Über das Papsttum der Römischen Bischöfe, die Eigenart des Apostolischen Stuhles und eine Kirche ohne Papst
von
Prof. Dr. Diether Wendland
III. Fortsetzung
4. Kapitel: Das Geheimnis der übernatürlichen Schlüsselgewalt
(potestas clavium spiritualis)
Die Schlüsselgewalt ist in ihrem Wesen eine übernatürliche Binde- und
Löse-Gewalt, die sich auf die an Jesus Christus glaubenden Glieder1)
einer religiösen Gesellschaft bezieht, und zwar in mehrfacher Hinsicht.
Zudem ist sie eine höchste Gewalt (summa potestas), da sie sich
ausnahmslos auf alle Glieder dieser Gesellschaft (societas) bezieht,
die auch eine Glaubens-Gemeinschaft (communitas) bilden. Letzteres
zeigt sich darin, daß alle "eines Glaubens" sind, der in sich ein
göttlicher Offenbarungsglaube (fides divina) ist und deshalb als ein
solcher auch absolut wahr und infallibel (unfehlbar und untrüglich) ist
und sein muß. Die Schlüsselgewalt ist ein Garant für die Bewahrung und
Einheit dieses Glaubens im Gesellschafts-Ganzen und allen seinen
Teilen. Es können auch nur so Glaubensspaltungen und religiöses
Sektierertum vermieden werden. Indes benötigt die Schlüsselgewalt für
ihren Vollzug eine bereits existierende christlich-religiöse
Gesellschaft, die aus (getauften) Männern, Frauen und Kindern besteht
(nicht bloß aus menschlichen Individuen) und die zudem noch eine
universelle ist, da sie nicht auf ein Volk oder eine Nation
eingeschränkt werden kann, andernfalls sie ihren Sinn verlieren würde.
Das Gesellschaftsgebilde der Kirche ist eine 'Ecclesia universalis' und
kann deshalb auch niemanden von vornherein ausgrenzen, der ein Glied
derselben werden möchte. Dies alles wirft sicherlich Fragen auf, die
jedoch außerhalb unserer Thematik liegen, so daß wir auf diese hier
nicht eingehen.
Als Christus dem Apostel Simon-Petrus die Schlüsselgewalt verhieß, da
war der 'Himmel' (der Seins- und Lebens- 'bereich' Gottes) immer noch
verschlossen, und zwar durch einen "Riegel" oder eine "Hemmnis", der
(das) sich im Menschengeschlecht durch die Erbsünde und die
persönlichen Sünden gebildet und verfestigt hatte. Der Mensch hatte
sich selbst den Weg und Zugang zum Reiche Gottes versperrt, so daß er
auch als Leib-Geist-Wesen mehr und mehr degenerierte. Dieser Absturz
von seiner ursprünglichen Werthöhe hatte nicht das Tier (animal brutum)
zum Ziel, sondern den bestialischen 'Untermenschen', wie er dann auch
im Laufe der Geschichte in Erscheinung trat. Es gab für den Menschen
keine Rettung mehr von sich aus oder "von unten", sondern nur noch "von
oben" - d.h. allein durch den "göttlichen Messias" oder den
"Gott-Menschen". Dieser jedoch mußte die das Himmelreich öffnenden
Schlüssel sozusagen erst anfertigen, nämlich durch Sein
Erlösungs-Leiden und aus Seinem vergossenen Blute am Kreuz auf
Golgotha.
Auch für die Apostel war es damals noch unmöglich, das "mysterium
tremendum" der blutigen Erlösung zu verstehen und im Glauben tiefer zu
erfassen. Die Evangelisten hätten später viele Worte Christi
folgendermaßen (wie so oft) kommentieren können: "aber sie verstanden
nicht, was Er sagte!". Im übrigen gibt Gott nicht allen Menschen die
gleiche Glaubens-Gnade, sondern immer nur den Einzelmenschen, weil sie
Personen sind, die für sie zureichende oder ausreichende, da sie mit
der Gnade in Freiheit mitwirken sollen. Den Faulen und Trägen jedoch
gibt Gott keine übernatürliche Gnaden-Gabe des Glaubens (gratia fidei).
Im übrigen ist die Gnade ein absolut freies Geschenk Got-tes, auf das
der Menschen keinen Anspruch hat, weder einen moralischen noch einen
rechtlichen. Die Apostel aber waren keine Ungläubigen sondern nur, wie
Christus sagte, "Kleingläubige", die ihre Glaubens- und
Erkenntnisschwierigkeiten hatten, mehr oder weniger. Indes haben sie
niemals Christus 'blind geglaubt', eben weil sie berechtigte Fragen
stellten und sich über das Gehörte Gedanken machten (wenn auch nicht
immer vernünftige).
Die in Mt 16,19 und 18,18 gebrauchten Begriffe "binden" (ligar,
alligare) und "lösen" (solvere, absolvere) sind, was beachtet werden
sollte, theologisch-spirituell in ihrer Anwendung weiter und in
gewisser Hinsicht sogar mächtiger als die späteren, sich nur auf
eigentliche Sünden beziehenden Begriffe "nachlassen" (remittere) und
"behalten" (retinere) auf dem Fundament des Bußsakramentes (Joh 20,22.
23.), das erst durch Christus nach Seiner Auferstehung eingesetzt
wurde. Denn erstere gelten auch "in foro externo", nicht bloß im
inneren Gewissens-Bereich oder in Sachen des Gewissens. Diese 'kleinen
Unterschiede' haben große Auswirkungen in verschiedener Hinsicht; sie
sollten deutlich erfaß werden.
Christus verhieß die Schlüsselgewalt zuerst Simon-Petrus allein und
erst später den anderen Aposteln - allerdings mit geheimgehaltener
Ausnahme hinsichtlich des Judas Iskariot; denn der Heiland hatte ihn ja
schon früher als einen 'Teufel' bezeichnet, weil Ihm, "der alles
wußte", somit auch der kommende Verrat des Iskarioten offenkundig war.
Nur die anderen Apostel ahnten diesbezüglich immer noch nichts. Statt
dessen brachen bald "Rangstreitigkeiten" aus und bewegten ihre Gemüter!
Es bleibt jedoch die Frage: Warum bezog sich diese Verheißung zuerst
auf Petrus allein und erst später auf "die Elf" mit Petrus? Christus
tat in allen Seinen göttlichen Werken nichts Überflüssiges, und alles
hatte seinen Sinn. Jede Verheißung Christi mußte sich erfüllen oder
verwirklichen, aber nicht irgendwie, sondern in einer bestimmten
Ordnung. Hatte doch Christus bereits geoffenbart: "Mein Vater wirkt bis
jetzt, und so wirke auch ich. (...) Wahrlich, wahrlich, ich sage euch:
nicht kann der Sohn von sich selbst etwas tun, was er nicht auch den
Vater tun sieht; denn was dieser tut, das tut auch der Sohn in gleicher
Weise." (Joh. 5,17. 19.) Der trinitarische Gott ist ein Gott der
Ordnung, nicht des
Chaos.
Hier sollte man sich nicht zu Phantasien hinreißen lassen, sondern
realistisch bleiben in Anbetracht dessen, was sich daraufhin unter den
Aposteln noch abgespielt hat, so daß die Gefahr des Auseinanderfallens
"der Zwölf" gegeben war, obwohl es sich um 'Erwählte' handelte. Denn wo
Menschen sind, da menschelt es, und zwar gewaltig! Diese Verheißung hat
aber auch nichts zu tun mit dem "Bekenntnis Petri", wohl aber eine
ganze Menge mit einer zukünftigen "Partizipation" (Teilnahme) von
Aposteln an der petrinischen Schlüsselgewalt, die nur eine und selbst
keine geteilte ist (oder gar 'aufgeteilt' wäre unter mehrere Personen).
Denn "die Gewalt der Schlüssel ist durch ihn (den Apostel Petrus) auf
andere (Apostel) abzuleiten, um die Einheit der Kirche zu bewahren" zum
Wohle aller ihrer Glieder. (Thomas v. A., ScG, Buch 4, Kap. 76) Es gibt
weder eine kollektive noch eine kollegiale Schlüsselgewalt (was ein
Widerspruch ist), sondern nur die eine petrinische, an der partizipiert
werden kann. Sie ist in ihrem Wesen eine "potestas spiritualis
divino-apostolica", die von Christus herstammt, der allein sie auch
verleiht. Schon der Kirchenvater Origenes (gest. um 251) hatte darauf
hingewiesen, daß es bei der Schlüsselgewalt Petri heißt "in den Himmeln
(in coelis)", hinsichtlich der anderen Apostel aber nur "im Himmel (in
coelo)", was einen kleinen Unterschied ausmacht, wenn es sich um eine
Binde- und Löse-gewalt handelt. Zwischen Mt 16,18 und 18,18 besteht
kein Widerspruch.
2)
Erst durch den Tod Jesu Christi wurde den Rangstreitigkeiten der
Apostel ein Ende gemacht (unter den Jüngern gab es keinen Rangstreit).
Indes stellt sich die Frage, ob Simon-Petrus durch seine dreimalige
Verleugnung Christi die Verheißung der Schlüsselgewalt nicht bereits
verspielt habe, da er ihres Empfanges unwürdig geworden war? Dann aber
hätte auch kein anderer Apostel mehr an ihr partizipieren können!
Allein Christus konnte dieses Problem lösen, und Er hat es in der Tat
dadurch gelöst, daß Er nach Seiner Auferstehung (bezüglich der Apostel)
zuerst "dem Simon" erschien, um ihm wegen seiner fast verzweifelten
Reue wegen der sündhaften Verleugnungen unmittelbar Vergebung zuteil
werden zu lassen. Verheißungen Christi müssen sich erfüllen! Es
bewahrheitete sich zuerst die alte Prophetie vor aller Augen: "Ich
werde den Hirten schlagen, so daß sich die Schafe der Herde zerstreuen"
(Zach 13,7). Doch dieser wird sie wieder 'sammeln' und an sich ziehen,
um den Aufbau Seiner Kirche fortzusetzen, die aus Jüngern, Aposteln und
(ständigen) Anhängern besteht. Die alle heimsuchende Katastrophe schien
eine vollständige zu sein. Doch eine Herde 'zerstreuen' heißt nicht,
sie vernichten. Das wußten die lästernden Hierarchen in Jerusalem und
ärgerten sich maßlos über die von Pontius Pilatus am Kreuze Christi
angebrachte
Tafel.
Weil die Verheißung der Schlüsselgewalt unbedingt ihre Erfüllung oder
Verwirklichung fordert, darum stellt sich die Frage, wann dies wohl
durch Christus geschehen sein könnte? Denn schon in einer seiner
Abschiedsreden hatte Er als der "gute Hirt" aus Fürsorge "den Elf"
vorhergesagt: "Ich werde euch nicht verwaist zurücklassen, ich komme
(wieder) zu euch", und ihr werdet mich leibhaftig sehen, meine Worte
wirklich hören und mein Tun miterleben. "Noch eine kleine Weile und die
(schnöde) Welt sieht mich nicht mehr; ihr aber werdet mich sehen (und
zweifelsfrei erkennen), daß ich lebe ...". Zudem möget ihr wissen: "Wer
meine Gebote hat und sie hält, der ist es, der mich liebt. Wer aber
mich liebt, der wird von meinem Vater geliebt werden, und ich werde ihn
lieben und mich ihm zu schauen geben." (Joh 14,18. 19. 21.).
Somit fällt die Verwirklichung dieser Verheißung in die vierzig Tage
nach der Auferstehung Christi und vor Seine 'Himmelfahrt' (d.h. die
sichtbare Rückkehr zum Vater im Lichte einer erträglichen Verklärung,
bei welchem Ereignis aber nicht bloß "die Elf" anwesend waren, sondern
auch Jünger und echte Anhänger, ganz abgesehen von Maria, seiner
jungfräulichen Mutter.). Christus forderte immer echte Zeugen, die
Zeugnis ablegen könnten und sollten für Ihn und die göttliche Wahrheit.
Den 'Mitläufern' aber wird unser Herr einmal sagen: "Ich habe euch
nicht
gekannt!".
Oft kann man den eigentlich Sinn-Gehalt einer Verheißung auch leichter
aus ihrer Erfüllung erkennen, da diese den Zielpunkt darstellt, auf den
sie abzielt. Der Zielpunkt der Gewalt der Schlüssel 3) aber ist die
oberste Hirtengewalt, in der sie sich kontrahiert. Diese ist das
"summum regimen pastorale", welche im "Pastor bonus et aeternus" seine
übernatürliche Wurzel hat. Darum offenbarte Christus schon zu Pfingsten
in Jerusalem und wodurch wiederum eine Spaltung unter den Judäern
eintrat: "Wahrlich, wahrlich ich sage euch: Ich (allein) bin der gute
Hirt; Ich (allein) bin die Tür zu den Schafen (meiner Hürde) ..." Aber
"ich habe noch andere Schafe, welche nicht aus dieser Hürde sind; auch
diese muß ich herbeiführen, und sie werden meine (und auf meine) Stimme
hören, und es wird eine Herde und ein Hirte werden." (Joh 10,7 ff.).
War das nicht deutlich genug? Dem Rest der Apostel und Jünger war doch
bekannt, daß bestimmte Verheißungen Christi noch nicht in Erfüllung
gegangen waren und verwirklicht werden mußten. So etwas kann man doch
nicht plötzlich vergessen! Indes trifft auch auf einige Apostel zu, was
Christus zu den beiden hoffnungslos gewordenen Emmaus-Jüngern sagte: "O
ihr Kleingläubigen und Unverständigen! Wie schwerfällig ist doch euer
Herz, um an all das zu glauben, was (bereits) die Propheten gesprochen
haben!" (Lk 24,25). Nachdem jedoch Christus sich ihnen zu erkennen
gegeben hatte, kehrten sie schnell nach Jerusalem zurück und suchten
auch die Apostel auf, d.h. "die Zehn", denn Thomas, "der Zwilling", war
nicht dabei. Diese hielten sich mit anderen in einem Hause auf, wo sie
sich ver-sammelt und "die Türen aus Furcht vor den Juden (den
Hierarchen und Judäern) verschlossen (verrammelt) hatten" (Joh 20,19).
Die Situation so mancher Jünger und Apostel am Abend des ersten
Auferstehungstages war, bevor ihnen Christus erschien (wie Er
vorausgesagt hatte), mehr als trostlos. Als Er jedoch plötzlich in ihre
Mitte trat, da glaubten sie zuerst, ein Gespenst zu sehen, bis sie
eines Besseren belehrt wurden. Doch zuerst fragte Er sie mit einem
unüberhörbaren Vorwurf: "Warum seid ihr verwirrt und warum steigen
Zweifel auf in euren Herzen?" (Lk 24,38): Auf den Glaubenszweifel aber
folgt die religiöse Hoffnungslosigkeit und auf diese die Verzweiflung
... Fürwahr, der Herr der Kirche ist auch der 'beste Hirt'!
Wer von "den Zehn" oder auch von "den Elf" dachte in der Woche nach der
Auferstehung Christi noch an die dem Simon-Petrus verheißene
Schlüsselgewalt, die ja nicht dasselbe ist wie die den zehn Aposteln am
Abend der Auferstehung gegebene geistliche Gewalt, Sünden nachzulassen
und / oder zu behalten, wenn Bußfertige ein Sündenbekenntnis ablegen?
4) Kein Apostel dachte noch an das Wort Christi von der Gabe der
"Schlüssel des Himmelreiches". Dies ist auch gar nicht so schwer zu
verstehen, wenn man bedenkt, welche Glaubens- und
Erkenntnisschwierigkeiten sie bereits mit anderen 'göttlichen Dingen'
hatten, angefangen mit der Erfassung des wahren Messias und Erlösers,
der sich weder von einem Volke noch von einer 'Kaste' 5) "zum König
machen" ließ. Nun aber war die von Christus dem HERRN vorausgesagte
Auferstehung eingetreten 6) und der Auferstandene zeigte sich: wem er
wollte, wie er sich zeigen wollte, wo er dies wollte und wie lange er
sichtbar sein wollte. Dies sind außerordentliche Begebenheiten und
Ereignisse, die alle ihren besonderen Sinn haben. Es wäre auch
verständlich, wenn einige, die von der Auferstehung erfuhren, in helle
Aufregung versetzt wurden und dann sehr verschieden auf dieses
Geschehnis reagierten. Man denke nur einmal an den zur Schwermut
neigenden Apostel Thomas, den 'Ungläubigen', den niemand am Abend des
Auferstehungstages zu Gesicht bekam, oder an den Hohenpriester Kaiphas,
der damit beschäftigt war, sich Lügen auszudenken.
Es wäre auch angebracht, sich hinsichtlich der Binde- und Löse-Gewalt
einmal die Frage zu stellen, wodurch ein christlich-religiöser Mensch
in seinem Denken, Wollen und Sich-verhalten gebunden werden kann? Nun,
dies geschieht vor allem durch richterliche Glaubens-sätze und
-entscheidungen (Dogmen), durch moralische und rechtliche Normen für
ein spezifisch christliches Leben oder auch durch eine Exkommunikation,
die von der kirchlichen Relgions- und Gnaden-gemeinschaft ausschließt
etc.. Ein solches binden ist weder ein äußerer Zwang noch eine innere
Nötigung, da es die Freiheit der Person in ihrem Wollen, Streben und
Handeln voraussetzt, die allerdings als eine nur menschliche immer auch
verantwortet werden muß. Willkür ist keine Freiheit, sondern ein
Mißbrauch derselben. Es kann aber auch die Schlüsselgewalt mißbraucht
werden und was sogar dadurch geschehen kann, daß von ihr kein Gebrauch
gemacht wird, obwohl der Schlüsselträger dazu und hier und jetzt
unbedingt verpflichtet wäre. Man muß eben die Schlüsselgewalt, wie jede
andere Gewalt ebenfalls, von ihrem Gebrauch unterscheiden und sich als
Mensch vor ihrem immer möglichen Mißbrauch hüten. Macht und Gewalt sind
nichts Negatives (wie heutzutage von vielen Lügnern verbreitet wird),
da sie die Durchsetzung des Rechts und die Abweisung des Unrechts zum
Gegenstand haben. Auch die sog. "Spaßgesellschaft" ist eine
Unrechtsgesellschaft. Diese macht sogar an Sonn- und Feiertagen ihre
'Späßchen' in der Kirche um einen Tisch herum (genannt
'Konzelebration'). 7)
Die heilige (sakrale) Gabe der Schlüsselgewalt beruht einzig und allein
auf einer Verleihung Christi, des Auferstandenen, wodurch sich die
Verheißung von Cäsarea Philippi erfüllte. Ein jeder, der sich keine
Illusionen macht, kann doch wissen, warum dies so lange gedauert hat
oder auf sich warten ließ. Christus selbst bestimmte nach wie vor, was
in Seiner Ekklesia zu geschehen habe und wann etwas für sie zu Ihrem
Wohle zu tun sei. Nicht selten bedauert man es, daß nichts in der Hl.
Schrift überliefert ist, was alles in den vierzig Tagen von seiten
Christi gesagt und getan worden ist. Denn der Apostel Johannes
schreibt: "Noch viele andere Zeichen (= gehörte Worte und gesehene
Handlungen) tat Jesus (der Christus) vor seinen Jüngern, die nicht in
diesem Buche aufgeschrieben sind." (Joh. 20,30). Aber vielleicht war
das gut so, damit nicht pure Neugier (curiositas), die eine Sünde ist,
befriedigt wird.
Die Schlüsselgewalt liegt im Wesen der obersten Hirtengewalt in der
Kirche Jesu Christi. Diese pastorale "potestas spiritualis ordinaria"
aber bedarf eines Trägers, das heißt einer menschlichen Person, welche
sie auszuüben imstande ist und tatsächlich auch ausübt. Außerhalb der
Kirche in der Welt, die ein christliches Gesellschaftsgebilde ist,
existiert sie nicht, so daß man sie nur in ihr findet und finden kann,
nicht jedoch außerhalb derselben, weil sie ebenfalls ein 'Glied der
Kirche' ist und sein muß. Es fragt sich nur, ob sie immer und ständig
dasein wird? Doch dies ist ein besonderes Problem, das vielleicht sogar
unlösbar ist.
(Fortsetzung folgt)
Anmerkungen:
1) Ein Glied dieser Gesellschaft wird man nur durch den
gültigen Empfang des von Christus eingesetzten Gnadenmittels der
sakramentalen Taufe, einschließlich des durch sie der menschlichen
Geist-Seele eingeprägten unauslöschlichen Tauf-Charakters oder
Tauf-Siegels (das in der Hölle zu einem 'Kainsmal' wird). Ein Glied der
Kirche, die ein religiöses Gesellschafts-Gebilde ist, wird man weder
durch den Glauben noch durch ein Glaubensbekenntnis, sondern durch die
nämliche Taufe. Es gibt 'Kirchengläubige', die das nicht mehr wissen.
2) Es war mehr als lächerlich, die Schlüsselgewalt, eine oberste
soziale Autorität, aus einer und zudem noch fiktiven 'christlichen
Urgemeinde' ableiten oder entstehen lassen zu wollen, ganz abgesehen
davon, daß die Apostel bald in alle Welt verstreut werden würden und
der Apostel Jakobus der Jüngere in Jerusalem keinen echten Nachfolger
hatte; denn die dortige judenchristliche Gemeinde spaltete sich und
zerfiel schließlich in Sektierergruppen. Es ist auch bekannt, daß die
sog. "Jakobusleute" für die 'Heidenchristen' zu einem roten Tuch
wurden. Denn überall, wo sie auftauchten, stifteten sie Unfrieden und
Glaubensverwirrung. Diese Leute hatten seit der Ermordung des Diakons
Stephanus (32/33) nichts dazugelernt. Man kann sie auch als die ersten
Häretiker bezeichnen und die später selbst dem hl. Paulus schwer zu
schaffen machten. Auch gegen diese Leute ist der Hebräerbrief
geschrieben. Sogar noch nach der Auferstehung stellten Apostel an
Christus die abwegige Frage: "Herr, richtest du (jetzt) in dieser Zeit
das Königtum für Israel auf (und beteiligst uns an ihm)?" (Apg 1,6).
Sie verstanden die Schlüsselgewallt immer noch nicht.
3) Es empfiehlt sich, hier einiges vorwegzunehmen, weil die
Schlüsselgewalt keine einfache Sache ist, sondern eine in sich
gegliederte und mehrfach bestimmte. Denn das Gesellschaftsgebilde der
wahren Kirche besitzt von ihrem 'Dominus Jesus Christus' 3 Schlüssel,
die man möglichst genau unterscheiden sollte, dennoch aber niemals
voneinander trennen darf, da sie eine lebendige Ordnungs-Einheit
bilden. Sie existieren nicht jeweils für sich allein:
1.) den "clavis
scientiae", den Schlüssel eines immer mit Autorität verbundenen
Wissens, das als "scientia discernendi" (Unterscheidungs- und
Trennungs-Wissen im theologischen Bereich) bezeichnet wird.
Dieses Wissen ist kein bloßer Habitus des Intellektes, denn es hat den
Zweck, im Geiste des Menschen ein deutlich erkanntes Hindernis zu
beseitigen oder aufzuheben (removere obstaculum), das den Zugang zum
Himmelreich versperrt. In diesem Zusammenhang hatten die Pharisäer, die
"auf dem Stuhl des Moses sitzen" (Mt 23,2), den "Schlüssel der
Erkenntnis weggenommen" (Lk 11,52); d.h. sie hatten ihn geraubt und
sich seiner entledigt, indem sie ihn ins Gegenteil verkehrten. So etwas
ist ohne satanischen Einfluß nicht möglich.
2.) den "clavis sacramentalis"; dieser Schlüssel ist in Mt 16,19 und
18,18 nicht gemeint, da ihn jeder Priester des Neuen Bundes
aufgrund der "potestas ordinis" besitzt, die sich vor allem auf die
Verwirklichung des Altars- und Buß-Sakramentes bezieht (nicht jedoch
des Ehe-Sakraments).
3.) den "clavis iurisdictionis"; mit diesem Schlüssel ist eine
herrscherliche und rechtserhebliche "potestas ordinaria" gemeint, die
über den Schlüssel (2) hinausgeht und sich mit dem Schlüssel (1)
verbindet. - Diese geistlichen Macht und Gewalt (potestas vel vis
spiritualis) hat sich bald nach dem Tode der Apostel zu einer
spezifisch 'bischöflichen' entwickelt, weil kein Priester des NT einen
anderen getauften Christgläubigen, auch wenn dieser rechtgläubig ist,
zum Priester ordinieren, eine "sacra ordinatio" erteilen kann. Dies
vermag nur ein Bischof, wenn er rechtmäßig Bischof ist. Nicht jeder
Bischof von heute ist auch rechtmäßig Bischof!
Ein Schlüssel schließt eine Tür auf oder er schließt sie
zu, vorausgesetzt, daß er in das Türschloß paßt. Es gibt eine Menge
Türschlösser, in die kein Schlüssel paßt, so das eine geschlossene Tür
verschlossen bleibt. Wer oder was aber hat sie verschlossen?
4) Es wird jedoch ein gültig ordinierter Priester Christi das Sakrament
der Buße auch dann nicht 'spenden' können, wenn die Reue des Pönitenden
eine nur geheuchelte ist. Wissen 'Amtspriester' eigentlich noch, woran
man eine, auch bei ihren 'Amtsbrüdern' geheuchelte Beichte von einer
ungeheuchelten unterscheiden kann und was bei einer geheuchelten
unbedingt zu tun ist?
5) Auch das "Kardinals-Kollegium" stand immer in der Gefahr, zu einer
Art 'Kaste' zu werden und sich sogar in solche 'Obödienzen' zu spalten,
wie dies bei sog. "Papstschismen" der Fall gewesen ist.
6) Hier sollte man sich an folgendes Geschehnis erinnern, das sehr
aufschlußreich ist. Als am Morgen des Auferstehungstages Maria
Magdalena in heller Aufregung Simon-Petrus und Johannes berichtete, daß
das Grab leer und der Leichnam vielleicht gestohlen sei, liefen beide
sofort zur Grabkammer und schauten sich in ihr um; beide sahen das
gleiche und alles in Ordnung hinterlassen, das Schweißtuch sogar
zusammengefaltet. Johannes "sah und glaubte" (daß Christus auferstanden
ist); Petrus hingegen "wunderte sich nur" (über das Fehlen des
Leichnams), und dann gingen sie wieder heim. Beide jedoch hatten "die
Schrift noch nicht erfaßt, daß Er von den Toten auferstehen müsse."
(Joh 20,8.9.). Es war mithin auch für Apostel gar nicht so leicht, eine
Hl. Schrift-Offenbarung zu erfassen und das Geoffenbarte zu glauben,
d.h. es sicher für wahr zu halten. Zum Apostel Thomas aber hatte der
Auferstandene belehrend gesagt: "Selig, die nicht sahen und doch
glaubten" (V.29).
7) Hier sei daran erinnert, daß Christus im 'Abendmahlssaale' nach dem
Weggang des Iskarioten 11 Apostel noch zu Priestern des Neuen Bundes
ordiniert und ihnen die Macht gegeben hat, Brot und Wein zu
konsekrieren. |