54. Jahrgang Nr. 6 / September 2024
Datenschutzerklärung | Zum Archiv | Suche




1. Katholiken in den Vereinigten Staaten von Amerika
1. USA
2. Ukraine: Gesetzesentwurf
3. Tradition versus Postmoderne
4. Die schockierende Wahrheit
5. Gaza – des Dramas letzter Akt: töten oder vertreiben
6. Einseitige Schuldzuweisungen
7. Zwei fromme Frauen von großer poetischer Kraft
8. Buchbesprechung
9. Naturaufnahmen als Titelbilder in der EINSICHT ?
10. Mitteilungen der Redaktion
11. Nachrichten, Nachrichten, Nachrichten...
Einseitige Schuldzuweisungen
 
Einseitige Schuldzuweisungen
in der Missbrauchsdebatte

von
Dr. Udo Hildenbrand

Wenn in privaten Diskussionen, aber auch in manchen öffentlichen Gesprächsforen, auch in den Medien empört und vorwurfsvoll über den Kindesmissbrauch gesprochen oder geschrieben wird, steht allermeist und ausschließlich die katholische Kirche am Pranger. Auch die jeweiligen Reaktionen beziehen sich ebenfalls fast immer und ausdrücklich auf die größte christliche Glaubensgemeinschaft. Alle Übeltäter scheinen ausnahmslos oder zumindest überwiegend dieser Konfession anzugehören. Aber ist das tatsächlich so? Sind diese Missbrauchstäter ausschließlich, weit überwiegend oder wenigstens mehrheitlich Katholiken?

Missbrauchsvorkommnisse in mindestens zehn Bereichen der Gesellschaft
Unerwähnt bleiben bei dieser einseitigen Anschuldigung eine Reihe sozial und religiös, sportlich und politisch geprägter Gruppierungen, in denen exakt dieselben schwerwiegenden Missbrauchsvergehen wie im Raum der katholischen Kirche vorkommen. Nur: Diese Realität wird seit Jahren in den Medien und in der breiten Öffentlichkeit weithin ausgeblendet.

Ohne Anspruch auf eine umfassende Darstellung seien hier zehn gesellschaftliche Bereiche genannt, in denen Missbrauchstaten festzustellen sind. So:
•    in Familien,
•    in anderen christlichen Gemeinschaften sowie
•    in Moscheegemeinden
•    bei Therapie- und Beratungsmaßnahmen
•    in Sport- und Schwimmvereinen
•    in Chorgemeinschaften und
•    in Freizeitveranstaltungen.
Im Blick sind auch
•    Schulen sowie
•    die Partei Bündnis 90/Die GRÜNEN.
Familien, Sportvereine, Protestanten in Schlaglichtern
In den entsprechenden Gesprächen und Diskussionen wird dabei häufig (bewusst?) übersehen, dass bekanntlich die allermeisten Fälle von sexueller Gewalt gerade eben nicht in der katholischen Kirche zu verzeichnen sind, sondern in den Familien, also im allernächsten sozialen Umfeld der Kinder. Ignoriert wird dabei u.a. auch der im Deutschlandfunk vermeldete Fakt, dass es allein im Sport „doppelt so viele Fälle wie in der katholischen Kirche“ gibt. Der evangelische Theologe und freie Journalist Thomas Klatt konstatiert zu den Missbrauchstaten im evangelischen Bereich: „Die Protestanten haben sich neun Jahre lang im medialen Windschatten der katholischen Skandale ausgeruht“.

147 kirchliche Tatverdächtige/Verurteilte gegenüber 138000 aus anderem Umfeld
Eberhard Heller zitiert in seinem jüngst veröffentlichten Buch1 den Direktor des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen, Christian Pfeifer, mit nachfolgender Aussage aus dem Jahre 2010, in der die Relation von Tatverdächtigen aus dem Raum der katholischen Kirche und Tatverdächtigen aus anderen gesellschaftlichen Bereichen zahlenmäßig belegt wird.  „Der ´Spiegel“ fragte Anfang Februar bei allen 27 Diözesen Deutschlands nach, wie viele Priester oder kirchlich angestellte Laien in ihrem jeweiligen Amtsgebiet seit 1995 als Tatverdächtige oder Verurteilte dieses Delikts registriert worden sind. 24 Diözesen haben geantwortet.

Wenn man die von ihnen benannten sieben Laien streicht, ergeben sich 117 tatverdächtige Priester… (bzw.) eine Gesamtzahl von vielleicht 147 Priestern, die in den 15 Jahren bundesweit von der Polizei als Tatverdächtige registriert wurden. Dem steht gegenüber, dass in Deutschland zwischen 1995 und 2008 die Zahl der polizeilich erfassten Tatverdächtigen des sexuellen Kindesmissbrauchs insgesamt 128 946 betrug. Rechnen wir für 2009 noch den Durchschnittswert dieser 14 Jahre hinzu, ergibt sich für die 15 Jahre eine Gesamtzahl von rund 138 000. Von ihnen waren 0,1 Prozent katholische Priester. Massenhaft kann man das nicht nennen… Selbst wenn die kirchliche Dunkelfeldquote beispielsweise dreimal größer wäre (als im sonstigen nicht-familiären Umfeld), läge der Anteil der Priester bei den Tätern lediglich bei drei statt bei einem Promille … (Vgl. SZ 15. März 2010)“. (Hervorh.: U.H.) Dieses Zahlenverhältnis dürfte sich seit 2010 nicht wesentlich verändert haben.

Erschreckende aktuelle Zahlen und bewusstes Verschweigen
Erschreckend sind jedenfalls auch die aktuellen Missbrauchszahlen: Nach einem Bericht des Nachrichtenportals FOCUS Online vom 8.7.2024 sind heutzutage täglich 54 Kinder und Jugendliche – jährlich somit nahezu 20. 000 – Opfer von sexuellem Missbrauch.
Ein einseitiges Verschweigen der Täterschaft in zahlreichen Gruppierungen – wie seit Jahren üblich und wie selbstverständlich toleriert – führt übrigens dazu, dass eine Fülle, wahrscheinlich sogar der weit überwiegende Teil entsprechender Missbrauchstaten gerade auch zulasten der Missbrauchsopfer ungeahndet bleibt. Bewusstes Verschweigen – aus welchen Gründen auch immer – ist diesbezüglich immer auch bewusster Täterschutz und schadet gleichzeitig in mehrfacher Hinsicht den Missbrauchssopfern.

Ausblendung islamkonnotierter Gegebenheiten
In öffentlichen Diskussionen erheben auch Muslime – gewöhnlich unwidersprochen – empört den Vorwurf des Kindesmissbrauchs ausdrücklich gegen die katholische Kirche. Dabei „vergessen“ sie wohlweislich die Beziehung Mohammeds zur neunjährigen Aischa, ebenso entsprechende Missbrauchsvorkommnisse in Moscheegemeinden sowie insbesondere auch die traditionellen islamischen Kinderehen.

Diese islamkonnotierten Gegebenheiten zeigen unübersehbar, dass gerade auch die islamische Welt von dieser Problematik grundsätzlich betroffen ist sowohl durch ihre traditionell legitimierte Praxis der Kinderehen nach dem Vorbild Mohammeds als auch durch den Kindesmissbrauch, der in Moscheegemeinden stattfindet. So wird die schwerwiegende Problematik des Kindesmissbrauches, der in den eigenen muslimischen Reihen einfach ignoriert wird, fälschlicherweise und somit wahrheitswidrig wiederum einzig und allein der katholischen Kirche empört und vorwurfsvoll zu- und angerechnet. Dies wird auch dann nicht wahrhaftiger, wenn in der Regel in den Diskussionen den Muslimen zu Recht die Tatsache entgegengehalten wird, dass die biblische Botschaft und somit auch die gesamtchristliche Lehrtradition die schändliche Handlung des Kindesmissbrauches eindeutig verurteilt – im Gegensatz zu den Lehren und zur Praxis im Islam.

Missbrauch als gesamtgesellschaftliches Phänomen
Kindesmissbrauch ist jedenfalls unbestreitbar seit langen Jahren ein breit gefächertes gesamtgesellschaftliches Phänomen. Der Missbrauch ist also keineswegs nur auf eine einzige Tätergruppe begrenzt, nämlich auf Mitglieder der katholischen Kirche, wie teilweise auch heute noch suggeriert wird, nicht selten verbunden mit verleumderischen Pauschalverdächtigungen Dass Kindesmissbrauch ein gesamtgesellschaftliches Problem darstellt, wird auch durch die Einsetzung einer staatlichen Kommission im Jahre 2016 bestätigt, in der die Folgen sexualisierte Gewalt gegen Kinder und Jugendliche in der Bundesrepublik und in der ehemaligen DDR untersucht werden.

Keine Schuldminderung und -relativierung durch Forderung nach gerechter Schuldzuweisung
In diesem Kontext sei jedoch ausdrücklich vermerkt: Der geforderte Einbezug der verschiedenen Gruppierungen in die Debatte über sexuelle Gewalt will keineswegs die Schuld jener Mitglieder der katholischen Kirche mindern, relativieren oder gar vergessen machen, die sich entsprechender Missbrauchsvergehen schuldig gemacht haben und übergriffig geworden sind. Bei dieser Forderung geht es einzig und allein um eine wahrheitsgemäße Beurteilung und Darstellung, die der Wirklichkeit, den nachweisbaren Zahlen und Fakten entspricht.

LINKS zum Missbrauch in der Gesellschaft
Wer sich zur Thematik der differenzierten Missbrauchstätergruppe näher kundig machen möchte, kann Einblick nehmen in die kleine Auswahl der LINKS, die nachfolgend notiert sind.
Dazu eine Bemerkung: Die zahlreich vorliegenden Berichte über die Vorgänge in der katholischen Kirche sind wohl weithin bekannt. Deshalb sind hier keine entsprechenden LINKS notiert. Im Internet sind diese Vorgänge jedoch in einer Fülle von Berichten leicht zu recherchieren. Da die katholische Kirche seit 2010 gerade auch in den Medien nahezu ausschließlich im Fokus der Missbrauchsthematik stand, war damit auch eine umfangreiche und zugleich massiv einseitige Berichterstattung die Folge.

1. Kindesmissbrauch in den Familien
https://www.bka.de/DE/Presse/Listenseite_Pressemitteilungen/2024/Presse2024/240708_PM_PK_SexualdeliktezNvKinderuJugendlichen.html
https://www.swr.de/swrkultur/wissen/kindesmissbrauch-in-der-familie-warum-viele-immer-noch-wegschauen-100.html
https://www.neurologen-und-psychiater-im-netz.org/kinder-jugendpsychiatrie-psychosomatik-und-psychotherapie/risikofaktoren/sexueller-missbrauch/psychische-folgen
Klicke, um auf 240703_Fact_Sheet_Zahlen_und_Fakten_zu_sexuellem_Kindesmissbrauch_UBSKM.pdf zuzugreifen
https://www.swr.de/swrkultur/wissen/kindesmissbrauch-in-der-familie-warum-viele-immer-noch-wegschauen-100.html
2. Kindesmissbrauch in der evangelischen Kirche/bei den Zeugen Jehovas und Freikirchen
https://www.google.com/search?q=aufarbeitung+sexualisierter+gewalt&rlz=1C1KDEC_deDE931DE931&oq=&gs_lcrp=EgZjaHJvbWUqCQgDECMYJxjqAjIJCAAQIxgnGOoCMgkIARAjGCcY6gIyCQgCECMYJxjqAjIJCAMQIxgnGO
https://www.evangelisch.de/inhalte/227359/23-02-2024/studie-kentler-netzwerk-deckte-jahrelang-kindesmissbrauch
https://www.zeit.de/news/2024-01/24/evangelische-kirche-stellt-missbrauchsstudie-vor
https://www.katholisch.de/artikel/50900-nach-studie-ekd-und-diakonie-bekennen-jahrzehntelanges-versagen
https://www.swr.de/swraktuell/rheinland-pfalz/ludwigshafen/49-faelle-sexualisierter-gewalt-evangelische-kirche-pfalz-100.html
3. Kindesmissbrauch in Moscheen
https://hpd.de/artikel/sexueller-missbrauch-moscheen-14882
https://news.google.com/home?hl=de&gl=DE&ceid=DE:de
https://hpd.de/artikel/sexueller-missbrauch-moscheen-14882
Klicke, um auf ZMD-Flyer_deutsch_Ansicht.pdf zuzugreifen
4. Kindesmissbrauch in den Kinderehen
https://produkte.sueddeutsche.de/angebotsseite-ot/?wt=SZDEVL&redirectToUrl=https%3A%2F%2Fwww.sueddeutsche.de%2Fpanorama%2Fmenschenrechtlerin-ehe-und-einzelfall-1.3215076
https://www.welt.de/debatte/kommentare/article244552212/Kinderehen-sind-keine-Ehen-es-ist-Missbrauch.html
5. Kindesmissbrauch bei Therapie- und Beratungsmaßnahmen
https://www.sozial.de › zur-aufarbeitung-eines-missbrau…
https://beauftragte-missbrauch.de › themen › definition
https://de.wikipedia.org/wiki/Missbrauch_in_der_Psychotherapie#:~:text=Von%20Missbrauch%20in%20der%20Psychotherapie,Therapeuten%20gegen%20ethische%20Grunds%C3%A4tze%20verst%C3%B6%C3%9Ft.
https://www.kinder-jugendpsychiater.org/diagnose/kindesmissbrauch
6. Kindesmissbrauch im Sport
ttps://www.deutschlandfunk.de/sexueller-missbrauch-im-sport-doppelt-so-viele-faelle-wie-100.html
https://www.spiegel.de/sport/nach-missbrauchsvorwuerfen-im-deutschen-schwimm-verband-externes-team-soll-aufarbeitung-leisten-a-93b6c621-4a35-4b00-91db-387c299017f
7. Kindesmissbrauch in Schulen
https://www.fr.de/zukunft/storys/75-lektionen-mut/missbrauch-an-der-odenwaldschule-der-lange-weg-zur-wahrheit-andreas-huckele-90059245.html
8. Kindesmissbrauch in Chorgemeinschaften
https://www.mz.de/mitteldeutschland/leipzig/missbrauch-beim-thomanerchor-in-leipzig-chorknabe-soll-jungeren-sanger-missbraucht-haben-1271077
https://www.focus.de/panorama/welt/skandal-in-leipzig-drogenmissbrauch-und-sexuelle-uebergriffe-im-thomanerchor_id_6551570.html
9. Kindesmissbrauch in einer Partei
https://www.die-tagespost.de/politik/gruene-tief-verstrickt-in-paedophilie-skandal-art-
https://www.herder.de/cig/zeitgeschehen/2013/01-06-2013/kindesmissbrauch-cohn-bendit-die-phaedophilen-und-die-gruenen
https://www.zeit.de/politik/deutschland/2013-08/gruene-fdp-paedophilie-legalisierung
10. Kindesmissbrauch in Kindergärten
https://www.sueddeutsche.de/panorama/menschenrechtlerin-ehe-und-einzelfall-1.3215076https://www.hessenschau.de/panorama/missbrauchsverdacht-in-kitas-kinderschutz-expertin-fordert-unabhaengige-beratungsstellen–v1,missbrauchsverdacht-kitas-amt-100.html
https://www.herder.de/kiga-heute/fachmagazin/archiv/2019-49-jg/9-2019/beschaemen-festhalten-anschreien-gewalt-durch-paedagogische-fachkraefte-ein-tabuthema

Keine einseitigen Schuldzuweisungen um der Wahrheit willen
Bei einseitigen und damit auch verfälschenden Vorwürfen in Diskussionsrunden sowie in den Veröffentlichungen der Medien sollte auch bei der Thematik „Kindesmissbrauch“ um der Wahrheit willen auf die offenliegende, aber weithin verschwiegene Wahrheit verwiesen werden: In unserer Gesellschaft ist Kindesmissbrauch bei einer recht differenzierten Tätergruppe verbreitet, die zahlenmäßig weit über die katholische Kirche hinausgeht. Daher ist es erforderlich, bei Diskussionen über diese schwerwiegende Problematik „Missbrauch“ mit ihrer gesamtgesellschaftlichen Relevanz in objektiver Darstellung die verschiedenen Tätergruppen auch ausdrücklich und differenziert zu benennen. Einseitige Schuldzuweisungen, in denen in Diskussionen die ganze Wahrheit bewusst verschwiegen wird, stellen auch den gesamten Beitrag von Diskutanten, Journalisten und Publizisten in ein schiefes Licht. Sie stellen ihn möglicherweise sogar in Frage. Denn nur „Die Wahrheit wird euch freimachen“ (Johannes 8,32).

Anmerkung
1  Eberhard Heller, Am Ende der Nacht thront Gottes Wort – Eine Auseinandersetzung mit den Beschlüssen des II. Vatikanums, Artikel: „Missbrauch missbraucht“ S. 329 – 338, hier S. 334, Uhingen 2024.

 
(c) 2004-2018 brainsquad.de