Zwei fromme Frauen von großer poetischer Kraft Zum 1050. Todestag der Hrotsvith von Gandersheim und dem 925. Geburtstag der Hildegard von Bingen
von Magdalena S. Gmehling
Sie stammten aus adeligem Geschlecht, verfügten über ungewöhnliche Bildung, wirkten in Zeiten, da Frauen nur sehr geringen Anteil an der Kulturarbeit hatten, waren mystisch hochbegabt und leben weiter in unvergessen Werken. Hinsichtlich beider Frauen entwickelte sich eine lebhafte Forschung. Horotsvith, die niedersächsische Adelige, wurde 935 geboren und starb 973. Sie war Kanonisse (Stiftsdame) im Kloster Gandersheim bei Braunschweig und gilt als erste deutsche und erste christliche Dichterin des Abendlandes. Seit der Antike war sie auch die Erste, die Dramen verfasste. Ihr Name bedeutet: „starker Ruf“. Hildegard, die „prophetissa teutonica“, wurde als 10. Kind der Edelfreien Hildebert und Mechthild 1098 zu Bermersheim vor der Höhe, in Rheinhessen geboren. Sie verstarb am 17. September 1179. Nach dem Brauch der Zeit vertrauten die Eltern ihre Tochter- ein sehr schwächliches Kind - bereits mit 8 Jahren der Reklusin Jutta von Sponheim an. Mit ihr lebte Hildegard in einer Frauenklause auf dem Disibodenberg nach der Benediktinerregel. Horotsvith und Hildegard verfügten über eine ausgeprägte poetische Begabung, wobei die rheinische Pythia darüber hinaus umfassende naturkundliche Studien betrieb, eine nahezu alttestamentliche Gotteszeugenschaft an den Tag legte und ein kosmisch orchestriertes Werk schuf. Über Hrotsviths Leben sind wir nur durch ihre Dichtungen unterrichtet, diese entstanden in einem Zeitraum von etwa 25 Jahren und sind in gewandtem Latein verfasst. Zwanglos in ihrem Versmaß, schrieb sie vorzugsweise für den Bedarf des Klosters. Gelesen wurde im Refektorium. Die Werke überreichte sie ihrer geliebten Lehrerin Richardis und später der fürstlichen Äbtissin Gerberga II., der Tochter des Herzogs Heinrich von Bayern und Nichte Ottos des Großen. Im Wesentlichen schuf sie: 1. Acht christliche Legenden aus der Märtyrer und Heiligengeschichte, wobei in der Theophilus Legende erstmals der faustische Teufelspakt zur Sprache kommt. 2. Sechs überlieferte Dramen in denen sie die Kenntnis antiker Dichtung und Naturwissenschaft mit christlichen Motiven vermischt. Sie schreibt leoninische Hexameter, verwendet häufig Alliterationen und oft einen nicht ganz korrekten Versbau. Ihre Orientierung an den Komödien des Terenz, den sie zwar wegen seiner Freizügigkeit ablehnte, aber dessen nuancierte Charakterdarstellungen und ausgefeilte Dialogführung sie schätzte und wohl auch nachahmte, wäre ihr beinahe zum Verhängnis geworden. Möglicherweise erregten die Verwendung der dargestellten Liebesszenen Anstoß bei der Geistlichkeit. 3. Das Lied von den Taten Ottos I. des Großen (Carmen de gestis Oddonis). Sie vollendete diesen, von Gerberga erteilten Auftrag, um 968. Vermutlich wäre Hrotsvith in Vergessenheit geraten, hätte nicht Conrad Celtis im Emmeranskloster in Regensburg eine Handschrift von ihr entdeckt. Illustriert mit Holzschnitten von Albrecht Dürer gab er sie 1501 in Nürnberg neu heraus. Er preist die Dichterin als Verkörperung der humanistischen Bildungsidee. In seine Lobeshymnen stimmten Johannes Trithemius und Willibald Pirckheimer ein. Mehr als doppelt so alt wie die Gandersheimer Dichterin wurde die Universalgelehrte Hildegard von Bingen. Heimgesucht von übermächtigen Gesichten - bereits in Ihrer Kindheit - verehrte man sie schon kurz nach ihrem Tod als Heilige. 2012 wurde sie zur Kirchenlehrerin erhoben. Hildegard gilt als eine der anziehendsten Frauengestalten des Mittelalters. Von der göttlichen Autorität fühlt sie sich in die Pflicht genommen und zu öffentlicher Wirksamkeit berufen. „Und siehe! Im dreiundvierzigsten Jahre meines Lebenslaufes schaute ich ein himmlisches Gesicht. Zitternd und mit großer Furcht spannte sich ihm mein Geist entgegen.“ (1) Ihre Visionen beschreibt sie: „Die Gesichte, die ich schaue, empfange ich nicht in traumhaften Zuständen, nicht im Schlafe oder in Geistesgestörtheit, nicht mir den Augen des Körpers oder den Ohren des äußeren Menschen und nicht an abgelegenen Orten, sondern wachend, besonnen und mit klarem Geiste ... so wie Gott es will.“ (2) Hildegards Visionen, die Bernhard von Clairvaux als echt klassifizierte, richten sich auf das Universum, auf die Heilsgeschichte, auf das Verhältnis von Natur und Gnade. Das Weltall als kreisende Himmelsbewegung enthüllt sich ihr in einem gewaltigen Stufenbau. Es funkelt in mystischer Grünheit und hat die Gestalt eines Eies, dessen Dotter die Erde ist. Die Stimme vom Himmel befiehlt ihr: „Schreibe, was Du siehst und hörst.“ Jede äußere Erscheinung wird der Seherin zum Sinnbild. Ihr erstes Buch Scivias (Wisse die Wege) diktierte sie im Zeitraum zwischen 1141-1151 dem Propst Volmar. Es handelt sich um eine, mit 35 wunderbaren Miniaturen ausgestattete, prophetische Weisung der Wege Gottes zu den Menschen und der Menschen zu Gott. In zwei allegorischen Frauengestalten (der Synagoge und der Ecclesia) schaut sie die einzelnen Phasen des Geschichtsverlaufes. Ihre apokalyptische Deutung hinsichtlich des kosmischen Endkampfes ist von aktueller Bedeutung. Die rheinische Seherin sagt die Kirchenspaltung, die Säkularisierung christlicher Völker und den Zerfall Roms voraus. In den Naturschriften „Physica“ (Liber simplicis medicinae) und „Causae et Curae“ (Liber compositae medicine) beschreibt Hildegard heilvolle wie unheilvolle Kräfte der Tiere, Pflanzen, Elemente, Metalle und Steine um sich dann dem menschlichen Leib, seinen Organen und Funktionen zuzuwenden. Sie entwickelt eine Ethik, Symbolik und Physiologie, welche frei von Prüderie ist und Fragen der Zeugung bis hin zur Eugenik umfasst. Hildegards Enthusiasmus ist im höchsten Sinne Poesie. Das ekstatische lyrisch-musikalisches Werk der Äbtissin, die individuell komponierten Lieder und Sequenzen, sind von hoher dichterischer Kraft. Sie ist sich dessen bewusst, dass sie gerade als Frau Besonders zu sagen hat. So heißt es in ihrem Gruß an die allerseligste Jungfrau: „Irrend zogen sie dahin/ die erschuf der Finger Gottes/ formend sie zum Bilde ihres Vaters/. Verbannet gingen sie den Weg/ der Heimatferne Adams/. Da erfloss den Elementen all/ jauchzend Leben, / o heilig hehre Jungfrau Maria./ Gleich entbrannte der Himmel, /leuchtend stieg auf die Sonne, / und aus Weltengründen hallt dein Lob, / o Morgenrot!“ (3) Als Friedensstifterin und Prophetin ohne Amt und Auftrag reist die umtriebige Frau bis nach Metz und Lothringen, schreibt hunderte von Briefen, schleudert Donnerworte gegen Könige, Fürsten und Bischöfe, ruft zur Umkehr auf, stiftet Frieden und redet selbst dem staufischen Kaiser Friedrich Barbarossa (1152-1190) ins Gewissen. „Hüte dich, dass der höchste König Dich nicht um der Blindheit Deiner Augen verwerfe.“ Sie verband das zu ihrer Zeit gültige griechisch-lateinische medizinische Wissen mit der Volksmedizin. Ihre Gedanken zur Ganzheit und Einheit finden sich in alternativen Heilmethoden wieder. Hildegard gründete das Kloster auf dem Rupertsberg, in dem sie auch verstarb und das Tochterkloster in Eibingen. Glaubhaft wird berichtet, dass bei ihrem Tod ein helles Licht von der Größe einer Mondscheibe erschienen sei, in deren Mitte ein immer größer werdendes rotschimmerndes Kreuz funkelte. Erhalten ist Hildegards Ring. Er trägt die Inschrift: Ich leide gerne. Das Dreigestirn Hrotsvith, Hildegard und Herrad von Landsberg gilt als wegweisend für die urdeutsche Geisteskultur. Anmerkungen: 1)Wisse die Wege (Scivias) Otto Müller Verlag Salzburg 1954 S.89 2) ebd. S. 89 3) zitiert nach P.I. Stützle OSB, Leben der Heiligen Hildegard. Fulda 1929 |