Leserbrief:
Welche Bedeutung hat der Kanon 1366 § 2 des CIC
für das Philosophiestudium der Theologiestudenten?
- Auszüge aus einem Briefwechsel -
Brief von N.N. an die Redaktion
N., den 11.12.2001
Sehr geehrter Dr. Heller!
Schweren Herzens teile ich Ihnen mit, was folgt: Obwohl ich Sie
persönlich sehr schätze, kann ich doch Ihrer und Ihrer Zeitschrift
grundsätzlicher Ausrichtung nicht zustimmen, wonach die
Transzendentalphilosophie Fichtes Bestandteil des
Philosophieunterrichts im Rahmen des Theologiestudiums sein soll. Dies
widerspricht meines Wissens klar den Anordnungen der Kirche, wonach
ausschließlich die thomistische Philosophie Grundlage des
Philosophieunterrichts sein soll. Aus Gewissensgründen bin ich daher
nun nicht mehr bereit, mit Personen oder Vereinen zusammenzuarbeiten,
die in bezug auf diesen von der Kirche klar geregelten Punkt eigene
Wege gehen zu müssen glauben. Das bedeutet konkret, dass ich für Sie
keine [Arbeit] mehr durchführen werde. Ich bringe es einfach nicht über
das Gewissen, in einem solchen Fall mitzuarbeiten [...]. Eine Änderung
meiner Haltung wäre nur denkbar, wenn Sie sich hinsichtlich
Fichte-Philosophie klar und öffentlich (d.h. über Ihre Zeitschrift) von
Ihrer bisherigen Position wieder distanzieren würden. [...]
Behüt' Sie Gott!
Ihr N.N.
* * *
Brief der Redaktion an N.N.
Ergerthausen, den 19.2.2002
Sehr geehrter Herr N.N.,
wie wir Ihren Brief vom 11.12.01 aufgefaßt haben, habe ich Ihnen
bereits angezeigt. Natürlich bleibt es jedem frei überlassen, an einem
Institut wie der EINSICHT als Organ der Glaubensverteidigung
mitzuarbeiten oder nicht. Wogegen ich mich aber verwahre, sind haltlose
Verdächtigungen, mit denen der Ausstieg unter Berufung auf das Gewissen
kaschiert bzw. die Zusammenarbeit aufgekündigt wird. Bei näherem
Hinsehen erweist sich nämlich, daß Sie sich in Ihrem Brief als
selbstgerechtes 'Fallbeil' bzw. als Inquisition übelster Art
präsentieren. [...]
1. Die Abhandlung über die
Bedeutung des can. 1366 § 2 des CIC für das Philosophiestudium, die ich
in unserem Organ öffentlich vorgetragen habe, habe ich Ihnen zukommen
lassen. Ich hoffe, Sie haben sie inzwischen gelesen. Auf alle bisher
veröffentlichten Beiträge, in denen ich auch die Wissenschaftsposition
der Transzendentalphilosophie vorgetragen habe, ist bisher noch keine
einzige zutreffende Erwiderung seitens eines Thomisten erfolgt.
2. Diese Debatte um die
Transzendentalphilosophie, die von einer Reihe von Autoren vertreten
wird, wurde uns vor Jahren von außen aufgedrängt... von Leuten wie Sie,
die von der Materie selbst nichts verstehen, die aber die Keule mit der
Fichtschen angeblichen 'Freimaurer-Philosophie' nur geschwungen haben,
um die Zeitschrift und ihre Redaktion bei den einfachen Gläubigen in
Mißkredit zu bringen.
3. Es ist richtig, daß ich
meine metatheoretischen Überlegungen für theologische Darlegungen auf
dem Hintergrund einer strengen philosophischen Systematik, wie sie in
der Transzendentalphilosophie ausgebildet wurde, abstelle. Dies ist
allgemein bekannt. Ohne diese grundsätzliche Ausrichtung, auf der
unsere Position aufgebaut ist, wären wir alle nicht zu den klaren
Positionen in der Frage der Gültigkeit des sog. 'N.O.M.' und der
übrigen neuen Sakramentsriten und der Frage der Legitimität Pauls VI.
und der anderen post-konziliaren 'Päpste' gekommen - Positionen, die im
Laufe der Jahre sukzessiv weltweit Anerkennung erhalten haben und an
denen auch Sie inzwischen partizipieren. Sie brauchen nur einmal die
Positionsbestimmungen anderer sog. konservativer Gruppierungen
anzuschauen - Econe, Priesterbruderschaft St. Petrus, "Sodalitium" mit
seinem "Papa materialter, non formaliter" etc. - Thesen und Theoreme,
die in thomistischen Köpfen entstanden sind -, um zu sehen, in welchen
Widersprüchen sich diese Leute alle befinden. Bei der EINSICHT arbeiten
seit langem Theologen mit, mit denen ich philosophisch nicht
übereinstimme, was von beiden Seiten nicht als belastend empfunden
wird, da es in erster Linie um die Erarbeitung theologischer Konzepte
(und deren Umsetzung) für die Bewältigung der momentanen Krise geht. Abgesehen
davon bin ich weder persönlich noch als Redakteur von der Order dieses
can. 1366 § 2 des CIC betroffen, da er ausschließlich den Unterricht an
den theologischen Seminarien betrifft. Darüber hinaus sehe ich
es als meine Pflicht an, gerade heute, wo wegen des Verlustes des
Glaubensfundamentes der Religionsphilosophie bzw. der
Fundamentaltheologie eine wesentliche größere Bedeutung einzuräumen
ist, jungen Leuten, die sich um die Erkenntnis der Wahrheit im Glauben
bemühen, auch auf die Relevanz von gesichertem philosophischem Wissen,
wie es die Transzendental-Philosophie vorstellt, hinzuweisen. In diesem
Sinne haben wir Diskussionen mit dem leider verstorbenen H.H. Dr.
Katzer, den + Bischöfen Carmona, Zamora und Guerard des Lauriers, aber
inzwischen auch mit Bischof Dávila geführt, um sie mit den
Grundgedanken dieser philo-sophischen Position bekannt zu machen.
4. Ich weiß nicht, auf welche
öffentliche Äußerung meinerseits Sie sich beziehen, "wonach die
Transzendentalphilosophie Fichtes Bestandteil des
Philosophieunterrichts im Rahmen des Theologiestudiums sein soll".
Normalerweise fixiere ich mich nicht auf Personen, wenn es um die
Philsophie geht, sondern um den systematischen Ansatz. In der Tat würde
ich es allerdings für sinnvoll und wichtig erachten, wenn sich die
Theologiestudenten neben dem gebotenen Thomismus-Studium gerade heute
auch mit anderen philosophischen Systemen oder Systemansätzen
auseinandersetzen würden - ganz im Sinne von Pius XII. (!) -, besonders
mit den neueren Philosophen - dazu zähle ich Descartes, Kant, Reinhold,
Fichte -, um diese zunächst kennenzulernen, sie zu verstehen, um dann
auch den heutigen Anforderungen in wissenschaftstheoretischer Hinsicht
entsprechen zu können. Ohne gediegene Kenntnisse der
Transzendentalphilosophie wird es niemandem gelingen, die von Hegel und
Schelling inspirierten modernen bzw. modernistischen Positionen in der
heutigen Theologie zu widerlegen. Es gilt, die Wahrheit darzustellen.
5. Es trifft nun gar nicht zu,
daß in den Seminarien ausschließlich Thomismus unterrichtet werden
darf. Der Wortlaut des can. 1366 § 2 des CIC besagt, daß die
Professoren die Unterrichtung der Alumnen in den Fächern Theologie und
Philosophie "omnino" (im allgemeinen, überhaupt) "nach der Methode, der
Lehre und den Prinzipien des Thomas von Aquin" "pertracent" (betreiben
sollen bzw. müssen). Sie wissen, daß dieses "pertracent"
interpretationsnbedürftig ist: soll es gelten als Rechtsrat (sollen)
oder als Rechtsvorschrift (müssen). Wie Sie aus diesen Angaben eine
Exklusivität des Thomismus als Lehrfach ableiten wollen, bleibt mir
unverständlich, zumal Pius XII. selbst anregt, sich auch mit anderen
Autoren zu beschäftigen, und Leo XIII., der in "Aeterni Patris" zwar
eine Lanze für den Thomismus bricht, zugleich aber auch betont, daß
etwaige Fehlpositionen selbstverständlich zu korrigieren sind. Unter
diesen Umständen ist nicht nur legitim, sondern direkt geboten, sich
mit anderen Systemansätzen bzw. anderen Methoden zu beschäftigen. Wenn
Sie die Debatte mit [N.N.] u.a. auch über die Philosophie verfolgt
haben (EINSICHT XXVIII/2 vom Juni 1998, S. 39 f), dann wüßten Sie, daß
ich dort einen der sog. Gottesbeweise vom hl. Thomas als Zirkelschluß
entlarvt habe, der als solcher überhaupt keine Beweiskraft hat. Würde
sich z.B. herausstellen, daß auch die übrigen Gottesbeweise
Zirkelschlüsse darstellten - und ich merke an: alles deutet darauf hin
-, dann hieße das: die von der Kirche empfohlene Philosophie, die doch
gerade begriffliche Klarheit für die Theologie präsentieren soll,
verfügt bis heute über keine philosophisch begründete
Gotteserkenntnis!!! Wie ich bereits angekündigt habe, möchte ich, wenn
ich Zeit habe, die "alte" Kirche mit der "neuen" Philosophie versöhnen.
- Wie Sie Ihre Auffassung in diesem Punkt als Ihr "Wissen" ausgeben
können, wo es sich bestenfalls um ein Vorurteil handeln kann, müssen
Sie mir einmal darlegen.- Was die Unterrichtung in der Theologie
betrifft: Stellen Sie sich vor: das Studium der Theologie würde nach
Ihrer Interpretation die Beschäftigung mit den Kirchenlehrern
ausschließen: also der hl. Augustinus dürfte nicht gelesen werden, der
hl. Ambrosius nicht, der hl. Leo dr. Gr. nicht... und die Bibel auch
nicht! welcher Unsinn!...
6. Die Fixierung auf den
Thomismus hatte bei Leo XIII. wegen der allgemeinen philosophischen
Konfusion, die ein gewisser Historismus hervorgerufen hatte, durchaus
seine pädagogische Berechtigung. Daß die Seminaristen der kath. Kirche
auch nach Descartes' Philosophie unterrichtet wurden - so z.B. der hl.
Pfr. von Ars - dürfte Ihnen vielleicht nicht bekannt sein. Vielleicht
interessiert es Sie, wenn ich Ihnen sage, daß der philosophische
Unterricht bei besagtem Descartes - einem dezidierten Gegner des
Thomismus - zumindest mitbestimmend war für die Konversion der
schwedischen Königin Christine zum katholischen Glauben, was sie sogar
mit dem Verzicht auf die Krone 'bezahlen' mußte.
7. Ich weiß nicht, ob Sie in
einem entscheidenden Punkt in Ihrem Leben jemals eine Überzeugung
ausgebildet haben oder tatsächliches Wissen, welches sich in und aus
der Wahrheit bewährt, bewußt erreicht haben - was sagen Sie, wenn Sie
jemand fragt, woher Sie denn heute wissen, daß Christus Gottes Sohn ist
(eine für Ihre religiöse Existenz entscheidende Frage), dann bleiben
Sie stumm, weil Sie es nicht wissen! Wenn Sie sich in der Tat einmal
tragfähiges Wissen erarbeitet hätten, wären Sie nicht so vermessen, in
inquisitorischer Manier die Aufgabe von Überzeugungen und Wissen zu
verlangen, von dem der bisher geführte Kirchenkampf (noch) lebt! um
davon die Wiederaufnahme Ihrer Mitarbeit abhängig zu machen. Welch
inquisitorischer Geist, den Sie ohne Sachkenntnis walten las-sen,
tatsächlich in Ihnen steckt, zeigt die Bemerkung, ich müsse mich
"hinsichtlich Fichte-Philosophie klar und öffentlich (d.h. über Ihre
Zeitschrift) von Ihrer bisherigen Position wieder distanzieren". Wer
sind Sie??? Ist Ihnen die ungeheure Anmaßung, die Sie in diesen Zeilen
äußern, überhaupt bewußt???
8. Dieses aufgeführte Surrogat
aus Halbwissen, Arroganz [...] bezeichnen Sie nun als
"Gewissensgründe", an einem Institut nicht weiter mitarbeiten zu
können, welches das einzige im deutschsprachigen Raum ist, das an der Restitution
der Kirche arbeitet, und dessen Redakteur (einschließlich seiner
Familie) Ihnen alles Wohlwollen entgegengebracht hat... Wie das?
Nach Ihrem und meinem Wissen ist die Stimme des Gewissens die Stimme
der Wahrheit, die Stimme Gottes.
Welche Erklärung haben Sie dafür, dieses Surrogat als Stimme Gottes
auszugeben? Wie kann man, wenn Ihnen die aufgeführten Gründe
einleuchten sollten, den Namen Gottes so mißbrauchen. [...] Wenn Ihr
Gewissen tatsächlich gesprochen hätte, dann hätte es Ihnen gesagt, daß
Sie erst Konsequenzen ziehen dürften, wenn Sie wirkliche Klarheit in
der fraglichen Angelegenheit erlangt hätten.
[sig.:] Ihr E. Heller |