54. Jahrgang Nr. 6 / September 2024
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1. Katholiken in den Vereinigten Staaten von Amerika
1. USA
2. Ukraine: Gesetzesentwurf
3. Tradition versus Postmoderne
4. Die schockierende Wahrheit
5. Gaza – des Dramas letzter Akt: töten oder vertreiben
6. Einseitige Schuldzuweisungen
7. Zwei fromme Frauen von großer poetischer Kraft
8. Buchbesprechung
9. Naturaufnahmen als Titelbilder in der EINSICHT ?
10. Mitteilungen der Redaktion
11. Nachrichten, Nachrichten, Nachrichten...
Auslaufmodell
 
Nur noch Auslaufmodell ?

von
Eberhard Heller


Vorbemerkung zur Wiederveröffentlichung des nachfolgenden Beitrages aus dem Jahr 1995 (25. Jahrgang Nr. 4, Dezember 1995, S. 91-103)

Die nachfolgende Arbeit habe ich geschrieben in einer Zeit der Stagnation unserer Be-mühungen um eine Restitution der Kirche. Die Anstrengungen von Mgr. Carmona um eine weltweite Kooperation der Bischöfe, die sich auf die Weihesukzession durch Mgr. Ngô-dinh-Thuc berufen konnten, und der größeren Gemeinden hatten ein jähes Ende gefunden durch den tragischen Verkehrsunfall, bei dem der Bischof um‘s Leben kam. Carmona war wohl der einzige Bischof, der durch seine bescheidene Art das Vertrauen sowohl der Gläubigen als auch seiner Mitbrüder im Amt gefunden hatte. Auch die Fahrt, die für ihn so tragisch endete,  galt der Beilegung von Differenzen, die durch das Verhal-ten eines Mitbruders entstanden waren. Nach dem Tod ihres geistigen Vaters war es Pater Peres Gomes, dem es trotz aller inneren Schwierigkeiten gelang, das Priestersemi-nar in Hermosillo weiter aufzubauen und neue Seminaristen zu rekrutieren.

Neben dem Aussetzen der Initiativen um Einheit bzw. Vereinheitung – keiner der ande-ren Bischöfe war willens oder imstande in die Fußstapfen von Carmona zu treten – kam ein höchst überflüssiger theologischer Streit erschwerend hinzu, der durch das Behaup-ten der These vom „Papa materialiter non formaliter“, den Bischof des Lauriers vom Zaun gebrochen hatte, ausgelöst worden war und der weiter schwelte... bis heute. In Nr. 4 der EINSICHT vom Dezember 2010 hatte ich schon einmal in einem eher als Zwi-schenbilanz anzusehenden Aufsatz geschrieben: „Zu einer großen Belastung des sich formierenden Widerstandes war die Auseinandersetzung, die uns von Mgr. des Lauriers mit seiner These vom "Papa materialiter non formaliter" aufgezwungen worden war - ein Streit, der von seinen Anhängern bis heute weitergeführt wird.“ Ich habe diese These als die Auffassung vom „halben heiligen Vater“ apostrophiert, um diese Position als ab-wegig zu charakterisieren. Leider führte die Übernahme dieser Position zu einer anhal-tenden Abspaltung der Gruppe um Abbe Ricossa, die ihren Sitz in Verrua di Savoia in Italien hat. Meine Bemühungen eine theologische Lösung zu finden, scheiterten an der arroganten Art von Abbe Ricossa, der nur bereit war, eine Diskussion auf der Basis der thomistischen Theologie zu führen und mir vorschreiben wollte, auf dieser Basis zu ver-handeln. Mein Argument, daß sich eine sachliche Diskussion auch anderer begrifflicher Plattformen bedienen könne, stimmte er nicht zu. Somit fand dieser Versuch einer Ver-ständigung schon im Vorfeld ihr Ende. Leider war es so, daß sich in der Folgezeit die Positionen weiter verhärteten und sich verkrusteten.

Zu dieser disparaten Situation im theologischen Bereich kam erschwerend für den Auf-bau der Kirche hinzu, daß Weihen von Personen gespendet wurden, die sich als ungültig erwiesen oder zweifelhaft herausstellten. Mit dem Fall Lingen oder Schmitz, dessen Suk-zession sich bis in die keltische Unterwelt erstreckte und deren Aufarbeitung Monate, ja Jahre beschäftige, war das Problem nicht gelöst. In unseren Landen läuft zur Zeit ein ehemaliger Gärtner als „Bischof Ramolla“ herum und vorgibt, Bischof der katholischen Kirche zu sein (vgl. EINSICHT Nr. 2 vom April 2023). Aber bereits ein Jahr nach dem Tod von Bischof Carmona waren wir genötigt, die Situation von eingeschleusten, sog. Pries-tern zu klären. Es war ein „Augias“-Stall, den es auszumisten galt, wobei sich Herr Jer-rentrup bleibende Verdienste erworben hat. Selbst Protestanten zeigten sich an unserer Ausmistung und Aufarbeitung interessiert („Versinkt der katholische Widerstand im Sektierertum?“, EINSICHT N- 4, November 1996). Und diese Aussonderung von falschen Klerikern hält an. Ich denke an den Fall Ramolla, der sich das Amt eines Bischofs an-maßt,  an seine Zöglinge, die beiden „Mutter-Buben“, die die Warnung, sie als ungültig Geweihte bekannt zu machen, nicht ernst nahmen, ich denke auch an den Fall von Herrn Huber, der sich wie Ramolla auf  Herrn Slupski als Weihbischof stütz, der nicht nachwei-sen konnte, daß er gültig zum Priester geweiht wurde.

Um diese desaströse Situation aufzuhellen, verfaßten Fr. Krier, Herr Jerrentrup und ich fünf Jahre später, also 2000 eine Erklärung zur Situation der Kirche, die an die Declara-tio von S.E. Mgr. Ngô-dinh-Thuc anknüpfte. Darin hatte der Erzbischof versprochen, „al-les zu tun, damit die katholische Kirche Roms zum ewigen Heil der Seelen fortbesteht“. Leider konnte er dieses Vorhaben nicht mehr umsetzen: er starb zwei Jahre nach der Verkündigung dieser Erklärung. Wir griffen sie aber wieder auf und bauten auf ihr unse-re Vorstellung weiter auf. Unsere Erklärung stellte die Bedingungen auf, unter denen eine Wiederherstellung kirchlicher Strukturen erfolgen könnte. Meine Hoffnung ruhte bei der Umsetzung auch und besonders auf der Arbeit und der Ausbreitung der Kirche in Mexiko. Darum war die Enttäuschung um so größer, als sich die Union Trento, dem Dachverband der mexikanischen Gläubigen, nachdem sie dieser Erklärung zunächst zugestimmt hatte, sich dann dennoch der Ansicht von Bischof Pivarunas beugte, der sich einer umfassenden Restitution verweigerte, weil diese auch die Besetzung des römischen Stuhles beinhalten würde. So war dieser Erklärung nur ein mäßiger Erfolg beschieden. Man wolle sich der Pastoral widmen... wie immer das auch gemeint sein würde. Es hat wiederum 13 Jahre gedauert, bis die Erklärung zur Einheit publiziert wurde und die von Fr Krier, Herrn Olles und mir unterschrieben worden war... mit dem gleichen bescheidenen Erfolg. Doch wenn es im Ratschlag Gottes beschlossen sein sollte, daß sich das Leben der Kirche noch einmal neu entfalten sollte, dann blieben alle aufge-stellten Forderungen bestehen. Wie man sich eine Neu- und Umgestaltung der aktuellen Verhältnisse vorstellen könne, bliebe noch unklar. Aber wir könnten nicht bei der Wie-dergewinnung bloß des Glaubens alleine stehen bleiben, es müßten sich auch strukturel-le Veränderungen ergeben. Diese Programmpunkte sind in der Erklärung von 2000 niedergelegt. Die Kleriker, die bisher im Tiefschlaf verharrt sind, müßten begründet dar-legen, was sie berechtigen würde, sich als Priester der kath. Kirche zu präsentieren. Aus diesen Forderungen läßt sich unter den gegebenen Verhältnissen zugleich die Zugehörigkeit zur wahren Kirche als dem mystischen Leib Christi bestimmen: die von Pius XII. in der Enzyklika "Mystici corporis" vorgelegten vier Kriterien: (1) Empfang der Taufe, (2) Bekenntnis des wahren Glaubens, (3) Unterordnung unter die rechtmäßige kirchliche Autorität und (4) Freiheit von schwersten Kirchenstrafen (DS 3802) müssen im Punkt (3) dahingehend modifiziert werden, daß wegen des Fehlens der rechtmäßigen kirchlichen Autorität vorläufig (d.h. bis zu ihrer vollständigen Wiederherstellung) die Anstrengung zur Restitution der kirchlichen Autorität als Ersatz-Kriterium zu gelten hat.  Mir ist es völlig schleierhaft, warum die Kleriker diesem Passus, ihre Arbeit unter dem Aspekt der Restitution der Kirche zu sehen, nicht gefolgt sind. Wahrscheinlich bedarf es einer erneuten Diskussion, um zu zeigen, daß diese Aufforderung zur Wiederherstellung der Kirche konstitutiv für ihre pastorale Arbeit ist, mit der sie ihr Handeln auch legitimieren würden. Denn ohne dieses Eintreten für die wichtigste Aufgabe, die sich in dieser Situation stellt, bleibt der Verdacht bestehen, daß entweder den Klerikern – auf die kommt es heute an! – ihre reale Verantwortung nicht bewußt ist oder sie lehnen diese Wiederherstellung der Autorität ab, weil sie sich einer noch zu bildenden Autorität nicht unterstellen wollen. Dadurch aber würden sie tendenziell ins Sektierertum abgleiten.

Wenn Sie die nachfolgenden Ausführungen aufmerksam lesen, werden Sie feststellen, daß damals, also vor 19 Jahren fast alles gesagt worden ist, um unsere Situation im Sinne einer Wiederbelebung der Kirche zu gestalten. Was sich damals als weiterer Verfall der kirchlichen Struktur ankündigte, hat sich in den letzten Jahren noch vertieft gezeigt: das Abdriften ins Sektierertum, eine Entwicklung, die ich mehrfach angemahnt und aufgezeigt habe, leider erfolglos. Nicht einmal religiöse Periodika geben die noch tätigen Bischöfe heraus, obwohl sie das Personal dazu hätten. Gerade heute wäre eine Aufklärung besonders angesagt, da vielfältige Programme der Globalismus (Gender, Transhumanismus, KI) zur Gängelung, Beherrschung oder Versklavung der Bürger entwickelt wurden. Die ratlosen Mitmenschen oder auch Gläubige werden alleine gelassen wie z.B. in der sog. Corona-Pandemie, die vorrangig nicht zur Bekämpfung einer Krankheit herhalten mußte, sondern gleichsam die Generalprobe zur Globalisierung darstellte. Heute kommen sogar von der abgefallenen Konzilskirche Signale zur Umgestaltung, die in un-seren Reihen nicht einmal vernommen werden. Ich denke besonders an die Aufsätze von Mgr. Viganò, die auch bei uns, d.h. in der EINSICHT erschienen sind.  Man gewinnt den Eindruck, daß dort inzwischen bessere Argumente vorgelegt werden als bei den angeblich rechtgläubigen Katholiken.
Eberhard Heller
***
EINLEITUNG

Die Überschrift wurde in Anlehnung an einen Untertitel eines Artikels von Elmar zur Bonsen in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG vom 5./6.3.94 gewählt ("Auf dem Weg in ein neues Heidentum - Sind die traditionellen Kirchen in Deutschland nur noch Auslaufmo-delle?"), in dem der Autor zwar wenig zur eigentlichen Krise des christlichen Glaubens zu sagen hat, aber dennoch eine Reihe von Beobachtungen im geistig-sozialen Bereich skizziert, die mit dem Fortbestand der Institutionen zu tun haben, die er global als "tra-ditionelle Kirchen" bezeichnet. Normalerweise mag ich die Fragezeichen in Überschrif-ten nicht, da sie häufig signalisieren, Behauptetes zugleich wieder zurücknehmen zu wollen, weil der Mut zur klaren Aussage fehlt. Im Falle des vorgenannten Artikels ist es aber nicht fehlender Mut des Autors zur Eindeutigkeit, sondern die Hoffnung, daß das, was er als Tendenz eruiert hat, die Kirchen würden als Institutionen "auslaufen", letzt-endlich doch nicht eintreffen sollte. Eine ähnliche Intention liegt auch meinen nachfol-genden Ausführungen zugrunde.

Wenn ich nun versuche, die heutige geistige Situation zu beschreiben und die glaubensmäßigen Voraussetzungen aufzuzeigen, auf denen das religiöse Leben basiert, d.h. die Situation zu skizzieren, in der sich der christliche Glaube heute befindet - um dabei vorrangig auf den wirklichen und/oder vorgeblichen Widerstand gegen die häretischen Reformen der Konzils-Kirche einzugehen -, dann soll das Fragezeichen hinter dem Titel nicht nur die Hoffnung darauf bezeichnen, daß der beschriebene - um es vorwegzusagen: düstere - Zustand nicht das Ende der Kirche bedeuten möge. Es soll auch anzeigen, daß trotz der in der Tat düsteren Lage selbst die scheinbar finsterste geistige Nacht hinterfragbar bleibt auf ein neues Morgen, ja aufgehoben wird auf bzw. durch das - uns vielleicht im Augenblick verborgene - stets wachende Licht. Denn Gott hat uns ja verheißen, "die Pforten der Hölle werden sie (d.i. die Kirche) nicht überwältigen" (Mt. XVI, 18), obwohl die Katastrophe so groß ist, daß nach menschlichem Ermessen - d.h. nach Sichtung des weltweiten religiös-kirchlichen Engagements der sich als orthodox einstufenden Gläubigen - eine Salvierung ausgeschlossen erscheint.

In der Tat halte ich es hinsichtlich einer geistigen Topographie und zur allgemeinen Ori-entierung für erforderlich, einen Lagebericht abzugeben, um diese Momentaufnahme mit dem vergleichen zu können, was uns durch die Kirche zu glauben vorgestellt wurde, da sich die Situation rasant verschlechtert hat und die Gläubigen immer eher bereit sind, sich mit den realen, d.h. den ungeheuerlichen Gegebenheiten abzufinden und sie als normal anzusehen und sich mit ihnen zufrieden zu geben. Um der Scheidung und der Entscheidung der Geister willen und zur Bewahrung des Glaubens darf und soll aber gerade das nicht geschehen, darf diese langsame Mutation nicht eintreten.

Diese Einstellung des einfachen Hinnehmens birgt zugleich die Gefahr in sich, daß dieje-nigen, die meinen, noch immer rechtgläubige katholische Christen zu sein, langsam die Glaubensinhalte - vielleicht nicht ihren Glauben! - verlieren. Dieser Prozeß wird schließ-lich noch dadurch forciert, daß der Berg unbearbeiteter Glaubensprobleme, deren Lö-sung heute nicht mehr an die einstigen Autoritäten - diese stehen in der Regel nicht mehr zur Verfügung - delegiert werden kann, sondern von jedem einzelnen angestrebt werden muß, immer erdrückender wird.

Außer dieser Zustandsbeschreibung sei mir, der für die Redaktion der EINSICHT über 20 Jahre verantwortlich zeichnet, gestattet, auch auf die exponierte Rolle einzugehen, die die vom Freundeskreis herausgegebene Zeitschrift seit ihrem Erscheinen in dieser geistig-existentiellen Auseinandersetzung gespielt hat und weiterhin einzunehmen ge-denkt. Nicht nur, daß wir immer versucht haben, die Probleme stets sachlich und grund-sätzlich zu lösen und uns nicht im propagandistischen oder ideologischen Windschatten anderer (publikumswirksamerer) Organisationen getummelt haben. Festzuhalten ist auch, daß wir uns nie gescheut haben, massive Fehlentwicklungen in den angeblich ei-genen Reihen nicht nur nicht zu vertuschen, sondern darzustellen... mit dem Ergebnis, häufig alleine oder in entscheidenden Phasen ohne Unterstützung dagestanden zu sein.

RÜCKBLICK

Wenn man die Gründe für den durchschlagenden Erfolg der angeblichen Reformen im Zuge des "II. Vatikanischen Konzils" sowohl beim Klerus als auch bei den Gläubigen - und das weltweit! - analysiert, wird man folgende Momente festhalten:

1.
Der scheinbar so gefestigte monolitische Block der römisch-katholischen Kirche war in sich längst nicht mehr so gefestigt, wie es nach außen hin schien. Viele sind leider nur allzu bereit, Vergangenes zu vergessen oder zu verharmlosen. Man denke nur an die Kri-tik, die die Mutter Gottes in ihrer Botschaft von La Salette bereits 1846 an den Klerikern geübt hatte! Moderne Vorstellungen, die mit dogmatisch fixierten Glaubenspositionen nicht vereinbar waren, hatten Eingang auch in die Köpfe von Theologen gefunden und Zweifel genährt. Nicht umsonst hatte Papst Pius X. im "Syllabus" und in der Enzyklika "Pascendi" von 1907 den Modernismus als das "Sammelbecken aller Häresien" bezeich-net und den Priestern die Ablegung des Antimodernisteneides auferlegt. Das geistige Leben in den Gemeinden war verflacht und nicht mehr von der Unbedingtheit getragen, die die Anforderungen Gottes an sie stellten. Vielfach wurde der Liturgie nur noch der Stellenwert folkloristischer Veranstaltungen beigemessen. Die Kirche schaltete man häufig schon nur noch ein bei Taufen, Hochzeiten, Beerdigungen. Sie stellte so eine Art metaphysische Rückversicherung dar.

2.
Etwa seit Beginn des 19. Jahrhunderts hatte die katholische Kirche in ihrer Gesamtheit ihre allenfalls ehemalige Rolle im Bereich der Wissenschaft und der Kunst verloren, u.a. deshalb, weil sie geistig träge geworden war und nicht versuchte, neue Probleme durch grundsätzliche Erörterungen, sondern eher durch (jesuitische) Kasuistik zu lösen.1) Dadurch hatten sich auch eine Reihe von Fehlvorstellungen und Einseitigkeiten festge-setzt, die zu Fehlverhalten im religiösen und moralischen Leben führten. Ich greife hier willkürlich die Vorstellung von der Ehe heraus, die auf eine vornehmlich rechtliche Insti-tution reduziert war mit den bekannten Ehezwecken und ihr den Anstrich einer biologi-schen Zuchtanstalt gab. Das Ausblenden der Ehe als primär moralischer Einrichtung, in der sich Mann und Frau in Liebe gegenseitig hingeben und schenken, um eine geistige, vernünftige (Willens)Einheit zu bilden, hatte schon bitter, ja sarkastisch Léon Bloy zu Beginn dieses Jahrhunderts beklagt.

Man denke auch an den unklaren und verstümmelten Begriff der Kirche: für viele sah es doch so aus, als ob es in ihr bloß eine Klerikerkaste gäbe. Die Vorstellung der Kirche als eines Sozialkörpers z.B. war völlig unterbelichtet. Man hatte scheinbar alles fest in der Hand ohne Anstrengung und mußte nichts mehr erringen, um keine Position kämpfen. Wie bei den "HB-Männchen" aus der bekannten Zigarettenreklame ging alles "wie von selbst".

Schädlich war auch ein häufig anzutreffender Triumphalismus: Weil man die Wahrheit sozusagen gepachtet hatte, stand man auch schon im Heil, konkret: man brauchte sich nicht mehr anzustrengen, besonders, um sich mit fremden Personen und Ideen ausein-anderzusetzen. Ich erwähne hier auch den falschen Gehorsamsbegriff, der sich primär auf die Amtsträger als Personen gerichtet hat und nicht auf das Amt, welches ihnen von Gott zur Verwaltung aufgetragen worden war.

Wenn sich in der heutigen Zeit, d.h. nach dem "II. Vatikanum" die Gläubigen vor die Wahl gestellt sehen, zwischen der ungeteilten Wahrheit - aber ohne intakte Institution - und der intakten Institution - aber mit der verratenen, verfälschten Wahrheit - zu entschei-den, dann fällt die Wahl nicht schwer. Man zähle die Personen, die die Konsequenzen gezogen haben, besonders im Klerus!!

3.
Obwohl die Gesellschaft, speziell die kirchlichen Gemeinden, sich als relativ homogenes soziales Gebilde mit enormem Potential darstellte, empfanden dennoch viele ihre Situa-tion als durch den Glauben unangemessen eingeschränkt, ja als rückständig gegenüber modernen Strömungen und Tendenzen außerhalb der Kirche. Und man muß sagen, daß die geistige Elite sich als unfähig und zu bequem erwiesen hatte, abgesehen von apolo-getischen Scharmützeln, die auf die ungeschützten Gläubigen einprasselnden modernen Theorien tatsächlich aufzuarbeiten (z.B. Sozialismus, Psychoanalytik). Bis zum "Vatika-num II" gab es z.B. nicht einmal eine von einem katholischen Christen systematisch durchgeführte Religionsphilosophie. 2) Darum wurde das Schlagwort vom "Aggiorna-mento", von der Anpassung an den Zeitgeist begeistert als Heilsprogramm aufgenom-men und gefeiert: Endlich konnte man seine Komplexe abschütteln!

4.
Im seelsorglichen Bereich kam noch ein Moment hinzu, welches häufig unerwähnt bleibt: die Überbetonung des 6. Gebotes in der vorkonziliaren Ära. Wenn man ältere Leute gelegentlich fragt, was sie denn so engagiert für die Reformen einnimmt und was sie gegen die vorkonziliare Erscheinungsweise der Kirche einzuwenden haben, dann sind es in der Regel keine dogmatischen Einwendungen, sondern Vorbehalte gegen Un-verständnis seitens gewisser Kleriker bezüglich der Reglementierung des ehelichen Le-bens. Viele haben ihr Interesse u.a. an der Kirche deshalb verloren, weil sie in der Beich-te Ratschläge erhalten hatten, mit denen sie nichts anfangen konnten und die von einem krassen Unverständnis gegenüber den Problemen zeugten, die in einer Ehe auftauchen können. 3) Bereitwillig und dankbar wurde deshalb das Verständnis und die Duldung aller möglichen und tatsächlichen Verfehlungen im sexuellen Bereich durch den nach-konziliaren Klerus aufgenommen.

5.
All die aufgezählten Momente stellen keine Begründung für die Reformfreudigkeit dar, sondern sollen nur verständlich machen, warum die als Reformen verkauften modernen Häresien im großen und ganzen so bereitwillig aufgenommen wurden - und das auf der ganzen Welt! Sie waren nämlich als Paket gerechtfertigter Erleichterungen im moral-theologischen Bereich verabreicht worden und auch als solche angesehen, wobei die tatsächlichen Häresien im Bereich der Liturgiereform, hinsichtlich der Konstitution über die Kirche, der Christologie größtenteils nicht durchschaut wurden... bis heute nicht!

6.
Wenn man einmal ohne Zorn auf die letzten 20, 30 Jahre zurückblickt, vielleicht den Rückblick beginnen läßt beim Ende des sog. II. Vatikanums, dann meine ich, daß eines der überraschendsten Momente das Tempo und der große Anfangserfolg ist , mit dem die Reformer schier alles zu überrollen drohten, was sich ihnen in den Weg stellte, aber auch, was sich ihnen zunächst vorbehaltlos öffnete. Wie war so etwas möglich gewesen? Man war dabei recht geschickt vorgegangen: Die Verfälschungen wurden nicht auf ein-mal präsentiert, sondern sukzessive in wohl dosierten Schritten. Sie sickerten unmerk-lich ein, und der Abfall vom Glauben erfolgte deshalb schleichend. 4) Dennoch ist und bleibt dieser universelle Abfall, der von Christus für das Ende der Zeiten prophezeit war (vgl. Matth. XXIV, 15-35) in der Tat auch ein wirkliches Geheimnis des Bösen.

Hinweis

Diese relativ ausführliche, aber längst nicht vollständige Auflistung von Fehlverhalten und Fehlvorstellungen, die zumindest die Reformen begünstigt haben, ist insofern nötig, weil es bei einem Wiederaufbau der Kirche nicht bloß darum gehen kann, die unmittel-bar behaupteten Häresien auszuräumen, sondern auch die alten Fehler im theologischen und wissenschaftlichen, im künstlerischen und pastoralen Bereich zu korrigieren.

AUFBAU DES WIDERSTANDS - THEOLOGISCHE AUFKLÄRUNG

Nachdem ersichtlich war, daß es sich bei den sog. Reformen des "II. Vatikanums" in Wahrheit um eine Revolution von oben handelte, durch die sukzessive zunächst nur he-terodoxe, dann aber Positionen eingeführt wurden, durch die grundsätzliche Glaubens-aussagen relativiert, uminterpretiert und verfälscht wurden - Herr Dr. C.A. Disandro sprach in diesem Zusammenhang von einem "semantischen Krieg" - und das religiöse sakramentale Leben zu erlöschen begann, formierte sich erst langsam, dann allerdings weltweit ein Widerstand, der nur noch auf die Auswirkungen dieser geistig-religiösen Katastrophe reagieren konnte. Man kann im nachhinein sagen, daß kaum jemand auf diese Revolution "von oben" vorbereitet war, weder im Klerus noch bei den Laien. Und wenn man die Adaption der sog. Reformen auch durch so viele alte Priester registrieren muß, kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, daß diesen geistlichen Herren eine Fundierung im Glauben sicherlich gefehlt hatte, daß eine reflexive Aufarbeitung des Depositum nie wirklich ernst genommen worden war und stattgefunden hatte, weswegen ihnen eine spezifisch christliche und reflexiv durchvollzogene Glaubensüberzeugung abging. 5)

BESTANDSAUFNAHME

Wenn man nun einmal sein Augenmerk auf das lenkt, was zur Bewältigung der kontinu-ierlich fortschreitenden Krise getan wurde, so läßt sich zumindest eines positiv festhal-ten: Theologisch aufgegriffen und aufgearbeitet wurden schon kurz nach Beendigung des sog. Vat. II diejenigen Themenkreise (u.a. Konstitution der Kirche, Reform der Litur-gie), die auf diesem abgehandelt worden waren, um die durch die Reformer propagier-ten Irrtümer bzw. Verfälschungen der entsprechenden kirchlichen Lehraussagen in die-sen Bereichen zu entlarven. Auch wenn die Ansätze bei den weltweit arbeitenden Wi-derstandsgruppen auf unterschiedlich klarem theologischem Niveau angesiedelt waren, so kam man im Laufe der Zeit dennoch zu entscheidenden Positionen (zumindest in den Gruppierungen, die wirklich am Schicksal der Kirche Interesse hatten - und nicht bloß die große Bandbreite traditionalistischer Ideen vertraten), die zugleich die Grundlage lieferten für einen - im nachhinein gesehen - eher dürftigen Widerstand. (Das lag aber nicht an den theologischen Konzepten, sondern an der Abstinenz, diese auch umzuset-zen.) Es gab und gibt weltweit gute und seriös arbeitende Zeitschriften, die sich diese Aufklärung zum Ziel gesetzt haben.

1.
Ich kann hier nur aufzählen bzw. rekapitulieren, was an anderer Stelle breit ausgeführt wurde: So ist weitgehend Einigkeit darüber erzielt worden, daß z.B. die von "Vat. II" ausgehenden bzw. von ihm initiierten Reformen der Sakramentsriten in sich ungültig sind: unter anderem der sog. N.O.M. und der Ritus der neuen Priester- und Bischofswei-he. Allein dadurch ist die Ader, durch die göttliches Leben diese Erde belebt und ernährt hat, durchtrennt worden und das geistige Leben fast gänzlich erloschen! Und nicht nur das: Durch die drohende Unterbrechung der apostolischen Sukzession wäre auch die Chance auf eine eventuelle Wiederbelebung vertan.

2.
Es wurde aufgezeigt, daß ein in Häresie gefallener Papst ipso facto aufhört, dieses Amt innezuhaben. Diese Position wurde trotz des Störfeuers von seiten Mgr. Guérard des Lauriers und seines Anhanges, von dem heute noch ein kleiner hartnäckiger Kern in Verrua Savoia / Italien - die Herausgeber der Zeitschrift SODALITIUM - existiert, inzwi-schen wieder weltweit vertreten.

3.
Es wurden die Irrtümer in den verschiedensten Lehrauffassungen der Reformer, die exemplarisch in den Sendschreiben von Paul VI. und Joh. Paul II. vertreten wurden, im einzelnen aufgelistet, wobei sich die Herren Prof. Siebel / Saarbrücken und Prof. Wend-land für den deutschsprachigen Bereich, für Frankreich Sr. Myra Davidoglou und für den südamerikanischen Raum bis zu ihrem Tod H.H. P. Saenz y Arriaga und Herr Prof. Disandro besonders über die Jahre bemüht und verdient gemacht haben. Es wurden die entscheidenden christologischen Irrtümer aufgezeigt, die die Offenbarung als solche und die Konzeption der Kirche betreffen und die Ausgangspunkte bildeten für einen offenen Ökumenismus, der überging in einen anfänglich noch verhohlenen, nun aber völlig offen vertretenen Synkretismus der verschiedenen Religionen. Dabei ist nur ein inhaltsleerer "Gott" übriggeblieben, Chiffre für subjektive Projektionen, wodurch der Name Gottes zur reinen Worthülse verkümmerte.

4.
Diese immer stärkere Erosion am dogmatischen Gestein der Kirche hat inzwischen selbst für die Reformer dazu geführt, daß die religiöse Revolution, die von der abgefalle-nen Hierarchie eingeleitet wurde, beginnt, ihre eigenen Kinder zu fressen: ein offenkun-dig häretischer Papst gilt vielen inzwischen wegen seiner (angeblich orthodoxen) Hal-tung in Sachen der Moral wiederum schon als reaktionär, als Fundamentalist, den es wegen seiner Intransigenz auszuschalten gilt. Denn die "von oben" ausgegossenen, revo-lutionären Ideen - d.h. konkret: die Ablehnung der göttlichen Offenbarung - haben in sich die Tendenz, "tabula rasa", reinen Tisch zu machen, so lange, bis eben nichts mehr verbindlich gilt. Man denke hier nur an die uralten häretischen Forderungen: den Pries-tern Frauen, die Frauen zum Priesteramt, den Laien Macht, die heute wieder fröhliche Urständ feiern - man schaue sich nur die sog. Kirchenbegehren in Österreich und Deutschland an! Fallen aber noch solche Bastionen - einmal aus der Sicht der Reformer betrachtet -, dann verdunsten auch die von ihnen bisher noch gehaltenen Positionen. Was H.H. Prof. Joh. Bökmann von den gesellschaftlichen Progressisten schreibt, läßt sich auch von den sog. kirchlichen sagen: "Komisch wirken da unentwegte Fortschrittler, längst müde und fußkrank geworden vom dauernden Fortschreiten. Sie stolpern jetzt rat- und orientierungslos zwischen den desaströsen materiellen (hier zu ersetzen durch: geistigen) und menschlichen Ruinen ihrer Projekte, Experimente und Artefakte in der selbstverschuldeten Wüste gänglicher Ziellosigkeit umher." 6)

5.
Ich mache hier eine Anmerkung. Wenn man einmal darauf achtet, wer sich vorrangig an der Aufarbeitung des häretischen Materials und der Aufklärung darüber beteiligt hat, fällt auf, daß der Großteil der theologischen Arbeit von Laien erbracht wurde. Man den-ke nur an die mit unglaublichem Spürsinn bloßgelegten Häresien der anfänglich ver-deckt operierenden Reformer durch Herrn Dr. Kellner / USA oder an die gründlichen Recherchen eines Herrn Dr. Franz Bader, der sich über Jahre mit den theologischen Posi-tionen des sog. N.O.M. auseinandergesetzt hat, die in den ersten Jahren unsere Zeit-schrift entscheidend mitprägten, oder an die souveränen dogmatischen Bestimmungen, die Herr Dr. Disandro auf dem Hintergrund eines umfassenden Wissens traf, aber auch an bestimmte Positionspapiere und Programme, die Herr Dr. Lauth anfänglich einge-bracht hat. Dagegen waren und sind die von Klerikern ausgearbeiteten Beiträge eher spärlich geflossen. Priester/Theologen wie H.H. Dr. Katzer, Pater Saenz y Arriaga und selbst der nachmalige Bischof Guérard des Lauriers (obwohl er den Widerstand mit sei-ner abwegigen These vom "Papa materialiter, non formaliter", deren Zustandekommen kaum jemand richtig begriffen hat, erheblich belastet hat) waren selten. Dagegen be-rührt es schmerzlich, daß selbst promovierte Theologen wie z.B. der nachmalige Bischof Dr. Storck sich nicht an der theologischen Aufarbeitung der anstehenden Probleme be-teiligt haben. 7) Abgesehen davon sollte es doch nachdenklich stimmen, daß alle theolo-gischen Zeitschriften im deutschsprachigen Raum, die die oben skizzierten Positionen vertreten - sieht man einmal von dem erst Anfang der 90er Jahre an und nur kurze Zeit unter der Ägide von Bischof Storck herausgegebenen und sich ausschließlich pastoralen Themen widmenden ATHANASIUS ab, der unter dem Namen "Beiträge..." von H. Herrn Kaplan Rissling und Herrn Ehrenberger mit der gleichen Thematik fortgeführt wird - von Laien herausgegeben werden. 8)

6.
Diese Art der Aufklärung und der Information führte zu einer weltweiten Klärung der grundsätzlichen Positionen. Während anfangs, d.h. Ende der 60er, Anfang der 70er Jahre die meisten Katholiken, die sich der Tradition verpflichtet fühlten, sich primär auf ihre religiösen Intuitionen stützten, die ihnen sagten, daß da etwas im Gange war, was sich gegen zentrale Glaubensinhalte richtete, wurden diese Anfangszweifel zügig durch theo-logische Argumente ersetzt - mit einem erheblichen Effekt auch nach außen. Seit der "Declaratio" von S.E. Erzbischof Ngô-dinh-Thuc, in der die zwar bekannten Positionen (Ungültigkeit des N.O.M. , der übrigen Sakramentsriten, Unbesetztheit des Apostolischen Stuhles wegen Häresie des illegitimen Inhabers) noch einmal durch einen legitimen Amtsträger der Kirche bekräftigt und die Sedisvakanz des römischen Stuhles förmlich erklärt wurde, spricht man weltweit von "Sedisvakantisten". 9) Und man täusche sich nicht! Diese "Declaratio" hat auf die Reformer wesentlich mehr Eindruck gemacht als auf die (bornierten, geistig faden) Traditionalisten. Selbst junge Religionsdiener der Re-form-Kirche kennen die diesbezüglichen Sachverhalte recht gut! 10) Man mag sich da-ran erinnern, daß selbst führende Reformvertreter, wie z.B. Kard. Höffner aus Köln sich in halb offiziellem Kreis dahingehend äußerten, man müsse die neuen sog. Meßbücher wieder einstampfen, oder der damalige Theologie-Professor Ratzinger, der in Regens-burg dozierte, schriftlich verlauten ließ, die Wandlungsworte seien in der Tat verändert - stellten aber keine Häresie dar -, weswegen man den Bezug zur Tradition wieder her-stellen könne und müsse. Diese Eingeständnisse massiver theologischer Fehler wurden von seiten des Widerstandes kaum oder gar nicht registriert, geschweige denn in der öffentlichen Debatte gegen die Reformer und ihre Reformen verwandt.

7.
Der Durchsetzung bestimmter Argumente abträglich war auch eine gewisse "Sprachre-gelung", die besonders von traditionalistischen - um den Status des Schwankens auszu-drücken - Priestern praktiziert wurde. Ich denke da u.a. an P. Barbara, der jahrelang auch nur von einer "protestantischen Messe" - so oder ähnlich - sprach, aber sich nicht zu einer eindeutigeren Position durchringen konnte. Mentale Barrieren, besonders was die Beurteilung des Status der Reform-Kirche betrifft, gibt es auch heute noch. Man trifft da auf die kuriosesten Auffassungen. (Es waren also nicht nur die gern zitierten "bösen Freimaurer" oder der Diabolos, sondern schlicht eigenes Unvermögen und eigenes Ver-schulden, welches die Durchsetzung der eigentlich stringenten Argumente behinderte.)

8.
Der Vollständigkeit halber will ich noch erwähnen, daß Ecône, auf dem anfänglich viele Hoffnungen ruhten, sich an dem Aufzeigen und der theologischen Aufarbeitung der von den Reformern verbreiteten Verfälschungen - sieht man von ganz zaghaften Versuchen nach dem Tode ihres Gründers ab - nicht nur nicht beteiligten, sondern sogar noch alle Positionen bekämpften, die für Eindeutigkeit und Klarheit sorgten. Mgr. Lefèbvre bot nicht präzise theologische Argumente, sondern Schlagworte: "Modernismus, Liberalis-mus, Kommunismus"... und Schluß! So wich er exakter theologischer Darstellung aus, so umgingen seine Anhänger genaue Festlegungen. 11)

AUFBAU DES WIDERSTANDS - PASTORALE AUFGABEN

Eine ähnliche Lastenverteilung wie bei der theologischen Aufarbeitung begegnet uns auch bei der Organisation und Durchführung des aktiven kirchlichen Widerstandes und der praktischen Seelsorge.

1.
Als sich zu Beginn der 70er Jahre der Widerstand sukzessive sein theologisch-kirchliches Selbstverständnis gegeben hatte und sich zu formieren begann, gab es zu-nächst noch eine ganze Reihe von Gläubigen und Klerikern - Kardinäle, Bischöfe, Pries-ter - und sogar eine Reihe von Personen, die in der Öffentlichkeit standen (Minister Hundhammer in Bayern, Rundfunkkommentator Martini) und den wissenschaftlichen Eliten angehörten, die sich für die theologischen/religiös-kirchlichen Zustände interes-sierten, und die sich öffentlich für die Beibehaltung der Tradition einsetzten. Man erin-nere sich, daß Paul VI. von Protestanten, dem orthodoxen Patriarchen von Konstantino-pel und sogar von Juden gebeten worden war, den alten Ordo Missae ja nicht anzutas-ten! Allgemein war man allerdings der Auffassung, daß die Probleme, die durch die Eli-minierung der Tradition und der Liturgie entstanden waren, intern, d.h. im innerkirchli-chen Rahmen zu lösen seien. Als jedoch immer klarer wurde, daß die Revolution von oben eine andere Kirche anstrebte, daß die Reformen Häresien beinhalteten, wodurch die Traditionalisten sich vor die Entscheidung gestellt sahen, entweder der abgefallenen Kirche als orthodoxe Sekte anzugehören oder diese Kirche zu verlassen, um die wahre Kirche zu sein, lichteten sich die Reihen erheblich.

2.
Von den Amtsträgern blieben nur wenige Bischöfe übrig, die offen Paul VI. widerstan-den. Zu diesen gehörte u.a. Erzbischof Lefèbvre, auf dem, nachdem er in Ecône sein sog. Internationales Priesterseminar gegründet hatte, naturgemäß die Hoffnungen von vie-len Gläubiger ruhten: vordergründig und was die Praxis betraf - war dort alles "wie frü-her". Und die Ausbildung junger Priester schien die Garantie zu sein, daß die Kirche überleben würde. Auch wenn Lefèbvre mehrfach versicherte, nicht der Führer der Tra-ditionalisten sein zu wollen, zugleich aber durch seine Erpressungen - pastorale Betreu-ung nur gegen Übergabe der gerade entstandenen Meßzentren - viele Leute brüskierte und empörte, verkörperte er wegen seiner Disziplin dennoch die alte Kirche, blieb er das Firmenzeichen des katholischen Widerstandes, an das sich gerade Priester anklammer-ten, auch wenn sie später erfahren mußten, daß das Ecône-Programm unhaltbar war. Tatsache ist, daß Lefèbvre bewußt keine klaren Positionen bezog, in allem inkonsequent war und statt auf theologische Aufklärung auf handfeste egoistische Hausinteressen, d.h. auf die Mehrung seiner Macht bedacht war - und nicht auf die religiöse Misere schaute. Er und sein Anhang waren und sind also nur waschechte Traditionalisten, deren Positi-on als die von schismatischen, angeblich rechtgläubigen Rebellen innerhalb der aposta-sierenden Reform-Kirche anzusiedeln ist. 12)

3.
Weil viele Kleriker nicht willens waren, sich selbst zu exponieren (weil sie den berühm-ten Rockzipfel nicht missen wollten) oder weil sie damit spekulierten, aus taktischen Gründen nicht auf Lefèbvre verzichten zu können - bei voller Klarheit über die Defizite der theologischen Positionen -, haben sie sich und engagierte Laien im Windschatten von Lefèbvre getummelt. Die Folge war klar: Trotz theoretischer, d.h. theologischer Auf-arbeitung und Positionsbestimmungen, kam es im praktischen, d.h. pastoral-kirchlichen Bereich nicht zu der erhofften Konzentration und dem Zusammenschluß der tatsächlich Rechtgläubigen, überredeten doch die sich an Lefèbvre anklammernden Priester ihre Gläubigen, sich gleichfalls unter diesem Dach zu sammeln. (Ich verzichte darauf, Namen zu nennen!)

4.
Viele Kleriker - und das trifft besonders für die deutschen Geistlichen zu - engagierten sich nur in begrenztem Maße, um ihre materielle Absicherung durch die Amtskirche nicht zu gefährden, weswegen es sogar vorkommt, daß solch ein Priester noch immer seinen Gläubigen empfiehlt, Kirchensteuer an die Reform-Kirche zu zahlen!!! Anders als in Frankreich wurden die Meßzentren in Deutschland ausnahmslos von Laien aufgebaut - sieht man von der Einladung bestimmter Priester an ganz kleine Kreise von Gläubigen ab, ihren Meßfeiern in privaten Räumlichkeiten beizuwohnen.

5.
Vielen Gläubigen wurde in den letzten Dekaden klar, daß der weitere Fortbestand der Kirche vornehmlich abhängt von einer intakten Hierarchie. Wenn sich diese entweder verweigert oder untereinander zerstritten ist, führt ein solcher Zustand - theologisch gesprochen - zu einem latenten Protestantismus, praktisch: zu sektiererischer Gruppen-bildung - ohne verbindende pastorale Aufgaben. Viele haben das jämmerliche Schauspiel erleben müssen, wie die Hirten von ihren Schafen geführt wurden. In dieser führungslo-sen Zeit ist verständlicherweise auch die Bereitschaft zurückgegangen, sich mit vollem Einsatz kirchlichen Aktivitäten zu widmen.

STARTZEICHEN ZUR KONZENTRATION: DER 1. FASTENSONNTAG 1976

Trotz dieser ungünstigen Bedingungen führte schließlich das offiziöse Verbot der hl. Messe zum 1. Fastensonntag 1976 doch zur spontanen Bildung von relativ großen Soli-dargemeinschaften zur Bewahrung des hl. Meßopfers. Es wurden sog. Meßzentren ge-gründet, die von örtlichen Gruppen oder Einzelpersonen eingerichtet und unterhalten wurden. Wiederum war es Ecône, das den notorischen Mangel an Priestern zum be-kannten Meßzentrumsklau benutzte - nach dem einfachen Schema: Unterstellst du dich nicht, bekommst du keinen Priester, d.h. erhältst du keine Sakramente. 13)

1.
Durch die Errichtung der Meßzentren bildeten sich Notgemeinden mit einer sakramen-talen und pastoralen Grundversorgung, die bis heute weiterbesteht. Leider - und man muß dieses "leider" betonen - blieb es weitgehend bis heute bei dieser Grundeinrichtung ohne Erweiterung in reale Kirchengemeinden mit dem Ziel einer umfassenden Restitu-tion - die offiziöse war als Institution längst apostasiert. Schuld an dieser Stagnation hat-ten zum einen die heilsegoistischen Laien (nach dem Motto: "Nur die alte Messe!"), die vergessen oder nie gewußt hatten, daß die Sakramentenspendung nur innerhalb der intakten, d.h. der von Christus und Seinen Stellvertreter-Nachfolgern beauftragten Kir-che erlaubtermaßen erfolgen darf, und zum anderen die Kleriker, die nur oder haupt-sächlich ihre Klientel im Auge hatten und sogar die Konzeption einer Gesamtrestitution kritisierten, u.a. sogar ein Bischof, wobei er vergaß, daß er doch seine Konsekration nur einer solchen Bemühung um die Restitution verdankte.

2.
Trotz dieser mentalen Sperren auf der einen Seite und deS sektiererischen Egoismus auf der anderen, war es uns Anfang der 80er Jahre - also gut vier Jahre nach dem Verbot der hl. Messe - gelungen, nach längeren Debatten über den Zustand der Kirche, an denen u.a. auch H.H. Dr. Katzer beteiligt war, S.E. Mgr. Ngô-dinh-Thuc für die Konsekration mehre-rer Bischöfe zu gewinnen, um die inzwischen gefährdete apostolische Sukzession zu bewahren. Denn entweder waren in der Zwischenzeit die gültig geweihten Bischöfe ge-storben oder in Häresie bzw. Apostasie gefallen oder die nach dem neuen Ritus konse-krierten waren keine Bischöfe geworden, weil dieser Ritus in sich ungültig ist.

3.
Trotz dieser mutigen Tat zur Rettung der Kirche, die für Erzbischof Ngô-dinh-Thuc zur Folge hatte, daß er bis zu seinem Lebensende ständig auf der Flucht sein mußte und trotz eindringlicher Ermahnungen an die neugeweihten Bischöfe in Button Rouge / USA, sein Werk fortzusetzen, waren die Reaktionen darauf so denkwürdig, daß sie hier nicht unerwähnt bleiben sollen: Anstatt eng zusammenzuarbeiten, begannen die neu geweih-ten Bischöfe bald darauf, ihre theologischen und persönlichen Differenzen offen auszu-tragen oder Sondermeinungen zu produzieren wie Mgr. Guérard des Lauriers, der die These vom "Papa materialiter, non formaliter" erfand, die er kurz vor seinem Tode fast gänzlich widerrief. Diese Querelen haben im Lager der Sedisvakantisten für erhebliche Irritation gesorgt, ja dieses Lager sogar zeitweise wiederum gespalten. Noch heute ver-treten die Kleriker von Verrua Savoia in Italien - ehemalige Ecônisten - mit Vehemenz diese unsinnige Position, ja sie haben sie sogar zum festen Inventar ihres Depositum gemacht. 14) Wegen der Vorbehalte gegen die Person von S.E. Mgr. Ngô-dinh-Thuc - nach den Weihen von Palmar de Troya vielen suspekt geworden (zu Unrecht!, wie sich bei nüchterner Betrachtung herausstellte! - lehnten andererseits eine ganze Reihe von sog. führenden Traditionalisten 15) diese Konsekrationen ab. Ich denke da nur an die häßlichen Kampagnen von Père Barbara, der inzwischen seine Haltung jedoch revidiert hat. Außerdem - und das ist unverzeihlich! - konsekrierten die neuen Bischöfe ohne ge-genseitige Absprache und Konsultation! Es wurden Bischofsweihen an Personen ge-spendet, die für dieses Amt nicht qualifiziert oder durch Hindernisse belastet waren. Einige von ihnen kann man mit Léon Bloy getrost als "Mitrenständer" bezeichnen. Diese Disziplinlosigkeit, die eine Konsolidierung nahezu verhinderte, wurde komplettiert dadurch, daß sich schlichte Sektierer bzw. Schismatiker, besonders Kleriker, die ihre Sukzession von der Utrechter Union herleiten bzw. herzuleiten versuchen, und sonstige in der Tat völlig dubiose Gestalten den Meßzentren erfolgreich als Kleriker präsentier-ten und auch aufgenommen wurden.

4.
So kam es, daß sich Clerici vagantes (schlicht: Sektierer) mit den teilweise geistig spär-lich bemittelten oder defizienten Klerikern eigentlich rechtgläubiger Provenienz, die allerdings wegen ihrer skurrilen Einstellungen immer am Rande der Häresie und des Sektierertums dahintrieben, mischten, und in eine diffuse Klerisei mündeten. Die Gren-zen zwischen Sektierern und sog. Rechtgläubigen wurde immer verschwommener, klare Konturen wurden verwischt. Ich denke da an die Münchner Verhältnisse im Zentrum des verstorbenen Bischofs Storck, wo neben einem kopflosen, aber rechtgläubigen Fr. Baird ein Abbé Cloquel als Seelsorger und Priester eingesetzt ist (mittlerweile allerdings herausgekündigt von Herrn Filser), dessen kirchlicher Status unbestimmt und dessen Weihe hinsichtlich ihrer Gültigkeit fraglich ist. Das Fatale dabei ist, daß die Gläubigen - obwohl sie um die Probleme wissen - an einer Klärung nicht interessiert zu sein schei-nen.

ZUSAMMENFASSUNG

Abschließend muß man sagen: Die erwartete Konsolidierung des sedisvakantistischen Lagers blieb aus. Der einzige Bischof, der trotz all dieser Querelen noch für das Gesamt-wohl der Kirche Sorge trug und dafür arbeitete - trotz ständiger Bedrohung seines Le-bens! - und überall konsequent unsere Position vertrat, war Mgr. Carmona, der leider Ende 1991 bei einem Autounfall ums Leben kam. Jemanden, der ihn ersetzen könnte, sehe ich nicht.

Angesichts dieser dünnen Personaldecke und der latent sektiererischen Mentalität vie-ler traditionalistischer Kleriker, die kein oder kaum Interesse zeigen, auf kirchlicher Ebene zusammenzuarbeiten, ist es verständlich, weswegen die in unseren Reihen aus-gearbeiteten gründlichen, theologischen Positionen und klaren Programme auf prakti-schem Gebiet nicht zu einem Ausbau der Gemeinden und einem größeren Zusammen-schluß führten. (Zum anderen ist gerade der desolate Zustand im Bereich der prakti-schen Seelsorge schuld daran, daß viele Gläubige resigniert haben und in die innere Emigration gegangen sind.)

Ich erwähne noch die beiden Abenteuer einer sog. Papstwahl von Herrn Bawden und Frau Gerstner, die aber weniger Schaden angerichtet haben, als manche befürchtet hat-ten. Beide Unternehmungen mußten scheitern, weil diese Aktionen theologisch wenig durchdacht waren. (Eine sinnvolle Durchführung erscheint mir zur Zeit auch wegen the-oretischer, personeller und organisatorischer Probleme nicht möglich zu sein.) Aber dies als Bemerkung ins Stammbuch all derjenigen, die das Problem der Restitution der Kirche als Bastelei an den Organisationsformen abtun: Sie wollen nicht wahrhaben, daß die Kirche von Christus als Heils-Institution geschaffen wurde, durch welche legitimer-weise eine Heilsvermittlung überhaupt erst laufen kann. 16)
AUFGABEN UND ZIELE UNSERER ZEITSCHRIFT

Welche Rolle spielte und spielt die vom Freundeskreis herausgegebene Zeitschrift, wel-che Aufgaben hatten dessen Mitglieder in der gesamten Auseinandersetzung gehabt? Die Gründung der EINSICHT war 1971 erforderlich geworden, nachdem DAS ZEICHEN MARIENS, welches bis dahin zum Organ der wirklich orthodoxen Gegner des aufstre-benden nachkonziliaren Reformismus im deutschsprachigen Raum geworden war - u.a. waren darin einige richtungsweisende Beiträge von Herrn Dr. Lauth erschienen - nach dem Erhalt einer immensen Spende ( ca 1/2 Millionen DM) von Baron S.N. seinen ortho-doxen Kurs aufgab und zum Apparitionisten-Blättchen degradierte. (Ich verzichte da-rauf, den Zusammenhang zwischen Spende und Kursänderung kausal zu rekonstru-ieren und zeichne mit der temporären Beziehung nur das zeitliche Nacheinander auf.)

1.
Nach dieser "Ernüchterung", die nicht nur einen erheblichen Rückschlag darstellte, son-dern zugleich signalisierte, daß an der Beseitigung eines qualifizierten Widerstandes recht flüssige Kräfte wirkten, war zur Fortführung der Aufklärung gegen die Reformer ein Kampfblatt nötig geworden, welches von der inhaltlichen Seite gezielt und theolo-gisch präzise recherchierte, ohne Rücksicht auf Personen und ohne Angst vor eventuel-len Sanktionen, zum anderen aber von der Organisationsform her finanziell möglichst unabhängig, d.h. nicht anfällig für den Bedarf größerer finanzieller Mittel sein sollte. So erschien die EINSICHT in ihrer äußeren Aufmachung eher bescheiden, inhaltlich aber war sie hoch brisant. Es wurden Themen und Probleme aufgegriffen und einer Lösung zugeführt, die von den meisten anderen Gruppen erst Jahre später behandelt wurden: Verhältnis von Dogma und Kirchenrecht, Verhältnis von Glaube und Vernunft, Meßfrage, Sedisvakanz, Ungültigkeit der neuen sog. Sakramentsriten, Kritik am und Abrücken vom Lefèbvrismus, Restitution der Kirche als Heilsinstitution, pastorale Hilfen für die spezifi-schen Situationen und Vertiefung des Glaubensgutes durch katechetische Unterweisun-gen. Es ist klar, daß man in dieser exponierten Stellung nur mit wenigen Freunden rech-nen kann: Man wird sowohl von Progressisten wie von Traditionalisten als Störenfried betrachtet, der "lieblos" - eine gern benützte Unterstellung, wenn wir Kritik an häreti-schen Klerikern übten -, "anmaßend und arrogant" als Schreibtischtäter sein Unwesen treibt.

2.
Die teils gehässigen Kampagnen, die gegen die in der EINSICHT vorgetragenen Thesen entfacht wurden, konnten eines nicht verhindern: daß sich nämlich die bezogenen Posi-tionen - von anderen Kreisen mittlerweile mitgetragen - allmählich weltweit durchsetz-ten. Und das war und ist eigentlich immer das Entscheidende für uns und unsere Arbeit gewesen: das Sich-Durchsetzen der Argumente! Wenn ich noch eine Bemerkung zu mei-ner inzwischen über 20 Jährigen Zeit als Redakteur machen darf: ich war eigentlich vol-ler Hoffnung auf eine Besserung der kirchlichen Zustände, nachdem S.E. Mgr. Ngô-dinh-Thuc die ersten Bischöfe geweiht hatte. Leider trat die erwartete Salvierung der Ver-hältnisse aus den vorher geschilderten Gründen nicht ein. Nachdem ich dieser Selbst-zerfleischung mehr oder weniger ohnmächtig zusehen mußte, habe ich mich mehr und mehr darauf konzentriert, aus einer sachlichen Differenz das Handeln der Kleriker zu betrachten, nüchtern zu beurteilen und - wenn nötig - auch zu kritisieren. Denn ich konnte und kann meine Aufgabe des Redakteurs einer religiösen Kampfschrift (mit pas-toraler Frontbetreuung) nicht darin sehen, Lächerlichkeiten, Absurditäten, Amts- und Sakramentsmißbrauch und Ungeheuerlichkeiten zu decken, nur weil sie von Personen begangen werden, die angeblich im eigenen Lager stehen, in der Hoffnung, so größeres Unheil für die Kirche, für unsere eigenen Anstrengungen, die Gott uns tun läßt, zu ver-hindern. Wenn darin gewisse Kleriker vielleicht ein den Gewerkschaften ähnliches Ver-halten erblicken, so sollen sie wissen, daß sie da so falsch nicht liegen.

3.
Vor einiger Zeit erhielt ich von einem Leser einen Brief, in dem er vorwurfsvoll fragte, warum wir denn solch kritische Stellungnahmen, die nur die Betreffenden brüskierten, veröffentlichen würden. "Jahrelang", so tadelte er, "wettern Sie nun schon gegen Pries-ter, Bischöfe, Meßzentren, gegen Laien und gegen was weiß ich wen alles. Das Dumme dabei ist, daß keine dieser Personen sich von Ihnen etwas sagen lassen will! (...) Wahr-haftig, Sie sind nicht beliebt bei den Klerikern und den Verantwortlichen der Meßzen-tren." Man kann die Vorwürfe auch dahingehend zusammenfassen: Die EINSICHT und ihr verantwortlicher Redakteur betreiben Nestbeschmutzung. Dazu ist zu sagen: Eine solche Interpretation, eine solche Sichtweise hieße, die Dinge auf den Kopf zu stellen: Das Nest ist nicht schmutzig, weil die EINSICHT darüber berichtet, sondern sie berichtet, weil es schmutzig ist. Wenn schon auf vorhandene Schandflecken hingewiesen wird, dann doch nur deswegen, um die Beschmutzer auf die nötigen Aufräumarbeiten hinzu-weisen. Ich weiß nicht, worin der Briefschreiber die Rolle eines kritischen Journals sieht. Es ist wenig sinnvoll und hilfreich, aus lauter Parteilichkeit die Augen vor dem Versagen im eigenen Lager zu verschließen und es zu verschweigen, denn diese bewußte Blind-heit, dieses Sich-Verschließen vor der häßlichen Wirklichkeit, dieses beliebte Verdrän-gen begünstigt nur noch größere Verfehlungen und Entgleisungen, die schließlich die Basis für unseren Glaubenseinsatz zerstören würden. Und ich sehe keinen Grund, von diesem Konzept abzurücken, nur damit ein altes Tantchen, pardon ein junger, eingebil-deter, arroganter Traditionalist ungestört bei einem ausgewiesenen Sektierer oder du-biosen Priester (oder angeblichen Priester) seinem Heilsegoismus ungestört frönen kann. Episteln wie die zitierte lese ich mit viel Geduld!

ZUSAMMENFASSUNG

Wenn wir uns am Schluß dieser unfreundlichen Betrachtungen nicht einfach in den Ses-sel fallen lassen wollen und uns fatalistisch mit den Worten Christi begnügen wollen, daß nämlich "die Pforten der Hölle die Kirche nicht überwältigen" würde ("non praeva-lebunt" - Matth. XVI, 18, denn als Beruhigungspille und als Anweisung zur selbstgenüg-samen Apathie wurde uns diese Prophezeiung nicht gegeben) noch einmal auf unser Thema der Bewahrung der Kirche - der wahren wohlgemerkt!, die wir ja nicht als "Aus-laufmodell" betrachten wollen - zurückkommen, dann heißt das unter den geschilderten Umständen:
1.
Wir alle müssen enorme geistige Anstrengungen vollbringen, da die Auseinanderset-zung, in der wir uns befinden, eine vornehmlich geistige ist, ein geistiger Kampf, den der verstorbene Herr Dr. Disandro als "semantischen Krieg" bezeichnete, in dem die be-kannten rechtgläubigen Glaubensvorstellungen terminologisch - d.h. unter Beibehaltung der gleichen Termini - mit anderen begrifflichen Inhalten besetzt werden, um so unsere Vorstellung von Gott, von seiner Offenbarung zu verfälschen. Und diese Auseinanderset-zung ist deshalb vornehmlich mit Argumenten zu führen. D.h. negativ gesprochen (um ein plastisches Beispiel zu gebrauchen) es nutzt nichts, wenn wir sozusagen Johannes Paul II. von seinem römischen Sitz stoßen, um dort einen Linus II. zu platzieren. Mit ei-ner solchen Aktion - per impossibilem gesprochen - wäre nichts gewonnen. Sondern: wir müssen darauf hinarbeiten, daß sich durch unsere Aufklärungsarbeit einerseits die Auffassung vom Glaubensabfall der Hierarchie durchsetzt und zum anderen Aktionen hinsichtlich einer eventuellen Papstwahl vorher gründlich recherchieren. Wir müssen uns zum einen besonders in Fragen der christlichen Lehre weiterbilden, um dieses Wis-sen lebendig an andere weitergeben zu können. D.h. wir müssen unser Wissen leben, damit Christi Wille in unserem Tun sichtbar wird, d.h. zum anderen: Wir sollen missio-narisch wirken, Propaganda machen für Christi Lehre, für Seine Kirche, Seine Heilsein-richtungen. Wir sollen also unter diesen heutigen Umständen, die von uns etwas mehr fordern als nur die Erfüllung unserer sprichwörtlichen Christenpflicht, in Geduld fest-halten an der ewigen Offenbarungswahrheit und für diese lebendige Wahrheit Zeugnis ablegen.

Auch wenn der Gedanke vielen fremd sein dürfte: Wir sollten unseren Mitmenschen als Verkörperung eines bestimmten Prinzips gelten lassen. Solschenizyn beschreibt einmal die Geschichte einer russischen Bäuerin, die schließlich bei einem tragischen Unfall ums Leben kommt. Nach ihrem Tod merken die Menschen im Dorf, was diese ältere Frau für sie verkörperte: die Gerechtigkeit. Ähnlich sollten unsere Mitmenschen erfahren, für welches christliche Prinzip jeder einzelne von uns nach seinen jeweiligen Kräften und Möglichkeiten steht: für eine lebendige Glaubensüberzeugung, für Mitgefühl, für Güte, für Barmherzigkeit.

Manche machen einen recht bedrückten Eindruck ob der Aussichtslosigkeit auf Erfolg. Wenn man nur darauf schaut, muß man sagen, Christi Erdenleben war - gemessen an den Kriterien des meßbaren Erfolges - anscheinend doch eher ohne große Resultate: Bei seiner Festnahme verließen ihn die letzten Getreuen, dann noch die Verleugnung durch Petrus... Ich meine, man kann Erfolg in dem Sinne nie manipulieren, er hängt von so vie-len Faktoren ab, die wir nicht im Griff haben. Aber wir können Verkörperung meinetwe-gen der Barmherzigkeit, besser noch der Demut sein, einer wahrhaft christlichen Tu-gend! Und wir sollten Vertrauen darin haben, daß diese durch uns für andere aufgeht wie ein Samenkorn und wir so Frucht bringen. Vielleicht sind wir schon dadurch unse-ren Mitmenschen eine Hilfe, daß sie sehen, wie wir unbeirrt mit Geduld und Gleichmut auch gegen die Meinung der ganzen Welt an unserer Glaubens-Position in aller Beschei-denheit festhalten, obwohl sie sie vorerst nicht teilen.

2.
Abgesehen von diesen Aufgaben und Zielen, die mehr den persönlichen Bereich betref-fen, gilt es nach wie vor an der theoretischen Aufbereitung der gesamten theologischen und kirchlichen Misere zu arbeiten, um klare Sachverhalte aufzustellen und die Glau-benswahrheiten, die vom vielen Geschwätz, von Arroganz und Ignoranz besudelt sind, wieder klar erstrahlen zu lassen. Es gibt noch eine ganze Reihe von Problemen zu lösen: die Konstitution der Kirche als sichtbare Heilsinstitution, ihre Restitution, Erarbeitung religionsphilosophischer Grundlagen - auch zur eigenen Aufklärung, ständige Auffri-schung und Durchdringung der dogmatischen Glaubenswahrheiten, Eingehen auf die zeitgenössischen Strömungen und Theoreme.

3.
Darüber hinaus geht es darum, an der Restitution der Kirche als Heilsinstitution weiter-zuarbeiten. Einen eventuellen Heilsegoismus, der nur danach trachtet, wie er mit Sak-ramenten versorgt wird, d.h. wie er sich Heilsmittel billig aneignen kann, sollten wir schnellstens verabschieden. Es wurde bereits ausgeführt, daß der Sakramentenempfang legitimerweise nur innerhalb der von Christus gestifteten Kirche gestattet ist. Auch wenn heute vieles innerhalb der (Rest)Kirche desolat ist und so schnell auch keine Aus-sicht auf eine Behebung bestimmter Mängel vorhanden ist (z.B. auf die Wiederbesetzung des päpstlichen Stuhles - die diesbezüglichen gräßlichen Abenteuer sind hinlänglich be-kannt), so können wir doch hoffend eine Restitution antizipieren und zum anderen auch durchführen (wollen), wenn sich eine Gelegenheit dazu bietet. So kann z.B. ein Priester in dieser Sedisvakanz die hl. Messe legitimerweise feiern, wenn er die Restitution der Kirche antizipiert. Er würde sie aber unerlaubterweise feiern, wenn er sich nicht als Glied der Kirche, sondern sich nur als Privatperson sehen würde im Besitz der Macht, die Wandlung zu vollziehen. Ein Gläubiger darf nur bei einem Priester die Sakramente empfangen, der die Restitution antizipiert, ohne Gefahr zu laufen, als Sektierer angese-hen zu werden, wenn er selbst ebenso die Restitution der Kirche im Auge hat und daran arbeitet bzw. Aktivitäten, die in diese Richtung gehen, unterstützt. 17)

4.
Schließlich müssen wir auch daran denken, daß wir nicht bloß nach innen hin wieder ein Haus aufbauen, sondern auch Fassaden errichten - um es bildhaft darzustellen - ge-genüber dem gesellschaftlichen Raum, in dem wir leben, und unsere Identität in der Ge-sellschaft definieren. Um das Problem zu skizzieren: Wie wollen wir uns auf öffentlichen Behörden und Institutionen als röm.-kath. Christen ausweisen? Wenn wir keine Kir-chensteuer zahlen, gelten wir als a-religiös, als bekenntnislos. Zahlen wir aber Kirchen-steuer, haben wir zwar das Etikett eines röm.-kath. Christen, gehören aber dann in Wahrheit der abtrünnigen sog. Reform-Kirche an! 18) Und niemand - kein Richter, kein Finanzbeamter - wird den Unterschied und die Abgrenzung in dogmatischen Fragen verstehen oder darauf eingehen. Es gibt nur eine Lösung, wie wir aus diesem Dilemma herauskommen können: Wir müssen auch eine eigene Rechtsidentität, einen eigenen rechtlich fixierten Status qua Kirchengemeinschaft als Abgrenzung nach außen finden, d.h. wir müssen aufhören, "stumme Hunde" zu sein. Als wahre Christengemeinschaft müssen wir uns auch eine Rechtsform zulegen. 19)

NACHTRAG

Noch ein Wort an die Kleriker - in aller Zurückhaltung (von jemandem, der in den letz-ten Jahrzehnten viel mit ihnen zusammengearbeitet hat und der unverdientermaßen das Glück hatte, daß großartige Priester und Bischöfe mit ihm zusammenarbeiteten). Sie sollten sich gelegentlich daran erinnern, daß die Mutter Gottes in La Salette als einzigen Stand den der Priester mit deutlichen Worten kritisiert hat. Auch sollten sie nicht ver-gessen, daß der jetzige Abfall eingeleitet wurde durch eine "Revolution von oben". D.h. wenn sie sich an den derzeitigen Auseinandersetzungen im Sinn der Bewahrung der Glaubensgüter beteiligen wollen, sie auch immer daran denken sollten, das Ansehen ih-res Standes als Priester wieder zu rehabilitieren. Der hl. Papst Gregor d. Gr. schreibt in seinen "Pastoralregeln": "Niemand maßt sich an, eine Kunst zu lehren, bevor er dieselbe mit aufmerksamer Sorgfalt erlernt hat. Wie groß ist also die Verwegenheit jener, die un-erfahren und ununterrichtet ein Hirtenamt übernehmen, da die Seelenleitung die größte Kunst, die Kunst der Künste ist! Denn wer wüßte nicht, daß die Seelenwunden tiefer liegen als die Wunden des Leibes? Und doch gibt es viele, welche die Gesetze des Geistes gar nicht kennen, sich aber trotzdem nicht scheuen, für Seelenärzte sich auszugeben, während sie sich schämen würden, für leibliche Ärzte zu gelten, ohne die Kraft der Arz-neien zu kennen." (1. Kapitel). An einer anderen Stelle mahnt er: "Darum klagt der Herr durch den Propheten über die bejammernswerte Wissenschaft der Hirten: Nachdem ihr das klarste Wasser getrunken, habt ihr, was übrig blieb, mit euren Füßen getrübt. So hatten meine Schafe zur Weide, was eure Füße zertraten, und was eure Füße trübten, das tranken sie (Ez 34,18 f.) Das reinste Wasser trinken die Hirten, wenn sie die Ströme der Wahrheit in richtigem Verständnis in sich aufnehmen - sie trüben jedoch dieses Wasser mit den Füßen, wenn sie die Erkenntnisse heiliger Betrachtung durch ein schlechtes Leben zu Grunde richten. Die Schafe aber, d.i. die Untergebenen, trinken das durch die Füße der Vorgesetzten getrübte Wasser, indem sie nicht den Worten folgen, die sie hören, sondern nur die schlechten Beispiele nachahmen, die sie sehen." 20)
In der heutigen Situation kann sich kein Priester mehr erlauben, gegenüber den Gläubi-gen die sprichwörtliche klerikale arrogante Haltung einzunehmen, um selbst abgehoben in irgendwelchen Wolken zu schweben - weit weg von den peinlichen Realitäten, mit denen sich die Laien beschäftigen sollten. Es klang in diesen Ausführungen schon an, daß der Großteil der bisherigen Widerstandsarbeit von Laien geleistet wurde. Es wäre endlich an der Zeit, daß sich die Priester und Bischöfe untereinander verständigten, ihre Zurückhaltung und Abstinenz aufgäben und sich in der theologischen Auseinanderset-zung und dem Wiederaufbau führend engagieren würden, d.h. sich u.a. auch mit den konkreten Problemen dieser Zeit, mit den Nöten der Menschen beschäftigen würden. Das Tragen einer Soutane ist weder Ersatz für fehlende Argumente noch für fehlendes Mitleid, Barmherzigkeit oder Güte. Denn würde dieses Engagement fehlen, herrschte immer noch diese alte Überheblichkeit vor, dann würde das Tragen einer priesterlichen Kleidung nicht als Bekennen des Glaubens und des Standes in der Öffentlichkeit gewer-tet, sondern wäre ein Ärgernis und würde als Symbol der Überheblichkeit erscheinen.

Die Kleriker sollten sich m.E. um eine wirkliche, auch reflexiv aufgearbeitete Glaubens-überzeugung bemühen und den Glauben nicht bloß als aufgebürdetes Traditionsgepäck betrachten, in das man keine Einsicht genommen hat und welches es nun einmal mitzu-schleppen gilt. Sie sollten versuchen, sich den realen Gefahren zu stellen und sie zu be-wältigen versuchen, wobei sie durchaus die Zusammenarbeit mit den Laien suchen soll-ten. Der geistig-moralische Hort, den die Kirche den Gläubigen einmal bot, fehlt weitge-hend oder ist nur noch in Ansätzen vorhanden, die kaum Zuversicht einflößen. Die Gläu-bigen, aber auch die Menschen unserer Zeit, die zwar weniger aufmerksam die Weg-wanderung von Gott verfolgen, aber dennoch auch von den Folgen betroffen sind, ver-einsamen oder resignieren ebenso. Auch sie sehen sich ständig mit Problemen konfron-tiert, zu deren Lösung sie sich häufig außerstande sehen: die Sachverhalte zu komplex, die Hintergründe undurchschaubar! Man muß hier auch auf die verachtete Jugend hin-weisen, die mit leeren Taschen dasteht und häufig, anstatt Nestwärme von den Eltern erfahren zu haben, vom Fernsehen erzogen wurde. Die Anfechtungen durch vehemente, aggressive Ideologien (z.B. New Age) - durch geschickt manipulierte Propaganda als das eigentliche Christentum vorgestellt - sind für uns alle sehr groß. Wenn die Priester den Gläubigen in diesen Bereichen einmal Sicherheit verleihen könnten, Zuversicht aus-strahlten, daß aus dem Glauben heraus tatsächlich die entscheidenden Probleme des Lebens zu meistern sind, dann wäre schon viel gewonnen und ein erster Schritt in Rich-tung einer pastoralen Konsolidierung getan.

Anmerkungen: siehe separate Seite

 
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