Eine gesellschaftliche Katastrophe
von
Werner Olles
Eine alleinerziehende Mutter erklärt dem Jugendamt des hessischen
Main-Kinzigkreises, daß sie mit ihrem neuen ausländischen
Lebensgefährten in dessen vorderasiatische Heimat auswandern will und
ihre beiden Töchter im schulpflichtigen Alter von 14 und 15 Jahren dort
nicht gebrauchen kann. Obwohl die Behörde schnell interveniert, gelingt
es der Mutter in einer Nacht- und Nebelaktion, mit ihrem jüngeren Kind
das Land zu verlassen. Das ältere Mädchen bleibt schwanger zurück.
Was sich zunächst wie die Folge einer billigen TV-Vorabendserie anhört,
ist jedoch kürzlich in Hanau tatsächlich geschehen. Zwar scheint dies
noch ein krasser Einzelfall zu sein, aber Landrat Karl Eyerkaufer (SPD)
sah sich dennoch genötigt, auf die "gesellschaftliche Katastrophe"
hinzuweisen, die sich mit solchen und ähnlichen Fällen ankündige. Die
zunehmende Zahl der gescheiterten Ehen und die schwindende
Bereitschaft, konsequent Verantwortung für die eigenen Kinder zu
übernehmen, haben nach seinen Worten zu den enorm steigenden Fallzahlen
in der Jugend- und Sozialhilfe geführt, mit denen auch ein dramatischer
Anstieg der Kosten einhergehe. So seien allein in den letzten fünf
Jahren die Aufwendungen im Main-Kinzig-Kreis von sechs auf über
fünfzehn Millionen Euro gestiegen. Benachbarte Kreise verbuchten sogar
eine Verdreifachung.
Mit fünf Thesen, die u.a. einen "Führerschein für Ehewillige" und das
Schulfach "Lebenskunde" propagieren, will Eyerkaufer das "Tabu-Thema"
endlich zur Diskussion stellen. Er sieht in den Scheidungen und
Trennungen auch die Hauptursache für Verhaltensauffälligkeiten bei
Kindern und Jugendlichen bis hin zu kriminellen Erscheinungsformen. In
diesem Zusammenhang verweist der Landrat auch auf die Pisa-Studie, die
in ihrem zweitenTeil auf das Zusammenbrechen der familiären Strukturen
und die damit verbundenen verheerenden Auswirkungen aufmerksam gemacht
habe. Die hohe Scheidungsquote im Main-Kinzig-Kreis liege mit 46,2
Prozent noch über dem hessischen Landesdurchschnitt, so daß zukünftig
eine Verschlimmerung der Lage zu befürchten sei.
Mit seinen anderen Thesen plädiert der Landrat, der dem konservativen
Flügel seiner Partei zugerechnet wird, dafür, Paare mit Kindern vor
ihrer Trennung gesetzlich zu verpflichten, einen Nachweis zu erbringen,
daß sie alles zur Rettung der Familie unternommen hätten. Vor einer
Familiengründung sollten ausführliche Vorbereitungen auf die
bevorstehenden Belastungen stehen. Schließlich brauche man zum
Autofahren ja auch eine Fahrerlaubnis. Mit seinem "Kampf für die
Familie" möchte der Landrat, daß "der Untergang der familiären
Strukturen endlich Punkt eins der Tagesordnung wird."
Das hört sich zunächst ganz gut an, und in der Tat liegt der Politiker
mit seiner schlimmen Diagnose ja auch richtig. Ganz abgesehen davon,
daß seine Partei im Verein mit den Grünen nicht gerade wenig zum
"Untergang der familiären Strukturen" beigetragen hat - der letzte
Streich war die sogenannte "Homo-Ehe", und ein Ende dieses
gesellschaftspolitischen Amoklaufs ist noch keineswegs abzusehen -,
kommen solche Forderungen immer dann, wenn das Porzellan bereits
zerdeppert ist oder das Kind, im wahrsten Sinne des Wortes, in den
Brunnen gefallen ist. Während der SPD-Mann Eyerkaufer den
"Ehe-Führerschein" fordert, ruft die hesssische FDP nach der
Elternschule, weil man jetzt ganz plötzlich gemerkt hat, daß immer mehr
Kinder morgens ungewaschen und ohne gefrühstückt zu haben in die Schule
kommen, und dies auch noch völlig unausgeschlafen, weil sie offenbar
die halbe Nacht vor dem Fernseher verbracht haben, und führt die
Frankfurter CDU-Oberbürgermeisterin Roth jetzt halbherzige Geldbußen
ein, wenn Bürger ihre Kaugummis oder Zigarettenstummeln auf der Straße
entsorgen.
Das ist alles sicher gut gemeint, geht aber an den eigentlichen
Problemen vorbei. Nebenbei offenbart es aber auch die totale
Hilflosigkeit der politischen Klasse gegenüber den negativen
Erscheinungsformen der Spaßgesellschaft und den Folgen einer
hedonistischen Ideologie, in der Verant-wortung, Pflichtgefühl, Scham
und Respekt als "Sekundärtugenden" diffamiert wurden. In Wahrheit haben
Staat und Politik der Zerfaserung und Atomisierung der Gesellschaft und
ihrer Institutionen jahrzehntelang seelenruhig zugesehen, darauf
bauend, die schlimmsten Auswüchse mit finanziellen Zuwendungen
irgendwie unter der Decke halten zu können. Spätestens seit die
Sozialkassen der Städte, der Gemeinden und des Bundes leergeplündert
sind, besinnt man sich nun wieder auf dirigistische Maßnahmen.
Daß der Mensch jedoch von Jugend auf dem Bösen zugeneigt ist, daß es
entgegen dem verlogenen "Persuit of Happiness" kein Recht auf Glück
gibt, durchaus jedoch ein Recht an der Prüfung, die das Leben nun
einmal darstellt, teilnehmen zu dürfen, um entweder daran zu wachsen
oder zu scheitern, kommt Politikern, wie jenen rot-grünen Herrschaften,
die es allen Ernstes für Fortschritt halten, Pornodarstellern
gesetzlich das Tragen von Kondomen vorzuschreiben, nicht in den Sinn.
Und so wird auch diese Initiative des rührigen Landrats verpuffen. Eine
Gesellschaft, deren zentrale The-men sich um Zahnersatz und Sterbegeld
drehen, und die den umfassenden Zusammenbruch der Normen des
Zusammenlebens mit läppischen Bußgeldern ahndet, ist aus der
Verantwortung vor Gott und ihrer eigenen Geschichte längst ausgetreten.
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