'Tapferkeit'
von
Eberhard Heller
Wie erinnerlich hatte die politische Führung Amerikas unter Präsident
George W. Bush nach den verheerenden Attentaten vom 11. September
letzten Jahres auf das World-Trade-Center sehr bald Osama bin Laden als
Drahtzieher ausgemacht, wofür die Amerikaner angeblich Beweise
vorliegen hätten, was man aber auch bezweifeln kann. Jedenfalls galt
es, bin Laden zu fangen "lebendig oder tot" (Originalton Bush), um ihn
zur Rechenschaft zu ziehen. Man ging davon aus, daß Osama bin Laden
Unterschlupf von den Taliban - nach Peter Scholl-Latur "eine Erfindung
der Amerikaner und Pakistani, die (übrigens mit Hilfe des Hamit Karsai)
in den Koranschulen Pakistans herangezüchtet wurden" ("Junge Freiheit",
19.4.02) - in Afghanistan gewährt wurde, wo er auch Ausbildungslager
unterhielt. Weil das Taliban-Regime dem Auslieferungsgesuch der
Amerikaner nicht nachkam, wurde dem Land der Krieg erklärt. Von
amerikanischer Seite wurde er vornehmlich durch Bombardements aus der
Luft geführt. Das Resultat: ca. 5000 getötete Zivilisten. Das
Kriegshandwerk auf dem Boden überließ man weitgehend afghanischen
Truppen, die die Talibanmilizen besiegten. Als nach den Luftangriffen
auf die Bergfeste Tora-Bora, wo man bin Laden vermutete, die
al-Quaida-Truppen sich zusammen mit ihrem Chef und weiteren
Taliban-Kämpfern ins Gebirge zurückzogen, setzten die Amerikaner
Elitetruppen auf dem Boden ein, um ihr erklärtes Kriegsziel zu
erreichen, nämlich bin Laden gefangenzusetzen. Dabei wurden sie
unterstützt von Briten und Afghanen. Der Versuch der amerikanischen
Soldaten, bin Laden zu fangen, beschreibt Wolfgang Koydl in der
SÜDDEUTSCHE ZEITUNG, Nr. 91 vom 19.4.02 folgendermaßen:
"Die Hinweise verdichten sich, dass die amerikanische Armee
den Al-Qaida-Chef bei Tora Bora entwischen ließ"
(...) Ihm [Osama bin Laden] sind die amerikanischen Häscher noch keinen
Schritt näher gekommen, und zu allem Überfluss verdichten sich auch
noch die Hinweise, dass ihn die US-Armee im vergangenen Dezember in den
Tora-Bora-Bergen Ost-Afghanistans hat entkommen lassen, weil sie nicht
schnell, mutig und entschlossen genug gehandelt habe.
Dies jedenfalls geht aus Aussagen festgesetzter arabischer und
afghanischer Kämpfer hervor, die den Amerikanern berichteten, dass bin
Laden eigentlich schon in einem abgelegenen Gebirgstal in der Falle
gesessen habe. (...).
Allerdings könnte [Donald Rumsfeld] einen über jeden Zweifel erhabenen
Gewährsmann befragen, dem er seit vielen Jahren in herzlicher Abneigung
verbunden ist: Ex-Außenminister Henry Kissinger. Der hatte vor geraumer
Zeit das Hauptquartier britischer Spezialtruppen in England besucht,
die gerade vom Einsatz in Tora Bora heimgekehrt waren. Wie die
konservative britische Zeitschrift SPECTATOR berichtete hatten die
Soldaten dem amerikanischen Gast Erstaunliches zu erzählen. Demnach war
es so gut wie sicher, dass bin Laden zusammen mit einer Gruppe engster
Getreuer in einem Gebirgstal eingekesselt war. Doch als die Briten
vorschlugen, das Tal abzuriegeln und nach Art einer Treibjagd mit
Bodentruppen zu durchkämmen, hätten ihre amerikanischen Waffenbrüder
aus Angst vor unvermeidlichen Verlusten kalte Füße bekommen. Auch einen
zweiten britischen Vorschlag, dann eben alleine in das Tal
vorzudringen, hätten die Kameraden aus Übersee abgelehnt: Sie neideten
den Engländern den Ruhm.
Zaudernd, zögernd und immer mehr in Zeitnot geratend, hätten die
Amerikaner schließlich die Afghanen um Hilfe gebeten. Doch die, so der
SPECTATOR weiter, ließen sich zum einen lange bitten und verlangten zum
anderen Bezahlung - in Goldmünzen. Bis die US-Armee den Goldschatz
herangeflogen habe, sei bin Laden mit Hilfe afghanischer Verbündeter
entkommen." (Zitatende).
Man muß sich vorstellen, daß es sich bei den amerikanischen Soldaten um
deren militärische Elite gehandelt hat! So ist es also um die Moral
jener Nation bestellt, die sich anmaßt, aufgrund ihrer vorgeblichen
Integrität den Weltpolizisten zu miemen und die sich anschickt, unter
ihrem derzeitigen Präsidenten Bush mit ihren Kriegsspielen in naher
Zukunft ganze Regionen in der arabischen Welt zu destabilisieren.
Es ist 'einfach'... und bedarf keiner sonderlichen Tapferkeit, aus 10000 Meter Höhe Bomben abzuwerfen. |