54. Jahrgang Nr. 6 / September 2024
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1. Katholiken in den Vereinigten Staaten von Amerika
1. USA
2. Ukraine: Gesetzesentwurf
3. Tradition versus Postmoderne
4. Die schockierende Wahrheit
5. Gaza – des Dramas letzter Akt: töten oder vertreiben
6. Einseitige Schuldzuweisungen
7. Zwei fromme Frauen von großer poetischer Kraft
8. Buchbesprechung
9. Naturaufnahmen als Titelbilder in der EINSICHT ?
10. Mitteilungen der Redaktion
11. Nachrichten, Nachrichten, Nachrichten...
Gaza – des Dramas letzter Akt: töten oder vertreiben
 
Gaza – des Dramas letzter Akt: töten oder vertreiben

von
Eberhard Heller

Seit Anfang Oktober letzten Jahres tobt im Gaza-Streifen ein Vernichtungskampf der Israelis gegen die Palästinenser, nachdem am 8. Oktober ein Terrorkommando der Hamas in einer Nacht-und-Nebelaktion 1139 Israelis getötet und mehr als 200 Personen entführt hatte, die nun als Geiseln der Hamas als Pfand bei Verhandlungen eingesetzt werden.

Ziel des Vergeltungskrieges soll nach Angaben des amtierenden Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu (Likud) die völlige Zerschlagung und Auslöschung der Hamas sein.

Inzwischen hat sich die Zahl der getöteten Palästinenser auf über 40300 erhöht, zu denen noch über 92740 Verletzte hinzukommen. Unter den Getöteten befinden sich ca. 14000 Kinder. Nach anderen Angaben handelt es sich wegen der unübersichtlichen Lage in Gaza um 21000 tote oder vermißte Kinder, wovon noch ca. 4000 unter den Trümmern der bombardierten Häusern begraben sein sollen, während eine unbekannte Zahl in Massengräbern liege. (vgl. https://www.vaticannews.va/de/welt/news/2024-06/gaza-kinder-vermisst.html#: Wegen der schlechten Versorgungslage der Palästinenser, die von Netanjahu bewußt herbeigeführt wird – es fehlt an Nahrung, an sauberem Wasser -, leiden von den 2,2 Millionen Palästinensern 1,8 Millionen von ihnen unter Infektionskrankheiten, wobei sie ohne medizinische Hilfe dahin darben. Und die Welt schaut zu, ohne einzugreifen. Keiner stoppt die Israelis bei ihrem Morden.

Wegen dieser hohen Opferzahlen – die Israelis beklagen selbst 681 gefallene Soldaten - hat Südafrika am 29. Dezember 2023 eine Anklage beim Internationalen Gerichtshof in Den Haag gegen Israel wegen des Völkermordes eingereicht. In diesem wird Israel also wegen des Krieges im Gazastreifen des Genozids beschuldigt Die Anklage wurde von 32 weiteren Staaten unterstützt. Leider wurde der Klage wegen des Einspruchs der USA nicht statt gegeben. Die USA sind auch das Volk, das diesen Krieg mit Waffen und Geld noch unterstützt. „Palästinenser würden systematisch diskriminiert und unterdrückt. Zuweilen wird der Vorwurf laut, Israel habe ein System der Apartheid etabliert.“ (Deutschlandfunk  vom 6.7.24) In mehr als zehn Monaten wurde der Gazastreifen fast vollständig zerstört.

Die inzwischen angelaufenen diplomatischen Versuche, zumindest einen Waffenstillstand zu erreichen, scheinen nach jüngsten Nachrichten erfolglos zu bleiben, obwohl der internationale Druck auf Netanjahu wächst, auch seitens der USA. Aber auch die unter US-Vermittlung in Kairo geführten Friedensverhandlungen zwischen Israel und der Hamas führten nicht zum Durchbruch. Selbst im eigenen Land muß der Ministerpräsident mit ständig wachsendem Druck kämpfen, der besonders von den Verwandten der entführten Geiseln, die n.b. bisher nicht gefunden wurden von den Israelis, ausgeübt wird. „Bei aller proisraelischen Stimmung in der amerikanischen politischen Elite ist der demokratische Wähler unzufrieden damit, dass Biden und Harris die Prügel gegen die friedliche palästinensische Bevölkerung nicht stoppen können... der Gazastreifen ist seit 1967 besetzt oder blockiert. Das Wichtigste für die Palästinenser ist, dass sie ihr Land behalten und nicht zugelassen haben, dass der Völkermord vollendet wird.“ (vgl. Gettyimages.ru © Ali Jadallah/Anadolu von Pjotr Akopow auf ria.ru. erschienen) Man gewinnt fast den Eindruck, daß der Überfall der Hamas am 8.10.23 auf die Israelis Netanjahu ganz recht kam, damit er diesen blutigen Krieg gegen die Palästinenser führt bzw. führen kann, obwohl inzwischen sein Volk darunter leidet.

Wie ist es zu verstehen, daß ein Volk wie die Juden, die selbst in aller Welt über Jahrhunderte Verfolgung erlitten haben, besonders auch unter den Nazis – weswegen es endgültig auch zur Staatsgründung Israels 1948 kam – bei ihrer Vergeltung an den Hamas-Agressoren nicht bei dem biblischen Maß „Aug um Auge, Zahn um Zahn“ bleiben konnte, sondern sie „ein Auge gegen 10 Augen“ als Maß ansetzten. Und es nicht dabei geblieben. Ist es ein gesteigerter Haß, der sie so agieren läßt oder gibt es noch andere Gründe, die dieses verbrecherische Agieren steuert? Ein Blick in die Geschichte der Besiedlung Palästinas durch die Juden soll hilfreich sein.

Es war der Wiener Jude Theodor Herzl, Redakteur der „Neuen Freien Presse“ in Wien, der den Traum und die Idee eines jüdischen Staates in Palästina hatte. Der Publizist und Politiker Herzl beschrieb bereits 1896 in seinem Werk "Der Judenstaat" das Konzept für den Aufbau und die Gestaltung seines Siedlungsplanes für eine neue Heimat in Palästina. Nach ihm sollte es in seinem Staat eine vollständige Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau, zwischen Juden, Arabern und Angehörigen anderer Ethnien geben. Die jüdische Religion sollte im neuen Staat eine wichtige, aber keine führende Rolle spielen. Der Agnostiker Herzl formulierte das so: „Der Glaube hält uns zusammen – die Wissenschaft macht uns frei.“ Herzl gilt als Stammvater des Zionismus. „Herzl wandelte die Vorstellung der politischen Lösung der Judenfrage von einer lustigen Idee, die eine Handvoll jüdischer Intellektueller im Kaffeehaus debattierte, in eine Herausforderung an die internationale Gemeinschaft um. Das war seine phänomenale Leistung“, faßt der Biograph Shlomo Avineri die Meriten Herzls zusammen.

Herzl wollte auch den damaligen Papst, den hl. Pius X. für seine Ideen gewinnen, Doch Pius X. lehnte ab. In seinen Tagbüchern beschreibt Herzl seine Audienz vom 26.1.1904 so: „Ich erklärte ihm mit wenigen Worten mein Anliegen. Er aber, vielleicht verärgert, weil ich nicht seine Hand geküßt hatte, antwortete mir brüsk: „Wir können Ihre Bewegung nicht gutheißen. Wir können die Juden nicht daran hindern, nach Jerusalem zu gehen, wir können dies aber auch niemals gutheißen. Wenn er nicht heilig war, wurde der Boden Jerusalems durch das Leben Jesu Christi geheiligt. Als Haupt der Kirche kann ich Ihnen keine andere Antwort geben. Die Juden haben Unseren Herrn nicht anerkannt. Wir können nicht das jüdische Volk anerkennen.“

Auf diese Art wurde der alte Konflikt zwischen Rom und Jerusalem, personifiziert durch mein Gegenüber und durch mich, in uns wiederbelebt. Anfangs versuchte ich mich versöhnlich zu geben. Ich hielt ihm eine kurze Rede über die Exterritorialität. Das schien ihn nicht zu beeindrucken. „Jerusalem“, sagte er, „darf um keinen Preis in die Hände der Juden fallen.“

Und was denken Sie über den derzeitigen Status, Euer Heiligkeit? „Ich weiß, es ist bedauerlich, die Türken im Besitz unserer Heiligen Stätten zu sehen. Wir müssen uns aber damit abfinden. Die Unterstützung des Wunschs der Juden, sich dort niederzulassen, ist uns unmöglich.“ Ich antwortete ihm, daß wir unsere Bewegung wegen des Leidens der Juden gegründet haben und gewillt sind, alle religiösen Fragen beiseite zu lassen. „Gut, aber als Haupt der Katholischen Kirche können wir nicht die gleiche Haltung einnehmen. Man verursacht eine der beiden folgenden Dinge: entweder werden die Juden weiterhin ihren alten Glauben bewahren und weiterhin auf den Messias warten, von dem wir Christen glauben, daß er bereits auf die Erde gekommen ist, in diesem Fall leugnen sie die Gottheit Christi und wir können ihnen nicht helfen, oder sie gehen nach Palästina ohne irgendeine Religion zu bekennen, in diesem Fall haben wir nichts mit ihnen zu tun. Der jüdische Glaube hat dasselbe Fundament wie unserer, wurde aber durch die Lehren Christi überholt, weshalb ich nicht anerkennen kann, daß er heute noch irgendeine Gültigkeit hat. Die Juden, die als erste Jesus Christus erkennen sollten, haben es bis heute nicht getan.“ Mir lag schon die Anmerkung auf der Zunge: „Das passiert in jeder Familie, niemand glaubt seinen nächsten Verwandten“. In Wirklichkeit sagte ich aber: „Terror und Verfolgung waren sicher nicht die besten Mittel, um die Juden zu bekehren.“ Seine Antwort, war in ihrer Einfachheit ein Element der Größe: „Unser Herr kam in die Welt ohne Macht. Er war arm. Er kam in Frieden. Er verfolgte niemanden, Er wurde sogar von seinen Aposteln verlassen. Erst später erreichte sie ihre wahre Natur. Die Kirche brauchte drei Jahrhunderte an Entwicklung. Die Juden hatten also alle Zeit, um die Gottheit Christi ohne Druck und ohne Gewalt zu akzeptieren. Aber sie entschieden sich, es nicht zu tun und haben es bis heute nicht getan.“

Aber die Juden haben schreckliche Prüfungen durchgemacht. Ich weiß nicht, ob Eure Heiligkeit die Schrecken der Tragödie kennt. Wir brauchen ein Land für diese Umherirrenden.“ „Muß es Jerusalem sein?“ „Wir fordern nicht Jerusalem ohne Palästina, das jahrhundertealte Land.“ „Wir können uns nicht für dieses Projekt erklären.“ (aus: Theodor Herzl: "Tagebücher", 18. Buch; in: "Gesammelte zionistische Werke", Bd. IV, Tel Aviv 1934, S. 555 ff. (Interessant ist, daß sich Herr Bergoglio bei seinem Israel-Besuch im Mai 2014 bei Herzls Grab für die ablehnende Haltung Pius X. entschuldigt hat. Die in Argentinien erscheinende katholische Zeitschrift Pagina Catolica kommentiert diese Geste so: „Zum einen kann Papst Franziskus nicht ignorieren, daß der Zionismus nicht mit dem Judentum identisch ist, sondern eine bestimmte politische nationalistische Richtung darstellt und daß dieser Zionismus unter Christen viel Leid verursacht hat und noch immer verursacht. Zum anderen könnte eine solche Geste als Distanzierung und Verurteilung von Papst Pius X. interpretiert werden“.)

Was ist aus Herzls Vorstellungen eines jüdischen Staates geworden? Im Ersten Weltkrieg eroberten britische Truppen 1917/18 Palästina, was bis dahin zum osmanischen Reich gehörte. 1917 sicherte der britische Außenminister der zionistischen Bewegung in der sogenannten Balfour-Erklärung die Unterstützung für „eine nationale Heimstätte für das jüdische Volk in Palästina“ zu. Dort war aber auch die Rede davon, dass „nichts geschehen soll, was die bürgerlichen und religiösen Rechte der bestehenden nichtjüdischen Gemeinschaften in Palästina (…) in Frage stellen könnte“.

 „Ein Land ohne Volk für ein Volk ohne Land“ – dies war ein Slogan des Zionismus. „Palästina war zu Beginn der jüdischen Einwanderung Ende des 19. Jahrhunderts keineswegs unbewohnt. Vor Ort lebte – zunächst überwiegend in friedlicher Koexistenz mit den jüdischen Zuwanderern – eine teils nomadische, teils sesshafte arabische Bevölkerung, die insgesamt rund 400.000 Menschen betrug.  Daneben gab es eine Reihe von kleinen jüdischen Gemeinden, die zusammengenommen etwa 20.000 Menschen umfasste.“

Die jüdische Besiedlung von Palästina erfolgte in verschiedenen Wellen und begann zwischen 1882 bis 1903 und umfaßte ca. 25000 Personen. Nach der Balfour-Erklä-rung kamen 80000, auch Polen, die unter dem Antisemitismus in der polnischen Regierungspolitik litten. Zwischen 1939 und 1945 erhöhte sich die Zahl der Einwanderer um 70000 Siedler.
Zwischen den jüdischen Siedlern und den arabischen Nachbarn kam es bereits 1920 zu bewaffneten Konflikten. Der Teilungsplan der Vereinten Nationen (UN) aus dem Jahr 1947 sah die Teilung in zwei Staaten auf palästinensischem Boden vor. Es kam zu bürgerkriegsartigen Auseinandersetzungen. Die Briten bekamen den Konflikt nicht mehr unter Kontrolle. So kündigten sie 1947 unter dem Druck der Ereignisse an, das Mandat für Palästina an die Vereinten Nationen zurückzugeben. Im Mai 1947 gründeten die Vereinten Nationen den Sonderausschuss UNSCOP (United Nations Special Committee on Palestine), um eine Lösung für den schwelenden Konflikt zu finden. Während die Vertreter der jüdischen Bevölkerung mit den Mitgliedern des UN-Komitees zusammenarbeiteten, boykottierte die arabische Seite den Ausschuss. Die UN-Generalversammlung folgte der Empfehlung der Kommission und beschloss am 29. November 1947 die Teilung Palästinas in einen arabischen und einen jüdischen Staat.
Nach der Ausrufung des Staats Israels durch Ben Gurion am 14.5.1948 erklärten Ägypten, Syrien, Jordanien, der Libanon, Saudi-Arabien und der Irak dem neuen Staat den Krieg, den sie verloren. Dieser erste israelisch-arabische Krieg dauerte über ein Jahr und führte zu massiven Vertreibungs- und Fluchtbewegungen, da das siegreiche Israel auch Gebiete eroberte, die nach dem UN-Plan zum arabischen Staat Palästina gehören sollten“. (vgl. Jan Scheider – Bundeszentrale für politische Bildung – bpb: „Historische Entwicklung der jüdischen Einwanderung“) „So eroberten die Israelis in den folgenden Monaten auch noch rund 40 Prozent des Landes, das im Teilungsplan eigentlich für einen arabisch-palästinensischen Staat vorgesehen war. Die Waffenstillstandslinien vom Frühjahr 1949 vergrößerten das israelische Territorium auf nun 77 Prozent der Gesamtfläche von 14.100 auf 20.700 Quadratkilometer. Dieses Gebiet gilt auch heute noch als das Kernland Israels.“ ((Bpb – Landeszentrale für politische Bildung Baden-Würtemberg https://www.lpb-bw.de/geschichte-israels
Die Aufzählung der Kriege zwischen Israel und den Palästinensern erspare ich mir. Es ging nicht nur um militärische Ziele, die die Kontrahenten verfolgten, sondern auch um die Eroberung von territorialen Gebieten. Ich denke an die jüdischen Siedler, die mit brutaler Gewalt die arabischen, rechtmäßigen Bauern vertreiben, sie von ihren Traktoren abknallen, um deren Land zu besetzen.
Ich hatte bereits in EINSICHT vom Januar 2024 geschrieben: „Das Perfide an der Totalzerstörung der Palästinenser und dem Gazastreifen, der in eine komplett unbewohnbare Trümmerlandschaft  verwandelt wurde, ist, daß Israel mit seinem Präsidenten Netanjahu, den der türkische Präsident Erdogan mit Hitler vergleicht, die alten Pläne eines Ben Gurion, eines Sharon oder eines Mosche Dajan betreibt, um die Palästinenser zu vertreiben und um deren Gebiet Israel einzuverleiben. Man vergißt, daß die Idee eines jüdischen Staates das Produkt der Zionisten war, die keineswegs religiöse Ziele verfolgten, weswegen die wirklich religiösen Juden, diese Staatsgründung ablehnten.“

Was nun den derzeitigen Krieg betrifft, so reden die israelischen Politiker offenherzig von Vertreibung: „Der Krieg bietet eine Gelegenheit, sich auf die Förderung der Migration der Bewohner des Gazastreifens zu konzentrieren“, sagte Ben Gvir vor Reportern und Mitgliedern seiner rechtsextremen Partei Otzma Yehudit und nannte eine solche Politik „eine korrekte, gerechte, moralische und humane Lösung“. „Wir können uns aus keinem Gebiet im Gazastreifen zurückziehen. Ich schließe eine jüdische Besiedlung dort nicht nur nicht aus, ich halte sie auch für wichtig“, sagte er. Die „richtige Lösung“ für den andauernden israelisch-palästinensischen Konflikt besteht darin, „die freiwillige Migration der Bewohner des Gazastreifens in Länder zu fördern, die sich bereit erklären, die Flüchtlinge aufzunehmen“, sagte Smotrich vor Mitgliedern seiner Partei des religiösen Zionismus und prophezeite, dass „Israel das Gebiet des Gazastreifens dauerhaft kontrollieren wird“, auch „durch die Errichtung von Siedlungen," weiß Caitlin Johnstone zu berichten (Vgl. EINSICHT Nr. 5 vom August 2024)
„Die Hamas ist nicht das Ziel in Gaza. Die Hamas ist nur der Vorwand.“


 
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