die Flam-me apostolischen und missionarischen
Geistes sowie den echten Eroberungseifer des heiligen Paulus fühlen. In
den gegenwärtigen Zeiten mit ihren politischen und religiösen
Umwälzungen, mit ihren vielfältigen philosophischen und
wissenschaftlichen Abirrungen in Unterricht und religiöser Erziehung
werdet ihr bald begreifen, daß sich die früheren geistigen Verhältnisse
der Gesellschaft derart geändert haben, daß man selbst von diesem
Unserem Rom nicht mehr als von einem rein katholischen Gebiet sprechen
kann; denn neben der großen Zahl derer, die im Glauben fest geblieben
sind, fehlen auch nicht solche, die der Kirche gegenüber gleichgültig
geworden sind oder sich ihr entfremdet haben. Diese bilden ein
Missionsgebiet, das für Christus zurückerobert werden muß.
Der gute Hirte
Der Pfarrer ist Hirt und Vater, nämlich Seelenhirt und geistlicher
Vater. Wir müssen uns immer gegenwärtig halten, geliebte Söhne daß das
ganz dem Reich Gottes zugewendete Wirken der Kirche nicht von dieser
Welt ist. Wenn es nicht unfruchtbar werden, sondern sich belebend,
gesund und wirkungsvoll erweisen soll, dann muß es als vornehmstes Ziel
anstreben, daß die Menschen in der Gnade Gottes leben und sterben. Die
Gläubigen im christlichen Denken unterweisen, den Menschen in der
Nachfolge Christi erneuern, den freilich immer schmalen Weg zum
Himmelreich ebnen und seinen Pfarrbezirk wahrhaft christlich machen,
das ist die eigentlichste Aufgabe des Pfarrers als Lehrer, Vater und
Hirt seiner ihm anvertrauten Pfarrei.
Lasset euch nicht in der Erfüllung dieser Pflichten durch die
Verwaltungsarbeiten ablenken und hemmen. Vielleicht haben nicht wenige
von euch täglich einen harten Kampf zu führen, um nicht von
Verwaltungsaufgaben erdrückt zu werden und die unerläßliche Zeit für
die wahre Seelsorge zu finden. Wenn Organisation und Verwaltung auch
ohne Zweifel wertvolle Mittel des Apostolates sind, so müssen sie doch
dem geistlichen Dienst und dem wahren und eigentlichen tätigen
Hirtenamt angepaßt und untergeordnet werden.
Durch göttlichen Ratschluß gilt auch vom Priester wie von jedem Bischof
das Wort: "Ex hominibus assumptus, pro hominibus constituitur in iis
quae sunt ad Deum, ut offerat dona et sacrificia pro peccatis" - "Aus
den Menschen genommen, für die Menschen bestellt in ihren
Angelegenheiten bei Gott, auf daß er Gaben und Opfer für ihre Sünden
darbringe" (Hebr. 5, I). Daher offenbart, entfaltet, ja erhebt und
steigert sich sein Weihecharakter, vermittelnd zwischen Gott und den
Menschen, umgeben und umhüllt vom höchsten Licht seines Geheimnisses im
heiligen Meßopfer und der Spen-dung der Sakramente. Am Altar, in der
Taufkapelle, im Beichtstuhl, an der Kommunionbank, bei der Trauung, am
Krankenbett, unter den Kindern, in den Familien und in der Schule, in
den Krankenhäusern, auf der Kanzel und in der Versammlung ist der
Priester der Diener und wirksamstes Werkzeug der Macht, der Liebe, des
Verzeihens, die Gott der gefallenen Menschheit gewährt hat
... Tragt daher Sorge, daß eure Würde immer vor eurem Volke
erstrahle, und daß die Gläubigen mit lebendigem Glauben Wert und
Bedeutung des heiligen Opfers und der Sakramente, die von euch
verwaltet werden, erkennen und verstehen, und in lebendiger
persönlicher Teilnahme den heiligen Handlungen und der
unvergleichlichen Schönheit der heiligen Liturgie zu folgen vermögen.
Spendung der Sakramente
Nach dem heiligen Opfer ist wichtigstes und beglückendes Amt die
Spendung des Sakraments der Buße, das die rettende Planke nach dem
Schiffbruch genannt wird. Seid bereit und großherzig, den Seefahrern
auf dem stürmischen Meer des Lebens diese Planke zu reichen. Widmet
euch dieser Aufgabe mit besonderem Eifer und voll Hingabe. Sitzet in
diesem göttlichen Gericht von Anklage, Reue und Verzeihung als Richter,
die in ihrer Brust das Herz eines Vaters und Freundes, eines Arztes und
Lehrers tragen. Und wenn es das wesentliche Ziel dieses Sakramentes
ist, den Menschen mit Gott zu versöhnen, so vergeßt nicht, daß, um
dieses hohe Ziel zu erreichen, jene geistliche Leitung erforderlich
ist, durch welche die Seelen, die hier das Wort des Priesters leichter
als sonst aufnehmen, ihre Schwierigkeiten, ihre Verwirrungen und
Zweifel ihm vertrauensvoll in die Hände legen und seine Ratschläge und
Ermahnungen erwarten. Das christliche Volk hat drängendes Bedürfnis
nach Beichtvätern, die durch theologische und aszetische Ausbildung und
Tugend, durch Reife und Überlegung imstande sind, erleuchtete und
sichere Richtlinien für das Leben, auf einfache und klare Weise, mit
Takt und Wohlwollen, zu
geben.
Die Predigt
Was Wir bis jetzt gesagt haben, betrifft im besonderen den Dienst der
Frömmigkeit und Wachsamkeit des Pfarrers. Daneben aber ist es eine
strenge Pflicht, das Wort Gottes zu verkünden, eine wesentliche Pflicht
des Apostels, dem das "verbum reconciliationis" (das Wort der
Versöhnung) nicht weniger anvertraut ist als das "ministerium
reconciliationis" (der Dienst der Versöhnung) "Vae enim mihi, si non
evangelizavero" - "Wehe mir, wenn ich das Evangelium nicht
verkündigte!" (1. Kor., 9,16). Denn "fides ex auditu, auditus autem per
verbum Christi... Quomodo credent ei, quem non audierunt? Quomodo autem
audient sine praedicante?" - "Der Glaube kommt aus dem Hören, das Hören
aber durch das Wort Christi ... Wie sollen sie dem glauben, den sie
nicht gehört haben? Wie aber sollen sie hören ohne einen, der predigt?"
(Röm. 10, 14—17). Wie der Verstand Leuchte des Willens ist, so ist
Wahrheit die des guten Handelns. Das Wort ist der Träger der Wahrheit,
aber leider auch des Irrtums, die beide an die Türe des Verstandes und
des Willens klopfen. Ihr begreift, warum die Ermahnungen des Apostels
Glauben und Hören, das Hören und den Prediger miteinander verbinden und
warum es, um die Blindheit der Welt zu heilen in der Erkenntnis Gottes,
der aus der leuchtenden Weisheit des Universums spricht: "placuit Deo
per stultitiam praedicationis salvos facere credentes" ("es Gott
gefiel, durch die Torheit der Predigt die Gläubigen zu retten") (1.
Kor. 121). Eine erhabene Torheit ist dieses, die weiser ist als die
Menschen, und die "Schande von Golgatha" ist der Ruhm Christi. Diese
Wahrheiten passen gleich den Ermahnungen des Apostels gut in unsere
Zeit, in der die Unwissenheit in religiösen Dingen tief und gefahrvoll
ist ... Mit den Großen und Reifen seid nach dem Vorbild des Apostels
Paulus Väter und Lehrer der Vollkommenheit, mit den Kleinen und der
Jugend macht euch klein nach Art der Mütter. Glaubt nicht, daß ihr euch
mit den Kleinen und Unwissenden
erniedrigt.
Die Katechese
Der Predigt gleich an Wert ist die Katechese, die Unterweisung der
Kinder wie die der Erwachsenen. Bei dieser Aufgabe kann der Pfarrklerus
sicher auf die Unterstützung und Mitwirkung katholischer Laien rechnen.
Und all denen, die an diesem heiligen Werke mitarbeiten, senden Wir
froh mit väterlichem Gefühl Unseren tiefen Dank und den Apostolischen
Segen. Vergeßt nicht, daß die Vorschriften des Kirchenrechts diese
wichtige Aufgabe als erste und natürliche Sorge ansehen, an die jener
Hand anlegen muß, der als Seelsorger bestellt ist. Der Eifer des
Priesters und seine Geschicklichkeit werden den Mitarbeitern aus dem
Laienstand Ansporn und Vorbild sein; und die Katechismusstunde wird dem
Pfarrer günstige Gelegenheit geben, sich mit der Jugend der Pfarrei
zusam-menzufinden. Laßt euch die Gelegenheit nicht entgehen, die
Kinder, wenn ihr es möglich machen könnt, persönlich auf die erste
Beichte und Kommunion vorzubereiten. Es ist die erste stille Begegnung
von euch und Christus, dem göttlichen Kinderfreund, mit den
unschuldigen Seelen, die sich euch und dem Altare nähern und sich wie
Frühlingsblumen dem ersten Sonnenstrahl öffnen. Sie werden die
Erinnerung daran im wechselvollen Ablauf ihres Lebens unvergessen
bewahren. Endlich wollen Wir einen charakteristischen Zug in der
Gestalt des guten Hirten nicht übergehen: Er war nicht nur das wahre
Licht, das bei seinem Kommen in die Welt jeden Menschen erleuchtet, er,
die Wahrheit, der Weg und das Leben. Er strahlte auch in reichem Maße
die Heilkraft für die Leiber aus und für jegliches menschliches Elend,
"bene faciendo et sanando omnes" ("allen Gutes tuend und alle
heilend"). So hinterließ er seinen Aposteln und seiner Kirche die
barmherzige Liebe zu den Armen, den Leidenden, den Verlassenen als
Auftrag, weil das Leben hienieden ein Auf und Nieder von Gut und Böse,
von Wehklagen und Freude, von Nöten und Hilfeleistungen, von Fall und
Wiederaufstehen, von Kämpfen und Siegen ist. Aber die Liebe zu den
Brüdern, die alle von Christus erlöst worden sind, ist der
geheimnisvolle Balsam für jeden Schmerz und alles Elend. 1)
Priester und Politik
Die Ausübung des Wahlrechts ist ein Akt hoher sittlicher Verantwortung,
vor allem wenn es sich darum handelt, jene Kandidaten zu wählen, die
berufen sein sollen, dem Lande eine Verfassung und Gesetze zu geben,
insbesondere jene, die die Heiligung der Feste, die Ehe, die Familie,
die Schule oder die Regelung der vielfachen sozialen Verhältnisse zum
Gegenstand haben. Daher obliegt es der Kirche, den Gläubigen die
sittlichen Pflichten zu erklären, die sich aus dem Wahlrecht
ergeben.
Der katholische Priester kann nicht einfach mit einem Staatsbeamten
gleichgestellt werden, der mit der öffentlichen Gewalt, einer zivilen
oder militärischen Funktion betraut ist. Diese sind Angestellte oder
Vertreter des Staates, sie hängen von ihm ab, vorbehaltlich des
göttlichen Gesetzes, und vertreten seine rechtmäßigen Interessen. Der
Staat kann daher Verfügungen über ihr Verhalten erlassen, auch in
Fragen der Politik. Der Priester dagegen ist Diener der Kirche und hat
eine Sendung, die sich, wie Wir schon andeuteten, auf den ganzen
Umkreis der religiösen und sittlichen Pflichten der Gläubigen erstreckt
und in deren Erfüllung er daher selbst verpfichtet sein kann,
Ratschläge oder Belehrungen zu erteilen, die auch das öffentliche Leben
betreffen. Nun ist es einleuchtend, daß eventuelle Mißbräuche einer
solchen Sendung nicht einfachhin dem Urteil der Staatsgewalt überlassen
werden können; sonst würden die Seelsorger zusätzlich noch
Behinderungen oder Belästigungen ausgesetzt, die von Gruppen, die der
Kirche nicht wohlgesinnt sind, unter dem billigen Vorwand verursacht
würden, den Klerus von der Politik trennen zu wollen. Man vergesse
nicht, daß der Nationalsozialismus, dem es in Wahrheit nur darauf
ankam, die Kirche zu vernichten, gerade unter dem Vorwand, den
sogenannten "politischen Katholizismus" zu bekämpfen, das ganze
Aufgebot von Verfolgung, Schikanen und Bespitzelung gegen die Kirche in
Bewegung setzte, wogegen sich leitende Männer der Kirche, deren Mut
heute noch von der ganzen Welt bewundert wird, auch von der Kanzel aus
verteidigen und mutig zur Wehr setzen mußten. 2)
1) Aus der Ansprache an die Pfarrer und Fastenprediger, 6. Februar 1940
2) Aus einer Ansprache vom 16. März 1946
(zitiert nach: Chinigo, Michael: "Der Papst sagt - Lehren Pius' XII." Frankfurt a.M., 1955, S. 261-265) |