Meine Begegnung mit S.E. Erzbischof Pierre Martin Ngô-dinh-Thuc
von Eberhard Heller
In den letzten Jahren geschah es immer häufiger, daß mich Leser der EINSICHT aus aller Welt nach der Person von S.E. Mgr. Ngô-dinh-Thuc und seinen Beziehungen zu Personen des Freundeskreises gefragt haben. Sie wollten speziell wissen, in welchem Verhältnis ich zu ihm gestanden bin, welche Erfahrungen er selbst mit mir gemacht hatte, als er für einige Monate als unser Gast in München weilte. Ich war in der Beantwortung der verschiedenen Anfragen bisher eher zurückhaltend, lag doch das Geschehen, auf welches sich das Interesse der Leser richtete, teils über 45 Jahre zurück. Und man möge mir nachsehen oder auch verzeihen, wenn ich sage, daß einiges in der Zwischenzeit in Vergessenheit geraten ist. Deswegen habe ich es bisher abgelehnt, neben den offiziellen Stellungnahmen zu dem damaligen Geschehen, die in der EINSICHT publiziert worden waren und die das kirchlich relevante Geschehen umfaßten, persönliche Erlebnisse mit dem Erzbischof aus diesem Zeitraum – d.h. aus dem Zeitraum um die Entstehung der „Declaratio“ – zu schildern. Ich selbst hatte früher einmal daran gedacht zu erzählen, wie sich einiges aus unserem Kirchenkampf im persönlichen Erleben abgespielt hatte - mit allen Höhen, aber auch mit allen bitteren Enttäuschungen -, habe aber dann wieder Abstand von dieser Idee genommen, weil eine solche Schilderung zu leicht die wesentlichen Ereignisse und deren theologische Aufbereitung – z.B. die Weihen, die der Erzbischof gespendet hatte - hätte überlagern können.
Doch da das Bild, welches sich etliche Gläubige in konservativen Kreisen, besonders in den USA und Frankreich, von dem Erzbischof aufgebaut haben, von ungerechtfertigten Ressentiments und Vorurteilen nur so strotzt, wurde ich erst kürzlich erneut eindringlich gebeten, dieses Zerrbild von einer Person, die unsere kirchlichen Aktionen entscheidend geprägt und vorangetrieben hatte, zu korrigieren. Zu diesen außerordentlichen Leistungen gehören die Erklärung über die Vakanz des römischen Stuhles, die Sicherung der apostolischen Sukzession, der Anstoß zur Restitution der Kirche. Um dieses Bild, welches so häufig in den Dreck gezogen worden war, von aller Unverfrorenheit und Arroganz zu säubern, habe ich mich schließlich entschlossen das, was ich mit dem Erzbischof erlebt habe, zu Papier zu bringen. Auch wenn der zeitliche Abstand enorm und mir bewußt ist, daß diese Aufzeichnungen unter meiner Vergeßlichkeit leiden, also nur als Fragmente dienen können, so hoffe ich dennoch, das vorhandene Zerrbild in den Köpfen der Kritiker zurecht zu rücken, denen allesamt die damaligen Verhältnisse und die damit verbundenen Schwierigkeiten fremd sind.
Mir wurde das Ansinnen, meine Erfahrungen mit S.E. Ngô-dinh-Thuc aufzuzeichnen, auch deshalb als so relevant vorgetragen, weil ich einer der wenigen Zeitzeugen sei, von denen man wußte, daß sie einige Zeit in einem engeren Verhältnis zu dem Erzbischof gestanden waren, ist doch das einzig kirchengeschichtlich wichtige Dokument der nach-vatikanischen Ära, die „Declaratio“, am Schreibtisch meiner Tochter Klara entstanden. Wenn also diese Zeilen etwas zur Ehrenrettung der Person von Thuc beitragen können, hätten sie ihr Ziel erreicht. Ich mache mich an diese Arbeit heran, auch im Bewußtsein, daß sie höchst lückenhaft sein wird, und ich entschuldige mich im voraus, verehrte Leser, Ihnen nur Bruchstücke dieser erlebnisreichen Zeit zu liefern, die eigentlich genügend Stoff für einen Abenteuerroman liefern könnte.
Wir haben uns um den Kontakt mit Mgr. Thuc bemüht, nachdem wir sein Dokument zu den Bischofsweihen von Palmar de Troya gelesen hatten: die Kirche sei am Ende, die Ortsbischöfe kämen nicht mehr ihrer Pflicht nach, es herrsche allgemein eine solche Notlage, daß außergewöhnliche Maßnahmen gerechtfertigt seien. In vielen Punkten dachten wir ähnlich.
Unsere Aufmerksamkeit - die von Herrn Lauth, Herrn Hiller und von mir – auf den Erzbischof zu richten, hatte also ihren Grund in der uns zugespielten Begründung seiner Weihen, die er einigen Klerikern in Palmar de Troya gespendet hatte. Unser Interesse galt der Begründung, die Mgr. Thuc anläßlich dieser Aktion verfaßt hatte. Nicht, als ob wir diesen Weihen zugestimmt hätten – wer waren die Kandidaten, die bisher in unserem Kirchenkampf eine Rolle gespielt hatten? - , es war die theologische und kirchliche Einschätzung, die diesem Dokument zu Grunde lag. Mgr. Thuc teilte mit uns die Sorge um das Erlöschen der apostolischen Sukzession, die durch den neuen Ritus der Bischofsweihe in Gefahr gerate, weswegen er die Weihen vollzogen hatte. (Nachdem sich Clemente Domínguez y Gómez zum Papst der Troya-Sekte erklärt hatte, distanzierte sich der Erzbischof in aller Form von dieser Gruppe.) Für uns stand bald fest, daß wir Kontakt zu diesem Erzbischof aufnehmen wollten, von dem unser Gewährsmann für römische Angelegenheiten uns zu berichten wußte, daß er eigentlich ein sehr zurückhaltender Mensch sei, weswegen die Aktion mit den Weihen in Palmar de Troya großes Erstaunen, aber auch heftige Kritik ausgelöst hatte, die zu einem Skandal aufgeblasen wurde. Aber wie soll man mit einer Person in Kontakt treten, von der wir weder Adresse noch eine Telefonnummer hatten? Ich mache es kurz: Ich opferte Großteile meines Jahresurlaubes zu Nachforschungen, um schließlich mit einer gewissen Frau Wolf aus dem Saarland in Kontakt zu kommen, die uns die Adresse vom Erzbischof Thuc mitteilte. Er wohne in Toulon in Südfrankreich unter recht bescheidenen Verhältnissen. Die Kontaktaufnahme gelang, zuerst nur brieflich und dann auch persönlich. Die Briefwechsel wurden höhs höchst diskret geführt. Lange Zeit wußte niemand von dem Verkehr mit dem Erzbischof, ging es doch darum, daß wir den Wunsch hatten, daß er einen Bischof weihen sollte, der unseren Widerstand führen sollte. Wir hatten bereits Mgr. Lefebvre vergeblich gebeten, den Widerstand gegen den Modernismus zu führen, doch der hatte unsere Bitte mit dem sarkastischen Hinweis zurückgewiesen, in Lima gäbe es einen verheirateten Bischof, der vielleicht unser Anliegen unterstützen würde.
Wir hatten uns bald auf H.H. Dr. Katzer als Bischofskandidat festgelegt und mit ihm darüber in sehr diskreten Gesprächen bei verschiedenen Besuchen hier in München diskutiert. Katzer war damals Lehrer im Seminar von Weißbad, welches von Lefebvre gegründet worden war. Letzte Absprachen konnten wir aber nur telefonisch treffen, weswegen wir ihn bitten mußten, dazu eine öffentliche Telefonzelle zu benutzen, weil die Gespräche von den Ecônern und Mitarbeitern abgehört werden würden. Er, der das kommunistische Spitzelsystem aus seiner Zeit in der damaligen kommunistischen Tschechoslowakei kannte, konnte sich kaum vorstellen, daß hier im sog. freien Westen das gleiche System angewandt wurde.
Im Sommer 1978 haben wir Erzbischof Thuc zusammen mit dem längst verstorbenen H.H. Dr. Katzer zum ersten Mal in Toulon besucht. Zu unserem ersten Treffen luden wir auch Frau Wolf ein, die uns gleichermaßen als „Türöffner“ dazu verholfen hatte. Sie war unser “Wegweiser“ zu Thucs Domizil gewesen. Aber sie wurde nicht in unsere eigentlichen Anliegen und unsere kirchlichen Pläne eingeweiht. Von München flogen Herr Hiller und ich zunächst nach Genf, von wo aus wir am dortigen Flugplatz H.H. Dr. Katzer abholten und mit ihm unseren Flug nach Nizza fortsetzten. Dr. Katzer war unser Kandidat, den wir seit Jahren kannten, der als führender Theologe den Kurs der EINSICHT mitbestimmt hatte und den wir gebeten hatten, sich für eine eventuelle Bischofsweihe bereit zu halten. In Toulon trafen wir mit Frau Wolf zusammen, die mit dem Zug aus dem Saarland angereist war.
Der Besuch bei dem Erzbischof war aus unsrer Sicht ausgesprochen erfolgreich. Dr. Katzer, der so ziemlich alle europäischen Sprachen fließend beherrschte, führte das Gespräch in französischer Sprache. Es wurden so ziemlich alle relevanten Themen besprochen: die allgemeine desaströse kirchliche Situation, die häretischen Passagen in den neuen Riten, durch die sie ungültig waren, die maßgebliche Rolle Pauls VI. bei den Entscheidungen auf dem Konzil, der verantwortlich war für die theologische Annäherung an den Protestantismus. Das Problem möglicher Bischofsweihen wurde gleich beim ersten Besuch angesprochen: Er, Thuc würde unter Umständen weitere Priester konsekrieren, denn unsere Sorgen um den Erhalt der apostolischen Sukzession teilte er. Wir lernten in ihm einen geistig souveränen Prälaten kennen, ungemein gebildet, der durch seine Würde die Armseligkeit seiner häuslichen Umstände überstrahlte und sie durch seinen Humor vergessen ließ.
Zum Abendessen führte uns der Erzbischof in sein Stammlokal, wo er wie ein Mitglied der Familie empfangen wurde. Aber bald begann das Essen mit Stäbchen – so war es Brauch... und wir wollten uns keine Blöße geben. Vielleicht aber wäre es gescheiter gewesen, wenn wir die Benutzung der Stäbchen zuvor zu Hause trainiert hätten. Der Erzbischof hatte auf jeden Fall sein Vergnügen, uns bei unseren Essversuchen zu beobachten. Frau Wolf wurde so ärgerlich, daß ihr schließlich die gewohnten Essgeräte überreicht wurden.
Mit Herrn Dr. Katzer machten wir noch einen Spaziergang durch das nächtliche Toulon mit seiner großen Hafenanlange, wo ein französischer Flugzeugträger angelegt hatte. Wir sprachen noch einmal über das, was wir bei den Gesprächen mit dem Erzbischof erreicht hatten.
Nach der Messe am folgenden Morgen, die der Erzbischof las, folgte ein einfaches Frühstück. Mgr. Thuc hatte Cornflakes gekauft, deren Verpackung mit einer Geschichte bedruckt war. Ganz angetan davon, meinte er, der Hersteller sei neben dem leiblichen auch an dem geistigen Wohl interessiert. Die Verabschiedung erfolgte ohne Sentimente: „Auf Wiedersehen“ („au revoir“). Das war´s. Ich bat ihn noch, uns den Segen für unsere Heimreise zu geben... und dann war unser erstes Treffen beendet. Mit dem Zug ging es nach Nizza und von da mit dem Flugzeug nach Genua – für Herrn Dr. Katzer – und für uns nach München, wo wir voll Erwartung empfangen wurden. Ob der Erzbischof einer Bischofsweihe zugestimmt hätte... usw.
Leider verstarb Dr. Katzer unerwartet am 18. Juni 1979. Er hatte sich möglicherweise bei seinen pastoralen Reisen übernommen. Als wir später einmal den Erzbischof fragten, warum er Katzer nicht geweiht hatte, kam seine lakonische Antwort: „Er hat mir Vorträge gehalten und mich nicht gefragt.“
Nach Katzers Tod stellte sich erneut die Frage, wen wir nun dem Erzbischof als Kandidaten für das Bischofsamt vorstellen könnten. Es sollte doch eine Persönlichkeit sein, die sich als Priester und Theologe im bisherigen Kirchenkampf bewährt hatte. Schließlich kamen Lauth, Hiller und ich zu der Überzeugung, Pater Michel Guérard des Lauriers O.P., den französischen Dominikaner, als Kandidaten vorzuschlagen. Der Pater hatte eine wichtige Position im katholischen Lehrbetrieb vorzuweisen. Seit 1933 war er als Professor für Philosophie an der Dominikanerhochschule Le Saulchoir bei Paris tätig, später in Rom, am Angelicum und an der Lateran-Universität. Guérard des Lauriers war auch Berater für das von Pius XII. verkündete neue Mariendogma von 1950. Er hatte sich in der Zeit nach dem II. Vatikanum bei der theologischen Durchdringung der modernistischen Lehren einen Namen gemacht. Des Lauriers war der Hauptverfasser der Denkschrift „Kurze kritische Untersuchung des Neuen Messordo“, welche von den Kardinälen Ottaviani und Bacci unterstützt wurde. Vielen Lesern war er durch seine Veröffentlichungen in der EINSICHT bekannt geworden.
Aber hatte er sich nicht theologisch mit seiner These vom „Papa materialiter non formaliter“ (der Papst – Paul VI. - sei zwar materialiter Papst, aber nicht von der Form her wegen der von ihm vertretenen Häresien) „verhakt“ und den Kirchenkampf unnötig belastet und für schädlichen Wirbel gesorgt? Wir nahmen dennoch persönlichen Kontakt zu ihm auf.
Wir unterbreiteten ihm unsere Bitte, sich zum Bischof weihen zu lassen. In einem außerordentlich schönen und schlichten Brief bedankte er sich für unseren Vorschlag. Er war damit einverstanden, die Angelegenheit diskret zu behandeln. Er solle sich mit Thuc in Verbindung setzen und ihm sein Gesuch vortragen. Es sollte ihm nicht so ergehen wie Dr. Katzer, der seinen Weihewunsch dem Erzbischof nicht vorgetragen hatte. Inzwischen wollte Lauth bei einem Besuch dem Pater die Unhaltbarkeit seiner kruden These vom „Papa materialiter non formaliter“ aufzeigen und ihm zu einem Sinneswandel verhelfen. Lauth kam von seiner Reise nach Paris zurück mit der Meldung, daß Guérard des Lauriers Abstand von seiner These vom halben Heiligen Vater genommen und unserer Position von der Sedisvakanz, die der „Papa haereticus“ verursacht hatte, beigetreten sei. Wie sich später – sofort nach der Weihe – herausstellte, hatte uns Lauth schlicht angelogen. Der Dominikaner-Pater hatte keineswegs seine Position gewechselt und hat sie auch in der Folgezeit mit Vehemenz vertreten. Hätten Hiller und ich gewußt, daß uns Lauth belogen hatte, hätten wir Guérard des Lauriers nie als Kandidaten akzeptiert und sein Weihegesuch unterstützt. So aber nahm das Schicksal seinen Lauf, d.h. wir bereiteten den Besuch beim Erzbischof Thuc vor.
Wir hatten Guérard des Lauriers gebeten, in „Zivil“ zu erscheinen, um kein Aufsehen zu erregen. Prompt kam er in seinem Ordenshabit daher. Am Abend vor der Weihe diskutierten wir, d.h. Herr Hiller – ich hatte nie Französisch gelernt, dennoch ein paar Brocken verstand ich auch - über die verschiedenen philosophischen Systeme, die wir vertraten: Er, der bekannte Thomist, wir die Vertreter der Transzendentalphilosophie. Ich hatte mir aus dem liturgischen Institut der Universität München über das Wochenende ein Pontifikale ausgeliehen, um es des Lauriers zu geben, damit er sich auf den Ritus vorbereiten konnte. Am nächsten Morgen – es war der 7. Mai 1981 – fand die Weihe in Thucs Wohnung in der Rue Garibaldi von Toulon statt. Vor der Zeremonie besprachen sich Erzbischof Thuc und des Lauriers noch eingehend. Daß sich der Kandidat sehr gut mit dem Ritus vertraut gemacht hatte, merkten wir an dem Passus, wo der Konsekrator den Kandidaten fragt: „Habetis mandatum apostolicum?“, das heißt „Habt ihr ein apostolisches Mandat?“, worauf des Lauriers dies verneinte. Dazu muß man wissen, daß eine Bischofsweihe nur mit der Zustimmung und im Auftrag des Papstes legitimerweise gespendet werden darf. Ansonsten begäben sich der Konsekrator und der Konsekrierte ins Schisma. Uns war der Sachverhalt vollkommen klar. Ein solches Mandatum lag deshalb nicht vor, weil es keinen Papst gab, der es hätte erteilen können. (Ich merke hier an: das Problem mit dem fehlenden Mandatum sollte uns noch länger beschäftigen.) Hiller und ich waren als Assistenten, und ich zusätzlich als Fotograf, bei der Spendung nicht gerade untätig.
Kaum war die Zeremonie beendet und während Thuc uns zum Essen begleitete, erhob des Lauriers seine Vorwürfe, wir alle seien Schismatiker, weil das Mandatum gefehlt hatte. Und da wurde uns klar: Er hatte seine krude These vom „Papa materialiter non formaliter“ nicht abgelegt, sondern präsentierte seinem Konsekrator die beleidigende Mitteilung, er sei ein Schismatiker... und Hiller und ich natürlich auch. In der Folgezeit wurde er zum Störfaktor und sollte für erhebliche Streitigkeiten sorgen: Alles Früchte, die durch Lauths Lügerei entstehen sollten. In der Folgezeit sperrten wir Lauth von unseren weiteren Bemühungen um die Sicherung der apostolischen Sukzession aus. Hillers und mein Problem waren es, daß Lauth, der am Ende seines Lebens den Koran für eine wahre Offenbarung hielt, unser beruflicher Chef war, eine allzu ungute Beziehung, wie sich zeigen sollte. Sie wurde für Herrn Hiller und mich zu einer unglaublichen, auch persönlichen Belastung.
Zu den Schwierigkeiten, die durch Des Lauriers´ sonderbare These vom „Papa materialiter non formaliter“ entstanden waren, kam noch seine Weigerung hinzu, daß er nur im äußersten Notfall bereit sei, seinerseits zu weihen. Sollte unsere ganze Vorarbeit umsonst gewesen sein, sollten wir unsere Vertrauensposition beim Erzbischof Thuc verloren haben? Gott sei Dank nicht.
Wenn es Des Lauriers nicht sein sollte, der der Kirche dienen wollte, wen gab es im Kreise des kirchlichen Widerstandes noch, der die Bürde des Bischofsamtes auf sich nehmen würde? Ich habe dann begonnen, das Problem einer Bischofsweihe mit der bekannten mexikanischen Dichterin Gloria Riestra zu diskutieren, die deutsche Wurzeln hatte. Sie war die Sekretärin eines Bischofs gewesen. Diese Stelle hat sie aber bald aufgegeben, als sich das Konzil von seiner wahren Seite her gezeigt hatte. Durch die theologischen Werke von P. Joaquín Sáenz y Arriaga über den Modernismus „Die montinianische Kirche“ hatte sich in Mexiko bald der religiöse Widerstand gegen die Lehren von Vatikanum II gebildet. Bis zu seinem Tod am 28. April 1976 war er der Führer der Konservativen. Danach übernahm P. Carmona die Leitung des Widerstandes und führte die Priester und Gläubigen in der Union „Trento“ zusammen. Das Organ dieser Gruppe, TRENTO, wurde von der uns bestens bekannten Mitarbeiterin Frau Gloria Riestra redigiert und leistete neben anderen Publikationen eine bedeutende Arbeit in der theologischen Durchdringung und Darstellung der Irrtümer des II. Vatikanums und seiner Reformen. Frau Riestra brachte P. Carmona als Kandidaten ins Spiel. Aus ihrer Sicht gäbe es da nicht viel zu überlegen: wenn überhaupt jemand von den Priestern aus Mexiko für dieses Amt in Frage kommen sollte, dann nur Padre Carmona. Herr Hiller und ich traten daraufhin mit ihm in Kontakt und besprachen das Problem einer Bischofsweihe. So kam es fünf Monate nach der Weihe von des Lauriers zu einem Treffen von Carmona in München. Carmona hatte seinen Freund Zamora mitgebracht, der in Mexiko eine sehr große Gruppe von Gläubigen betreute (20000 ? – ich erinnere mich nicht mehr genau)– ebenso wie Carmona selbst. Es wurden alle Fragen ausgiebig besprochen, auch die Frage nach dem philosophischen System, welches wir hier in München vertraten. Das Ergebnis dieser Sondierungen war eine erstaunliche Übereinstimmung in der Beurteilung der kirchlichen Situation und der nötigen Schritte, die unternommen werden müßten, um der Gefahr, die apostolische Sukzession könne erlöschen, zu begegnen. Auch unsere Distanzierung von Ecône fand ihre Zustimmung. Bei diesen Gesprächen hatten wir das Glück, daß uns Herr Edmund Moser als Dolmetscher zur Verfügung stand, der P. Carmona schon vorher persönlich kennen gelernt hatte.
Als schließlich Einvernehmen wegen der beiden Bischofsweihen erzielt und Erzbischof Ngô-dinh-Thuc über alles informiert worden war und dieser dem Besuch der mexikanischen Priester zugestimmt hatte, flogen wir Mitte Oktober zu viert nach Toulon, die beiden Geistlichen in "Zivil", denn der Besuch mußte möglichst geheim bleiben. Die Gespräche zwischen Erzbischof Thuc und den Mexikanern wurden teilweise auf Latein geführt, wobei sich zeigen sollte, daß Thuc der bessere Lateiner war. Ich hatte die Idee, daß beide Kleriker zu Bischöfen geweiht werden sollten einfach, um mehr Sicherheit zu haben, wenn einem etwas zustoßen sollte. Mein Vorschlag wurde angenommen und so wurden Carmona und Zamora am 17. Oktober 1981 in Toulon zu Bischöfen der katholischen Kirche geweiht. Beide hatten ja schon im Mexiko das Problem besprochen und welche Hürde bei der Konsekration genommen werden mußte: das fehlende Mandatum. Dieses Mal gab es keine Querschläge mit absonderlichen Thesen. Und das Mahl in dem uns inzwischen bestens bekannten Restaurant, in dem der Erzbischof wie ein Großvater Ehrerbietung erhielt, wurde zu einem richtigen Festmahl... nur, daß wir einen lästigen Gast entlassen mußten, von dem uns nachher Herr Norrant erzählte, daß er ein Spion der Diözese gewesen war.
Die ergreifenden Zeremonien, in denen Padre Carmona und Padre Zamora zu Bischöfen der katholischen Kirche geweiht wurden, erforderten die höchste Konzentration und Aufmerksamkeit aller Beteiligten. Sie ließen die äußerlich ärmlichen Umstände, unter denen sie stattfanden - Mgr. Ngô-dinh-Thuc spendete die Weihen in seiner Wohnung -, vergessen. Ich werde diese Weihezeremonien nie vergessen, auch nicht die Freude, die alle ergriff, als Mgr. Ngô-dinh-Thuc am Ende der Weihe das "ad multos annos" („auf viele Jahre") laut singend intonierte. Der Freude folgte Erleichterung, nachdem wir alle ja tagelang gleichsam unter "Hochspannung" gestanden waren. Mit den beiden frisch konsekrierten Bischöfen - wieder in "Zivil" - sind wir dann noch stundenlang durch Toulon spazieren gegangen, haben am Hafen gesessen, die Schiffe beobachtet, den fliegenden Händlern aus Afrika zugesehen, wie sie versuchten, ihre Schnitzereien und Tücher zu verkaufen, und haben erzählt und erzählt, in Spanisch, Italienisch und Latein. Vielleicht sollte ich noch eine Episode erzählen, die sich während der Weihe abspielte. Als es zu dem Punkt kam, wo den Kandidaten der Bischofsstab überreicht werden sollte, forderte Zamora mit ausgebreitetem Arm „Baculum“ (Stab), worauf wir leise antworten „non habemus“ (haben wir nicht), „Baculum“, erneut forderte Zamora seinen Stab. Beim dritten Mal mußten wir nun vernehmlich antworten „non habemus“. Das hat er dann verstanden.
Nach der Verabschiedung von Mgr. Ngô-dinh-Thuc - wie immer hatte sie fast militärischen Charakter: einen Reisesegen... und "Au revoir" ("Auf Wiedersehen") - flogen wir mit den beiden Bischöfen noch zusammen bis Paris, wo wir uns trennten: Die beiden Mexikaner hatten ihren Rückflug über Spanien gebucht.
Warum die Weihen vorerst geheim bleiben sollten, hat man erst zu verstehen begonnen, als durch den Verrat von Père Barbara Mgr. Thuc verfolgt wurde. Für mich aber bleiben die erfolgten Bischofsweihen, bei denen ich als Assistent anwesend sein durfte, und die Umstände, unter denen sie stattfinden mußten, unvergeßlich!
Es sollte nicht die letzte Reise nach Toulon in diesem ereignisreichen Jahr 1981 sein. Im Spätherbst hatte sich Abbé Schäfer aus Südfrankreich an uns gewandt, ob wir ihm nicht helfen könnten, zum Priester geweiht zu werden. Schäfer gehörte zu den ehemaligen Ecône-Seminaristen, die wegen ihrer ablehnenden Haltung zu Johannes Paul II., den sie als Papst ablehnten, das Seminar in Ecône verlassen mußten. Wir baten ihn, nach München zu kommen, um über seine Situation zu reden. Er kam und war ganz erstaunt, daß der Bischof, der ihn weihen würde, ganz in der Nähe seiner Heimatstadt wohnen würde. Nachdem wir ihn verpflichtet hatten, über die Weihe zu schweigen, konnten die Vorbereitungen anlaufen. Schäfer tat sich bei dem Gedanken schwer, sich auf eine Geheimhaltung – vorerst! – einzulassen. Hätte uns Schäfer dieses Versprechen nicht gegeben, hätte es keine Fahrt nach Toulon gegeben. Außerdem verpflichteten wir ihn, sich um Mgr. Thuc zu kümmern. Doch dieses Versprechen hatte er bald vergessen. Sein Jugendprogramm mit Klampfe und Rucksack war ihm wichtiger geworden.
Die Weihe von Schäfer fand dann am 19. Dezember 1981 statt. Für Erzbischof Ngô-dinh-Thuc war es ein ganzes Stück Arbeit, spendete er sowohl die niederen als auch die höheren Weihen an einem Tag, und das, obwohl erst eine passende Brille gefunden werden mußte. Als wir nach Hause, nach München kamen, wartete schon meine Familie auf mich, denn meine Frau hatte Karten für ein wunderschönes Weihnachtskonzert mit dem bekannten Gustl Bayrhammer, der die Weihnachtsgeschichte von Ludwig Thoma vortrug, gekauft. Ich kam von der Reise so todmüde nach Hause, daß ich während des Konzertes eingenickt bin.
Doch die Fliegerei nach Toulon nahm kein Ende. Der Erzbischof geriet in Gefahr. Unser „Mitstreiter“ Barbara hatte in seinem FORTES IN FIDE, Nr.17, Jahrg. 1982 zwar noch geschrieben: „Sie werden wohl ohne Mühe verstehen, daß ich sie (die Bischöfe!) Ihnen nicht nennen kann. Ich verschweige nicht nur ihren Namen, sondern auch das Land, wo sie wohnen. Würde ich sie bekanntgeben, so können Sie sich vorstellen, wie sehr man sie davon abbringen würde zu handeln.“ Dennoch informierte Barbara die Presse über die stattgefundenen Weihen. So kam es, daß am 12. Februar 1982 in allen Gazetten in Frankreich und Mexiko zeitgleich über Thucs Bischofsweihen, die ohne päpstliches Mandat!!! gespendet worden waren, berichtet wurde. Welcher Skandal! Auf Erzbischof Ngô-dinh-Thuc setzte eine regelrechte Hetzjagd ein, die durch Barbaras Verrat ausgelöst worden war. Es war eine widerliche Jagd, an der sich auch Mgr. Lefebvre in denkbar primitiver Weise beteiligte, indem er Erzbischof Ngô-dinh-Thuc für verrückt erklärte... (n.b. Verleumdungen ähnlicher Art werden heute erneut von Mitgliedern der Ecône-Sekte ausgestreut: weil Bischof Thuc bei der Spendung der Weihen schon dem Schwachsinn verfallen sei, seien sie ungültig... wahrscheinlich dann auch die ca. 200 Messen, bei denen Herr Hiller und ich ministrieren durften.). Mgr. Thuc war zu diesem Zeitpunkt ein alter Mann von 85 Jahren. Dennoch muß festgehalten werden, daß er sich nach der Preisgabe der Weihen im Februar 1982 mit allen Mitteln dagegen wehrte, nach Rom verschleppt zu werden, nachdem der „engagierte“ P. Barbara die Bischofsweihen verraten hatte.
Als wir durch Herrn Norrant von der Hetzjagd auf Mgr- Thuc erfuhren, haben wir sofort entschieden, ihn nach München zu holen, wo er in unsere Wohnung einquartiert werden sollte. Ich nahm das nächste Flugzeug nach Nizza, das von dort direkt wieder nach München zurück startete. Herr Norrant hatte den Erzbischof mit dem Auto nach Nizza gebracht... und am Flughafen begann die Suche nach Thucs Flugticket. Es war in den Unterlagen nicht zu finden. Sollte ich ohne den Erzbischof wieder nach München fliegen? In letzter Sekunde holte der Erzbischof das Ticket aus einer seiner großen Manteltaschen heraus: das Abenteuer konnte beginnen. Während in Nizza frühlingshafte Temperaturen herrschten, sah es in München schon anders aus. Über den Lautsprecher waren für München – 10 Grad gemeldet. Thuc hatte aber nicht nur einen weiten Mantel, sondern auch einen sehr warmen.
Unsere Tochter Klara mußte ihr Zimmer räumen, wo der Erzbischof nun wohnen sollte. Er liebte die Möbel in seinem Zimmer aus Kiefernholz und dachte schon daran, sein Seminar mit solchen Möbeln einzurichten... wozu es leider nicht kommen sollte. Wir mußten nun vieles ändern. Ohne die tatkräftige und selbstlose Mitarbeit meiner Frau hätten wir es nicht geschafft. Sie versuchte, den Aufenthalt des Erzbischofs in einer für ihn ungewohnten winterlichen Welt so angenehm wie möglich zu gestalten. Jeden Morgen las er in meinem Arbeitszimmer, das auch als Wohnzimmer diente, die hl. Messe. Thuc entpuppte sich als liebenswerter alter Herr, der unsere beiden Kinder Klara und Bernhard - damals knappe sieben und fünf Jahre alt – recht gerne um sich hatte, und sie verstanden sich untereinander auch sehr gut... ohne Sprachkenntnisse. Abends kam dann häufiger auch Herr Hiller, um mit dem Erzbischof zu sprechen. Bei diesen Besuchen vergaß er auch nicht, den Kindern „Gute Nacht“-Geschichten vorzutragen. Erstaunlich war es, daß Erzbischof Thuc noch in seinem hohen Alter damit begann, Deutsch zu lernen. X-mal schrieb er Begriffe auf ein Blatt Papier, aber als er merkte, daß diese Übungen keinen Erfolg brachten, beendete er sie wieder. Mit Italienisch kamen wir dann so leidlich über die Runden. Thuc griff selbst zu ungewöhnlichen Lösungen seiner Probleme. Als er merkte, daß sein Bischofsring am Finger schlotterte, nahm er einen Hammer und schlug auf den Ring so lange ein, bis er paßte. Als ihm die Reinigung seiner Hose, die meine Frau eigentlich in die Wäscherei bringen wollte, zu lange dauerte, nahm er sie kurzerhand und legte sie in die Badewanne mit Wasser. In der Tat, so ging es auch.
Ich möchte noch zwei Episoden erzählen, die Erzbischof Thuc ein wenig charakterisieren können. Einmal mußte ich mit ihm zum Zahnarzt, ein Zahn mußte raus. Thuc riet dann dem Zahnarzt, seinen Zahn aufzubewahren, denn wenn er einmal heiliggesprochen sein würde, hätte er eine Reliquie. Man kann sich das verdutzte Gesicht des Arztes vorstellen. Bei einem Besuch in der wunderschönen Kirche von Dietramszell in Oberbayern kam der Pfarrer, mit dem er sich unterhalten hatte, nach dem Gespräch zu mir, um zu berichten, Erzbischof Thuc hätte ihm auf sein „Auf Wiedersehen“ geantwortet „Auf Wiedersehen im Himmel“. Ja, und dann gab es noch den kleinen Freund der Kinder aus der Nachbarschaft, der erzählte, bei Hellers wohne der Papst, und meine kleine Tochter sollte diesen Heidenbuben zur Kirche führen, so der Erzbischof.
In der Folgezeit ist dann meine Frau mit den Kindern zu ihren Eltern für vier Wochen nach Borken gefahren, so daß wir – Herr Hiller und ich - ungestört unserer kirchlichen Arbeit als auch unserer aufwendigen und intensiven Berufsarbeit nachgehen konnten... und natürlich mußte auch Mgr. Thuc versorgt werden. Für die nächsten Wochen mußten wir beide – der Erzbischof und ich - alleine auskommen. Das gelang ganz gut. Abends hörten wir gelegentlich Musik. Die aufgelegten gregorianischen Messen kannte er alle und summte sie leise mit. Ich sei ein guter Koch, hatte er einmal geäußert. Das habe ich dann so verstanden, daß er mit meinem einfachen Essen zufrieden war. Ich gab mir ja auch Mühe, immer etwas Süßsaures zusammenzubrauen. Abends las dann Thuc die hl. Messe für einen kleinen eingeschworenen Kreis von Gläubigen, die unsere Arbeit auch finanziell großzügig unterstützten.
Neben diesen kleinen täglichen Abenteuern mußten wir aber auch daran denken, unser kirchliches Programm weiterzuführen. Es war ja nicht nur eine Flucht, um Thuc vor Verfolgungen zu retten, sondern es begann auch die theologische Aufarbeitung, die mit der Begründung der Weihen ohne Mandatum zu tun hatte. Des Erzbischofs Handeln benötigte eine Begründung, die erklären mußte, warum er das päpstliche Mandatum für die Weihen bei Mgr. Wojtyla nicht eingeholt hatte. Wenn ich nun schreibe, er konnte das Mandatum bei Mgr. Wojtyla nicht einholen, weil er diese Person, Mgr. Wojtyla, nicht als Papst anerkennen würde, klingt das recht plausibel. Doch in der damaligen Situation – 1982 – wurde in der damaligen katholischen Öffentlichkeit zwar über die „alte“ Messe und deren Zulassung diskutiert, aber nicht über die Vakanz des römischen Stuhles. Das geschah nur in einem kleineren Kreis von Gläubigen aus aller Welt, der davon überzeugt war, daß die Päpste ab Paul VI. wegen der öffentlichen Vertretung von Häresien ihres Amtes verlustig geworden waren. Doch die mediale Welt war hochgekocht und war gegenüber Thuc nicht gerade zimperlich. Deswegen hielt er sich ja in München versteckt!
Mit Rom und Mgr. Wojtyla, dessen Enzyklika "Laborem exercens" er als kommunistisches Manifest eingestuft hatte (worüber er noch eine Abhandlung beabsichtigt hatte, aber aus Krankheitsgründen nicht mehr ausführen konnte) wollte er partout nichts zu tun haben. Er wußte auch, daß der Vatikan, das war Paul VI., der am 6. August 1978 verstorben war, der Ermordung seiner Brüder - im Auftrag der Kennedys! - zugestimmt hatte.
In dieser Situation war es erforderlich, daß Erzbischof Ngô-dinh-Thuc seine Handlungen öffentlich begründete, was dann in der DECLARATIO vom 25. Februar 1982 geschah und worin er die Vakanz des römischen Stuhles feststellte. Es war eine Arbeit, die Thuc mit großem Interesse verfolgte. Von der „Erklärung“ über den unbesetzten römischen Stuhl gab es mehrere Anläufe, bis sie ihre endgültige Fassung erhielt, die Thuc unterzeichnete, und in der sie dann gedruckt wurde. Am 21. März 1982, dem Sonntag „Laetare“, wurde sie in unserer Kirche St. Michael von Erzbischof Thuc vorgetragen, levitiert von Pfr. Leutenegger aus der Schweiz, der auch die Predigt hielt, und unserem Pfr. Pniok; bei dieser Messe kam Haydns Orgelmesse in B-Dur zur Aufführung.
Ja, es war eine würdige Gestaltung, die wir für diesen Anlaß zusammengestellt hatten. Inzwischen war auch meine Frau mit den Kindern zurückgekehrt, so daß sie auch an dem anschließenden Festessen teilnehmen konnten. Dabei stellten die drei Kleriker fest, daß sie zusammen über 250 Jahre zählten. (Böse Zungen haben hinterher die Behauptung kolportiert, ich hätte die Declaratio geschrieben. Wenn einer etwas von Stilanalyse versteht, wird er sofort feststellen, daß es sich um eine böswillige Unterstellung handelt.) Inzwischen hatten wir für Erzbischof Thuc ein nettes Quartier in der Nachbarschaft gefunden, von wo er dann in seine gewohnte Umgebung wechseln konnte.
Zur Abstimmung weiterer Maßnahmen weilte später u.a. Bischof Guérard des Lauriers in München. Er machte Thuc Vorwürfe, weil er sich seiner These nicht anschloß. Briefe, die ihm des Lauriers schickte, zerriß er und warf sie in den Garten. Ich durfte dann die Schnipsel auflesen und das Puzzle wieder zusammensetzen. Zu einer großen Belastung des sich formierenden Widerstandes war die Auseinandersetzung geworden, die uns von Mgr. Des Lauriers mit seiner These vom "Papa materialiter non formaliter" direkt aufgezwungen worden war - ein Streit, der von seinen Anhängern bis heute weitergeführt wird. Er hemmte sowohl die innere Konsolidierung, was bei den Gläubigen einen großen Vertrauensverlust hervorrief, als auch den organisatorischen Ausbau - wie er z.B. in Ecône bestens gelungen ist. Bischof Carmona kam auch noch einmal nach München, wobei er von Herrn Anacleto Gonzalez Flores begleitet wurde, um gewisse Punkte mit Thuc zu besprechen: wie sollte man z.B. mit Leuten von Lefebvre umgehen, die doch das Problem der Weihen durch Liénart noch zu lösen hatten. Thucs Angebot, Lefebvre sub conditione nachzuweihen, hatte dieser abgelehnt. Man entschied, daß kein Ecôner ohne diese Weihe sub conditione in unseren Kreis aufgenommen werden durfte. Bei dieser Gelegenheit erhielt Bischof Carmona - ebenso wie Mgr. Guérard des Lauriers - einen handschriftlichen Revers, in dem sich Mgr. Thuc für die zu Recht gegen ihn erhobenen Vorwürfe entschuldigte und die Bischöfe als Vertreter der Kirche um Verzeihung bat. Sowohl Carmona als auch des Lauriers waren mit der ihnen gegebenen Erklärung einverstanden und erkannten sie als Rekonziliationsdokumente an. Zwischenzeitlich wurde unsere Wohnung zum Treffpunkt der alten und neuen Bischöfe, wo einer dem anderen die Türklinke in die Hand drückte. So kamen Bischof Vezelis, Bischof Musey, der uns seine Juden-Witze präsentierte.
Der Streit zwischen den neuen Bischöfen über die These von Mgr. Des Lauriers mit seiner These vom "Papa materialiter non formaliter" führte dazu, daß sich keine Autorität herausbilden konnte, die allgemeine Zustimmung erhalten hätte. Eine Ausnahme bildete Bischof Carmona, der es nach dem Tode seines Konsekrators Thuc geschafft hatte, das Vertrauen der Gläubigen zu gewinnen. Sein tragischer Tod 1991 markiert zugleich die Bruchstelle, von der aus das Interesse am kirchlichen Aufbau zu erlöschen begann.
Wie soll man, wie soll ich Erzbischof Thuc charakterisieren, mit dem ich einige Monate zusammengelebt hatte? Er war lakonisch; langes theologisierendes oder frömmelndes Geschwätz konnte er nicht ertragen. Er konnte befehlen; er war außerordentlich exakt und genau in allen Angelegenheiten, die er zu regeln hatte. Unsere Nachbarin, eine eher mondäne Dame, die nicht wußte, wer ihr Nachbar auf Zeit war, die auch nicht ahnte, wer in diesen Klamotten steckte mit der alten Mütze, hatte nur eine Bemerkung: Welche Würde. Ja, welche Würde, welche Güte, welchen Respekt Mgr. Ngô-dinh-Thuc persönlich ausstrahlte, haben meine Kinder erfahren. In der Zeit, als er sich bei uns zu Hause versteckt halten mußte und sie sich deswegen enorm einschränken mußten, haben sie, die sonst ihren Gefühlen und ihrem Gemeckere freien Lauf ließen, sich nicht ein einziges Mal beklagt.
Als er noch in Toulon wohnte, brachte er seine Briefe nicht zum nächsten Postkasten, (den man kontrollieren konnte), sondern zur Bahn, wo er die Briefe in die Züge einwarf, wo sie nicht kontrolliert wurden, obwohl er schwer zu Fuß war. Er hat Hiller und mich dadurch kontrolliert, daß er Herrn Hiller Briefe in Italienisch schrieb und an mich in Französisch, wobei er wußte, daß Hiller kein Italienisch verstand und ich kein Französisch. Also er wußte, daß wir uns austauschen mußten.
Ich möchte noch auf eine Begebenheit hinweisen, um zu zeigen, wie der Erzbischof Entscheidungen traf. Bei einem unserer Besuche legte er uns einen Brief eines deutschen Priesters vor, in dem er Mgr. Thuc bat, ihn zum Bischof zu weihen. Die Handschrift des Schreibers war mir sehr vertraut, ich wußte sofort, wer der Bittsteller war. Der Erzbischof zeigte uns auch seine Antwort: Er lehnte das Ersuchen ab mit dem Hinweis, daß eine Bischofsweihe nicht heilsnotwendig sei. Man könne auch ohne Bischofsweihe in den Himmel kommen. Denn wenn dem nicht so wäre, hätten die Frauen keine Chance, ins Paradies zu gelangen, da sie ja die Bischofsweihe nicht empfangen könnten. Später hat der abgeblitzte Kleriker allerdings nichts unterlassen, um den Erzbischof zu kritisieren und ihn zu desavouieren.
Und er war ein frommer Mensch, der auf Gottes Gerechtigkeit baute. Haß oder Rache waren ihm fremd. Und welches Schicksal hatte er, hatte seine Familie zu erleiden! Acht Mitglieder der Familie Ngô waren bereits ermordet worden! Unverständlich sind mir der Haß und die Arroganz, mit denen er verfolgt wurde, besonders von sog. konservativen Klerikern aus Frankreich! Es gibt für mich nur eine Erklärung: Sie konnten es nicht ertragen, daß dieser Prälat aus Vietnam, für sie: aus der Kolonie, ihnen ihre eigene Kläglichkeit demonstrierte: Er war ihnen allen in allen Bereichen weit überlegen, und das konnte man diesem „Reisbauern“ nicht verzeihen. Im April 1982 erkrankte Erzbischof Thuc an einer schweren Bronchitis. Behandelt wurde er von Frau Dr. Hiller, der Ehefrau von Herrn Hiller, die als Ärztin arbeitete. Ich pflegte Thuc, so gut ich konnte. Doch um seine Gesundheit wiederherzustellen, sahen wir uns Anfang Mai 1982 gezwungen, ihn wieder aus dem kalten München ins warme Südfrankreich zu fliegen. Herr Hiller und ich haben ihn auf dieser Reise begleitet. Wir hatten vorher Abbe Schäfer, der von Thuc geweihte worden war, gebeten, sich um ihn zu kümmern... vergebens. Thuc wurde von Frau Norrant in ihre Wohnung aufgenommen und von ihr gepflegt. Es sollte ihm bald besser gehen. Am Abend vor dem Rückflug nach München machten wir noch einen Spaziergang durch einen nahegelegenen Wald. Plötzlich hörten wir Vögel singen, die, obwohl bis dahin für uns unbekannt, wir als den Gesang von Nachtigallen erkannten. Sie sangen wunderbar. Es sollte das letzte Mal sein, daß ich mit Erzbischof Thuc persönlich zusammenkam. Über Frau Norrant konnten wir uns aber jederzeit über seinen Gesundheitszustand erkundigen.
Im Herbst 1983 holte ihn Bischof Vezelis nach Rochester/USA, wo dieser ein Priesterseminar unterhielt. Doch nachdem die mexikanischen Studenten dieses Haus alle wieder verlassen hatten und gewisse Vorwürfe gegen Vezelis erhoben worden waren, kam es auch zum Gang ins Exil für Erzbischof Thuc, der dann 1984 in einem Seminar der Exil-Vietnamesen untergebracht worden war. Die Bilder, die mich von da erreichten, zeigen einen alten Mann, der gut verpflegt wurde. Am 13. Dezember 1984 verstarb er kurz nach Vollendung seines 87. Lebensjahres in einem Krankenhaus von Carthage / U.S.A. Er war geboren am 6. Oktober 1897 in Phu-Cam/Vietnam. Nach seinem Fortgang aus Rochester hatte er zunächst in New York (im Hotel Carter) gewohnt. Zwei Tage vor Heiligabend, am 22.12.84 wurde seine sterbliche Hülle beigesetzt. Vieles bleibt ungeklärt; derjenige, der uns wirklich informieren könnte, ist tot. Sein neuer Aufenthaltsort in Carthage wurde uns von einem ehemaligen Seminaristen aus Rochester erst Anfang Dezember 1984 mitgeteilt. Ich setzte gleich einen Brief an den Erzbischof auf... da erfuhr ich von seinem Ableben. Meine Zeilen haben ihn nicht mehr erreicht. "Doce me, Domine, vias tuas." ("Lehre mich, Herr, Deine Wege.") Das war das Motto, welches Mgr. Thuc seiner Kurzbiographie vorangestellt hatte. Mit seinem Tod ging jetzt ein Leben zu Ende, welches zunächst mit soviel persönlichem Erfolg begonnen hatte und welches schließlich nach der Katastrophe seiner Familie 1963, nach dem Fall von Vietnam 1975 in völlige Erniedrigung und Vereinsamung gemündet war. Dieser Weg, der ihm vorgezeichnet war, an und für sich schon bitter genug, wurde ihm letztlich zur Qual durch die Anmaßung und Arroganz von Modernisten und Konservativen gleichermaßen. Er selbst schrieb einmal: "Danach begann mein Kreuzweg." Und der führte ihn auch nach Baton Rouge /USA, wo er die von ihm geweihten Bischöfe noch einmal aufgefordert hatte, sein Werk fortzusetzen.
Ich habe mich häufiger gefragt, warum Mgr. Pierre Martin Ngô-dinh-Thuc Rochester verlassen hatte, und kam zu dem Resultat, daß es möglicherweise das Verhalten von Bischof Vezelis war, von dem ich später erfuhr, er sei homosexuell gewesen. Und ich erinnere mich an eine frühere bittere Erfahrung, die Thuc gemacht hatte, daß Bischof Labourie die gleichen Neigungen pflegte, weswegen sich Erzbischof von ihm trennte.
Beten wir, daß Gott seinen Diener nach diesem mühevollen Lebensweg in Sein Vaterhaus heimholt, wo er endlich Ruhe und Frieden finden möge. R.I.P. |